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E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Schiebel Gift und Wahrheit

Wie Konzerne und Politik ihre Macht missbrauchen, um Umweltaktivist*innen mundtot zu machen

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-96238-821-8
Verlag: oekom verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Kein



Ein mutiges kleines Dorf in Südtirol und eine machtvolle Agrarlobby, die sich das lukrative Geschäft mit Pestiziden nicht verderben lassen will – für Alexander Schiebel wurde dies zum Albtraum: Weil er die Geschichte in seinem Film und Buch »Das Wunder von Mals« publik machte, wurde er vor Gericht gezerrt. Als SLAPP (Strategic Lawsuit Against Public Participation) sind derartige Einschüchterungsversuche bekannt, bei denen so lange geklagt wird, bis kritische Stimmen aus der Zivilgesellschaft verstummen. Schiebel erzählt von seinem und anderen Fällen und bringt die Machenschaften der Mächtigen dadurch aufs Tableau.
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Eine kurze Geschichte der Monokulturen
Um zu verstehen, wie ich in diese Lage geraten konnte, müssen wir weit ausholen. Vor etwa 200 Jahren begann eine gewaltige Transformation unseres Wirtschaftslebens, bei der kein Stein auf dem anderen blieb – und die auch vor der Landwirtschaft in Südtirol nicht Halt machte: die industrielle Revolution. Menschen wurden durch Maschinen ersetzt, Handwerksbetriebe wandelten sich in Manufakturen und dann in Fabriken. Innerhalb dieser Fabriken und zwischen ihnen nahm die Arbeitsteilung zu. Produkte wurden standardisiert, Verfahren wurden optimiert. Durch den unaufhaltsamen Aufstieg der industriellen Massenproduktion wurden immer neue Produkte in immer kürzeren Intervallen auf den Markt geworfen. Gleichzeitig nahm der Warenverkehr zwischen den verschiedenen Weltregionen zu, sodass jede Region sich auf die Herstellung jener Produkte spezialisieren konnte, die am betreffenden Standort besonders gut produziert werden konnten. Durch diesen Handel zwischen den Regionen und durch technologische Innovationen, die immer schneller aufeinanderfolgten, wuchs auch der Wettbewerbsdruck. Unternehmen, die wirtschaftlich überleben wollten, waren gezwungen, sich ständig zu erneuern. Auch in der Landwirtschaft. Davor war die Landwirtschaft in Europa über viele Jahrhunderte hinweg eine reine Subsistenzwirtschaft gewesen. Die Bauern produzierten, was sie selbst brauchten, und versorgten vielleicht noch die nächstgelegene Stadt. Davon wurden sie nicht reich – im Gegenteil. Eine Dürre oder eine Überschwemmung genügte, um viele von ihnen in existenzielle Not zu stürzen. Vor diesem Hintergrund war verständlich, warum viele Landwirte sich für neue technologische Möglichkeiten begeisterten. Maschinen erleichterten ihnen die harte Arbeit auf dem Feld und steigerten gleichzeitig den Ertrag. Die neuen Transportmöglichkeiten mit Eisenbahn und Dampfschiff sorgten dafür, dass Güter zuverlässig und schnell auch über weite Strecken transportiert werden konnten. Auch die Landwirte konnten sich nun spezialisieren. Und zwar auf jene Produkte, für die ihre Böden und ihr Klima am besten geeignet waren. Überall auf der Welt entstanden dadurch gewaltige Monokulturen – Fabrikanlagen unter freiem Himmel, wenn man so will. So auch in Südtirol, dessen Täler sich hervorragend für den Anbau hochwertiger, köstlicher Früchte eignen. Ende des 19. Jahrhunderts wurden bei der Obstgenossenschaft Meran über 200 verschiedene Apfel- und Birnensorten angeliefert. Diese Vielfalt konnte dank der modernen Verkehrsmittel in alle Welt exportiert werden: Die neuen Bahnverbindungen der österreichischen Südbahn dienten nicht nur dem Transport von Fahrgästen zum »Südbalkon der k.u.k.-Monarchie«, sie ermöglichten auch den raschen Transport von Obst in den Norden. Im Gleichschritt mit der steigenden Nachfrage wurde auch die Obstproduktion in Südtirol ausgeweitet. Auf gleichbleibender Fläche pflanzte man immer mehr Bäume, erntete immer mehr Früchte. Bis ins späte 19. Jahrhundert prägten in Südtirol noch Streuobstwiesen das Landschaftsbild. Riesige Apfelbäume mit weit ausladenden Kronen wuchsen im Abstand von rund 20 Metern voneinander. Prächtige, langlebige, beeindruckende Baumgiganten. So hoch, dass man zur Erntezeit hohe Leitern benötigte. Zwischen diesen Apfelbäumen fand sich reichlich Platz zur Heugewinnung für das Vieh. Denn auf einem Hektar Land standen selten mehr als 60 solcher Baumriesen. Auch zwischen diesen Obstwiesen entdeckte man noch Vielfalt: Hecken, Baumgruppen, Bäche, Hügel. Doch Anfang des 20. Jahrhunderts begann sich das Landschaftsbild zu wandeln. Die Logik der Ertragssteigerung setzte sich durch. Vielfalt wurde eingeebnet, Felder wurden begradigt. Nun wurden schon 200 bis 400 Apfelbäume auf einem Hektar gepflanzt. Ein halbes Jahrhundert später, in den 1960er-Jahren, war die Anzahl bereits auf 400 bis 600 Bäume pro Hektar angestiegen. Und als sich schließlich niedrige, strauchartige Apfelbäumchen durchsetzten, stieg die Anzahl der Bäume pro Hektar auf 1.500 bis 3.000. Da diese strauchartigen Bäumchen ohne Stütze umfallen würden, band man sie an langen Reihen von Betonpfeilern fest. Dazwischen wurden »Fahrgassen« für Traktoren angelegt, um die Bäumchen mit Geräten und Maschinen leicht erreichen zu können. Heute findet man bis zu 20.000 dieser »Apfelsträucher« auf einem einzigen Hektar Land. Zur Erntezeit benötigt man nun keine Leitern mehr. Ein Heer von Erntehelfern pflückt die reifen Äpfel jetzt einfach und schnell von automatisierten Hebebühnen aus und füllt damit Kiste um Kiste. Zeitgleich mit der explosionsartigen Zunahme der Quantität kam es im 20. Jahrhundert zu einem dramatischen Rückgang der Vielfalt. In den 30er-Jahren hatte sich die Arten- und Sortenvielfalt in Südtirol bereits mehr als halbiert. Ein Obsthändler aus Lana führte im Jahre 1936 immerhin noch 57 Apfel- und 24 Birnensorten in seinem Sortiment. Diese 57 Apfelsorten trugen wohlklingende und vielversprechende Namen. Neben dem »Maschanzger«, dem »Weißen Rosmarin« und dem »Köstlichen« bot man auch den »Lachenden Mantuaner«, den »Böhmer«, den zierlichen »Schlatterer«, den »Lederer«, den »Blattling« und den »Härtling« an. Dazu den »Kaiserapfel« und den »Muskatellapfel«. Die meisten dieser Sorten gab es schon seit dem Mittelalter. Andere Sorten wurden im 19. Jahrhundert in Südtirol gezüchtet. Wie zum Beispiel der prachtvoll gefärbte »Edelrote« oder der »Wintercalville«, der als »König der Äpfel« gepriesen wurde. Ihn exportierte man nach Deutschland und Russland, in die Türkei und nach England, ja sogar bis nach China und Japan. Doch die Vielfalt der Südtiroler Apfelwelt begann zu schwinden, als Äpfel aus den USA die Weltmärkte zu erobern begannen. Eine kleine Anzahl von Apfelsorten wurde nun weltweit von den Konsumenten bevorzugt. Die Sorten »Golden Delicious«, »Morgenduft« und »Jonathan« machten Ende der 60er-Jahre zusammen bereits 68 Prozent der Südtiroler Apfelernte aus. Anfang der 90er- Jahre erreichte der »Golden Delicious« allein einen Anteil von 45 Prozent an der Gesamternte. Im Gegenzug schrumpfte der Anteil der »diversen« Sorten von 85 Prozent in den 1920er-Jahren auf nur noch 1 Prozent in den 1990ern. Und zusammen mit Südtirols Apfelsorten verschwanden auch Südtirols Birnen. Ihr Anteil an der Gesamternte fiel von rund 20 Prozent in den 60er-Jahren auf nur noch 1 Prozent in den 90ern. Heute umfasst Südtirols Apfelsortiment nur mehr wenige (beinahe ausschließlich überseeische) Apfelsorten. Die neuen amerikanischen Sorten brachten zwar größere Ernteerträge, aber sie hatten auch große Nachteile. Da sie viel weniger haltbar waren, waren von nun an große Obstmagazine mit Kühlzellen nötig, um sie das ganze Jahr über verkaufen zu können. Der Energieeinsatz stieg dadurch enorm. Die haltbaren heimischen Wintersorten waren vom Markt verschwunden. Kühlzellen und Traktoren waren wichtige Innovationen für Südtirols Apfelanbau. Doch die wichtigsten Innovationen für die Landwirtschaft kamen von den Chemiekonzernen. Zwischen 1905 und 1908 entwickelte der Chemiker Fritz Haber die katalytische Ammoniak-Synthese. Dem Industriellen Carl Bosch gelang es daraufhin, ein Verfahren zu erfinden, das die massenhafte Herstellung von Ammoniak ermöglichte. Dieses Haber-Bosch-Verfahren bildete die Grundlage der Produktion von synthetischem Stickstoff-Dünger. Die Böden konnten nun mit »Kraftnahrung« versorgt werden. Der Ernteertrag stieg dramatisch an und die Böden blieben trotz Dauerbelastung fruchtbar. Der Siegeszug der Monokulturen schien unaufhaltsam. Doch er brachte eine Reihe von Problemen mit sich, die nur im intensiven Anbau auftraten und mit denen sich die Landwirtschaft bis heute herumschlägt. Eines davon ist die Abnahme der biologischen Vielfalt in Monokulturen. Das Zusammenspiel verschiedener Arten in einem Ökosystem ist komplex. Stark vereinfacht passierte Folgendes: Stellen wir uns vor, ein Landwirt kultiviert 100 verschiedene Pflanzenarten auf 100 Hektar Fläche. Von diesen Pflanzen leben 100 verschiedene Insektenarten und von diesen Insekten wiederum 100 Vogelarten. Was geschieht, wenn der Landwirt sich entscheidet, nur noch 10 Pflanzenarten anzubauen? Das Resultat ist so vorhersehbar wie verheerend: 90 von 100 Insektenarten finden nichts mehr zu fressen. Und 90 von 100 Vogelarten ebenfalls. Sie ernährten sich von den 90 verschwundenen Insektenarten. Die verbliebenen Insektenarten wähnen sich jedoch im Paradies. Sie haben nun ein endloses Nahrungsangebot und die meisten ihrer natürlichen Feinde sind verschwunden. Für die Blattlaus, die nun zum Nachbarbaum blickt, ist das eine erfreuliche Aussicht. Früher lebten dort viele Marienkäfer, die im Laufe ihres Lebens Unmengen von Blattläusen verzehrten. Doch dieses Korrektiv existiert nicht mehr. Das Resultat: eine unkontrollierte Vermehrung der Blattlaus. Diese Überpopulation schwächt die Bäume und reduziert den Ernteertrag. Die Blattlaus wird zum »Schädling«, genau wie einige andere Insekten, die ihr Leben in diesem Monokultur-Paradies in vollen Zügen genießen. Was also tun gegen diese Bedrohung der Pflanzen, der Ernte und des bäuerlichen Einkommens? Unser Bauer sucht nach einer Lösung für dieses bedrohliche Problem – und die Chemiekonzerne liefern sie: Von nun an »behandelt« er seine Pflanzen mit Insektiziden und vernichtet die »Schädlinge« mit der chemischen Keule. Dabei vernichtet er leider auch einige der noch verbliebenen anderen Insektenarten. Und gleichzeitig einige der letzten verbliebenen Vogelarten, die von diesen Insektenarten gelebt hatten. Die Vielfalt nimmt immer weiter ab. Das...


Schiebel, Alexander
Alexander Schiebel wurde 1966 in Salzburg, Österreich geboren. Gleich nach dem Abitur hat er seine Leidenschaft fürs Geschichtenerzählen zum Beruf gemacht und in Wien das Filmhandwerk erlernt. 2013 zog er für fünf Jahre nach Südtirol und arbeitete in dieser Zeit an Buch und Film zum »Wunder von Mals«. Für das Buch über den Widerstand der Gemeinde Mals gegen den Pestizideinsatz in den Südtiroler Apfelplantagen wurde er 2018 mit dem Salus-Medienpreis ausgezeichnet. Nach kurzem Aufenthalt in Leipzig befindet sich Schiebel seit 2019 auf weltweiter Recherchetour zu neuen Buch- und Filmprojekten.


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