Schäfer | Deutsche Geschichte in 100 Objekten | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 656 Seiten

Schäfer Deutsche Geschichte in 100 Objekten

E-Book, Deutsch, 656 Seiten

ISBN: 978-3-492-97233-8
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Was haben diese Objekte sowie eine Ritterrüstung, die Tabakdose Friedrichs des Großen und der WM-Fußball von 1954 gemeinsam? Es sind drei von 100 Mosaiksteinen der deutschen Geschichte, stumme Zeugen der Vergangenheit. Hermann Schäfer, einer der führenden Vertreter der deutschen Museumsszene, fügt sie in diesem opulent ausgestatteten Band zusammen. Anschaulich und gut verständlich bringt er die Objekte zum Sprechen und macht zugleich auch ihre erstaunliche Umdeutung im Dienst politischer Interessen und gesellschaftlicher Umbrüche deutlich. Für den interessierten Laien leicht zugänglich, eine Schatzkiste für immer neue Entdeckungen: Aus 100 fesselnden Geschichten wird eine große historische Erzählung. Ein farbiges Panorama der vergangenen über zwei Jahrtausende, von den vorgeschichtlichen Anfängen bis in die jüngste Gegenwart.
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Vorwort Aus Vorgeschichte und Antike1 Homo erectus und die »deutsche« Vorgeschichte Die Speere von Schöningen 2 Weltsicht in der Bronzezeit Die Himmelsscheibe von Nebra3 Die Schlacht im Teutoburger Wald: Arminius contra Varus Eine römische Gesichtsmaske4 Die deutsche Weinkultur Das Neumagener WeinschiffAus dem Mittelalter 5 Die Wikinger Haithabu 1 6 Glocken im kulturellen Wandel Der Saufang 7 Königsthron – Geschichte und Mythos Der Karlsthron in Aachen 8 Gottes-, Herrschafts- und Wirtschaftszeichen Das Trierer Marktkreuz 9 Gottesgnadentum und Kaiserherrschaft Die Reichskrone 10 Frömmigkeit und Renovatio imperii Christussäule und Bernwardtür 11 Heldenepik und das Ideal der Treue Das Nibelungenlied 12 Der Ritter als Idol Der Bamberger Reiter13 Gesetzgebung und Rechtsprägung Der SachsenspiegelVom Spätmittelalter in die Frühe Neuzeit 14 Armen- und Krankenpflege im Spätmittelalter Kabäuschen im Lübecker Heiligen-Geist-Hospital 15 Klöster als Wirtschaftsunternehmen Das Tennenbacher Güterbuch 16 Mit den Städten blühen die Zünfte auf Die Schmiedefenster im Freiburger Münster 17 Königswahl und Kaisermacher Die Goldene Bulle 18 Die Hanse – eine Wirtschaftsmacht Die Bremer Kogge 19 Ritter – Söldner – Landsknechte – stehende Heere Der Plattenrock 20 Universitäten – Gründung und Wandel Das Große Siegel der Universität Heidelberg21 Kathedralen und Dombauhütten in der Spätgotik Das Parlerzeichen auf der Parlerin22 Revolution der Wissenstechnik Gutenbergs bewegliche Lettern 23 Globalisierung im 15./16. Jahrhundert Martin Behaims Erdapfel24 Körperbilder und Geschlechterrollen in der Renaissance »Das Frauenbad« von Albrecht Dürer25 Stifter, Kunst und Politik Die »Markgrafentafel« von Hans Baldung Grien26 Bier – vom Wasserersatz zum Volks- und Kultgetränk Das Reinheitsgebot27 Handel im Frühkapitalismus In der »Goldenen Schreibstube« 28 Bauernkrieg und frühbürgerliche Revolution Werner Tübkes Panoramabild in Bad Frankenhausen 29 Bibelübersetzung und Reformation Martin Luthers Biblia Deutsch 30 Stadtleben in Spätmittelalter und Früher Neuzeit Die Augsburger MonatsbilderAus der Frühen Neuzeit 31 Der Dreißigjährige Krieg Die Zapfhähne aus der Schlacht bei Wittstock32 Jüdisches Leben und Traditionen Ein Chanukka-Leuchter33 Der Schwarze Tod Die Pestarztmaske34 Von der Ewigkeit zur Endlichkeit des Lebens Der »Tanzende Tod«35 Einwanderungsland Preußen Das Edikt von Potsdam36 Architektur und Baukunst im Barock Balthasar Neumanns Instrumentum Architecturae37 Das »Mirakel des Hauses Brandenburg« Die Tabakdose Friedrich des Großen38 Erhellende Aufklärung Der Blitzableiter39 Französische Revolution in Deutschland Goethes »Freiheitsbaum«Aus dem 19. Jahrhundert40 An der Schwelle zur Moderne: Die preußische Reformpolitik Das Oktoberedikt41 Altes Volksgut und neue Ideen: Die Romantik Die Sammlung der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm42 Die Völkerschlacht – vom Befreiungskrieg zum Nationalismus Skelett mit Kanonenkugel43 Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit Beethovens »Neunte«44 Ingenieurskunst auf der Großbaustelle Der Grabstein von Johann Gottfried Tulla45 Erste Demokratieversuche und ihre Niederschlagung Die Hambacher Fahne46 Der Deutsche Zollverein »Gränzverlegenheiten«47 Die Eisenbahn – Deutschlands Aufbruch in die Industrialisierung Der Adler48 »Einigkeit und Recht und Freiheit« Der Erstdruck des »Deutschlandlieds«49 Landwirtschaft im Wandel Der Goldene Pflug50 Der deutsche Militarismus Die Pickelhaube51 Armutsflüchtlinge und Auswanderung Geburtsmatrikel von Löb Strauß52 Das Gespenst einer alternativen Gesellschaftsutopie Das Kommunistische Manifest53 Die Paulskirche: Wiege der deutschen Demokratie Der »Zug der Volksvertreter« von Johannes Grützke54 Die Elektroindustrie Die Dynamomaschine von Werner von SiemensAus dem Kaiserreich 55 Die Proklamierung des Kaiserreichs »Versailles« von Anton von Werner56 Die Anfänge der Arbeiterbewegung Die Traditionsfahne der Sozialdemokratie 57 Malerischer Realismus in der Industrialisierung Das »Eisenwalzwerk« von Adolph Menzel 58 Grundlegung des Sozialstaats – das Zuckerbrot zur Peitsche Die Kaiserliche Botschaft vom 17. November 1881 59 Der Start ins automobile Zeitalter Der Benz Patent-Motorwagen Nummer 1 60 Die pharmazeutisch-chemische Industrie wird Weltmarktführer Das Aspirin 61 Von der Bildergeschichte zum modernen Comic Die Bleistifte des »lachenden Pessimisten« Wilhelm Busch 62 Weltmachtpolitik und Kolonialismus Der Sarotti-MohrAus dem 20. Jahrhundert 63 Industrialisierter Krieg und Kriegsschuldfrage Das MG 08/15 64 Die Urkatastrophe des Ersten Weltkriegs »Der Krieg« – das Triptychon von Otto Dix 65 Frankreichs Triumph und Deutschlands Rache Der Waffenstillstandswaggon von Compiègne 66 Ausrufung der Republik Die Scheidemann-Schallplatte 67 Gleichberechtigung und Emanzipation »Frauen! – für die Wahl« 68 Der Nationalsozialismus als Weltanschauung und Ideologie Hitlers Mein Kampf 69 Terror gegen den Geist: Die Bücherverbrennung Ein Buch, das den Flammen entging 70 Antisemitismus, Rassenwahn und Massenmord Der »Judenstern« 71 Rundfunk im Dienst der Propaganda Der Volksempfänger 72 Widerstand gegen den Nationalsozialismus Die Werkbank von Georg Elser 73 Staatlicher Willkür und Anmaßung Nicht einfach »eine« GuillotineAus der Zeitgeschichte seit 1945 74 Der 8. Mai 1945 – Niederlage und Befreiung Die sowjetische Fahne auf dem Reichstag 75 Flucht und Vertreibung Die Suchdienst-Kartei 76 Die Nürnberger Prozesse – das erste internationale Strafgericht Die Anklagebank 77 Hilfe in großer Not: Mythos und Realität Carepaket und Westpäckchen78 Die Erfindung des Computers – aus Rechenfaulheit Zuse-Rechenmaschine Z3 79 Staatsgründung mit eingeschränkter Souveränität Das Besatzungsstatut 80 Das Wunder von Bern Der WM-Ball 1954 81 Ein geeinter Kontinent – Idee und Realität Die Europaflagge 82 Von zwei Armeen im Kalten Krieg zu einer im Einsatz Helme von Bundeswehr und NVA 83 Antibabypille versus Wunschkindpille Anovlar und Ovosiston 84 Vom KdF-Automobil zum Wirtschaftswunder-Käfer Der Volkswagen 85 Einwanderung ins Wirtschaftswunder Das »Gastarbeiter«-Moped 86 Die RAF und der Deutsche Herbst Magnum-Revolver 87 Holocaust – eine TV-Serie: Die Vergangenheit holt die Deutschen ein Bilder einer Familiengeschichte 88 Der Volksaufstand am 17. Juni 1953 Die Geheimkamera 89 Überwachung und »Vorratsdatenspeicherung« in der Diktatur Die Geruchsproben der Stasi 90 Grenze im geteilten Deutschland Abfertigungskabine im Tränenpalast 91 Der erste Deutsche im All – ein Bürger der DDR Der Raumanzug von Sigmund Jähn 92 Die Friedensbewegung in der DDR »Schwerter zu Pflugscharen« 93 Die Öffnung der Mauer Schabowskis ZettelAuf dem Weg ins 21. Jahrhundert 94 Die Immer-und-überall-Kultur MPlayer3 (Pontis) 95 Protestbewegungen in der Bundesrepublik Sprechende Logos 96 Geld – Währung – Inflation Die DM-Urpatrize 97 »Wir sind Papst« Der Stuhl Benedikts XVI. 98 Ausspähen unter Freunden Merkels Handy 99 Die Energiewende Großspeicherbatterien 100 Jeder ist ein Fremder – fast überall Das Plakat »Dein Christus – ein Jude«Dank AnhangLiteratur Bildnachweis Personenregister


1 Die Jagd mit diesen Waffen verlangte höhere Fähigkeiten und bessere Kommunikation unserer Vorfahren, als bislang bekannt, neue Forschungsfragen stellen sich. Die Speere von Schöningen Homo erectus und die »deutsche« Vorgeschichte Die ältesten auf deutschem Boden gefundenen Überreste unserer Vorfahren gehören – natürlich – zu unserer Geschichte. Und das nicht nur, weil sie überraschend einsatzfähig aussehen: acht Speere, sieben aus Fichten-, einer aus Kiefernholz, 1,80 bis 2,50 Meter lang, drei bis fünf Zentimeter dick, beidseits angespitzt, sorgfältig von Menschenhand gefertigt und bearbeitet. In Bauform und Wurfeigenschaften ähneln sie sogar heutigen Speeren und lassen sich 70 Meter weit werfen. Sensationsfunde aus dem Oktober 1994, die allen wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge die weltweit ältesten bisher gefundenen Jagdwaffen der Menschheit sind und deren Erforschung das Bild der kulturellen Entwicklung des frühen Menschen nachhaltig verändert. Als 1983 der Abbau im Helmstedter Braunkohlerevier an der innerdeutschen Grenze bei Schöningen begann, ahnte niemand, welche archäologischen Schätze hier Jahrtausende überdauert hatten. Die Entdeckungen sprengten selbst die kühnsten Erwartungen aller Experten. Archäologen begleiteten den Tagebau und fanden anfangs dicht unter der Oberfläche viele Spuren der jüngeren Vergangenheit. Nach neun Jahren kamen schließlich – gut zehn Meter unter der Oberfläche und aufbewahrt in Jahrmillionen alten Torfschichtungen über die Abfolge zweier Eiszeiten hinweg – acht hölzerne Speere aus der Altsteinzeit zum Vorschein. Nach allen bisherigen Erkenntnissen dienten sie den hier lebenden Urmenschen – Homo erectus – zu Jagd- oder auch Verteidigungszwecken und sind unfassbare 300 000 bis 400 000 Jahre alt. Neben den Wurfspeeren legten die Archäologen in angrenzenden Schichtpaketen weitere Artefakte frei, die dem Urmenschen dieser Region vermutlich als Distanzwaffen dienten. So die als Lanze, als Wurfstock bzw. -holz und als Klemmschäfte interpretierten menschlichen Jagd- und Arbeitsgeräte, etwa 20 bis 30 Steinwerkzeuge (Schaber) sowie einen angekohlten, auf den Gebrauch von Feuer verweisenden Holzstab, möglicherweise in der Funktion eines Bratspießes. Diese menschlichen Hinterlassenschaften wiederum befanden sich inmitten einer Ansammlung von etwa 12 000 Tierknochen, die von mehr als 20 Wildpferden, vereinzelt von Rothirsch, Wisent, Nashörnern und Elefanten stammen. Die Spuren an den Skelettresten der Pferde sowie aufgeschlagene Knochen weisen auf gezielte menschliche Bearbeitung, vermutlich Schlachtung durch Steinwerkzeuge, hin, wie sie der afrikanische Urmensch bereits vor 1,5 Millionen Jahren etwa mit dem Faustkeil praktizierte. Alles in allem liegt mit dem Fundensemble die beinahe eine halbe Million Jahre alte Momentaufnahme menschlicher Frühgeschichte vor, im luftdichten Boden des Tagebaus konserviert für die Gegenwart. Was sagt sie uns für das Verständnis unserer Vorfahren, über ihre Intelligenz, das Sozialverhalten und die Anpassungsfähigkeit des Homo erectus im Nordwesten des heutigen Deutschland? Der mittlerweile gut dokumentierte Fund der Schöninger Speere, dem mit dem »Paläon« am Entdeckungsort seit 2013 ein Besucherzentrum und Museum gewidmet ist, schließt eine große Lücke im archäologischen Geschichtsbuch der frühen Menschheitsgeschichte, auch wenn noch viele Mutmaßungen bleiben. Etwa 800 000 Jahre ist es nach bisherigem Erkenntnisstand her, dass die ersten Vertreter der vom Menschenaffen und Frühmenschen unterschiedenen Menschenart Homo erectus von Afrika aus Europa erreichten. Als nomadisierender Jäger und Sammler fand dieser aufrecht gehende Urmensch auch im Norden des heutigen Deutschland gute Lebensgrundlagen. Das belegen die ältesten hierzulande gefundenen Überreste von Menschen wie der 1907 entdeckte Unterkiefer des »Homo erectus heidelbergensis« von Mauer bei Heidelberg (600 000 Jahre) und der 1933 gefundene Schädel des »Urmenschen von Steinheim« an der Murr (250 000 bis 300 000 Jahre alt). Der 1856 bei Düsseldorf entdeckte Neandertaler ist demgegenüber viel jünger (40 000 Jahre), und noch jünger ist das 1914 bei Bonn-Oberkassel gefundene Paar mit dem ältesten Haushund Europas (14 000 Jahre). Dabei bedurfte das Überleben des altsteinzeitlichen Menschen in dieser Region ausgebildeter Anpassungsfähigkeiten an wechselvolle Lebensverhältnisse und das entsprechende Klima. Sein Lebensraum im geologischen Eiszeitalter, dem mittleren Pleistozän, wurde über Jahrhunderttausende bestimmt durch den Wechsel von Warm- und Kaltzeiten, den Vorstoß gigantischer skandinavischer Gletschermassen, die in der Zeit vor 400 000 bis 320 000 Jahren auch den niedersächsischen Mittelgebirgsrand erreichten. Auch die Schöninger Jagdrelikte stammen aus einer Warmphase zwischen zwei Eiszeiten, der Elster- und der Saale-Eiszeit. Am Speere-Fundort, davon geht die Forschung heute aus, entstand im Verlauf eiszeitlicher Ablagerungen aus einer Senke ein See und damit ein vom Menschen häufig aufgesuchter Rast- und Jagdplatz. In der Folge wurde dieses Gebiet wiederum über Jahrhunderttausende hinweg (bis vor etwa 150 000 Jahren) von bis zu 100 Meter hohen Gletschern übertürmt und am Übergang zum Holozän vor etwa 11 700 Jahren mit einer viele Meter starken Schicht aus Löss bedeckt. Auf diese Weise konnten die Speere wie in einem Magazin ungestört lagern und zum Zeitpunkt ihrer Entdeckung wie »frisch vergraben« erscheinen. Das Eiszeitalter oder Quartär ist der jüngste Abschnitt der Erdgeschichte; darin findet die Entwicklung des Menschen, der Gattung »Homo«, statt. Sie begann vor 2,6 Millionen Jahren und dauert bis heute an. Das Quartär wird in zwei geologische Zeitabschnitte unterteilt, das Pleistozän und das Holozän, die Jetztzeit. Die altsteinzeitlichen Funde von Schöningen stammen aus dem mittleren Pleistozän, sind also 320 000 bis 300 000 Jahre alt. Tausende von Generationen vor der Bildung erster Zivil- und Staatsgemeinschaften in Mesopotamien (ca. 4000 v. Chr.) und den ältesten Hochkulturen der Menschheit in Ägypten, Babylonien, Mexiko und Kreta erscheint also der Mensch im Pleistozän. Im nördlichen Mitteleuropa beginnt er als Homo erectus mit seiner Herrschaft über widrige Naturbedingungen, auf heutigem deutschem Boden bewährt er sich als mutiger und listiger Jäger von Wasserbüffel, Auerochse oder Wildpferd, und er tritt bewaffnet den Giganten des Eiszeitalters wie dem Eurasischen Altelefanten, der Säbelzahnkatze oder dem Steppenmammut gegenüber. Der Schatz von Schöningen fügt sich in dieses archäologische Bild ein und ergänzt es zugleich, denn er wirft Fragen zum Entwicklungsgrad dieses europäischen Homo erectus im Allgemeinen und zum Heidelbergmenschen im Besonderen auf. Fragen, die nicht nur den Archäologen bewegen. Umso spannender, wie die moderne Forschung die »Schöninger Jagdszene« aus der Altsteinzeit interpretiert. Da die Jagdgeräte, der »Bratspieß« und die steinernen Werkzeuge zum Zerlegen inmitten einer Fläche lagen, die von Tausenden Tierknochen bedeckt war und erwiesenermaßen nicht durch nachträgliche Seebewegungen entstand, lassen sich diese Relikte tatsächlich als Beleg für die – mutmaßlich häufiger stattfindende – systematische Jagd des steinzeitlichen Jägers und Sammlers deuten. Der Homo erectus wie später der Neandertaler ernährte sich sehr fleischreich; nördliches Klima und Lebensraum verlangten viel Energie bei einem nomadisch geführten Leben. So wurden wohl auch hier an dem ehemaligen Ufer eines Sees gemeinsam Wildpferde gejagt und vermutlich Strategien der Großwildjagd in der sozialen Gemeinschaft verabredet. »Wer glaubt«, so der Speere-Entdecker Hartmut Thieme, »dass das mit Grunzlauten und Armfuchteln möglich war, der irrt! Eine subtile Kommunikation war nötig, mit Sicherheit gab es bereits eine Form von Sprache.« Zu den kognitiven Fähigkeiten (bewusst und vorausschauend planen, strategisch denken, sozial kommunizieren und koordinieren) kommen also handwerkliche Fertigkeiten und ein technologisches Wissen hinzu, wie das gezielte handwerkliche Bearbeiten von Rohmaterial (Holz, Stein) zur Werkzeug- oder Waffenherstellung für den gemeinschaftlichen Jagdzweck. Zu solchen Intelligenzleistungen sind nur Wesen aus der Familie der Hominiden befähigt. Sie setzen ein großvolumiges, hoch organisiertes Gehirn voraus, aber auch von Generation zu Generation weitergegebene Erfahrungen. Die Speere belegen, dass die Schöninger Jäger bereits eine Jagdtechnik besaßen, denn sie sind nicht nur sorgfältig bearbeitet und mit ihren unterschiedlichen Längen vermutlich der Konstitution ihrer Werfer angepasst. Sie sind auch ballistisch optimal austariert, geformt wie heutige Wettkampfspeere und als Distanzwaffen gebaut. Unbeantwortet bleibt bislang die Frage, weshalb die Speere am Schöninger Jagdgrund zurückgelassen wurden. Sind sie eventuell Relikte ritueller Handlungen (H. Thieme), Bestandteil eines frühen Opferkults des Homo erectus? Ungeachtet der Vielzahl...


Schäfer, Hermann
Prof. Dr. Hermann Schäfer, geb. 1942, ist Historiker und international renommierter Museumsfachmann, Gründungspräsident der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Das von ihm aufgebaute und zwanzig Jahre geleitete Museum für Zeitgeschichte erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Preise, es setzte neue Maßstäbe für Themen und in der Gestaltung von Ausstellungen.

Prof. Dr. Hermann Schäfer, geb. 1942, ist Historiker und international renommierter Museumsfachmann, Gründungspräsident der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Das von ihm aufgebaute und zwanzig Jahre geleitete Museum für Zeitgeschichte erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Preise, es setzte neue Maßstäbe für Themen und in der Gestaltung von Ausstellungen.


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