Saxalber / Esterl | Schreibprozesse begleiten | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 17, 266 Seiten

Reihe: ide-extra

Saxalber / Esterl Schreibprozesse begleiten

Vom schulischen zum universitären Schreiben

E-Book, Deutsch, Band 17, 266 Seiten

Reihe: ide-extra

ISBN: 978-3-7065-5985-0
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Kein



Der vorliegende Sammelband setzt sich mit Konzepten aus der aktuellen wissenschaftlichen Schreibdidaktikforschung und deren Umsetzung im (Schreib)Unterricht auseinander und liefert damit einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Diskussion um Schreiben, Schreibprozesse und Schreibförderung im (Deutsch)Unterricht und an der Hochschule.
Die AutorInnen gehen der Frage nach, welche Kompetenzen Schreiblernende entwickeln müssen und wie sie dabei unterstützt und gefördert werden können. Der Fokus liegt auf dem sachbezogenen Schreiben, dem in allen Ausbildungsstufen eine höhere Bedeutung beizumessen ist. Einzelne, für das argumentative, sachbezogene Schreiben nötige Kompetenzen müssen aufgebaut, der Schreibprozess den individuellen Voraussetzungen der Schreiblernenden entsprechend begleitet werden – und das betrifft alle schulischen und universitären Fächer.
Angesichts der Fülle an Anforderungen, die an die Schreibforschung herangetragen werden, schlägt diese Publikation eine Brücke zwischen Schule und Universität, zwischen Normen und Individualisierung, indem sie eine Verbindung zwischen Schreibforschung und (Unterrichts)Praxis herstellt und somit auch Impulse für weitere Forschung setzt.
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Weitere Infos & Material


Helmut Gruber
Modelle des wissenschaftlichen Schreibens
Ein Überblick über zentrale Ansätze und Theorien
1. Problemhintergründe und Aufgabenstellung
Wissenschaft ist eine Schriftkultur. WissenschaftlerInnen fertigen Protokolle an, führen Forschungstagebücher, exzerpieren die Texte anderer WissenschaftlerInnen, notieren eigene Ideen, entwerfen Skizzen und schreiben eigene Texte, um ihre Ergebnisse ihren FachkollegInnen mitzuteilen. Diese (und die vielen hier nicht angeführten) schriftlichen Aktivitäten unterscheiden sich nach Fächern (Fachgruppen oder auch Subdisziplinen), haben unterschiedlichen epistemologischen Status und sind Bestandteile verschiedener Handlungsketten, woraus unterschiedliche Darstellungsarten (Textsorten) in den einzelnen Disziplinen resultieren. Ein nicht geringer Teil der Sozialisation angehender WissenschaftlerInnen besteht darin, die für ihr Fach relevanten Textsorten kennen und produzieren zu lernen. Seit den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts sind die Faktoren, die mit der wissenschaftlichen Textproduktion zusammenhängen (und die Probleme, die sie wissenschaftlichen NovizInnen bereiten können), zunehmend in den Fokus (angewandt) linguistischer Forschung gerückt. Besonders in den USA, wo seit dem Ende der 1960er-Jahre zunehmend nicht nur Studierende aus Einwandererfamilien mit einem kulturellen und sozialisatorischen Hintergrund, der sich stark von der bis dahin in der Studierendenpopulation dominierenden weißen Mittelschichtkultur unterschied, ein Universitätsstudium aufnahmen und wo auch die Universitäten selbst bestrebt waren, ausländische Studierende anzuziehen, entstand sehr bald bei vielen Fachleuten ein Bewusstsein dafür, dass die Fähigkeit zum Schreiben wissenschaftlicher Texte nicht einfach vorausgesetzt werden kann, und auch, dass Studierende, die Schwierigkeiten beim Verfassen von Texten hatten, vielfach keine fachlichen Defizite haben, sondern einfach mit den Normen und Regeln des wissenschaftlichen Schreibens in ihrem Fach nicht vertraut sind. Aus dieser Problemstellung entstanden im anglo-amerikanischen Raum vorerst zwei Forschungsrichtungen: einerseits die Untersuchung der textuellen Unterschiede zwischen einzelnen (sprachlich unterschiedlichen) Wissenschaftskulturen, um zu verstehen, warum Studierende mit verschiedenen kulturellen Hintergründen spezifische Schreibprobleme hatten, und andererseits die Beschäftigung mit den Charakteristika englischer wissenschaftlicher Texte und mit der Produktion schriftlicher Texte im Allgemeinen, um englischsprachigen und nicht-englischsprachigen Studierenden Hilfestellungen beim Erlernen des wissenschaftlichen Schreibens anbieten zu können. Im deutschen Sprachraum verlief die Entwicklung aufgrund von historischen und sozialen Faktoren etwas unterschiedlich. Die Tatsache, dass die deutschsprachigen Länder trotz der seit den 1960er-Jahren steigenden Zahl von ArbeitsmigrantInnen keine typischen Einwanderungsländer waren, und die speziell durch den Nationalsozialismus verursachte Marginalisierung des Deutschen als internationale Wissenschaftssprache führten nicht dazu, dass ausländische Studierende in größeren Zahlen an die deutschsprachigen Universitäten geströmt wären. Wenngleich sich auch in diesen Ländern die soziale Zusammensetzung der Studierendenschaft seit den 1970er-Jahren verändert hatte, so handelte es sich doch in der überwiegenden Zahl um Studierende mit Deutsch als Muttersprache. Dazu kommt, dass das deutschsprachige Universitätssystem bis zur Einführung der sogenannten Bologna-Studienarchitektur (also bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts) viel stärker als das anglo-amerikanische Universitätssystem das selbstbestimmte Lernen der Studierenden ermöglichte und den Studierenden auch viel mehr Zeit zur Erfüllung der an sie gestellten Schreibaufgaben ließ (vgl. Foster 2002). Wohl aus diesen Gründen setzte die sprachwissenschaftliche Beschäftigung mit deutschen Wissenschaftstexten (deren lexikalisch-fachsprachliche Aspekte schon viel früher unter disziplinspezifischen Gesichtspunkten untersucht worden waren) erst in den 1980er-Jahren und vorerst unter sprachkritisch-soziologischen und wissenschaftshistorischen Gesichtspunkten und erst seit den 1990er-Jahren unter einer anwendungsorientierten Perspektive ein. Der folgende Beitrag versucht die wichtigsten internationalen und deutschsprachigen Forschungsansätze im Bereich der text- und diskurslinguistischen Forschung zum wissenschaftlichen Schreiben überblicksartig darzustellen, wobei selbstverständlich viele Details zugunsten der Vollständigkeit des Überblicks ausgespart bleiben müssen. Für detailliertere Darstellungen verweise ich deshalb auf die inzwischen reichlich vorhandene Literatur (Bazerman et al. 2005, Bazerman/Russell 1994, Ehlich et al. 2000, MacArthur et al. 2006). 2. Forschungsansätze im Bereich des wissenschaftlichen Schreibens
In diesem Abschnitt werden die wichtigsten Forschungstraditionen dargestellt, wobei die im ersten Unterabschnitt (2.1) dargestellten Untersuchungen zu interkulturellen Unterschieden beim wissenschaftlichen Schreiben am kürzesten behandelt werden, da in ihrem Rahmen keine Theorien des (wissenschaftlichen) Schreibens im engeren Sinne entwickelt wurden. In den weiteren Unterabschnitten (2.2 bis 2.7) werden dann die wichtigsten Forschungstraditionen unter inhaltlichen Gesichtspunkten zusammengefasst. 2.1 Interkulturelle Unterschiede beim wissenschaftlichen Schreiben
Interkulturelle Unterschiede bei der Strukturierung wissenschaftlicher Texte wurden erstmals von Kaplan (1966/1972) systematisch untersucht. Er leitet aus der Untersuchung von 600 englischen Aufsätzen von Studierenden nicht-englischer Muttersprache eine Typologie wissenschaftlicher Schreib- und Denkstile ab, die in der interkulturellen Schreibforschung bis heute immer wieder zitiert wird: Englische Texte seien demnach linear aufgebaut, semitische parallel strukturiert, orientalische seien »spiralig«, romanische zeigten eine explizit ausgewiesene »Zick-Zack«-Struktur, während russische eine »assoziative« (d. h. nicht explizit signalisierte) Zick-Zack-Struktur zeigten. Kaplans Untersuchung basierte allerdings lediglich auf der Analyse einzelner Absätze aus den 600 Arbeiten, seine konkreten linguistischen Kategorien bleiben unklar. Auch wird nicht vollständig klar, wie viele Sprachen er innerhalb der drei globalen Sprachgruppen »Semitisch«, »Romanisch« und »Orientalisch« untersuchte. Allerding hat Kaplan in einer späteren Arbeit (Kaplan 1987) seine starken Annahmen über kulturspezifisch unterschiedliche Schreib- und Denkstrukturen weitgehend relativiert. Während er ursprünglich den von ihm untersuchten »Sprachgruppen« eindeutig verschiedene Schreib- und Denkstrukturen zuordnete, schränkt er dies zwanzig Jahre später (Kaplan 1987) dahingehend ein, dass die von ihm gefundenen rhetorischen Strukturen in allen Sprachen und Kulturen verfügbar wären, ihre Auftretenshäufigkeit jedoch kulturspezifisch unterschiedlich gefördert oder gehemmt werde. Eine weitere »klassische Arbeit« der interkulturellen Wissenschaftsforschung stammt von Galtung (1985). Er vergleicht in seinem »Essay« (wie er seine Arbeit selbst nennt) vier verschiedene »intellektuelle Stile«, nämlich den »sachsonischen«, den »teutonischen«, den »gallischen« und den »nipponischen«. Er wählt diese (ausgefallenen) Bezeichnungen, um klar zu machen, dass diese vier Stile auch in ihren jeweiligen »Einflusszonen« (also der »teutonische« etwa auch in vielen slawischen Ländern) anzutreffen seien. Galtung unterscheidet die vier Stile anhand der globalen Kategorien der »Paradigmenanalyse«, »Thesenproduktion«, »Theoriebildung« und »Kommentare über andere Intellektuelle«. Die Merkmalsausprägungen auf diesen vier Kategorien ergeben eigentlich nur zwei intellektuelle Stile, nämlich den sachsonisch-nipponischen und den teutonisch-gallischen. Ersterer zeichnet sich laut Galtung vor allem durch eine Stärke in der empirischen Arbeit und Thesenproduktion, aber in einer Schwäche in der Paradigmenanalyse und Theoriebildung aus, der zweite weist genau die umgekehrten Merkmalsausprägungen auf. Schließlich unterscheiden sich die Stile auch in Bezug auf die in ihnen vorherrschende Diskussionskultur: Im sachsonischen Stil gebe es einen Grundkonsens darüber, dass alle ForscherInnen einer gemeinsamen »scientific community« angehören würden, was zu einem kooperativen, höflichen Umgangston führe. Demgegenüber seien der teutonische und der gallische Stil viel konfrontativer, es gehe in Diskussionen darum, den anderen »fertigzumachen«. Im nipponischen Stil schließlich überdecke die kulturbedingte Höflichkeit überhaupt alle wissenschaftlichen Differenzen. Galtung führt die unterschiedlichen Stile auf die sozialen Strukturen zurück, innerhalb derer in den vier Kulturen Wissenschaft betrieben werde. Diese seien in Deutschland hierarchisch und eher kollektiv, während sie in Frankreich individualistisch seien und in Japan aus einer Vielzahl kleiner, geschlossener Schulen bestehen würden (über die anglo-amerikanische Sozialstruktur – und damit die Wissenschaftskultur im sachsonischen Stil – sagt er nichts aus). Galtungs im Grunde...


Annemarie Saxalber, Dr., Universitätsprofessorin für Sprachdidaktik am Österreichischen Kompetenzzentrum für Deutschdidaktik an der Universität Klagenfurt.

Ursula Esterl, Mag., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Österreichischen Kompetenzzentrum für Deutschdidaktik an der Universität Klagenfurt.


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