Saroyan | Wo ich herkomme, sind die Leute freundlich | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Saroyan Wo ich herkomme, sind die Leute freundlich

Storys

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

ISBN: 978-3-423-43305-1
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Mit William Saroyan ist einfach nichts hoffnungslos! Wir alle kennen jene raren Momente der Freiheit, die nur uns ganz allein gehören. Man setzt sein gesamtes Erspartes auf den Außenseiter und verliert - und ist dennoch vollkommen glücklich, weil man weiß: Man hat das einzig Richtige getan. William Saroyan findet diese Momente in den Schattenstellen des amerikanischen Traums. Denn auch das ist Amerika: Die Einwanderer in seinen Storys bringen trotz Armut und Diskriminierung die Welt zum Leuchten.

William Saroyan, 1908 als Sohn armenischer Einwanderer in Fresno, Kalifornien geboren, begann seine Karriere mit Storys, aufgrund derer Columbia Pictures ihn als Drehbuchautor anheuerte. Für das Theaterstück >The Time of Your Life< erhielt er den Pulitzer Preis, den er jedoch ablehnte; für das Drehbuch zu seinem Roman >The Human Comedy< wurde er mit einem Oscar ausgezeichnet. Er war zweimal mit der Schauspielerin Carol Grace verheiratet, aus der Ehe gingen zwei gemeinsame Kinder hervor. »Jeder muss einmal sterben«, lautete Saroyans letztes Pressestatement, »aber ich habe immer geglaubt, dass in meinem Fall eine Ausnahme gemacht würde.« Er starb 1981 in seinem Geburtsort.
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Wo ich herkomme, sind die Leute freundlich
Siebzigtausend Assyrer
Ich hatte mir seit vierzig Tagen und vierzig Nächten nicht mehr die Haare schneiden lassen, und allmählich sah ich aus wie etliche arbeitslose Geiger. Sie kennen den Habitus: verlottertes Genie und bereit, der Kommunistischen Partei beizutreten. Wir Barbaren aus Kleinasien sind haarige Menschen: Wenn wir einen Haarschnitt brauchen, dann brauchen wir einen Haarschnitt. Es war so schlimm, dass ich aus meinem einzigen Hut herausgewachsen war. (Ich schreibe hier eine ernsthafte Story, vielleicht eine der ernsthaftesten, die ich je schreiben werde. Deswegen bin ich auch flapsig. Leser von Sherwood Anderson werden nach einer Weile ansatzweise verstehen, was ich meine; sie werden wissen, dass mein Lachen eher traurig ist.) Ich war ein junger Mann, der einen Haarschnitt brauchte, also ging ich in die Third Street (San Francisco), zum Barber College, um mir für fünfzehn Cent die Haare schneiden zu lassen. Unterhalb der Howard Street ist die Third Street ein eigenständiges Viertel; stellen Sie sich die Bowery in New York vor oder die Main Street in Los Angeles; stellen Sie sich alte und junge Männer vor, die arbeitslos sind, herumlungern, Bull Durham rauchen, über die Regierung reden und darauf warten, dass sich etwas tut, die einfach nur warten. Es war ein Montagmorgen im August, und eine ganze Menge von diesen Herumtreibern war in den Laden gekommen, um sich ein bisschen aufzuheitern. Der junge Japaner, der den freien Platz für den nächsten Kunden bereitmachte, hatte eine Warteliste von elf Leuten; alle anderen Plätze waren besetzt. Ich setzte mich und begann zu warten. Draußen, wie Hemingway (Fiesta; In einem anderen Land; Tod am Nachmittag; Der Sieger geht leer aus) sagen würde, kostete ein Haarschnitt einen halben Dollar. Ich hatte zwanzig Cent und ein halbes Päckchen Bull Durham. Ich drehte mir eine Zigarette, reichte das Päckchen einem meiner Zeitgenossen, der aussah, als bräuchte er Nikotin, inhalierte den trockenen Rauch und dachte dabei an Amerika und daran, was politisch, ökonomisch und geistig so vor sich ging. Mein Zeitgenosse war ein sechzehnjähriger Junge. Er sah nach Iowa aus; potentiell großartig, ein solider Amerikaner, der jedoch sehr den Kopf hängen ließ. Wenig Schlaf, seit mehreren Tagen nicht die Klamotten gewechselt, ein bisschen Angst etc. Ich wollte unbedingt seinen Namen wissen. Ein Schriftsteller will immer die Wirklichkeit von Gesichtern und Persönlichkeiten erfassen. Iowa sagte: »Ich bin gerade aus Salinas gekommen. Keine Arbeit bei der Salaternte. Jetzt gehe ich nach Norden, nach Portland; ich hau ab.« Ich wollte ihm erzählen, wie es bei mir war: eine Story von Scribner’s abgelehnt, ein Essay abgelehnt von der Yale Review, kein Geld für anständige Zigaretten, abgelatschte Schuhe, alte Hemden, aber ich traute mich nicht, so viel Wind um meine Probleme zu machen. Die Probleme eines Schriftstellers sind immer langweilig, ein bisschen unwirklich. Die Leute denken leicht: Hat dich denn jemand dazu gezwungen zu schreiben? Man muss so tun, als wäre man kein Schriftsteller. Ich sagte: »Viel Glück im Norden.« Iowa schüttelte den Kopf. »Das wird eh nichts. Aber ich will’s wenigstens versuchen. Hab ja nichts zu verlieren.« Braver Junge, hoffentlich ist er nicht tot, hoffentlich ist er nicht erfroren, mächtig kalt zur Zeit (Dezember 1933), hoffentlich ist er nicht vor die Hunde gegangen; er hat es verdient zu überleben. Iowa, ich hoffe, du hast in Portland Arbeit gefunden; ich hoffe, du verdienst Geld; ich hoffe, du hast dir ein sauberes Zimmer gemietet, mit einem warmen Bett; ich hoffe, du schläfst nachts, isst regelmäßig, kommst wie ein menschliches Wesen daher, bist glücklich. Iowa, meine guten Wünsche begleiten dich. Ich habe mehrmals für dich gebetet. (Trotzdem glaube ich, dass er inzwischen tot ist. Es hatte ihm schon angehaftet an diesem Tag, als ich ihn sah, das gemeine, bösartige Gesicht der Bestie, und zur gleichen Zeit zeigten sämtliche Lichtspielhäuser Amerikas immer und immer wieder einen Zeichentrickfilm, in dem ein Lied mit dem Titel »Wer hat Angst vorm bösen Wolf?« vorkommt, und genau darauf läuft es hinaus: Leute mit Geld lachen über den Tod, der hinterhältig in Jungen wie Iowa hineinkriecht, sie tun so, als gäbe es ihn nicht, lachen in geheizten Lichtspielhäusern. Ich habe für Iowa gebetet, und ich halte mich für einen Feigling. Bestimmt ist er inzwischen tot, und ich sitze in einem kleinen Zimmer und rede über ihn, rede nur.) Ich begann den jungen Japaner zu beobachten, der Friseur lernte. Er rasierte gerade einen alten Tramp, der ein schreckliches Gesicht hatte, eines dieser Gesichter, die aus Jahren und Jahren des Lebens an den Rändern hervorgehen, Jahren des Nichtsesshaftseins, des Nirgendwohingehörens, des Nichtsbesitzens, und der junge Japaner hielt die Nase auf Abstand (seine Nase), um den Geruch des alten Tramps nicht ertragen zu müssen. Ein trivialer Umstand in einer Erzählung, eine Einzelheit, die nicht in ein Kunstwerk gehört, trotzdem schreibe ich es hin. Ein junger Schriftsteller hat immer Angst, dass ihm vielleicht irgendein bedeutsames Detail entgeht. Er will immer alles einbauen, was er sieht. Ich wollte den Namen des jungen Japaners wissen. Namen interessieren mich ungemein. Ich habe festgestellt, dass die unbekannten am authentischsten sind. Nehmen Sie zum Beispiel einen großen Namen wie Andrew Mellon. Ich beobachtete den jungen Japaner ganz genau. Ich wollte anhand der Art, wie er seine Nase von Mund und Nasenlöchern des alten Mannes fernhielt, verstehen, was er dachte, wie er sich fühlte. Vor Jahren, mit siebzehn, schnitt ich Reben auf dem Weingut meines Onkels nördlich von Sanger, im San Joaquin Valley, und mit mir arbeiteten mehrere Japaner, Yoshio Enomoto, Hideo Suzuki, Katsumi Sujimoto und noch ein, zwei andere. Diese Japaner brachten mir ein paar simple Redewendungen bei – hallo, wie geht es Ihnen, schöner Tag, nicht wahr?, auf Wiedersehen, und so weiter. Auf Japanisch sagte ich zu dem Friseurlehrling. »Wie geht es Ihnen?« Er antwortete auf Japanisch: »Sehr gut, danke.« Dann, in makellosem Englisch: »Sprechen Sie Japanisch? Haben Sie in Japan gelebt?« Ich sagte: »Leider nein. Ich kann nur ein, zwei Worte. Ich habe mit Yoshio Enomoto, Hideo Suzuki und Katsumi Sujimoto zusammengearbeitet; kennen Sie sie?« Er wandte sich wieder seiner Arbeit zu und dachte über die Namen nach. Mir war, als flüsterte er »Enomoto, Suzuki, Sujimoto.« Er sagte: »Suzuki. Ein kleiner Mann?« Ich bejahte. Er sagte: »Dann kenne ich ihn. Er wohnt jetzt in San José. Ist inzwischen verheiratet.« Sie müssen wissen, dass ich mich stark für das interessiere, woran sich die Leute erinnern. Ein junger Schriftsteller sucht Orte auf und redet mit Leuten. Er versucht herauszufinden, woran sie sich erinnern. Ich verwende kein großartiges Material für eine Story. In diesem Werk wird nichts passieren. Ich erfinde keine ausgefallene Handlung. Ich schaffe keine denkwürdigen Figuren. Ich bediene mich keines raffinierten Stils. Ich erzeuge keine dichte Atmosphäre. Ich habe nicht den Wunsch, diese oder irgendeine andere Geschichte der Saturday Evening Post, dem Cosmopolitan oder Harper’s zu verkaufen. Ich versuche nicht, mit den großen Autoren zu konkurrieren, Männern wie Sinclair Lewis, Joseph Hergesheimer und Zane Grey, Männern, die sich wirklich aufs Schreiben verstehen, die Geschichten erfinden, die sich verkaufen. Reichen Männern, Männern, die sämtliche Regeln über Handlungsführung, Figurenzeichnung, über Stil, Atmosphäre und diesen ganzen Kram beherrschen. Ich will nicht berühmt werden. Ich bin nicht darauf aus, den Pulitzer-Preis, den Nobel-Preis oder sonst irgendeinen Preis zu gewinnen. Ich bin hier draußen im fernen Westen, in San Francisco, in einem kleinen Zimmer in der Carl Street, und schreibe einen Brief an gewöhnliche Menschen, in dem ich ihnen in einfacher Sprache Dinge erzähle, die sie schon wissen. Ich mache lediglich Aufzeichnungen. Wenn ich also ein wenig umherschweife, dann deshalb, weil ich es nicht eilig habe und weil ich die Regeln nicht kenne. Wenn ich überhaupt irgendeinen Wunsch habe, dann den, zu zeigen, dass alle Menschen Brüder sind. Das sind große Worte, und sie klingen ein bisschen preziös. Im Allgemeinen schämt man sich, solche Worte zu machen. Man hat Angst, dass weltkluge Menschen einen auslachen. Aber das ist mir gleich. Ich fordere weltkluge Menschen auf zu lachen. Dafür ist Weltklugheit schließlich da. Ich glaube nicht an Völker. Ich glaube nicht an Regierungen. Ich sehe das Leben als ein einziges Leben zu einer einzigen Zeit, viele Millionen gleichzeitig, auf der ganzen Welt. Babys, denen man noch keine Sprache beigebracht hat, sind das einzige Volk der Welt, die Menschheit: Alles andere ist nur Verstellung, das, was wir Zivilisation nennen, Hass, Angst, der Wunsch, stark zu sein … Aber ein Baby ist ein Baby. Und an der Art, wie sie schreien, erkennt man, dass alle Menschen Brüder sind, an schreienden Babys. Wir wachsen heran, wir lernen die Worte einer Sprache, und wir sehen das Universum durch die Sprache, die wir kennen, wir sehen es nicht durch alle Sprachen oder durch überhaupt keine Sprache, durch Schweigen zum Beispiel, und wir isolieren uns in der Sprache, die wir kennen. Hier drüben isolieren wir uns im Englischen oder Amerikanischen, wie Mencken es nennt. Alles Ewige, in unseren Worten. Wenn ich irgendetwas will, dann in einer universelleren Sprache sprechen. Das Herz des Menschen, sein ungeschriebener Teil, das, was ewig und allen Völkern gemeinsam ist. Jetzt bekomme ich allmählich ein schlechtes Gewissen und fühle mich inkompetent. Da habe ich so viel...


Saroyan, William
William Saroyan, 1908 als Sohn armenischer Einwanderer in Fresno, Kalifornien geboren, begann seine Karriere mit Storys, aufgrund derer Columbia Pictures ihn als Drehbuchautor anheuerte. Für das Theaterstück ›The Time of Your Life‹ erhielt er den Pulitzer Preis, den er jedoch ablehnte; für das Drehbuch zu seinem Roman ›The Human Comedy‹ wurde er mit einem Oscar ausgezeichnet. Er war zweimal mit der Schauspielerin Carol Grace verheiratet, aus der Ehe gingen zwei gemeinsame Kinder hervor. 'Jeder muss einmal sterben', lautete Saroyans letztes Pressestatement, 'aber ich habe immer geglaubt, dass in meinem Fall eine Ausnahme gemacht würde.' Er starb 1981 in seinem Geburtsort.

Stingl, Nikolaus
Nikolaus Stingl (* 3. Dezember 1952 in Baden-Baden) studierte Anglistik und Germanistik an der Universität Heidelberg und ist seit Anfang der 1980er Jahre als literarischer Übersetzer tätig. Stingl lebt in Flensburg und hat John Irving, Thomas Pynchon und Willam Faulkner übersetzt. Er wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis, dem Paul-Celan-Preis und dem Straelener Übersetzerpreis.

William Saroyan, 1908 als Sohn armenischer Einwanderer in Fresno, Kalifornien geboren, begann seine Karriere mit Storys, aufgrund derer Columbia Pictures ihn als Drehbuchautor anheuerte. Für das Theaterstück ›The Time of Your Life‹ erhielt er den Pulitzer Preis, den er jedoch ablehnte; für das Drehbuch zu seinem Roman ›The Human Comedy‹ wurde er mit einem Oscar ausgezeichnet. Er war zweimal mit der Schauspielerin Carol Grace verheiratet, aus der Ehe gingen zwei gemeinsame Kinder hervor. »Jeder muss einmal sterben«, lautete Saroyans letztes Pressestatement, »aber ich habe immer geglaubt, dass in meinem Fall eine Ausnahme gemacht würde.« Er starb 1981 in seinem Geburtsort.


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