Schäuble / Sapin | Anders gemeinsam | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Schäuble / Sapin Anders gemeinsam

Im Gespräch mit Ulrich Wickert und Dominique Seux

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-455-85166-3
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Die deutsch-französische Freundschaft ist nicht mit Gold aufzuwiegen, aber natürlich wird über Geld geredet, wenn sich der Bundesminister der Finanzen Wolfgang Schäuble mit seinem französischen Amtskollegen Michel Sapin trifft. Dieses Mal tun sie das aber nicht auf dem politischen Parkett oder in Krisensitzungen in Brüssel, sondern in kleiner Runde mit zwei prominenten Journalisten aus Hamburg und Paris: mit Ulrich Wickert und Dominique Seux.
Aus ihren Gesprächen ist ein hochspannendes Buch entstanden, das weit in die Vergangenheit reicht, die jüngste Zeitgeschichte ebenso behandelt wie brennende aktuelle Fragen, aber auch einen Blick in die Zukunft wagt. Wolfgang Schäuble und Michel Sapin reden Klartext über die Griechenland-Krise, die Zukunft des Euros, Haushaltslöcher und schwarzen Nullen, die Kosten der Flüchtlingswelle, Wirtschafts- und Finanzpolitik, die Chancen und Gefahren der Globalisierung, über Europa und natürlich über die deutsch-französische Freundschaft. Und da es ein offenes Gespräch unter Freunden ist, wird auch über Persönliches gesprochen, über die eigenen Lebensläufe und -erfahrungen und immer wieder über Menschliches und Allzumenschliches.
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II Wirtschaftspolitik in Frankreich und Deutschland
Seux/Wickert: Wir wollen nun über die Stärken und Schwächen der französischen und der deutschen Wirtschaft sprechen – zwei Wirtschaften, die auf sehr unterschiedliche Weise funktionieren. Beginnen wir mit Deutschland. Herr Schäuble, Sie haben das Jahr 2015 mit einem Wachstum von 1,7 Prozent und einer Arbeitslosenquote um 5 Prozent abgeschlossen. Mit ein wenig Abstand gesehen, wie schätzen Sie die Stärken und Schwächen der deutschen Wirtschaft ein?   Schäuble: Ich glaube, wir haben in Deutschland neben unserer Stärke auf den Exportmärkten zwei Hauptstärken. Da ist zunächst einmal der starke Mittelstand. Das hat historische Gründe; es hat mit dem Föderalismus zu tun, über den wir schon gesprochen haben, mit der Organisation in den Gemeinden, die zum Teil freie Reichsstädte waren, mit den Handwerksgilden und dergleichen mehr. Wir haben nur wenige große Familien, die über Generationen hinweg große Vermögen anhäufen konnten, auch infolge der Traditionsbrüche in unserem Land. Stattdessen gibt es einen breit gestreuten Mittelstand. Und zum Zweiten haben wir mit unserem dualen Ausbildungssystem – ein System, wo die jungen Menschen im Job trainiert werden und gleichzeitig zur Schule gehen – eine besondere Stärke. Dass junge Menschen zeitweilig in die Schule gehen und zeitweilig in einem Unternehmen arbeiten, gibt es in anderen Ländern auch, aber der Unterschied ist: In Deutschland sind sie fest ins Unternehmen eingebunden und besuchen in dieser Eigenschaft die Schule. Es ist nicht bloß ein Praktikum, wo man nur Gast in einem Unternehmen ist, sondern die jungen Leute sind angestellt. Und gerade der Mittelstand engagiert sich bei der Ausbildung sehr stark, mit der Folge, dass wir eine hohe Qualifikation erreichen. In den letzten beiden Jahrzehnten haben die Bundesländer – Kultur und Bildung ist ja bei uns Ländersache, nicht Sache der Bundesregierung – dieses Modell zunehmend auch auf die Hochschulebene übertragen. Und dort, wo dies stattfindet, zum Beispiel in Baden-Württemberg, sind die Ergebnisse exzellent. Beides zusammen führt dazu, dass wir im Bereich der traditionellen Industrie über eine große innovative Kraft verfügen. Eine unserer Schwächen aber ist, dass unsere Gesellschaft nicht sehr innovationsfreundlich ist. Deswegen haben wir in einer Reihe von Bereichen zunehmend Probleme, bei modernen Entwicklungen an der Spitze zu bleiben. Energie ist in Deutschland relativ teuer, mit der Folge, dass Unternehmen der Pharmazie und der Chemie, die sehr stark von Energiepreisen abhängig sind, sich gut überlegen, ob sie in Deutschland investieren sollen. Das ist ein schwieriger Punkt. Ein zentrales Anliegen der Regierung Merkel ist es, in der Informationstechnologie den Anschluss zu halten oder zu finden. In diesem Bereich haben wir in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte erzielt. Aber das macht nicht der Staat, das leisten die Betriebe selbst – gerade auch die großen mittelständischen Unternehmen. Die Kombination von klassischer Produktion und moderner Technologie ist eine der Stärken im deutschen Maschinenbau und in der Elektroindustrie. All das zusammen gibt uns eine relative Stärke.   Seux: Sind Sie mit der Entscheidung über den Atomausstieg zufrieden? Deutschland ist seit zwei Jahren wieder das europäische Land mit dem höchsten CO2-Ausstoß …   Schäuble: Ich war lange davon überzeugt, dass wir auf die nukleare Energie nicht verzichten können. Aber die Entscheidung im Frühjahr 2011 nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima war völlig unvermeidlich. Wir sehen in Deutschland schon seit langem eine wachsende Skepsis gegenüber der nuklearen Energie in der Bevölkerung. Dies ist zum Teil regional unterschiedlich, in meiner Heimatregion etwa ist die Skepsis sehr stark. In der Nachbarschaft zu Fessenheim ist der Bau eines Kernkraftwerks am Kaiserstuhl Wyhl nach großen Auseinandersetzungen aufgegeben worden. Die deutsche Wirtschaft hat in den achtziger Jahren den Plan einer Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf aufgegeben. Das war eines der großen innovatorischen Projekte, das besonders vom damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß vorangetrieben wurde. Die gesellschaftliche Akzeptanz dafür war verlorengegangen, so wie wir bis heute auch für ein Endlager keine Akzeptanz haben. Sie erinnern sich vielleicht: Den Beschluss, die Nutzung der Kernenergie zu beenden, hatte ja bereits die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder gefasst, die viel skeptischer gegenüber der nuklearen Energie war. Wir haben diese Politik in der Koalition mit den Sozialdemokraten 2005 bis 2009 mehr oder weniger fortgesetzt. Als wir dann eine Koalition mit den Liberalen eingingen, haben wir dies 2009 ein Stück weit korrigiert – gegen heftige Widerstände. Dann passierte zwei Jahre später diese Reaktorkatastrophe. Und das Einzige, was die Regierung Merkel machen konnte, wenn sie politisch überleben wollte, war, blitzschnell eine Energiewende einzuleiten. Das ist mit erheblichen Kosten verbunden, politischen und ökonomischen. Dabei gibt es manche in Europa, und auch in Frankreich, die sagen: Wir werden diese Entscheidung früher oder später ebenfalls treffen müssen. Möglicherweise erweist sich das in einigen Jahren sogar als ein relativer Standortvorteil. Aber die Energie in Deutschland ist nach wie vor zu teuer. Wir haben eine mit Abstand zu hohe Förderung der erneuerbaren Energien – Solar-, Wind- und Bioenergie –, die zu Lasten der Stromverbraucher geht.   Seux: Wie hoch ist der Anteil der erneuerbaren Energie in Deutschland? Ich glaube, es sind 25 oder 26 Prozent …   Schäuble: Ja, aber Sie machen Politik für die Gesellschaft, von der Sie gewählt sind. Das gehört zu den Rahmenbedingungen. Nichtsdestoweniger sind wir bis jetzt trotz der Energiewende und trotz aller Kritik wirtschaftlich nicht schlecht zurande gekommen – weil wir eine so gute Finanzpolitik machen.   Seux: Man hat manchmal den Eindruck, dass Deutschland sich im neuen digitalen Zeitalter nicht besonders wohlfühlt. Man sieht dort keine großen Firmen entstehen. Sie sagten, es gebe in Deutschland Schwierigkeiten bei der Innovation. Ist Deutschland dabei, diesen Wandel aufzugreifen?   Schäuble: Die Dinge ändern sich gerade. Inzwischen sagen viele, dass Berlin der Platz in Europa ist, wo es die größte Zahl von innovativen Start-ups gibt. Die Industrie hat das begriffen. Es gibt zahlreiche Programme, mit denen die traditionelle deutsche Industrie- und Fertigungstechnik mit der modernen Informationstechnologie verbunden wird. Das gilt insbesondere für die deutsche Automobilindustrie, die ja eine Schlüsselindustrie ist. Sie muss sich mit der Frage auseinandersetzen: Wie können wir die neuen Entwicklungen in der IT-Technologie und das, was sich bei Google und anderswo entwickelt, aufgreifen? Wir sind dabei ganz gut unterwegs. Und trotz eines gewissen Einbruchs in China haben wir eine gute Stimmung und eine gute Auftragslage in der deutschen Industrie.   Wickert: Sie haben erwähnt, dass die Deutschen nicht gerade freundlich gegenüber Innovationen sind. Es gibt dafür viele Beispiele: Das Fax ist bei uns erfunden, aber nicht umgesetzt worden. Das Gleiche gilt für viele andere Dinge. Woran liegt das?   Schäuble: Nun ja, wir sind vielleicht manchmal ein bisschen zu perfektionistisch. Wir haben es nicht nur mit den Regeln, worunter meine Kollegen in der Eurogruppe gelegentlich leiden, sondern auch mit der Bürokratie. Wir sind nicht in der Lage, wie jedermann auf der ganzen Welt sieht, einen Flughafen für Berlin zu bauen. Aber wenn man weiß, wie oft sich die Rechtsprechung während der Planungszeit dieses Flughafens geändert hat, in Bezug auf den Lärmschutz ebenso wie auf den Brandschutz, und wie oft darüber die Planungen geändert werden mussten, dann sieht man, dass das bei uns alles extrem kompliziert ist. Dazu kommt, dass unsere Umweltstandards sehr hoch sind. Nehmen Sie zum Beispiel den Ausbau der Rheintalbahn. Zwischen Karlsruhe und Basel soll dort die Strecke auf vier Gleise verstärkt werden. Dann hat man den Vorschlag gemacht: Könnte man die neue Strecke nicht einfach direkt neben die vorhandene Autobahn legen? Aber das geht nicht, weil sie drei Tunnel bohren müssten und dabei Vogelschutzgebiete durchqueren würden. Nun kann man fragen: Warum kann dort eine Autobahn sein, aber keine Eisenbahn? Der Grund dafür ist: Als die Autobahn gebaut wurde, gab es diese Vogelschutzbestimmungen noch nicht. Und die Vogelschutzgebiete haben sich im Übrigen nur deshalb entwickelt, weil die Vögel neben der Autobahn besser nisten können als dort, wo Menschen siedeln. Das ist Deutschland. Wir nehmen den Umweltschutz sehr ernst, manchmal zu ernst.   Wickert: Es heißt immer, Silicon Valley sei in Deutschland nicht möglich wegen all der Regulierungen.   Schäuble: Ja, aber das ist eher eine Frage für die Feuilletons. Silicon Valley hat sehr viel mit den amerikanischen Modalitäten von Unternehmensfinanzierung zu tun und mit der Größe des...


Sapin, Michel
Michel Sapin, geboren 1952, hatte diverse Ministerämter unter der Präsidentschaft von Francois Mitterrand. Unter jener von Francois Hollande wurde er 2012 Arbeitsminister, bevor er Anfang 2014 das Finanzministerium übernahm.

Schäuble, Wolfgang
Wolfgang Schäuble, geboren 1942, ist seit 1972 Mitglied des Bundestages. Er ist einer der Architekten der Wiedervereinigung Deutschlands und Europas, geehrt mit dem Internationalen Karlspreis zu Aachen. Er war Chef des Bundeskanzleramtes, zwei Mal Bundesinnenminister, seit 2009 ist er Bundesminister der Finanzen.


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