Schmelzle | Politische Legitimität und zerfallene Staatlichkeit | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 80, 309 Seiten

Reihe: Theorie und Gesellschaft

Schmelzle Politische Legitimität und zerfallene Staatlichkeit

E-Book, Deutsch, Band 80, 309 Seiten

Reihe: Theorie und Gesellschaft

ISBN: 978-3-593-43240-3
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Was geht verloren, wenn Staaten zerfallen? Das Auseinanderbrechen von staatlichen Institutionen ist heute eines der drängendsten Probleme der internationalen Politik. Mit Cord Schmelzles Studie liegt nun die erste Monografie vor, die dieses Phänomen aus Perspektive der politischen Theorie und Philosophie untersucht. Ausgehend von einer Analyse der Begriffe Legitimität und Staatlichkeit entwickelt der Autor eine neuartige Theorie der Rechtfertigung von Herrschaftsverhältnissen und des Wertes staatlicher Ordnungssysteme und fragt, wie die internationale Gemeinschaft auf Fälle von Staatszerfall reagieren sollte.
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Inhalt

Vorwort 7

Einleitung 9

Teil I:Politische Legitimität

1. Der Begriff politischer Legitimität 19
1.1 Zwei Begriffe politischer Legitimität? 23
1.2 Legitimität als das Recht zu regieren 36
1.3 Grenzen legitimer Autorität 65

2. Die Rechtfertigung politischer Autorität 79
2.1 Transaktionale Theorien 83
2.2 Natürliche Pflichten als Rechtfertigung politischer Autorität 97
2.3 Die assoziative Erweiterung natürlicher Pflichten 119

3. Instrumentelle und intrinsische Rechtfertigungen politischer Autorität 123
3.1 Raz' instrumentelle Rechtfertigung politischer Autorität 124
3.2 Die intrinsische Autorität demokratischer Verfahren 149

Teil II: Zerfallene Staatlichkeit und externe Herrschaft

4. Zerfallene Staaten als normatives Problem 167
4.1 Zerfallene Staaten in der internationalen Politik: Drei Problemebenen 169
4.2 Staatlichkeit aus normativer Perspektive 176
4.3 Drei Konfigurationen zerfallener Staaten 209

5. Zulässigkeit und Gebotenheit humanitärer Interventionen 220
5.1 Gerechte Kriege und der pazifistische Einwand 223
5.2 Souveränität als Einwand gegen humanitäre Interventionen 227
5.3 Die Tötung Unschuldiger 231
5.4 Erlaubnis oder Pflicht zur Intervention? 235

6. Zur Rechtfertigung externer Herrschaft in zerfallenen Staaten 243
6.1 Der Zusammenhang zwischen ius ad bellum und ius post bellum 246
6.2 Phasen der Fremdbestimmung 263

Schlussfolgerungen 285

Literatur 289


Einleitung
Am Anfang des neuzeitlichen politischen Denkens steht das Problem der Anarchie, oder genauer gesagt: das Problem ihrer Überwindung. Drei kanonische Texte der politischen Philosophie - Hobbes' Leviathan, Lockes Zweite Abhandlung und Kants Rechtslehre - bedienen sich jeweils der Kontrastfolie eines anarchischen Naturzustands, um ihre Theorien politischer Legitimität zu entfalten und die Bedingungen anzugeben, unter denen Herrschaftsverhältnisse gerechtfertigt sind. Die genauen Konturen eines solchen Szenarios ohne Herrschaft und politische Institutionen variieren dabei zwar zwischen den Autoren, die argumentative Funktion dieser Fiktion ist jedoch in allen drei Fällen eine ähnliche: Anhand der Unsicherheit (Hobbes), der Nachteile und Unannehmlichkeiten (Locke) beziehungsweise der notwendigen Rechtlosigkeit (Kant) eines imaginierten vorstaatlichen Zustands soll nachgewiesen werden, dass Herrschaftsverhältnisse rational erforderlich (Hobbes), vorteilhaft und moralisch zulässig (Locke) oder sogar moralisch geboten (Kant) sind.
Am Anfang dieser Studie steht ebenfalls das Problem anarchischer Zustände, allerdings nicht in Gestalt der Gedankenexperimente der Ahnherren der politischen Theorie, sondern als Realität in sogenannten zerfallenen Staaten. Die Parallelen vor allem zwischen Hobbes' düsterer Vision eines von permanenter Unsicherheit geprägten Naturzustands und der Situation in Ländern wie Somalia, Afghanistan, der Demokratischen Republik Kongo oder Sierra Leone liegen dabei jedoch auf der Hand: Das Fehlen eines staatlichen Gewaltmonopols und eines funktionsfähigen Rechtssystems, die daraus resultierende Unsicherheit und Anomie sowie sich ungehindert ausbreitende Epidemien und Hungersnöte prägen oftmals das statistisch kurze und von materieller Armut geprägte Leben der Menschen in solchen "Ruinen von Staatlichkeit" (Ladwig 2007: 371). Zu den Folgen gehören der Zusammenbruch von Wirtschaft, Handel und Infrastruktur, die ständige Angst vor willkürlichen Rechtsverletzungen, Misstrauen und soziale Desintegration, die erzwungene Flucht weiter Bevölkerungsteile sowie, erschreckend häufig, ein gewaltsamer Tod. Aus diesem Grund gilt der Zerfall staatlicher Institutionen vielen Beobachtern als eine der zentralen humanitären Herausforderungen des beginnenden 21. Jahrhunderts (so etwa Helman/Ratner 1992-93; Rotberg 2003a; Collier 2007). Umso erstaunlicher ist es, dass dieses Phänomen von der normativen politischen Theorie und Philosophie bisher kaum systematisch bearbeitet wurde. Diese Forschungslücke ein Stück weit zu schließen, ist eines der Ziele dieser Arbeit.
In der vorliegenden Studie nehme ich ähnlich wie Hobbes, Locke und Kant das Problem fehlender politischer Ordnung zum Ausgangspunkt, um die Frage nach der Rechtfertigung von Herrschaftsverhältnissen und dem Wert staatlicher Institutionen erneut zu stellen. Allerdings unterscheiden sich der Ansatz und das Erkenntnisinteresse dieser Untersuchung dabei in wichtigen Hinsichten von denen der Klassiker. Während die kanonischen Naturzustandstheoretiker insofern induktiv verfahren, als sie aus den Daten ihrer Gedankenexperimente eine Theorie politischer Legitimität entwickeln, wird hier andersherum, also deduktiv, vorgegangen: Auf Grundlage der klassischen und zeitgenössischen philosophischen und politiktheoretischen Literatur zum Begriff politischer Legitimität und zur Rechtfertigung von Herrschaftsverhältnissen entwickle ich im ersten Teil der Arbeit unter der Überschrift "Politische Legitimität" eine Theorie legitimer Herrschaft, mit deren Hilfe ich im zweiten Teil "Zerfallene Staatlichkeit und externe Herrschaft" das Phänomen des Zusammenbruchs staatlicher Ordnungen aus normativer Perspektive in den Blick nehme.
Zwei Fragen stehen dabei im Zentrum der Untersuchung: Erstens ist zu fragen, was genau die normative Problematik zerfallener Staatlichkeit ausmacht: Liegt sie nur in der mangelhaften Versorgung der Bevölkerung mit menschenrechtlichen Grundgütern begründet - eine empirisch verbreitete, aber begrifflich kontingente Folge zerfallener Staatlichkeit - oder ist das Fehlen verlässlicher und effektiver politischer Institutionen auch darüber hinaus problematisch? Mit anderen Worten: Lassen sich die Übel von Staatszerfallsprozessen auf die Untererbringung von Governance-Leistungen reduzieren oder geht mit dem Verlust staatlicher Rahmenbedingungen und legitimer politischer Institutionen selber etwas Bedeutsames verloren? In der Antwort auf diese Frage werde ich die These vertreten, dass Staatlichkeit zwar kein intrinsisch wertvolles Gut ist, sich jedoch die normativ relevanten Funktionen von staatlichen Institutionen nicht auf die Bereitstellung von Governance-Leistungen reduzieren lassen. Vielmehr ist Staatlichkeit (auch) ein spezifischer normativer Status, mit dem bestimmte Rechte, Pflichten und Verantwortungszuschreibungen verbunden sind, von denen die Herrschaftsunterworfenen als Bürger im Falle legitimer Staaten profitieren. Aus diesem Grund sind nichtstaatliche Governance-Regime aus normativer Perspektive lediglich Surrogate und keine Äquivalente zu staatlichen Strukturen.
Die zweite Frage, die diese Arbeit klären möchte, ergibt sich aus der Antwort auf die erste: Wenn zerfallene Staaten ein dermaßen schwerwiegendes normatives Problem sind, welche Reaktionsmöglichkeiten und Hilfspflichten ergeben sich dann daraus für die internationale Gemeinschaft? Zur Beantwortung dieser Frage entwickle ich im vierten Kapitel eine Typologie zerfallener Staaten und zeige unterschiedliche Reaktionspflichten für die verschiedenen Fälle auf. Einer dieser Fälle, der anomische Staatszerfall, ist dabei mit so schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen verbunden, dass sich hier die Frage nach der Zulässigkeit humanitärer Interventionen und der anschließenden Herrschaftsübernahme durch externe Akteure stellt. Diesem Fragekomplex gehe ich in den Kapiteln fünf und sechs nach. Dabei komme ich - auf Grundlage der Analyse des ersten Teils der Untersuchung - zu dem Ergebnis, dass solche Formen instrumentell gerechtfertigter Fremdherrschaft über eine begrenzte Legitimität verfügen, jedoch einen inhärenten normativen Mangel aufweisen, der ihren Geltungsbereich sowohl zeitlich als auch material beschränkt. Instrumentell gerechtfertigte Herrschaft ist aus normativer Perspektive ein unter Umständen gebotener Sonderfall, der jedoch darauf abzielen muss, lokale Prozesse der demokratischen Regierungsführung zu ermöglichen, die eben nicht nur instrumentell legitimiert, sondern auch intrinsisch wertvoll sind.
Diese beiden Ergebnisse können dann - um die Analogie fortzuführen - wieder quasi induktiv auf die im ersten Teil der Arbeit entwickelte Theorie politischer Legitimität angewendet werden. Sie geben Argumente an die Hand, warum erstens ein gehaltvoller Begriff legitimen Regierens nicht auf die Bereitstellung öffentlicher Güter - so wichtig diese Funktion auch ist - reduziert werden kann und warum deshalb zweitens Formen instrumenteller beziehungsweise output-orientierter Legitimität demokratische Strukturen nur ergänzen und nicht ersetzen können. Diese beiden Ergebnisse sind für die Debatten zum Regieren jenseits des Staates (vgl. etwa Dahl 1994; Zürn 1998; Scharpf 2005) und zum Regieren ohne Staat (vgl. etwa Rosenau/Czempiel 1992; Risse/Lehmkuhl 2007; Risse 2011a) insgesamt von Belang: Die Argumentation dieser Arbeit macht insbesondere deutlich, dass sich die Legitimität von Herrschaftsverhältnissen nur im Ausnahmefall des Schutzes basaler Menschenrechte zeitweise von demokratischen Prozessen entkoppeln lässt. Jenseits dieses eng umgrenzten Bereichs ist das Recht zu regieren nicht ohne die gleichberechtigte Beteiligung der betroffenen Bürgerinnen und Bürger zu haben.
Aufbau der Arbeit
(1.) Im Zentrum des ersten Kapitels steht die Auseinandersetzung mit dem Begriff politischer Legitimität. Hier vertrete ich die These, dass politische Legitimität einen spezifischen normativen Status bezeichnet: das Recht zu regieren. Um diesen Vorschlag zu plausibilisieren, rekonstruiere ich zunächst das Legitimitätsverständnis Max Webers. Dies dient zwei Argumentationszielen: Zum einen kann anhand von Webers Theorie das Verhältnis von Macht und Herrschaft genauer bestimmt werden. Zum anderen lässt sich mit Weber zeigen, dass auch empirischen Perspektiven auf Legitimität ein Verständnis von ihr als einem normativen Status zugrunde liegt. Normative und empirische Legitimitätsverständnisse beziehen sich insofern nicht auf verschiedene Begriffe, sondern bilden lediglich zwei unterschiedliche Perspektiven auf dasselbe Phänomen. Dies ist ein erstes wichtiges Ergebnis. In einem zweiten Schritt wird dann untersucht, worin genau der normative Status besteht, der legitime politische Ordnung auszeichnet. Den Ausgangspunkt für diese Überlegungen bildet die Rechtstheorie Wesley Newcomb Hohfelds (1919). Hohfeld unterscheidet zwischen vier Typen von Rechten, die ihren Trägern jeweils einen spezifischen normativen Vorteil bieten. Dies sind Erlaubnisse, Ansprüche, Kompetenzen und Immunitäten. Auf den Legitimitätsbegriff angewendet ergeben sich aus Hohfelds Typologie drei plausible Lesarten politischer Legitimität: Diese wird entweder im Kern als Anspruch auf Rechtsgehorsam, als Erlaubnis zur Anwendung von Zwang oder als Kompetenz zur Veränderung von Rechten und Pflichten Dritter verstanden. Die Auseinandersetzung mit diesen drei begrifflichen Vorschlägen wird zeigen, dass das Verständnis von Legitimität als Kompetenz als einziger Kandidat die zentrale Funktion von Politik adäquat erfassen kann, nämlich durch die Setzung kollektiv verbindlicher Normen Erwartungssicherheit zu generieren, Koordinationsprobleme zu lösen und gemeinsame Ziele zu bestimmen. Damit umfasst politische Legitimität - das Recht zu regieren - auf begrifflicher Ebene politische Autorität, verstanden als das normative Vermögen, verbindliche Normen und Pflichten zu generieren. Dies ist das zweite zentrale Ergebnis dieses Kapitels.
(2.) Im zweiten Kapitel Die Rechtfertigung politischer Autorität wird von der begrifflichen zur normativen Perspektive gewechselt. Im Zentrum dieses Kapitels steht die Frage, aus welchen Gründen politische Institutionen über die normative Kompetenz verfügen sollten, für ihre Mitglieder verbindliche Normen und Weisungen zu erzeugen. In Auseinandersetzung mit Locke und Kant untersucht das Kapitel transaktionale, assoziative und auf natürlichen Pflichten beruhende Rechtfertigungen politischer Herrschaft und kommt zu dem Ergebnis, dass alleine auf natürlichen Pflichten basierende Ansätze zu überzeugen vermögen, diese aber um assoziative Elemente ergänzt werden müssen. Dem hier vertretenen Ansatz zufolge besteht die Rechtfertigung politischer Autorität in ihrer Fähigkeit, moralische Koordinationsprobleme zu bewältigen, das heißt Situationen, in denen natürliche Nichtschädigungs- und Hilfspflichten unterdeterminiert sind und daher selbst unter wohlmeinenden Interaktionspartnern nicht willkürfrei erfüllt werden können.
(3.) Während das zweite Kapitel ein Argument dafür liefert, dass Herrschaftsverhältnisse notwendig und legitim sein können, fragt das dritte Kapitel Instrumentelle und intrinsische Rechtfertigungen politischer Autorität danach, wer auf Grundlage welcher Gründe über das Recht zu regieren verfügen sollte. In dessen Verlauf werden zwei Ansätze der Zuteilung politischer Autorität diskutiert. Der erste Ansatz wurde von Joseph Raz (1986: 39ff.) unter der Bezeichnung service conception of authority entwickelt. Diese instrumentelle Theorie der Rechtfertigung politischer Autorität weist demjenigen Akteur das Recht zu regieren zu, der mit der größten Wahrscheinlichkeit die besten Ergebnisse erzielt. Die Legitimität von Herrschaft ist aus dieser Perspektive direkt von ihrer Qualität und Effektivität abhängig. Der zweite Ansatz, der hier diskutiert wird, sind prozedurale - das heißt in der Regel demokratische - Rechtfertigungen. Auf Grundlage der im zweiten Kapitel erarbeiteten Theorie legitimer Herrschaftsverhältnisse komme ich zu dem Ergebnis, dass Raz' instrumentelle Legitimitätstheorie keinen gleichwertigen Ersatz für demokratische Verfahren bieten kann und daher nur in Ausnahmefällen - und dann auch nur für einen eng begrenzten Bereich moralischer Pflichten - zu überzeugen vermag. Zu diesen Ausnahmefällen gehören jedoch Formen externer Herrschaft wie etwa internationaler Übergangsverwaltungen, die im sechsten Kapitel als mögliche Reaktion auf Fälle von Staatszerfall diskutiert werden. Dort kommen die Ergebnisse dieses Kapitels zur Anwendung.
(4.) Im vierten Kapitel Zerfallene Staaten als normatives Problem wird von der abstrakten Auseinandersetzung mit Legitimitätsfragen des ersten Teils zu einer stärker institutionellen Perspektive gewechselt. Hier werden zunächst drei Probleme unterschieden, die Staatszerfallsprozesse für die politische Theorie aufwerfen. Dies sind die Fragen nach den humanitären Folgen von Staatszerfall, nach den Auswirkungen auf das internationale System und schließlich nach den Reaktionsmöglichkeiten und -pflichten der internationalen Gemeinschaft. Um diese unterschiedlichen Problemebenen von Staatszerfallsprozessen genauer fassen zu können, wird anschließend die normative Bedeutung von Staatlichkeit herausgearbeitet. Hier komme ich zu dem Ergebnis, dass Staatlichkeit sich sowohl durch bestimmte institutionelle Fähigkeiten (Gewaltmonopol, Regeldurchsetzungsfähigkeit) als auch durch einen spezifischen normativen Status auszeichnet: Mit Staatlichkeit sind bestimmte Rechte, Pflichten und Verantwortungszuschreibungen verbunden, die staatliche Herrschaft gegenüber nichtstaatlichen Alternativen normativ auszeichnet. Abschließend werden drei Konfigurationen zerfallener Staaten unterschieden und spezifische Reaktionsmöglichkeiten vorgeschlagen. Dabei werde ich die These vertreten, dass zerfallene Staaten in allen drei Konfigurationen normativ problematisch sind, sich Art und Umfang der Probleme sowie die angemessenen Reaktionsmöglichkeiten jedoch erheblich unterscheiden. In den nächsten beiden Kapiteln werden dann zwei Reaktionsmöglichkeiten auf die problematischste dieser Konfigurationen - den Fall des anomischen Staatszerfalls - geprüft: Dies sind humanitäre Interventionen und externe Übergangsverwaltungen.
(5.) Bevor im Abschlusskapitel die Legitimität externen Regierens untersucht werden kann, gilt es zunächst, sich im fünften Kapitel Zulässigkeit und Gebotenheit humanitärer Interventionen mit einer Reihe von Argumenten auseinanderzusetzen, die, wen sie zuträfen, den Aufbau internationaler Übergangsverwaltungen in der Regel unzulässig machen würden. Diese Bedenken richten sich nicht gegen die Legitimität externer Herrschaft als solche, sondern gegen die Zulässigkeit humanitärer Interventionen, die in den meisten Fällen einer externen Übergangsverwaltung in zerfallenen Staaten vorausgehen müssten. In dem Kapitel werden zunächst drei klassische Probleme diskutiert: der pazifistische Einwand, der Krieg generell ablehnt, die auf dem Eigenwert staatlicher Souveränität beruhenden Bedenken John Stuart Mills und Michael Walzers und schließlich jener Einwand, der sich speziell gegen die faktisch nicht zu vermeidende Tötung Unschuldiger wendet. Im Anschluss wird gefragt, ob Bedingungen denkbar sind, unter denen Interventionen trotz dieser Probleme a) zulässig und b) sogar geboten sind. Beides wird bejaht. Dennoch plädiere ich abschließend dafür, durch effektive Präventionsmaßnahmen die Anlässe für humanitäre Intervention zu reduzieren: Eine Reform der völkerrechtlichen Rahmenbedingungen etwa könnte dazu beitragen, Staatszerfall zu verhindern, und so die trotz allem stets problematisch bleibenden Interventionen unnötig machen.
(6.) Das sechste und letzte Kapitel führt schließlich die verschiedenen Diskussionen der Arbeit zusammen und fragt nach der Rechtfertigung externer Herrschaft in zerfallenen Staaten. Die Argumentation stützt sich dabei sowohl auf die Debatte zum ius post bellum, die seit einigen Jahren im Kontext der Theorie des gerechten Krieges geführt wird, als auch auf die im ersten Teil der Arbeit entwickelte Legitimitätstheorie. Eine solche systematische Verknüpfung beider Debatten liegt in der Literatur bisher noch nicht vor. Im Verlauf der Diskussion wird zwischen zwei Phasen der Fremdbestimmung unterschieden, die jeweils auf einer unterschiedlichen Rechtfertigung beruhen. Während Interventionen im ersten Schritt als legitime Nothilfe zu verstehen sind und damit noch kein Herrschaftsverhältnis konstituieren, üben Übergangsverwaltungen in einem zweiten Schritt eine Form legitimer instrumenteller Autorität aus. Der Geltungsbereich dieser Form gerechtfertigter externer Herrschaft ist jedoch, wie hier gezeigt werden soll, zeitlich und material eng begrenzt. Zudem weist instrumentell legitimierte Herrschaft aufgrund ihres nicht-demokratischen Charakters einen inhärenten Legitimationsmangel auf, der nach einer Ablösung durch demokratische Verfahren verlangt, sobald diese möglich und einigermaßen effektiv sind. Neben der Institutionalisierung des Schutzes basaler Menschenrechte gilt es daher in der Phase der Übergangsverwaltung auch, Rahmenbedingungen für Prozesse der politischen Selbstbestimmung zu schaffen. Sind diese Prozesse abgeschlossen, kommt dem so entstandenen Gemeinwesen eine intrinsische Autorität zu, die die instrumentelle Autorität der Übergangsverwaltung ablöst.


Cord Schmelzle ist wiss. Mitarbeiter am SFB 700 »Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit« an der FU Berlin und Preisträger des Förderpreises der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft des Jahres 2016.


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