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E-Book, Deutsch, 284 Seiten

Schönberger Auf der Bank

Die Inszenierung der Regierung im Staatstheater des Parlaments

E-Book, Deutsch, 284 Seiten

ISBN: 978-3-406-79160-4
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Die Regierungsbank? Oft hat man sie in den Nachrichten gesehen, sie gehört zum politischen Inventar. Dennoch sollten wir uns hüten, in ihr nichts weiter als belangloses Funktionsmobiliar zu sehen. An der deutschen Regierungsbank lässt sich vielmehr ablesen, wie sehr Prägungen aus der langen Epoche der Monarchie noch hundert Jahre nach deren Untergang in unserer Demokratie nachwirken. Obwohl dort heute gewählte Politiker sitzen, haben die Regierungsplätze auf ihre Weise den früheren Thronraum beerbt und partizipieren weiter an dessen Aura einer überparteilichen Neutralität. Ihre Ansiedlung in hervorgehobener Randlage behindert bis heute den Dialog zwischen Parlamentariern und Regierungsmitgliedern: Sie gibt einer kommunikativen Gehemmtheit Ausdruck, die den Alltag der deutschen Demokratie nach wie vor belastet.
In seiner Studie über die Regierungsbank präsentiert Christoph Schönberger eine ebenso ungewöhnliche wie erhellende Perspektive auf die zentrale Institution unserer Demokratie. Er untersucht, wie verschieden parlamentarische Plenarsäle ihre Regierung in Szene setzen und so jeweils ein besonderes Verständnis von Demokratie ausdrücken: Ob die Regierungsvertreter in die vorderen Abgeordnetenreihen integriert sind (wie in Großbritannien und Frankreich), ob man sie von den Parlamentariern absondert (wie in Deutschland) oder gleich ganz aus dem Plenarsaal verbannt (wie in den USA); ob die ganze Saalarchitektur autoritär auf eine erhöhte Regierungsbank ausgerichtet wird (wie in China) oder die Regierung sich mitten in der Kampfarena der parlamentarischen Debatte wiederfindet (wie in Italien): In ihrer räumlichen Vielfalt erzählen die Plenarsäle eigenwillige Geschichten, denen Schönbergers Buch gewidmet ist.
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Einführung Siebenunddreißig blaue Stühle
Die Regierungsbank? Oft hat man sie gesehen. Ihr Anblick in Abendnachrichten, Zeitungsbildern und YouTube-Clips ist vertraut. Sie gehört zum Inventar. So gewohnt ihr Anblick ist, so wenig Beachtung wird ihr geschenkt. Den wenigsten ist überhaupt bewusst, dass die Regierungsbank in ihrer deutschen Form eine Besonderheit darstellt, die international nur sehr wenige Nachahmer gefunden hat. Die 37 lavendelblauen Sessel, deren Freibleiben bei jeder Kanzlerwahl so effektvoll in Szene gesetzt wird, sind mehr als bloße Funktionsmöbel. Sie sind eine Hinterlassenschaft des Deutschen Kaiserreichs im zentralen Saal der bundesdeutschen Demokratie. Man würde sie grundlegend unterschätzen, wollte man sie allein als belangloses Accessoire, bloße Äußerlichkeit oder entstehungsgeschichtlichen Zufall betrachten. In der Regierungsbank im Plenarsaal unter der gläsernen Kuppel zeigt sich vielmehr, wie sehr Prägungen aus der langen Epoche der Monarchie noch hundert Jahre nach deren Untergang in der bundesdeutschen Demokratie nachwirken. Die Regierungsplätze haben auf ihre Weise den früheren Thronraum beerbt und partizipieren weiter an dessen Aura überparteilicher Neutralität. Ihre Ansiedlung in hervorgehobener Randlage verhindert bis heute den Dialog zwischen Parlamentariern und Regierungsmitgliedern «Auge in Auge» und gibt einer kommunikativen Gehemmtheit Ausdruck, welche die Kontrolle der Regierung durch die Abgeordneten auch unter der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes weiterhin belastet. Will man solche langfristigen Prägungen besser verstehen, bedarf es eines Vergleichs des deutschen Arrangements mit den Plenarsälen anderer Demokratien, einer Analyse der Entwicklungsgeschichte der deutschen Regierungsplätze und nicht zuletzt einer Beobachtung ihrer heutigen praktischen Nutzung. Der genauere Blick auf die Sitzordnung im Plenarsaal ermöglicht eine gleichsam taktile Erfassung der spezifisch deutschen Traditionslinien und Verhältnisse. In der parlamentarischen Raumordnung treten Eigenheiten und Merkwürdigkeiten der Demokratie in der Bundesrepublik besonders hervor und werden im wörtlichen Sinne greifbar. 1. Der Plenarsaal als symbolischer Ort
Demokratie braucht Orte. Die Bürger selbst oder ihre gewählten Repräsentanten müssen sich versammeln, um über die gemeinsamen Angelegenheiten zu beraten und zu entscheiden. Im kollektiven Gedächtnis des Westens stehen dafür der Marktplatz von Athen und der Palast von Westminster. An diesen Plätzen kommen Wort und Ort zusammen. Der Plenarsaal des Parlaments ist der zentrale Ort der Demokratie. Solche Orte sind nicht lediglich Gehäuse praktischer Notwendigkeit.[1] Sie beschäftigen nicht allein Bauverwaltungen und Architekten, die sich mit den Problemen von Lüftung, Heizung, Beleuchtung und Akustik herumschlagen müssen, welche ein Versammlungsort von mehreren hundert Menschen nun einmal naturgemäß aufwirft. Ohne diese architektonische Bauaufgabe gering zu schätzen, ist der Plenarsaal doch immer mehr als eine nur bautechnische Herausforderung. Die jeweilige Verfassung verdichtet sich vielmehr in diesem Raum und wird dort anschaulich. Die Topographie des Plenarsaals ermöglicht physisch das parlamentarische Geschehen und prägt zugleich die Vorstellungen, welche sich Teilnehmer und Zuschauer davon machen.[2] Ihre gemeinsame körperliche Präsenz macht die Positionierung der Beteiligten im Raum nötig. Bei jeder Versammlung entscheidet deshalb die Raumdisposition zu einem guten Teil darüber, in welcher Weise sie tätig werden kann.[3] Wie Sitze und Pulte angeordnet sind, etwa in Stuhlreihen hintereinander nach dem Vorbild von Konzert oder Theater, wer erhöht sitzt, wie weit der «Vorstandstisch» von den übrigen Teilnehmern entfernt ist, ob der Saalboden flach ist oder ansteigt: All das sind Umstände, welche die Interaktion der Anwesenden maßgeblich beeinflussen und in denen sich zugleich Grundvorstellungen von der jeweiligen Versammlung ausdrücken.[4] Da der Plenarsaal das Verfassungsgefüge unweigerlich nichtsprachlich ausdeutet, hat er – wie alle Architektur[5] – stets eine symbolische Bedeutung, die über seine alltägliche Funktionalität hinausweist.[6] Ein besonderes Gespür dafür haben nicht zuletzt die Gegner der Demokratie, wenn sie zum Sturm auf das Parlament blasen wie Oberstleutnant Tejero am 23. Januar 1981 in Madrid oder der von Präsident Donald Trump entfesselte Mob auf dem Kapitol in Washington am 6. Januar 2021.[7] Symbolische Bedeutung haben Plenarsäle auch und gerade für Deutschland. Zwar verzichtet der Deutsche Bundestag ähnlich wie die anderen Verfassungsinstitutionen der Bundesrepublik weitgehend auf jenen Pomp und Prunk, der die Parlamente und Plenarsäle vieler europäischer Nachbarstaaten nach wie vor kennzeichnet. Keine Königin eröffnet hier feierlich auf ihrem Thron die Sitzungsperiode wie in Großbritannien, keine Garde begleitet den Parlamentspräsidenten in schimmernder Wehr bis an die Schwelle des Plenarsaals wie in Frankreich.[8] Auch wenn der Bundestag seit dem Umzug von Parlament und Regierung von Bonn nach Berlin wieder hinter den schweren Mauern des wilhelminischen Reichstagsgebäudes tagt, das nach seinem Umbau mit gläserner Kuppel ein eigenes Charisma entwickelt hat,[9] ist sein Plenarsaal doch vergleichsweise schmucklos gehalten und entspricht dem eher zurückgenommenen Staatsstil, der die Bundesrepublik über Jahrzehnte geprägt hat. Es wäre aber kurzschlüssig anzunehmen, im Verzicht auf äußeren Prunk liege gleichzeitig der Verzicht auf die symbolische Kraft des Sitzungssaals überhaupt. Vielmehr wirkt der Raum vielleicht sogar umso stärker auf seine Nutzer und Betrachter ein, je weniger er sich aufdringlicher äußerer Zeichen bedient. Die häufige mediale Verbreitung von Bildern aus dem Plenarsaal mag allerdings den ersten Zugang zu dessen symbolischer Bedeutung sogar eher erschweren, weil der Raum auf routinierte Weise vertraut erscheint. Auch und gerade für Parlamentssäle gilt Hegels Einsicht: Das Bekannte ist darum, weil es bekannt ist, noch keineswegs erkannt.[10] Es wäre jedenfalls eine einfältige und falsche Vorstellung von Modernisierung, nähme man an, der Plenarsaal ginge in der modernen Massendemokratie in purer Funktionalität auf und habe jede symbolische Bedeutung abgestreift. Sicherlich waren die Sitzarrangements parlamentarischer Versammlungen in der vormodernen Epoche ungleich bunter und handgreiflicher symbolisch aufgeladen als heute, zumal damals die verfassungsrechtliche Stellung der Akteure eng mit ihrem sozialen Rang zusammenhing. So stritten im Reichstag des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation über Jahrhunderte hinweg Bischöfe, Kurfürsten, Fürsten und Reichsgrafen um Plätze, Rang und Stimme, um höhere oder niedrigere, vordere oder hintere Bänke,[11] bevor sie die Dinge dann im dunklen Regensburger Sitzungssaal «auf die lange Bank» schoben.[12] Dieses zeremonielle «Staatstheater»[13] ist aber nicht allein die Vergangenheit alteuropäischer Adelsgesellschaften, deren pittoreske Fremdheit aus der zeitlichen Ferne zu bestaunen wäre. Auch die politischen Systeme der demokratischen Moderne kennen ihre besonderen Rituale,[14] nicht zuletzt in den Parlamenten.[15] So spricht auch der heutige Plenarsaal des Deutschen Bundestages seine eigene Zeichensprache und bietet die zentrale Bühne für die Inszenierung der Demokratie. Als architecture parlante deutet er auf seine Weise das Verfassungsgefüge der Bundesrepublik aus und gestaltet dadurch die Interaktion zwischen den politischen Akteuren mit. Seine Raumarrangements und Möblierungen sind Teil einer «Verfassung der Dinge», die zur geschriebenen Verfassung hinzutritt und deren Verständnis mitprägt. Die Konzentration auf den Plenarsaal als Raumdispositiv mag freilich Skeptiker aus den verschiedensten Richtungen auf den Plan rufen. Der positivistische Verfassungsjurist wird einwenden, maßgeblich sei doch nicht der physische Verhandlungsraum, sondern die Verfassung und die parlamentarische Geschäftsordnung. Eine Politikwissenschaftlerin könnte zu bedenken geben, es komme in erster Linie auf Parteien, Fraktionen und gouvernementale Praktiken an. Aus der Sicht eines marxistischen Gesellschaftstheoretikers erschiene die Plenararchitektur schließlich wohl als bloßes Oberflächenphänomen, während als eigentlich bestimmend allein die sozioökonomischen Tiefenstrukturen der jeweiligen Gesellschaft gälten. Wenn Beobachter so durch den Plenarsaal gleichsam hindurchsehen, schwingt bewusst oder unbewusst die seit der Französischen Revolution...


Christoph Schönberger ist Professor für Staatsrecht, Staatsphilosophie und Recht der Politik an der Universität zu Köln. Zuletzt veröffentlichte er mit Sophie Schönberger den Band "Die Reichsbürger. Eine neue verfassungsfeindliche Bewegung zwischen Staatsverweigerung und Verschwörungstheorie" (2020). Zuvor hat er gemeinsam mit Matthias Jestaedt, Oliver Lepsius und Christoph Möllers eine kritische Studie zum Bundesverfassungsgericht publiziert ("Das entgrenzte Gericht", 2011).


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