Schneider / Dohrenbusch / Henningsen | Begutachtung bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 664 Seiten, Format (B × H): 170 mm x 240 mm

Schneider / Dohrenbusch / Henningsen Begutachtung bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen

Autorisierte Leitlinien und Kommentare

E-Book, Deutsch, 664 Seiten, Format (B × H): 170 mm x 240 mm

ISBN: 978-3-456-95565-0
Verlag: Hogrefe AG
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Die Begutachtung der beruflichen Leistungsfähigkeit bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen in unterschiedlichen Versicherungs- und Rechtskontexten hat in den letzten zehn Jahren erheblich an Bedeutung zugenommen. Jedoch weist die Begutachtung von psychischen und psychosomatischen Krankheiten inhaltlich und methodisch erhebliche Probleme auf, die sich insbesondere auf die Validität der gutachterlichen Bewertung auswirken. Die Autoren des vorliegenden Buches haben im Rahmen einer interdisziplinären und multizentrischen Kooperation Standards zur Begutachtung der beruflichen Leistungsfähigkeit und von Kausalitätsfragen bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen mit dem Ziel entwickelt und evaluiert, die Begutachtung zukünftig methodisch einheitlicher, valider und den Prozess der Entscheidungsfindung transparenter zu gestalten. Diese Standards sind von den relevanten Fachgesellschaften der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) als Leitlinie autorisiert worden. Die Manualisierung des Begutachtungsleitfadens sowie die ausführliche und kompetente Darstellung der unterschiedlichen methodischen Herangehensweisen sowie Praxisbeispiele erleichtern die praktische Anwendung für ärztliche und psychologische Gutachter, Juristen und Versicherungsmitarbeiter.
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Zielgruppe


Arbeits- und Betriebsmediziner

Weitere Infos & Material


1;Begutachtung bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen;4
1.1;Inhalt;6
2;Vorwort zur 2.?Auflage;14
3;Vorwort;18
4;Teil 1 Theoretische Aspekte;24
4.1;?1 Die psychosozialen Hintergrund­bedingungen von Begutachtungs­fragestellungen bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen;26
4.1.1;1.1 Einleitung;26
4.1.2;1.2 Exkurs: Die gesellschaftliche Dimension und die Entwick­­lungen in der Arbeitswelt in ihren psychosozialen Auswirkungen;29
4.1.3;1.3 Der Einfluss der öffentlichen Meinung und der Medien – Medikalisierungsprozesse;33
4.1.4;1.4 Der Weg in die Rente;35
4.1.5;1.5 Probleme der Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen;38
5;Teil 2 Diagnostische Methodender Begutachtung;44
5.1;?2 Das diagnostische Interview;46
5.1.1;2.1 Grundsätzliches;46
5.1.2;2.2 Ebenen des gutachtlichen diagnostischen Interviews;47
5.1.3;2.3 Subjektivität des diagnostischen Interviews;50
5.1.4;2.4 Anwesenheit Dritter und Fremdanamnese;50
5.1.5;2.5 Aufbau des gutachtlichen diagnostischen Interviews;51
5.2;3 Die Erhebung von Zusatzbefunden: körperliche Untersuchung, Serumspiegelbestimmungen von Medikamenten und apparative Zusatzuntersuchungen;54
5.3;?4 Zur Bedeutung der Testpsychologie beiICF-orientierter Begutachtung;58
5.3.1;4.1 Aktueller Stellenwert psychologischer Messverfahren in psychiatrischer und psychosomatischer Begutachtung;59
5.3.2;4.2 Risiken eines ausschließlich interviewbasiertendiagnostischen Zugangs;61
5.3.3;4.3 Prinzipien psychologischer Messung;64
5.3.4;4.4 Testanwendung;77
5.3.5;4.5 Standardisierte dimensionale Diagnostik gängiger Aktivitäts- und Fähigkeitsmaße;89
5.3.6;4.6 Schlussfolgerungen zum Einsatz psychologischer Testverfahren in der Begutachtung von Personen mit psychischen Störungen;112
5.4;5 Das Interview aus aussagepsychologischer Perspektive: Validierung explorationsbasierter Informationen;117
5.4.1;5.1Stärken und Schwächen diagnostischer Interviews;117
5.4.2;5.2 Das Gedächtnis des Befragten als Ausgangspunktder Befragung;119
5.4.3;5.3 Aussagepsychologische Implikationen;123
5.4.4;5.4 Bedingungen valider Datenerhebungen: einige Empfehlungen zum explorativen Vorgehen in der Begutachtung;128
5.5;6 Diagnostik des prämorbiden Zustandes bei der Kausalitätsbegutachtung;134
5.5.1;6.1 Probleme der Prämorbiddiagnostik;135
5.5.2;6.2 Diagnostik prämorbider Störungen:Sicherung des Krankheitswertes;138
5.5.3;6.3 Diagnostik einer störungsspezifischen Schadensanlage;140
5.5.4;6.4 Diagnostik «allgemeiner» prämorbider Vulnerabilität;144
5.5.5;6.5 Diagnostik des prämorbiden Funktionsniveaus;147
5.5.6;6.6 Diagnostik prämorbider situativer Bedingungen;151
5.6;?7 Psychologische Methodender Beschwerdenvalidierung;153
5.6.1;7.1 Psychologische Testdiagnostik und Neuropsychologie;153
5.6.2;7.2 Grenzen der Aussagefähigkeit standardisierter Testverfahren;156
5.6.3;7.3 Negative Antwortverzerrungen, Auftreten und Bedeutung in der Begutachtung;157
5.6.4;7.4 Methoden zur Beschwerdenvalidierung;160
5.6.5;7.5 Alternativwahlverfahren, Beschwerdenvalidierungstests im engeren Sinne;162
5.6.6;7.6 Eingebettete Beschwerdenvalidierungsindikatoren;167
5.6.7;7.7 Selbstbeurteilungsverfahren, Fragebogenmethoden;168
5.6.8;7.8 Konsistenz- und Plausibilitätsprüfungen;174
5.6.9;7.9 Absicherung von Aussagen zur Konsistenz und Plausibilitätvon Beschwerdeschilderungen;175
5.6.10;7.10 Plausibilität im Rahmen wissenschaftlich/empirischgestützter Modelle;178
5.6.11;7.11 Empfehlungen für die Begutachtung;183
5.7;?8 Wie theoretisch fundiertsollte die Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen sein?;190
5.7.1;8.1 Klassifikatorische Diagnostik als Ausgangspunktder Status-quo-Bewertung;191
5.7.2;8.2 Verknüpfung von Status-quo-Diagnostik und entwicklungsgeschichtlichem Hintergrund;194
5.7.3;8.3 Konzepte der Psychoanalyseund der psychodynamischen Theorie;195
5.7.4;8.4 Konzepte der Lern- und Handlungstheorie;199
5.7.5;8.5 Grenzen der gutachterlichen Ausrichtung an tiefenpsychologischen oder lern- und handlungstheoretischen Konzepten;201
5.7.6;8.6 Das Verhältnis von Psychotherapie und Begutachtung;203
5.7.7;8.7 Auf dem Weg zu einer theoriegeleiteten und empirisch fundierten Begutachtung;204
5.7.8;8.8 Fazit;207
5.8;9 Vom Befund bis zur Stellungnahme – Empfehlungen zur leitfadengestützten gutachterlichen Urteilsbildung;210
5.8.1;9.1 Allgemeine Hinweise;210
5.8.2;9.2 Empfehlungen zu Art und Umfang der Informationsaufnahme;211
5.8.3;9.3 Empfehlungen zur Informationsverdichtung in den für die Beantwortung der Fragestellungen relevanten Teilbereichen;212
5.8.4;9.4 Abgleich des Anforderungsprofilsmit dem Beeinträchtigungsprofil;220
5.8.5;9.5 Prognostische Aussagen;222
5.9;?10 Zusammenfassendeund integrierende Bewertungbei der Begutachtung;225
5.9.1;10.1 Berücksichtigung organmedizinischer Vorbefunde;225
5.9.2;10.2 Prüfung der Voraussetzungen für die Integration unterschiedlicher Informationsebenen;226
5.9.3;10.3 Integration relevanter Ergebnisse und Befunde in die Beantwortung der gutachterlichen Fragestellungen;229
5.10;?11 Prognosenstellung;232
5.10.1;11.1 Statistische Prognosefaktoren;232
5.10.2;11.2 Hinweise zur Individualprognose;235
5.10.3;11.3 Schlussfolgerungen;245
6;Teil 3 Die Begutachtung in unterschiedlichen Rechtskontexten;248
6.1;?12 Die Begutachtungim Rahmen der Rehabilitationund Rentenverfahren wegen verminderter Erwerbsfähigkeit;250
6.1.1;12.1 Reha- und Rentenleistungen bei psychischen und Verhaltensstörungen;251
6.1.2;12.2 Rehabilitationsbedürftigkeit, Rehabilitationsfähigkeit, Rehabilitationsprognose, Leistungen zur Teilhabe, Akutbehandlung versus Rehabilitation;258
6.1.3;12.3 Renten wegen Erwerbsminderung, Berufs- und Erwerbsunfähigkeit;261
6.1.4;12.4 Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung bei psychischen Störungen;267
6.1.5;12.5 Ausblick: Qualitätssicherung der Begutachtungin der gesetzlichen Rentenversicherung;276
6.2;13 Die Begutachtung im Rahmen der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung;280
6.2.1;13.1 Berufsunfähigkeit in der privaten BU-Versicherung – Begriffsklärung;280
6.2.2;13.2 BU-Leistungsprüfung – eine kooperative Zusammenarbeit zwischen Leistungsprüfer und Mediziner;282
6.2.3;13.3 Organisch nicht oder nicht ausreichend erklärbare Beschwerden (psychosomatische bzw. somatoforme Störungen) als BU-Ursache;286
6.2.4;13.4 Unter welchen Umständen und zu welchem Zeitpunktist eine psychosomatische Begutachtung sinnvoll?;287
6.2.5;13.5 Medizinische Begutachtung von somatoformen Störungen;288
6.2.6;13.6 Diagnose einer somatoformen Störung und Einschätzungdes Restleistungsvermögens;289
6.2.7;13.7 Entscheidung über Berufsunfähigkeit durch den Leistungsprüfer des Versicherers;290
6.3;?14 Probleme und Strategien bei der Bewertung psychisch bedingter Berufsunfähigkeit;291
6.3.1;14.1 Abgrenzung Berufsunfähigkeit vs. Erwerbsminderung – Auswirkungen auf die Begutachtung;292
6.3.2;14.2 Entscheidungsschritte zur Bewertungder beruflichen Leistungsfähigkeit;293
6.3.3;14.3 Spezielle Probleme der BU-Begutachtung;305
7;Teil 4 Die Begutachtung bei unterschiedlichen klinischen Fragestellungen;308
7.1;?15 Begutachtung bei Schmerz und somatoformen Erkrankungen;310
7.1.1;15.1 Zwei-Stufen-Modell der psychosomatischen Begutachtung;311
7.1.2;15.2 Epidemiologie und Komorbidität somatoformer Störungen;311
7.1.3;15.3 Ätiologie somatoformer Störungen;312
7.1.4;15.4 Neurobiologie und somatoforme Beschwerden;314
7.1.5;15.5 Diagnostische Einordnung somatoformer Störungen;315
7.1.6;15.6 Dimensionales Modell der Diagnostik;316
7.1.7;15.7 Differentialdiagnostische Herausforderung:Der chronische Schmerzpatient;318
7.1.8;15.8 Bestimmung des Schweregrads und der Prognosein der Begutachtung;321
7.1.9;15.9 Etwaige tendenziöse Haltungen in der Begutachtung;322
7.1.10;15.10 Psychotherapeutische Behandlung somatoformer Störungen;324
7.1.11;15.11 Fazit;325
7.2;?16 Sozialrechtliche Begutachtung bei psychotischen und organischen psychischen Störungen;328
7.2.1;16.1 Psychotische Störungen;328
7.2.2;16.2 Organische psychische Störungen;332
7.3;?17 Posttraumatische Belastungsstörungen;341
7.3.1;17.1 Zur Epidemiologie der Posttraumatischen Belastungsstörung;342
7.3.2;17.2 Vorgehen bei der Diagnostik/Begutachtung;343
7.3.3;17.3 Weitere Fallstricke in der diagnostischen Einschätzung;346
7.3.4;17.4 PTBS als moderne Krankheit;347
7.4;18 Begutachtung affektiverund erschöpfungsbedingter/neurasthenischer Störungen;350
7.4.1;18.1 Voraussetzungen für die Anerkennung affektbedingter beruflicher Leistungsminderung: Diagnosen nach ICD-10 und DSM-IV/5;351
7.4.2;18.2 Erweiterungen der Nomenklatur: Burn-out, Bore-out, Chronic Fatigue Syndrome, Verbitterungsstörung etc.;353
7.4.3;18.3 Schwache Eignung der ICD-Diagnostik für die Funktions- und Leistungsbewertung;355
7.4.4;18.4 Zur Illustration: gleiche Diagnose, unterschiedliche Verläufe, abweichende Bewertungen;358
7.4.5;18.5 Methodik der Begutachtung affektiver und neurasthenischer Störungen: diagnostische Zugänge;361
7.4.6;18.6 Bewertung von Krankheitsverarbeitungsprozessen bei depressiven und neurasthenischen Störungen;363
7.4.7;18.7 Strukturierungshilfen für die Begutachtung;365
8;Teil 5 Empirische Studien zur Begutachtung;370
8.1;19 Evaluation von Gutachten zu psychisch bedingter Berufsunfähigkeit;372
8.1.1;19.1 Qualität medizinischer Gutachten:Bewertungsebenen und Bewertungskriterien;372
8.1.2;19.2 Methode;373
8.1.3;19.3 Ergebnisse;374
8.1.4;19.4 Empfehlungen;382
8.2;?20 Empirische Überprüfungdes Leitfadens zur Begutachtungder beruflichen Leistungsfähigkeit bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen;385
8.2.1;20.1 Untersuchungen zu Aspekten der Reliabilitätund inhaltlichen Validität: Reliabilitätsstudie, Echtbegutachtung, Schauspielerstudie;385
8.2.2;20.2 Analyse bereits vorliegender Gutachten;388
8.2.3;20.3 Delphi-Befragungen;389
8.2.4;20.4 Diskussion;390
9;Teil 6 Begutachtungsbeispiele;394
9.1;?21 Beispiel 1: Psychosomatisch-psychotherapeutisches Gutachten;396
9.1.1;21.1 Zur Aktenlage;396
9.1.2;21.2 Angaben des Probanden;397
9.1.3;21.3 Tendenziöse Haltung;401
9.1.4;21.4 Psychischer Befund;401
9.1.5;21.5 Zusammenfassung und Integrationder unterschiedlichen Befunde;402
9.1.6;21.6 Anhang zum Gutachten K.?T.: Testpsychologische Auswertung;406
9.2;?22 Beispiel 2: Gutachten auf dem Gebiet der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie;409
9.2.1;22.1 Zur Aktenlage;409
9.2.2;22.2 Eigene Untersuchung;414
9.2.3;22.3 Zusammenfassung und Bewertung;424
9.2.4;22.4 Zur Beantwortung der Fragen der Versicherung;428
9.3;?23 Beispiel 3: Psychosomatisch-nervenärztliches Gutachten;435
9.3.1;23.1 Gutachtenfragen;435
9.3.2;23.2 Quellen der Begutachtung;435
9.3.3;23.3 Zusammenfassung und diagnostische Beurteilung;447
9.4;?24 Beispiel 4: Psychosomatisches Gutachten;456
9.4.1;24.1 Zur Aktenlage;456
9.4.2;24.2 Eigene Untersuchung;458
9.4.3;24.3 Zusammenfassende Bewertung;465
9.4.4;24.4 Zur Beantwortung der Gutachtenfragen;468
10;Teil 7 Standards der Begutachtung (Leitlinie AWMF);474
10.1;?25 Manual zum Leitfaden «Begutachtung der beruflichen Leistungsfähigkeit bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen»;476
10.1.1;25.1 Allgemeines Modell der beruflichen Leistungsfähigkeit;476
10.1.2;25.2 Die diagnostischen Merkmalsbereicheder beruflichen Leistungsbeurteilung;486
10.1.3;25.3 Glossar;533
10.1.4;25.4 Ratingbogen zur Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit;535
10.2;?26 Standards der Begutachtung bei der Beurteilung von Kausalitätsfragen;550
10.2.1;26.1 Rechtliche Grundlagen;551
10.2.2;26.2 Systematik psychoreaktiver Störungen;575
10.2.3;26.3 Gutachtliche Kriterien;592
10.2.4;26.4 Ratingbogen zur Kausalitätsbeurteilung geltend gemachter psychischer Schädigungsfolgen;623
10.2.5;26.5 Verfahren zur Konsensbildung;632
11;Anhang;634
12;Autorinnen und Autoren;652
13;Sachregister;656


1 Die psychosozialen Hintergrundbedingungen von Begutachtungsfragestellungen bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen (S. 25-26)
Wolfgang Schneider

Einleitung

Begutachtungsfragen nehmen in unterschiedlichen Kontexten und Rechtsgebieten eine wachsende Bedeutung ein. Dabei spielen die psychischen und psychosomatischen Erkrankungen eine zahlenmäßig bedeutende Rolle, die sich unter anderem aus den im Folgenden dargelegten Aussagen zur Relevanz dieser Erkrankungen erklärt.

Epidemiologische Schätzungen der WHO gehen davon aus, dass die Jahresprävalenz psychischer und psychosomatischer Erkrankungen der europäischen Bevölkerung bei ca. 30 % liegt (Wittchen und Jacobi, 2005). Aktuelle epidemiologische Daten für Deutschland, die im Rahmen der vom Robert Koch-Institut durchgeführten Studie zur Gesundheit Erwachsener, erweitert um den Zusatzmodul Mental Health (DEGS1-MH; Jacobi et al., 2013) erhoben worden sind, schätzen die Ein- Jahres-Prävalenzrate einer beliebigen psychischen Erkrankung in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung auf 27,7 %. Dabei finden sich jedoch große zahlenmäßige Unterschiede zwischen den einzelnen Störungsgruppen. Die höchste Prävalenz weisen die Angststörungen mit 15,3 % auf, gefolgt von den affektiven Erkrankungen (9,3 %) und den Störungen durch Substanzgebrauch (5,7 %). Zugleich belegt die Studie eine hohe Komorbiditätsrate. Nur etwa die Hälfte der als psychisch erkrankt identifizierten Personen wies nur eine psychische Erkrankung auf. Untersucht in dieser Studie wurde eine repräsentative Stichprobe mit 5317 Erwachsenen im Alter von 18 bis 79 Jahren.

Die Arbeitsunfähigkeitszeiten haben von 1996 bis heute kontinuierlich abgenommen, was wohl als Ausdruck des hohen Druckes auf dem Arbeitsmarkt zu werten ist. Dem gegenüber haben sich die AU-Zeiten für die psychischen und psychosomatischen Erkrankungen in diesem Zeitraum mehr als verdoppelt. Die Dauer der AUSchreibungen wegen psychischer Erkrankungen liegt im Mittel auch deutlich über der Dauer der AU-Zeiten anderer Erkrankungen, wobei darauf hingewiesen werden muss, dass die Zahlen über die Krankenkassen u. a. in Abhängigkeit von der Versichertenstruktur (z. B. dem Alter der Versicherten) variieren. Bemerkenswert ist im Weiteren, dass Erwerbslose nahezu doppelt so häufig arbeitsunfähig geschrieben werden als erwerbstätige Individuen. Die Bedeutung psychischer Erkrankungen im System der medizinischen Versorgung zeigt sich auch darin, dass sich die Verschreibungen von Antidepressiva sich zwischen 2000 und 2010 verdoppelt haben (Techniker Krankenkasse, 2010).

Auch bei den Erwerbsunfähigkeitsrenten stellen die psychischen und psychosomatischen Erkrankungen die zahlenmäßig größte Krankheitsgruppe sowohl in Deutschland als auch in der gesamten EU dar. Bei den Zugängen zu Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit im Jahr 2013 hatten etwa 42 % die Erstdiagnose einer psychischen Erkrankung; 48 % bei den Frauen und ca. 35 % bei den Männern (Bundespsychotherapeutenkammer, 2014). Wenn weiter berücksichtigt wird, dass den psychosozialen Faktoren auch ein großer Einfluss auf die Chronifizierungsprozesse von Organerkrankungen zukommt, ist zu vermuten, dass auch bei Rentenanträgen bei diesen Erkrankungen psychosomatische Faktoren eine wichtige Rolle spielen. Auch bei den Anträgen auf Gewährung einer privaten Berufsunfähigkeitsrente sind die psychischen und psychosomatischen Krankheiten bzw. psychosomatische Komplikationen bei chronischen Organerkrankungen von besonderer Relevanz (s. Kap. 13).

Wenn heute oftmals in unterschiedlichen Foren, den Medien und in der Sozialpolitik formuliert wird, dass psychische Erkrankungen an Häufigkeit zunehmen würden, muss jedoch berücksichtigt werden, dass sich in den letzten zwei Jahrzehnten die öffentliche Sensibilität für die Wahrnehmung und Benennung von psychosozialen Problemen erhöht hat, und dass wohl auch die Kompetenz und Bereitschaft von Ärzten angestiegen ist, eine psychische oder psychosomatische Erkrankung zu diagnostizieren. Im Folgenden möchte ich mich mit den gesellschaftlichen und sozialen Bedingungen der Entstehung und des Verlaufs von psychischen und psychosomatischen Erkrankungen befassen. Diese interagieren vielfältig und hoch komplex und im Einzelfall wird das Bedingungsgefüge psychischer Erkrankungen sowie dessen Auswirkungen auf die psychosoziale Anpassungsfähigkeit des Individuums durchaus verschieden sein. Es geht in den nächsten Abschnitten darum, relevante Akzentuierungen der Wechselwirkung zwischen der Gesellschaft und ihren Institutionen sowie dem Individuum aufzuzeigen, die für die Entstehung, die Chronifizierung und letztlich für den Anspruch bzw. die Motive des Einzelnen von Bedeutung sind, aufgrund seiner Erkrankung eine Rente jedweder Art oder eine Entschädigung zu...


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