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E-Book, Deutsch, 0 Seiten

Schneider Wissen - Glauben - Vertrauen

Aufsätze zu Wissenschaft, Glaube und zu einer Zeitenwende

E-Book, Deutsch, 0 Seiten

ISBN: 978-3-347-76249-7
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Das Heft geht der Frage nach, inweiweit religiöser Glaube und Wissenschaften, insb. die Naturwissenschaften, miteinander zu vereinbaren sind. Das Ergebnis ist, dass beide Bereiche nur wenige Überlappungspunkte haben, die zu Konflikten führen können. Beide Weltsichten sind zu vereinbaren, wenn keine einen Anspruch auf absolute Deutungshoheit erhebt. Das Problem stellt sich nicht auf der Sachebene, sondern in der Akzeptanz der Grenzen beider Disziplinen durch die Rezipienten. Dies erfodert aber vor allem ein Grundwissen über die Methoden, Vorgehensweisen und unhinterfragte Annahmen in beiden Bereichen. Die Aufsätze sind die schriftlich augearbeiteten Versionen von Vorträgen, die der Autor in Kirchengemeinden zwischen 2005 und 2015 gehalten hat.
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Zeitenwende Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde, ich freue mich, dass Sie doch des etwas sperrig wirkenden Themas zum Trotz so zahlreich gekommen sind, um heute und an den folgenden Terminen mit mir gemeinsam über Wissenschaft und Glauben nachzudenken. Wir werden uns dabei auch – ich will besser sagen: zunächst - zu fragen haben, was sich eigentlich zu Beginn des 16. Jahrhunderts und danach zutrug und warum wir uns heute so schwertun, beide Gebiete gemeinsam zu betrachten. Daher wollen wir am Anfang gemeinsam über zwei Bilder nachdenken, die uns Hinweise geben, was damals geschah. Denn Bilder sagen ja bekanntlich mehr als tausend Worte. Die erste Darstellung entstammt der Schedelschen Weltchronik oder auch der Nürnberger Weltchronik aus dem Jahre 1493 (siehe links). Damals hatte sich der durchaus erfolgreiche und sehr naturwissenschaftlich arbeitende Arzt Hartmann Schedel – wenn man es hier etwas scherzhaft ausdrücken darf – in den Schädel gesetzt, eine Weltgeschichte von Beginn der Welt bis zum damaligen „heutigen Tag“ zu verfassen, also vom ersten Schöpfungstag bis in das 15. Jh. hinein. Außerdem gab es einen Ausblick auf den Weltuntergang und das Jüngste Gericht. Wie Sie unschwer erkennen, zeigt unser Bild eine typische mittelalterliche Kosmologie, wie sie sich aus den Vorstellungen der Griechen bis hinab zu Platon unter Einbindung der Schöpfungsgeschichte Genesis 1,1 ff. ergab. In der Mitte findet sich die Erde, der sich nach außen die bekannten Sphären anschließen: Zunächst die Wassersphäre, denn nach Gen. 1,7 f. schied Gott „das Wasser unter der Feste von dem Wasser über der Feste“. Die Feste nannte er aber Himmel. Unsere Wassersphäre liegt also bereits über dem für uns wahrnehmbaren Himmel. Dann folgt nach außen die Luftsphäre und die Feuersphäre. Dann sind wir im Bereich der Himmelskörper: Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter, Saturn – mehr Monde und Planeten kannte man damals noch nicht. Darüber der Fixsternhimmel, angedeutet durch die Tierkreiszeichen. Der schalige Sphärenaufbau der Welt wird abgeschlossen durch den Kristallhimmel (einige Interpreten halten dies für die „Feste“ nach Gen. 1,7. – was aber in Hinblick auf die Wasserverteilung keinen Sinn macht) sowie das „primum mobile“, das „Erste Bewegte“. Diese Sphäre wurde von Ptolemäus (ca. 100 – 160 n. Chr.) eingeführt, um die Bewegung der Himmelskörper verständlich zu machen. Zwar gab es den „ersten Beweger“ bzw. das „erste Bewegte“ schon bei Aristoteles, jedoch nicht als Sphäre in der kosmologischen Modellbildung. Diese Welt, dieses „Geordnete“, nichts anderes heißt „Kosmos“, wird umschlossen von Gott, den Engeln und dem himmlischen Hofstaat. Gott gilt dabei als der „Erste Beweger“. Er hat das primum mobile bewegt, dessen Bewegung sich auf die anderen Sphären überträgt, wobei durch „Reibung“ der Sphären aneinander die Sphärenmusik entsteht. Nur die Erde bleibt unbewegt, da sie am weitesten vom primum mobile entfernt ist. Deshalb können wir auch bis heute die Sphärenmusik nicht hören. Diese Visualisierung, dieses Modell des Weltaufbaus, mischt also biblische Glaubensmotive mit handfesten astronomischen Beobachtungen und führt beide Bereiche in einem Gesamtkonzept, einem Bild zusammen. Die Verteilung der Himmelskörper, die Reihenfolge des Mondes, der Sonne und der damals bekannten Planeten ist nicht zufällig, denn die Reihenfolge entspricht ihrer Entfernung von der Erde. Oder kann es zumindest, denn – wie wir heute wissen – die Reihung kann je nach Position auf den jeweiligen Bahnen um die Sonne wechseln. Aber immerhin, am 25. September 2021 war es wieder soweit: Die Reihenfolge der Planeten entsprach dem Bild der Schedelschen Weltchronik. Und am 23. Mai 2023 um exakt 2 Uhr nachts wird es wieder so sein. Da diese Planetenreihenfolge praktisch in allen Darstellungen der antiken Astronomie auftaucht, könnte man ausrechnen, wann die Vermessungen der „Urfassung“ ausgeführt wurden. Diese Kosmologie hat immer wieder dazu verführt, von einem „geozentrischen“ Weltbild und einer anthropozentrischen Weltordnung mit dem Menschen im eigentlichen Zentrum der Welt zu sprechen. Allerdings kam der Begriff erst sehr viel später auf und ist ein Zeichen von Unverständnis. Im rein astronomischen Sinne mag der Begriff „geozentrisch“ vielleicht korrekt sein, das geistige mittelalterliche Weltbild ist aber mitnichten anthropozentrisch. Die Sphärendarstellung als solche geht, wie bereits angedeutet, auf antike Vorstellungen zurück und weist eine deutliche zentrifugale Polarität auf, die durch die christliche Ikonografie übernommen wurde. Danach ist in der Mitte das Unedelste angesiedelt, und mit jeder höheren Sphäre steigt der „Veredelungsgrad“. Das Vollkommenste ist aber in der äußersten Sphäre und in dem „überhimmlischen Raum“ (nach Platon) repräsentiert. In der Mitte, das, was wir heute als das eigentliche Zentrum ansehen, ist das „Niedrigste“ angesiedelt, der „Abschaum“ des Universums, wenn wir mal etwas drastisch formulieren wollen. Unser Bild ist also nicht anthropozentrisch, sondern deutlich theozentrisch ausgerichtet. Gott ist es, der alles umschließt, der alles bewegt, und die Erde mit ihren Bewohnern befindet sich in maximaler Entfernung zu Gott. Die Darstellung ist Lob Gottes und Anbetung, gemischt mit den astronomischen Kenntnissen der Zeit. Es ist eben keine auf den Menschen hin ausgerichtete Sichtweise, der ja noch nicht einmal dargestellt ist, denn das Bild zeigt ja nur den Planeten Erde. Schauen wir uns nun dagegen eine astronomische Darstellung aus dem 17. Jahrhundert, genauer die Karte des kopernikanischen Systems des Andreas Cellarius (eigentlich Andreas Keller, 1596 – 1665) an. Abb. 2: Visualisierung des kopernikanischen Planetensystems durch Andreas Cellarius aus seiner Harmonia Macrocosmica von 1660 (Quelle: wikimedia commons, gemeinfrei). Äußerlich bestehen gewisse Ähnlichkeiten zwischen beiden Darstellungen. Sphärenähnliche Gebilde tragen die Planeten, die um die Sonne kreisen, wobei der Erdmond und die vier damals bekannten Jupitermonde mit dargestellt sind und damit die neuen astronomischen Kenntnisse vervollständigen. Wie bereits angedeutet, laufen die Planten in breiten Bahnen, die zwar jeweils gegeneinander abgegrenzt sind, sich jedoch berühren. Die moderne Visualisierung von Planetenbahnen durch dünne Striche war noch nicht gegeben, die Vorstellung eines in erster Linie leeren Raumes zwischen den Himmelskörpern war noch nicht wirklich realisiert. Hier wirkt noch die Sphärenvorstellung nach, die bis weit in das 16., ja sogar das 17. Jh. hinein noch tradiert wurde. Dementsprechend wird das Planetensystem von der Fixsternsphäre umfasst und abgeschlossen, die wieder durch die Tierkreiszeichen symbolisiert ist. Und dann? Kein Kristallhimmel mehr, kein primum mobile – und kein Gott mehr. Stattdessen schon fast aufreizend selbstbewusst Ptolemäus links und Kopernikus rechts. Statt Gott nun der Mensch als der Fluchtpunkt der gesamten Darstellung. War die Visualisierung in der Schedelschen Weltchronik theozentrisch, so müssen wir hier bei gleicher radial-polaren Lesart eine deutliche Anthropozentrik feststellen. Den Menschen als erkennendes Subjekt gilt es herauszustellen, zu feiern und quasi in die Gottessphäre zu erheben. Was der Mensch erkennt, ist allein würdig, betrachtet zu werden. Immer wieder überbieten sich Theologen und Wissenschaftler in der Aussage, dass mit dem Beginn der Aufklärung und dem Herausdrängen Gottes die anthropozentrische Sichtweise zugunsten einer alle Geschöpfe und Erscheinungen umfassenden Weltschau aufgegeben werden musste. Freud sieht das als eine der großen Beleidigungen der Menschheit. Wirklich? Ich biete Ihnen eine andere Sehweise an: Mit dem Herausdrängen Gottes, mit der Aufklärung, dem Humanismus und anderen Entwicklungen setzte ein massiver und rigider Anthropozentrismus ein. Nicht Beleidigung trat ein, sondern Hochmut. Heutzutage werden die Erkenntnisse des Menschen oftmals als die letztendlich bestimmenden Größen und Orientierungspunkte verstanden. Zu keiner Zeit, so mein Argument, hat es größeren Anthropozentrismus gegeben als in der Renaissance, der Aufklärung und den Jahrhunderten danach. Das ist der Unterschied zwischen dem Mittelalter und der Neuzeit – und so sieht der Planet auch aus! Die Menschheit und damit die ganz Welt gelangte in ein neues Zeitalter: Das Anthropozän. Letztendlich hat die Wissenschaft diesen Begriff geprägt und damit zum Ausdruck gebracht, was nicht nur in den Wissenschaften gilt. Verstanden sich die frühen Vertreter der modernen Naturwissenschaften – Galilei, Kepler, Newton um nur drei besonders bekannte Vertreter zu nennen – durchaus als gläubige Christen, die sich mit der Natur befassten, so wurden im Laufe der Zeit die Verständigungsschwierigkeiten zwischen der...


Dr. Gerald Schneider, Jahrgang 1954, studierte Biologische und physikalische Ozeanografie sowie Zoologie an der Christian-Albrechts-Universität Kiel, 1981 Diplom, 1985 Promotion. 1981 bis 1998 am Kieler Institut für Meereskunde (heute GEOMAR) und der Biologischen Anstalt Helgoland tätig. Lehrbeauftragter am Institut für Meereskunde. Nach 1998 bis 2020 in einem Wirtschaftsunternehmen im Bereich der Arbeitswissenschaften tätig. Der Autor ist Mitglied der Apostel-Kirchengemeinde, Kiel.


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