Schindler / Sprung | Erwachsenenbildung und Sprache | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Englisch, 116 Seiten

Schindler / Sprung Erwachsenenbildung und Sprache

Über Sprachunterricht, Mehrsprachigkeit, Machtworte und Sprachräume

E-Book, Englisch, 116 Seiten

ISBN: 978-3-7568-7666-2
Verlag: Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Sprache kann in der Erwachsenenbildung vieles sein: Lernziel und Medium, Fundus oder Defizit, Disziplinierungsinstrument oder Möglichkeitsraum. Sie ist in ihrer Bedeutung für die Erwachsenenbildung in all ihren Dimensionen kaum erschöpfend zu fassen. Die Autor*innen der vorliegenden Ausgabe 47 des Magazin erwachsenenbildung.at werfen Schlaglichter auf das breite Spektrum von Sprache(n) sowie ihrer Beziehung(en) zur Erwachsenenbildung und deren Akteur*innen. Thematisiert werden u.a. Machthierarchien zwischen Lehrenden und Lernenden, Räume für Kursteilnehmer*innen zum Sprechen und um gehört zu werden, Anerkennung, Interaktion und Mehrsprachigkeit im Sprachenunterricht sowie gendersensibler Sprachgebrauch in der Erwachsenenbildung. Zu Wort kommen dabei Trainer*innen ebenso wie Teilnehmer*innen, Bildungsmanager*innen und Forscher*innen.
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Wer spricht und wer wird gehört?
Plädoyer für die Achtung von Mehrsprachigkeit im
Sprachenunterricht Birgit Fritz Zitation Fritz, Birgit (2022): Wer spricht und wer wird gehört? Plädoyer für die Achtung von Mehrsprachigkeit im Sprachenunterricht. In: Magazin erwachsenenbildung.at. Das Fachmedium für Forschung, Praxis und Diskurs. Ausgabe 47, 2022. Online: https://erwachsenenbildung.at/magazin/ausgabe-47. Schlagworte: Freire, Spivak, bell hooks, Dialog, Mehrsprachigkeit, Einsprachigkeit, Migrationsgesellschaft, Mehrheitssprache, Sprachunterricht, Macht, Sprechen, Gehörtwerden Abstract Nach Paulo Freire ist das „echte“ Wort der Veränderung verpflichtet. Es besteht immer aus Aktion und Reflexion. Unterdrückung hingegen definiert er als Monolog, der den Dialog ersetzt. Im aktuellen Sprachenunterricht in Österreich werde Menschen aber Sprache „beigebracht“ – so die zentrale Kritik im vorliegenden Beitrag –, ohne daran interessiert zu sein, was sie zu sagen haben, und ohne sie tatsächlich sprechen zu lassen. Insbesondere im Sprachunterricht mit Menschen mit Migrationserfahrungen werde oft rasch versucht, diese Menschen „einzugliedern“ und anzupassen, damit sie „partizipieren“ können. Dass sie selbstverständlich eine oder mehrere andere Sprachen sprechen, oft auch kompetent darin sind, in anderen Schriften als der unseren zu schreiben, und insgesamt über biographische Erfahrungen verfügen, die sich uns entziehen, werde dabei ignoriert. Es bräuchte vielmehr Begegnungsräume auf menschlicher Ebene, wo ein Aufeinander-Zugehen erlebbar wird. Dazu bedürfe es aber auch eines flexibleren Bildungssystems, das sich inhaltlich auf das tatsächliche Leben ausrichten kann, anstatt asynchronen Lehrplänen zu folgen. (Red.) 02Thema Wer spricht und wer wird gehört?
Plädoyer für die Achtung von Mehrsprachigkeit im Sprachenunterricht Birgit Fritz2 In einer Gesellschaft, deren Bildungssysteme Menschen Scham und Resignation über ihre Herkunft, ihre Sprache und ihren gesellschaftlichen Status „aufprojizieren“, indem sie auf sogenannte Bildungsdefizite fokussieren, fehlt es an Zivilcourage und Mut, die Dinge in die Hand zu nehmen, kritisch zu betrachten, nach neuen Wegen zu suchen. Es fehlt an Vertrauen im freireanischen Sinne, „die Welt benennen“ zu dürfen und sie so im Dialog, gemeinsam mit anderen zu verwandeln in eine menschlichere Welt. Dialog, schreibt Freire, ist ein Akt der Schöpfung. Er darf nicht als handliches Instrument zur Beherrschung der Welt durch andere dienen (vgl. Freire 1973, S. 72). Bildungsarbeit darf kein
Bankiers-Konzept sein In der von Paulo Freire verfassten Schrift „Pädagogik der Unterdrückten“, einem Meilenstein der emanzipatorischen Bildung, definiert der Autor (1973, S. 71) den Begriff der Unterdrückung folgendermaßen: „Unterdrückung herrscht, wo Monolog den Dialog ersetzt“ und weiters: Der unterdrückte Mensch ist der Mensch, der ungleiche Machtverhältnisse verinnerlicht hat und an sie glaubt. Das Wort, schreibt Freire, besteht aus den zwei Komponenten Aktion und Reflexion, denn das „echte Wort“ ist der Veränderung verpflichtet. „Menschliche Existenz kann nicht im Schweigen verharren, auch kann sie nicht von falschen Worten genährt werden, sondern nur von wirklichen Worten, mit denen Menschen die Welt verwandeln. Menschlich existieren heißt, die Welt benennen, sie verändern.“ Bildungsarbeit als reine Übermittlung von Informationen bezeichnet Freire (1973, S. 57) als „Bankiers-Konzept“ der Bildung: Einer hat etwas, was der andere nicht hat. „Befreiende Erziehungsarbeit“ dagegen „besteht in Aktionen der Erkenntnis, nicht in der Übermittlung von Informationen“. Auch Alvin Toffler schrieb in seinem 1970 erschienenen Buch Future Shock: „The illiterate of the 21st century will not be those, who cannot read or write, but those, who don’t know how to learn, unlearn, and relearn.” Sprachunterricht darf Menschen nicht zu Marionetten machen Die Begriffe Sprache, Wort und Dialog als auch Alphabetisierung werden hier als Bezeichnung von Kommunikationsmöglichkeiten des Menschen in seinem ganzen Sein und Handeln in der Welt herangezogen. Menschen das Sprechen „beizubringen“, ohne daran interessiert zu sein, was sie zu sagen haben, ohne sie auch sprechen zu lassen, ist ein Akt der Vergewaltigung, eine erstickende Überherrschung und Unterdrückung von einzelnen und von Gruppen, wie wir sie nur zu oft in der Geschichte erlebt haben.3 Sprachunterricht, welcher Sprache auf reine Funktion reduziert und dem sprechenden Menschen keinen Raum zugesteht, macht Menschen zu Marionetten. Doch Sprache, so schreibt bell hooks, die Autorin von „Teaching to Transgress“, die in ihrer Arbeit sehr von der Pädagogik Freires, aber auch von der widerständigen Spiritualität Thích Nh?t H?nh geprägt ist, findet wie das Begehren immer einen Weg, sie stört und weigert sich, innerhalb enger Grenzen zu existieren (vgl. hooks 1994, S. 167). hooks beschreibt diese Weigerung, dieses Auflehnen als Widerstand gegen eine Taktik der dominanten sozialen Klasse, welche eine klar definierte Sprache – die Hochsprache – als Waffe benutzt, die kolonisiert, beschämt und demütigt. Als widerständige Re-Aktion erfindet sie sich immer neu, ja muss sich immer neu erfinden, will sie nicht in der Depression/Resignation und dem Kampf der voran gegangenen Generationen verloren gehen.4 Die Beschämungen, denen Menschen in ihrer Schulzeit wegen ihrer Dialekte aus unterschiedlichen Tälern, Milieus und ihrer anderen Erstsprache als der deutschen Mehrheitssprache in Österreich ausgesetzt wurden, werfen ihre Schatten immer auch in die Bildungserfahrungen im späteren Leben, sprich, in die Erwachsenenbildung. Lernwiderstände, Versagensängste, Resignation und Passivität sind nur einige der Folgen solcher schmerzhaften (Lern-)Biographien. More upside down! Nun leben wir in einer Migrationsgesellschaft5 , in der wir es mehr oder weniger plötzlich mit Menschen zu tun haben, die wie selbstverständlich eine oder mehrere andere Sprachen sprechen, oft auch kompetent darin sind, in anderen Schriften als der unseren zu schreiben und insgesamt über biographische Erfahrungen verfügen, die sich uns entziehen. Rasch wird versucht, sie „einzugliedern“, anzupassen, damit sie „partizipieren“ können, unsere üblichen Abläufe sollen so wenig wie möglich „gestört“ werden. Eine zuträgliche Irritation kommt in diesem Kontext auch von der indischen Philosophin Gayatri Chakravorty Spivak, die, die Dinge auf den Kopf stellend, also „upside down“, unsere Perspektive verändern will und in einem ihrer Essays provokant fragen lässt: „Can the subaltern speak?“ (2008). Können denn die „Benachteiligten/Unterdrückten/Marginalisierten“ überhaupt sprechen? Denn natürlich haben und finden alle Menschen eine/ihre Sprache, doch was nützt sie ihnen, wenn sie damit nicht gehört werden? Die Schriften Spivaks problematisieren vorrangig die Beziehungen zwischen globalem Norden und globalem Süden, den „reichen“ Ländern und den „armen“. Ihre Frage führt weg vom Fokus der Verantwortung derer, „die keine Sprache haben“, hin zu denen, „die ihnen kein Gehör schenken wollen“.6 Auch in unserem regionalen Kontext wäre es zuträglich, dem Thema der Privilegien auf die Spur zu kommen und radikal zu hinterfragen, wo wir gesellschaftlich gesehen hinwollen. In einem weiteren Text fordert Spivak uns auf, unsere Privilegien als „Verlust“ zu verstehen, da sie uns den Blick auf eine andere als die eigene Realität verstellen, die wir aber wahrnehmen und anerkennen müssten, wollten wir für eine gerechtere Welt eintreten und uns auf Chancen zu einer positiven Entwicklung einlassen können. Im Verzicht auf unsere (illusionäre) Machtstellung, liegt der Schlüssel zu menschlicherem Handeln. Die Bürgerrechtlerin Maya Angelou sagte: „Do the best you can until you know better. Then when you know better, do better.“ Einsprachigkeit bedeutet eingeschränkt zu sein Global gesehen kann man Einsprachigkeit als seltene Einschränkung bezeichnen, Zweisprachigkeit ist üblich und Dreisprachigkeit entwickelt sich zum zukünftigen „normal“. Welche Sprachen wo höheren Status und Ansehen genießen, wird und wurde immer schon sozial und kolonial konstruiert. So erzählten mir z.B. nigerianische Teilnehmer an einem Projekt, als ich sie nach ihren Sprachkenntnissen fragte, dass sie ja nur ein paar Dialekte sprächen, aber da wären ja keine „Sprachen“ dabei. Nicht erst jetzt im 21. Jahrhundert leben wir auch in Österreich in einer...


Sprung, Annette
Annette Sprung ist Professorin für Migration und Bildung am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft der Karl-Franzens-Universität Graz und leitet den Arbeitsbereich "Migration - Diversität - Bildung". Ihre Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind Migration und Erwachsenenbildung, Diversität, Rassismus/Diskriminierung und politische Bildung/Active Citizenship.

Schindler, Julia
Julia Schindler war seit ihrem Studienabschluss in Angewandter Linguistik (Innsbruck und Jyväskylä) lange Zeit in der Basisbildung tätig: sowohl als Trainerin als auch in leitender Position. Aktuell liegt der Fokus ihrer Arbeit auf eLearning und digital unterstütztem Lernen in unterschiedlichen Kontexten der Erwachsenenbildung. Im Zweitberuf ist sie Informatikerin.


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