Schöfer | Der gläserne Dichter | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 143 Seiten

Schöfer Der gläserne Dichter

Eine Besichtigung

E-Book, Deutsch, 143 Seiten

ISBN: 978-3-943941-32-6
Verlag: Dittrich Verlag ein Imprint der Velbrück GmbH Bücher und Medien
Format: EPUB
Kopierschutz: Kein



Zahlreich sind in den vergangenen Jahrhunderten die Zeugnisse über die Entbehrungen, die manchmal sogar lebensgefährdenden Anstrengungen der Autoren bei der Herstellung ihrer Kunstwerke. Der gläserne Dichter ist ein Buch, das anschaulich macht: Kunst geht aufs Ganze.
Der Dichter, dessen Existenzweise Erasmus Schöfer hier erkundet, wird einer Analyse unterworfen, die wie eine Computertomografie den Autor seziert - bis in die feinsten und geheimsten Antriebe und Bedingungen seines Lebens. Es ist eine unbarmherzig radikale Expedition in das Dasein dieses namenlosen Künstlers. Das Motiv der Forschungsreise ist, die psychischen, die materiellen und sozialen Widerstände aufzudecken, die dem Gelingen eines Kunstwerks in aller Regel entgegenstehen, deren Spuren aber meist aus ihnen getilgt sind, wenn es denn gelungen ist.
Künstlerbiografien, selbst oder fremd verfasste, haben es bisher kaum gewagt, die Schaffensbedingungen künstlerischer Arbeit aus solch schonungsloser Nähe auszuleuchten. Zu Schöfers bitter-ironischem Porträt gehört die Schilderung sowohl des alltäglich-banalen Arbeitskampfes des Dichters am Schreibtisch mit seinen eigenen Schwächen, mit seinem Text und seiner Sprache, als auch seines Kampfes mit den Menschen und Kräften, die in der gesuchten Öffentlichkeit, dem Literaturmarkt, der Gesellschaft, eine Anerkennung und Wirkung seines Werks behindern.
Dabei geht es Schöfer nicht um eine Zeichnung der erfolgverwöhnten Großschriftsteller - obwohl auch deren Existenz (gut verheimlicht) ähnliche Merkmale aufweisen dürfte -, sondern eher um Dichter, deren Werk erst spät oder nach ihrem Tod gerühmt, in seinem Wert und seiner Wahrheit erkannt wird.
Der hier geschilderte Dichter ist kein versponnener Romantiker. Er ist ein Realist, scharfsichtig und selten barmherzig gegenüber sich selbst und der Welt, in die er geboren worden ist.
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Kritik ist das eine. Zuspruch das andre: Jeder Mensch braucht Anerkennung. Zugunsten ehrlich bemühter Lehrlinge in der Schreibwerkstatt der Volkshochschule, die er seit Jahren gegen geringes Entgelt leitete, spendete er gerne verdientes Lob; er befürwortete sogar unberechtigtes Loben, wenn bei seinen Schülern Ansätze erkennbar waren, die Grund zu Ermutigung gaben. Er selbst wollte von Kollegen nicht gelobt sein. Lob sei unprofessionell, herablassend, lehrhaft, bekundete er. Meister tauschen ihre Erfahrungen aus, vergleichen Arbeitsergebnisse, beurteilen Leistungen im Verhältnis zur Aufgabe und zum Aufwand. Hatte er ein Kapitel, einen Akt, einen Artikel zumindest vorläufig vollendet, so wünschte er allerdings jenes erste kritische Echo, das ihm am bequemsten seine Frau liefern konnte. Sie war am schnellsten erreichbar. Wie viel Neugier und Bereitwilligkeit sie auf seine Frage hin zeigte, ob sie mal eben seinen frischen Text überfliegen könne, war schon eine Vorentscheidung über das Klima des späteren Gesprächs. Nicht selten gab sie an, heute absolut keine Zeit zu haben, und da er wusste, dass jeder Mensch so viel Zeit für eine Sache erübrigt, wie er sie als wichtig erachtet, war eine solche Mitteilung für ihn, auch wenn sie im charmantesten, verständnisheischenden Ton vorgebracht wurde, ein durchaus unfreundlicher Akt. Eine Missachtung seiner Arbeit, die er nicht leicht wegsteckte, gerade von einem so nahen, ihm eng verbundenen Menschen. Nicht dass er bedingungslose Hingabe gefordert hätte, aber wie sollte er von fremden Lesern ein Interesse erwarten, wenn schon Olga so verhalten und abwägend reagierte? Er konnte den entstandnen Unmut abschwächen mit dem selbstbeschwichtigenden Hinweis, dass auch sie ihren kräftezehrenden Beruf ernstnahm und sich auf die Unterrichtsstunden vorbereiten musste, doch eine Gefühlsverstimmung blieb. Eine andre Vertrauensperson ersatzweise zu wählen war kein erfolgversprechender Ausweg – da wäre mit noch längeren Wartezeiten zu rechnen. Er könnte nur höflich bitten, nicht jedoch den psychischen Druck ausüben, den er bei seiner Frau anzuwenden wusste. Etwa indem er den versprochnen Sonntagsausflug nur nach Fertigstellung des Textes unternehmen zu können erklärte. Oder indem er einen besonders leidenden Gesichtsausdruck anlegte. Oder ein von ihr aufwendig gekochtes Abendessen aufgrund vorgegebener Appetitlosigkeit verschmähte. Es passierte auch, dass sie sich zum Lesen unmittelbar bereit erklärte, nach der Tagesschau zum Beispiel, wenn ihre Schulvorbereitungen halbwegs beendet waren. Das galt ihm zumindest als anerkennenswerter Ausdruck des guten Willens oder besser: der nötigen Einsicht in die Erfordernisse des Lebens mit einem hauptberuflichen Dichter. Ein Gelingen des Vorhabens war mit solchem Versprechen noch nicht garantiert. Unter Umständen war sie dann einfach zu müde, um noch einen vernünftigen Gedanken zu fassen oder der Tagesschau folgte ein unwiderstehlicher Expeditionsfilm aus Alaska oder, verhängnisvoller für den Beziehungsfrieden, sie nickte beim Lesen des Manuskripts ein und erklärte schließlich demonstrativ betrübt, dass sie die Augen beim besten Willen nicht mehr offen halten könne und sich im Interesse einer aufmerksamen Lektüre seines Textes am nächsten Nachmittag damit befassen werde. Gegen das Argument Müdigkeit war er machtlos. Auch er wünschte eine hellwache Kritikerin. Erbitternd aber die augenscheinliche Tatsache, dass sein Text nicht die Kraft besessen hatte, sie wachzuhalten. Er vermutete den Fehler nicht in seiner unausgegorenen oder zu komplizierten Schreibe – viel plausibler war die Annahme, dass die eher erdnahe Gattin eben doch literarisch nicht hinreichend motiviert und sachkundig war, um durch welche Literatur auch immer aufgemuntert zu werden. Im günstigen Fall aber las sie aufmerksam Blatt für Blatt, nutzte öfter den von ihm zurechtgelegten Bleistift zum Anstreichen ihr fraglicher Passagen, stellte auch einzelne eher oberflächliche Verständnisfragen, die er prompt kurz beantwortete (um ihren Lesefluss nicht aufzuhalten), und notierte auf einem ebenfalls bereitgelegten Schmierzettel ihre Gedanken, die sie anschließend ausführlicher mit ihm erörtern wollte. Während sie las, beschäftigte er sich am Schreibtisch mit unerledigten Briefen, sah Verlagsprospekte durch oder säuberte die Fingernägel. So zeigte er, dass er zwar wartete, aber doch nicht untätig war und zugleich bereit blieb, auf ihre Fragen zu reagieren. Aus einem Auge beobachtete er, welche Wirkungen der Text auf ihrem Gesicht oder in unartikulierten Äußerungen hervorrief. Er hatte das Gefühl, dass seine halb anteilnehmende Aufmerksamkeit notwendig war für das erwünschte Gelingen ihrer Lektüre, wie die ständige Überwachung der leise köchelnden Speisen durch den diensthabenden Koch. Ein Reiter behält die Zügel in den Händen, selbst wenn er das Pferd frei laufen lässt. Auch meinte er durch seine Anwesenheit das Tempo ihrer Lektüre zu bremsen. So ungeduldig er auf das Ergebnis ihrer Prüfung wartete, so wichtig war ihm doch die Genauigkeit der Durchsicht, die zwar dem langwierigen Schöpfungsprozess nie wirklich angemessen sein konnte, ihn aber auch nicht durch nur beiläufiges Lesen lächerlich machen sollte. Gegen das naturgegebene Missverhältnis zwischen dem so aufwendigen und umwegigen Vorgang der Kunstherstellung und der raschen, augenblicksartigen Aufnahme des fertigen Werks durch den Leser oder Zuschauer sah er kein sinnvolles Heilmittel. Die einzige Kompensation wäre denkbar in der möglichen Wiederholbarkeit und Vervielfachung seiner Einverleibung in Zeit und Raum; ein quantitativer Vorgang allerdings, von dem unerweislich ist, ob er und wie in eine höhere soziale Qualität des Verstehens, in ein nationales oder gar internationales Bewusstsein übergehen würde. Das geschah zwar nicht gerade selten, aber keine literatursoziologische Spielart von Wissenschaft, keine Elefantenrunde von Kritikern, kein NobelpreisKomitee hätte die Ursachen der Entstehung, Veränderung und Dauer des Ruhms auch nur annähernd exakt erklären können. Wenn sie zurückblätterte und schon gelesene Seiten verglich mit dem Text, den sie eben kennenlernte, um sich des Zusammenhangs zu vergewissern, Parallelen oder Querverweise zu erkennen, vielleicht auch nur eine besonders eindrucksvolle Passage nochmals zu genießen, notierte er dies jedenfalls mit intellektuellem Behagen und fühlte sich ihr in neu erwärmter Liebe verbunden. Früher hatte er das Bedürfnis, den frischen Text selbst vorzulesen, um im Zweifelsfall die richtigen Betonungen zu sprechen, ihn auch erstmals zum Klingen zu bringen und zu hören. Davon war er abgekommen, weil er sich ungern durch Fragen unterbrechen ließ und ein vor Augen liegendes Manuskript genaueres Urteilen erlauben sollte als der flüchtige Schall vorgelesner Sätze. Nach der Lektüre stieß Olga gern einen Seufzer aus, dessen Modulation auf raffinierte Weise verschleierte, ob er aus Erleichterung, Befriedigung oder sinnlichem Genuss stammte, den sie aber vorerst nicht erläuterte. Er hielt auch seine Neugier zurück, fragte nicht sofort: Na? oder: Was sagst du? sondern gab ihr Zeit, ihre Stellungnahme gut zu durchdenken. Er hätte zwar gern ein spontanes Toll! oder Mensch! gehört, aber für solche Begeisterungsäußerungen war sie einfach zu bodenständig oder vorsichtig, das wusste er. Wenn er seine Geduld lange genug strapazierte, begann sie schließlich von selbst, nach den Notizen auf dem Schmierzettel vorgehend, einzelne Bagatellvorschläge für Verbesserungen zu machen, für die er gut dankbar sein konnte. Darin war sie sehr hilfreich. Sie entdeckte und befragte auch Widersprüche, die sie zwischen verschiedenen Teilen des Textes zu sehen glaubte, die sich aber meist als Missverständnisse der wirklichen Zusammenhänge aufklären ließen. Unstimmigkeiten des Textes erwiesen sich als vermeintliche durch seine Erläuterungen – was ihn allerdings nicht hinderte, mit Hilfe ihres Notizzettels an solchen Stellen später im Sinne einer weiteren (eigentlich überflüssigen) Verdeutlichung zu feilen. Wirklich schwierig wurde der kritische Verständigungsprozess erst, wenn er nach ihrem Gesamteindruck fragte und sie zögernd und unzusammenhängend, eben aus ihrem mehr oder weniger laienhaften Verständnis, ihre Vorbehalte formulierte. Obwohl sie ihre zweifelnden Gedanken als vorläufige bezeichnete, die dringend einer zweiten, genaueren Lektüre bedürftig, also nicht ernst zu nehmen seien, rutschten ihm diese in den seelischen Bauch, das heißt jenen Schriftstellerteil, aus dem er den Text gezeugt, genährt und eben frisch geboren hatte. Der rebellierte schmerzvoll. Er musste alle Kraft zusammennehmen, um nicht beleidigt zu sein, wurde wortkarg, fast stumm, ließ sich von ihr die fliegenden Blätter zurückgeben und bedankte sich für ihre Mühe mit ungeöffneten Zähnen. Fragte sie ihn, ob er jetzt vergrätzt sei und warum, da sie doch nur seinen Wünschen gefolgt war, musste er kopfnickend bestätigen, dass sie schon alles ganz...


Erasmus Schöfer, 1931 bei Berlin geboren und dort aufgewachsen, hat später in Köln, Freiburg, München, Neuss, in Paris und auf den Inseln Patmos und Ithaka als freier Schriftsteller gelebt. Er arbeitete mehrere Jahre in Berliner und Kölner Fabriken, promovierte in Bonn in Sprachwissenschaft und Philosophie, war einer der Gründer und Vorsitzender des "Werkkreis Literatur der Arbeitswelt", Mitinitiator und Autor des "Industrietheater Der Wahre Anton" und Mitarbeiter im Bundesvorstand des Deutschen Schriftstellerverbandes (VS). Er ist seit 1980 Mitglied des Deutschen P.E.N.-Zentrums. Seine zahlreichen literarischen und publizistischen Arbeiten sind in Theatern, Rundfunkanstalten, Verlagen, Zeitschriften und Zeitungen veröffentlicht worden. Für "Die Kinder des Sisyfos" erhielt Erasmus Schöfer am 25. Mai 2008 den Gustav-Regler-Preis.
Erasmus Schöfer lebt seit dreißig Jahren vorwiegend in Köln.


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