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E-Book, Deutsch, Band 6538, 189 Seiten

Reihe: Beck Paperback

Schönberger Die Reichsbürger

Ermächtigungsversuche einer gespenstischen Bewegung

E-Book, Deutsch, Band 6538, 189 Seiten

Reihe: Beck Paperback

ISBN: 978-3-406-80751-0
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Am 7. Dezember 2022 rückten mehr als 3 000 Polizisten zur wohl größten Anti-Terror-Razzia in der Geschichte der Bundesrepublik aus. Sie verhafteten die Rädelsführer einer Gruppe aus dem Reichsbürgermilieu, die einen gewaltsamen Umsturz der Regierung geplant hatte. Wer aber sind diese Reichsbürger, die die Bundesrepublik nicht als legitimen Staat anerkennen und sich immer noch im Deutschen Reich wähnen? Die Verfassungsrechtler Sophie und Christoph Schönberger betrachten in ihrem neuen Buch die historischen Wurzeln der Reichsbürgerszene, die zu den Besonderheiten der deutschen Teilung zurückführen, und beleuchten das vielfältige Spektrum ihrer gegenwärtigen Erscheinungsformen. Zugleich bleibt das Buch nicht bei intellektuellem Ressentiment und Kopfschütteln stehen, sondern gelangt zu einer originellen Deutung des Phänomens, weil es die Anziehungskräfte ernst nimmt, die hier am Werk sind.

Das kuriose Auftreten der Reichsbürger verleitet dazu, sie als marginal und lächerlich abzutun. Christoph und Sophie Schönberger zeigen demgegenüber, dass die wachsende Szene von paradigmatischer Bedeutung für die gegenwärtige Bedrohung der Demokratie ist. Denn so gestrig die Reichsbürger durch ihren Bezug auf das vergangene Reich auch erscheinen mögen: Sie erweisen sich als ein durch und durch zeitgeistiges Phänomen unserer individualisierten Gesellschaft. Auf verbreitete Erfahrungen von Haltlosigkeit und Ohnmacht reagieren sie mit der Erfindung eines imaginären Rechts, das ihnen als Mittel zu einer radikalen Selbstermächtigung dient. Damit rühren sie nicht nur an die Grenzen des Verständlichen, sondern auch an die Grenzen staatlicher Macht.
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II. «Mein Reich komme»: Die Reichsfantasie der Reichsbürger
1. Das Deutsche Reich als Sehnsuchtsort
Will man die Reichsbürger besser verstehen, muss man zunächst einmal ihr entstehungsgeschichtlich zentrales Ideologiebruchstück näher in den Blick nehmen: den Bezug auf das Deutsche Reich. Das Reich war einmal ein deutscher Sehnsuchtsort. Im vielschichtigen und konfessionell gespaltenen Deutschland des neunzehnten Jahrhunderts deutete es auf eine politische und zugleich geistig-spirituelle Einheit hin, die voller Verheißung war.[1] Je weniger die tatsächlichen Verhältnisse als befriedigend erlebt wurden, umso stärker wirkte einst die Vision des Reiches. Das galt insbesondere noch einmal während der Jahre der Weimarer Republik nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg.[2] So verkündete der nationalistische Publizist Arthur Moeller van den Bruck in den 1920er Jahren, das «Endreich» sei «immer verheißen. Und es wird niemals erfüllt.»[3] In historischer Perspektive ist es daher nicht völlig überraschend, dass die Reichsbürger ausgerechnet das Reich zum Fluchtpunkt ihrer Ideologie erkoren haben. Zugleich wirkt der normative Bezug auf die Reichsidee in der Gegenwart skurril, befremdlich, seltsam aus der Zeit gefallen oder sogar politisch suspekt.[4] Das hängt damit zusammen, dass die Reichsidee ihre frühere Bedeutung im deutschen politischen Allgemeinbewusstsein seit 1945 verloren hat. Nach dem Zusammenbruch des «Dritten Reiches»[5] büßte das Reich seine pseudoreligiöse Bedeutung des Verheißenen und Unabgegoltenen ein. Selbst der Traditionsname «Deutsches Reich», im Ausland ohnehin mehr denn je misstrauisch beäugt,[6] verschwand damals innerhalb weniger Jahre aus dem öffentlichen wie regierungsinternen Sprachgebrauch.[7] Nur in kleinen rechtskonservativen bis rechtsextremen Zirkeln und Gruppen im Nachkriegsdeutschland hielt sich noch die Vision eines dort vor allem völkisch verstandenen Reiches der Deutschen.[8] So bekannte sich die 1949 gegründete Sozialistische Reichspartei (SRP), die das Reich mit trotzigem Stolz bereits im Namen führte, programmatisch zu einer völkischen Reichsidee, die sie dem aus ihrer Sicht illegitimen Bonner Regime der «Lizenzparteien» entgegenhielt.[9] Ihr Chefideologe Gerhard Krüger (1908–?1994), ein früherer NSDAP-Funktionär, verfasste in britischer Lagerhaft den 1952 erschienenen Traktat «Das unzerstörbare Reich», in dem er die Reichsidee als unveräußerlich bezeichnete. Jeder einzelne müsse das Reich in sich bewahren, «damit es unzerstörbar bleibt und unverlierbar, solange es deutsche Menschen gibt, in deren hungernder Seele die große Sehnsucht vom Reich dichtet und singt». Auf diese Weise werde das im Innern bewahrte Reich «einstmals nach außen treten … als das Reich der Tat».[10] Der ideologische Bezug der SRP auf die Reichstradition schloss wie selbstverständlich das Reich Hitlers ein. Die SRP sah deshalb im früheren Oberbefehlshaber der Kriegsmarine Karl Dönitz (1891–?1980), den Hitler testamentarisch zu seinem Nachfolger ernannt hatte, das Staatsoberhaupt des weiterhin bestehenden Deutschen Reiches.[11] Parteipolitisch sollte diese Form der Reichsverherrlichung allerdings bald ein jähes Ende finden. Im Herbst 1952 wurde die SRP, die bei der niedersächsischen Landtagswahl 1951 immerhin elf Prozent der Stimmen erreicht hatte, vom gerade neu errichteten Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt und verboten.[12] Knapp 25 Jahre später griff der Rechtsanwalt Manfred Roeder (1929–?2014) diese Idee jedoch in anderer Form wieder auf. Roeder war in jüngeren Jahren zunächst als konservativer Aktivist aufgetreten, radikalisierte sich ab Beginn der 1970er Jahre dann zunehmend und begann, sich offen rechtsextremistisch zu betätigen.[13] Zu seinem Programm gehörte insbesondere die Wiedererrichtung des Deutschen Reiches, wie es vor der Kapitulation im Mai 1945 bestanden hatte. Im Jahr 1975 führte Roeder einen Briefwechsel mit dem 84-jährigen Dönitz, den er weiterhin als Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches betrachtete und in seine Pläne einbinden wollte. Der frühere Großadmiral war in Nürnberg als Kriegsverbrecher zu zehnjähriger Haft verurteilt worden und hatte sich nach deren Verbüßung in Aumühle bei Hamburg niedergelassen. Dönitz erklärte Roeder in dieser Korrespondenz allerdings ausdrücklich, «daß ich mich nicht als Reichspräsident des Deutschen Reiches betrachte».[14] Parallel zu diesem Briefwechsel berief Roeder für Mai 1975, dreißig Jahre nach der Verhaftung von Dönitz durch die Alliierten in Flensburg, einen «Reichstag» in das «Deutsche Haus» in Flensburg ein. Die Veranstaltung, die Roeder trotz eines Versammlungsverbots durchführte, wurde von der Polizei aufgelöst. Im Mai 1978 ernannte die von ihm selbst gegründete Gruppe «Freiheitsbewegung Deutsches Reich» Roeder schließlich zum «Reichsverweser». In dieser Funktion beanspruchte er die Vertretung des Deutschen Reiches für sich. Wenig später ging er in den terroristischen Untergrund und beteiligte sich an verschiedenen rechtsterroristischen Anschlägen, wofür er später zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde.[15] Zur heutigen Reichsbürgerbewegung existieren insofern gewisse Ähnlichkeiten in der Argumentation, als auch Manfred Roeder von der Idee eines fortbestehenden, aber handlungsunfähigen Deutschen Reiches ausging, dessen vorläufige Vertretung er für sich beanspruchte. Damit enden aber auch schon die Gemeinsamkeiten. Denn Roeders Reich war schlicht das «Dritte Reich», dessen Fortbestand er durch die behauptete Amtsübertragung von Hitler auf Dönitz und seinen persönlichen Kontakt mit diesem zu konstruieren versuchte. Diese rechtsextreme Kontinuitätsfantasie durch persönliche Ämtersukzession spielt für die heutige Reichsbürgerszene hingegen keine ersichtliche Rolle. Das liegt auch daran, dass die Behauptung einer persönlichen Ämterkette sich im Jahr 1980 endgültig erledigt hat, als Karl Dönitz im Alter von fast 90 Jahren starb. In einem nach seinem Tod an Bundespräsident Karl Carstens übermittelten handschriftlichen «Politischen Testament» vom 8. Mai 1975 «übertrug» dieser damals das Reichspräsidentenamt auf den Bundespräsidenten.[16] So sehr durch Dönitz’ «Politisches Testament» noch ein letztes Mal die kuriose rechtsextreme Fantasie spukte, es gebe in seiner Person durch Hitlers Testament eine Amtsstellung als Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches, die er seinerseits durch Testament «übertragen» könnte, so sehr endete doch durch seinen Tod und sein Testament jede Möglichkeit, noch irgendeine persönliche Ämtersukzession nach Hitler zu behaupten. Seit den 1980er Jahren verlor die Fixierung auf das Deutsche Reich denn auch im engeren Bereich des Rechtsextremismus ihre vorherige zentrale Bedeutung und wurde immer stärker durch Kampagnen gegen eine vermeintliche «Überfremdung» durch Zuwanderung abgelöst.[17] 2. Das Deutsche Reich zwischen Juristenobsession und rechtlicher Mumie
Die rechtsextremistische Reichsfantasie blieb in der Bundesrepublik immer marginal. Dennoch sank das Deutsche Reich in Westdeutschland auch nicht einfach in eine zunehmend entfernte Vergangenheit ab, um allein noch von Historikern verwaltet zu werden. Das verhinderten die (west-)deutschen Juristen des Staats- und Völkerrechts. Seit der frühen Nachkriegszeit propagierten sie fast einhellig die Auffassung, das Deutsche Reich sei durch den Zusammenbruch vom Mai 1945 nicht untergegangen, sondern bestehe rechtlich fort. Diese Rechtsauffassung vom Fortbestand des Deutschen Reiches vertraten Regierungen, Verwaltungen und Gerichte der Bundesrepublik wenig später jahrzehntelang wie selbstverständlich. Es ist diese «amtliche» westdeutsche Fortbestandslehre, an die heute die Reichsbürger auf ihre Weise anknüpfen. Der Fortbestand des Deutschen Reiches als westdeutsches Juristenkonstrukt
Die Auffassung, das Deutsche Reich existiere rechtlich weiter, stand allerdings von Anfang an in einem starken Spannungsverhältnis zur Realität. Denn tatsächlich gab es seit dem Zusammenbruch und der Besetzung Deutschlands durch die Alliierten keine Institutionen des Deutschen Reiches mehr, und diese wurden auch später zu keinem Zeitpunkt mehr wiederbelebt. Die juristische Behauptung, das Deutsche Reich bestehe dessen ungeachtet fort, war deshalb seit dem Mai 1945 auf...


Christoph Schönberger ist Professor für Staatsrecht, Staatsphilosophie und Recht der Politik an der Universität zu Köln.

Sophie Schönberger ist Professorin für Öffentliches Recht, Kunst- und Kulturrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Ko-Direktorin des Instituts für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung.


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