Schreiber | Die Lager von Schwaz 1944 - 1988 | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 284 Seiten

Schreiber Die Lager von Schwaz 1944 - 1988

NS-Zwangsarbeiterlager - Entnazifizierungslager Oradour - Flüchtlingslager St. Margarethen - Armenlager Märzensiedlung

E-Book, Deutsch, 284 Seiten

ISBN: 978-3-7065-6356-7
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



1944 bauten die Nationalsozialisten zwei Kilometer im Inneren des Bergwerks der Stadt Schwaz eine Fabrik. Ausländische Zwangsarbeiter fertigten in dieser Messerschmitthalle Teile des Düsenjägers Me 262.

In eines der Schwazer Zwangsarbeiterlager sperrte die französische Militärregierung ehemalige Nazis ein. Sie nannte das Lager "Oradour", nach jenem Ort, wo die SS Hunderte ermordet hatte.

1948 bevölkerten Vertriebene und Geflüchtete das Lager, ab Herbst 1954 randständige, wohnungslose und armutsbetroffene Menschen. Aus "Oradour" wurde St. Margarethen, aus dem Flüchtlingslager die Märzensiedlung: ein Schandfleck vor den Toren der Kulturstadt Schwaz. 1988 entfernte ihn die Gemeinde – 44 Jahre nach dem Erstbezug des Lagers in der NS-Zeit.

Die Lager stehen nicht mehr, die Erinnerungen verblassen, die Erzählungen stocken, was bleibt, sind Gerüchte. Das Buch von Horst Schreiber stärkt das Gedächtnis und ermutigt zu sprechen. Nicht nur über die Nazizeit.
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Das Entnazifizierungslager Oradour 1945–1948
Das Massaker von Oradour-sur-Glane Um zu verstehen, weshalb die französische Besatzungsmacht das NS-Zwangsarbeiterlager bei Buch „Oradour“ nannte, nachdem sie es in ein Entnazifizierungslager verwandelt hatte, muss kurz auf die Ereignisse in dieser Gemeinde eingegangen werden. Unter der Führung des SS-Brigadeführers Heinz Lammerding wurde die 2. SS-Panzer-Division „Das Reich“ im April 1944 in die Stadt Montauban, nahe von Toulouse, verlegt. Ihre Aufgabe war es, den französischen Widerstand unter Anwendung von Terror gegen die Zivilbevölkerung zu bekämpfen. Die Division hatte an der Ostfront umfangreiche Erfahrung im Einsatz gegen Partisanen gesammelt. Sie bestand aus ideologisch überzeugten SS-Offizieren und glich ihre personellen Verluste in Frankreich durch meist zwangsrekrutierte „Volksdeutsche“ aus Rumänien, Ungarn und dem Elsass aus, die in der Regel nicht älter als 18 Jahre waren und in aller Schnelle für den Kriegsdienst eingeschult wurden. Nach der Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944 startete die Résistance zahlreiche Aktionen in Zentralfrankreich. Die Kämpfer besetzten mehrere Kleinstädte, töteten in Tulle 120 deutsche Soldaten und verstümmelten ihre Leichen. Die 2. Panzer-Division der Waffen-SS „Das Reich“ erhielt den Befehl, die französische Widerstandsbewegung im Limousin zu zerschlagen. Ihre brutalen Methoden zeigten sich in Tulle, dort nahm die Panzer-Division blutige Rache. Sie erhängte am 9. Juni 1944 auf den Straßen der Stadt 99 Männer zwischen 18 und 45 Jahren, 140 Personen deportierte sie.190 Die Wehrmachtsführung hatte tags zuvor einen Runderlass herausgegeben, darin ordnete sie „schärfste Maßnahmen“ und „rücksichtslose Härte“ an. Ziel war es, die Bevölkerung abzuschrecken und sie abzuhalten, der Résistance Rückhalt zu geben.191 Die Repressionsmaßnahmen, die Gestapo und SS, unterstützt von Milizen des mit Deutschland verbündeten Vichy-Regimes, durchführten, sahen so aus: „Zusammentreiben von Einwohnern, Hinrichtungen von Geiseln, Plünderungen und Brandstiftungen.“192 Standen die Verbrechen in Tulle noch in einem Zusammenhang mit dem militärischen Kampf gegen die Résistance, der befohlenen Abschreckung der Zivilbevölkerung und einer barbarischen Vergeltung der Verstümmelung der Leichen deutscher Soldaten, so fehlen derartige Motive bei den Massenmorden in Oradour zur Gänze. Weder ging von dort eine Gefahr für die Besatzungsmacht aus, noch hatten die Menschen im Dorf die französische Widerstandsbewegung unterstützt. Die Auswahl der Gemeinde Oradour und die der Opfer war willkürlich, ohne ersichtlichen Grund und nicht einmal vom Runderlass des Wehrmachtsführungsstabes gedeckt. Am 10. Juni 1944 erreichte die 3. Kompanie des I. Bataillons des SS-Panzer-Grenadier-Regiments 4 „Der Führer“, eine Einheit der 2. SS-Panzer-Division „Das Reich“ unter der Leitung von Bataillonskommandeur, SS-Sturmbannführer Adolf Diekmann, die Gemeinde Oradour-sur-Glane, 22 Kilometer nordwestlich von Limoges gelegen, der Hauptstadt der Region Limousin und des Départements Haute-Vienne. Gegen 14 Uhr umzingelte die SS-Kolonne das Dorf und trieb die Menschen am Marktplatz zusammen. Schon zu diesem Zeitpunkt erschoss sie mehrere Personen. SS-Männer durchsuchten systematisch jedes Haus und sammelten Frauen und Männer ein, die auf umliegenden Höfen und Feldern arbeiteten. Die SS-Soldaten brachten die Männer in Scheunen und Garagen, dort streckten Erschießungskommandos die Gefangenen gegen 17 Uhr nieder. Sie töteten die Verwundeten, bedeckten die Leichen mit Brennmaterialien und Phosphor. Dann zündeten die SS-Angehörigen die Scheunen an und erschossen alle, die sich versteckt hielten oder krank und schwach in ihren Betten lagen. Sie plünderten alle Häuser und setzten sie schließlich auch in Brand. Nur wenige Menschen konnten sich in Sicherheit bringen oder verstecken. Rund 350 Frauen und Kinder sperrte die SS-Einheit in die Kirche, um sie, ebenfalls gegen 17 Uhr, mit Kampfgas oder durch den Einsturz der Gewölbe mit einem Sprengsatz, der in einer Kiste am Altar positioniert war, zu töten. Die Explosion brachte zwar die Fenster zum Bersten und setzte Unmengen an Rauch frei, der zahlreiche Menschen erstickte. Doch die Maßnahmen erzielten nicht die erwünschte Wirkung. Daher schossen die SS-Männer mit Maschinengewehren in die offenen Fenster des Kirchengebäudes und warfen Handgranaten ins Innere. Zuletzt legten sie Feuer, sodass die Kirche in Flammen aufging.193 Nur eine 47-jährige Bäuerin überlebte, von fünf Kugeln getroffen, schwer verletzt. Marguerite Roffanche berichtete: „Ich hatte meine beiden Töchter und den sieben Monate alten Guy bei mir. Neben mir schlief meine fünfjährige kleine Nichte ein. (…) Zwei bewaffnete Deutsche trieben die Frauen und Kinder auseinander, um zwischen ihnen hindurchgehen zu können. Sie stellten eine etwa 80 Zentimeter lange Kiste vor dem Altar am Ende des Kirchenschiffes auf (…). Einige Augenblicke später ging von der Kiste eine kleine Explosion aus. Schwarzer, beißender und stechender Rauch kam heraus, der die ganze Kirche durchzog. Die Menschen bekamen Erstickungsanfälle. (…) Ich flüchtete mit meinen zwei Töchtern und dem Enkelkind in die Sakristei. Da begannen die Deutschen, Feuerstöße in die Fenster der Sakristei abzugeben. Meine jüngste Tochter Andrée wurde neben mir durch Kugeln getötet, die ihre Halsschlagader durchschlagen hatten. (…) Als ich die Flammen sah, lief ich aus der Sakristei und versuchte, hinter dem heiligen Altar Schutz zu finden. Ich nahm den Gebetsschemel, der beim Gottesdienst verwendet wird, und stieg darauf, um das Fenster zu erreichen. Von dort sprang ich hinunter. (…) Hinter mir erschien Madame Joyeux am Fenster und wollte mir ihr sieben Monate altes Baby reichen. Ich konnte es aber nicht fassen. Dann wurde geschossen, und in diesem Moment scheint Madame Joyeux getötet worden zu sein.“194 Die SS-Männer raubten und plünderten, was sie zusammenraffen konnten. In den folgenden zwei Tagen versuchten sie ihre Spuren zu verwischen und die Leichen zu beseitigen. So verscharrten sie die sterblichen Überreste ihrer Opfer in Gruben. Niemand sollte die Verbrannten identifizieren können. Dann rückten sie endgültig ab. Die Einheit der 2. Panzer-Division der Waffen-SS „Das Reich“ hinterließ ein Dorf in Schutt und Asche. Offiziell kamen in Oradoursur-Glane 642 Menschen ums Leben, unter ihnen 240 Frauen und 213 Kinder. Das älteste Opfer war eine Frau kurz vor ihrem 91. Geburtstag, das jüngste ein acht Tage alter männlicher Säugling.195 Die Übernahme des Zwangsarbeiterlagers durch die Alliierten Am 7. Juli 1945 zog die französische Armee in Schwaz ein, die US-amerikanische verließ die Stadt ohne geordnete Übergabe. Als die französische Militärregierung das ehemalige NS-Zwangsarbeiterlager, das die US-Armee in ein Internierungslager für Nationalsozialisten umgewandelt hatte, übernahm, stand sie vor vielfältigen Problemen. Zunächst war unklar, wer die Häftlinge waren. Die US-Verwaltung hatte keine Unterlagen hinterlassen, wer aus welchen Gründen verhaftet und eingeliefert worden war. Dies galt generell auch für die Situation außerhalb des Lagers. Folglich musste die französische Militärregierung mit der Entnazifizierung von vorne beginnen. Ruinen von Oradour-sur-Glane. Eine Einheit der 2. SS-Panzer-Division „Das Reich“ zerstörte die Ortschaft und ermordete 642 Menschen. (Fotos Sabine Pitscheider) Wieder galt es, ehemalige Nationalsozialisten zu erfassen und zu registrieren, sie gegebenenfalls festzunehmen und in Gefängnisse und Lager überzuführen.196 Die Stadtchronik von Schwaz attestierte dem Kommandanten der französischen Militärregierung in Schwaz, Capitaine Brecht, ein scharfes Vorgehen. Er ließ zahlreiche politische Häftlinge in die Turnhalle im Hof des Stadtmagistrats und ins ehemalige NS-Zwangsarbeiterlager bei Buch einweisen, dessen Leiter er zunächst war, bis ihn nach kurzer Zeit Kommandant Collart ablöste.197 Nicht nur unmittelbar nach Beendigung aller Kämpfe im Mai 1945, noch Jahrzehnte nach dem Krieg war das Massaker von Oradour in Frankreich ein nationales Trauma, der Inbegriff nationalsozialistischer Besatzungspolitik und Symbol für die NS-Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dies ist der historische Hintergrund, warum die französische Militärregierung das zum Entnazifizierungslager umgebaute vormalige NS-Zwangsarbeiterlager „Oradour“ nannte. Den dort untergebrachten SS-Männern, aber auch der Schwazer und Tiroler Bevölkerung insgesamt, sollte vor Augen geführt werden, welchen Charakter die SS hatte und was für Gräuel sie in Frankreich begangen hatte. Auf Tiroler Seite wurde die Bezeichnung „Oradour“ für das Lager erstmals am 26. Juli 1945 in der Schwazer Stadtchronik verwendet, jedoch mit falscher Schreibweise: Barackenlager Oradur!198 In den französischen und österreichischen Akten taucht eine Vielfalt von Bezeichnung für das Lager Oradour auf: Anhaltelager Oradour,...


Horst Schreiber, Mag. phil., Dr. phil., Dozent am Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck; Lehrer für Geschichte und Französisch am Abendgymnasium Innsbruck; Leiter von erinnern.at Tirol, Institut für politisch-historische Bildung über Holocaust und Nationalsozialismus des BMBWF; Obmann der Michael-Gaismair-Gesellschaft, Herausgeber der Studien zu Geschichte und Politik sowie der Reihe Nationalsozialismus in den österreichischen Bundesländern; Mitherausgeber der Gaismair-Jahrbücher und der sozialwissenschaftlichen Reihe transblick.
www.horstschreiber.at; www.erinnern.at; www.heimkinder-reden.at


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