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E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Schulte-Markwort Mutlose Mädchen

Ein neues Phänomen besser verstehen - Hilfe für die seelische Gesundheit unserer Töchter

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-641-28459-6
Verlag: Kösel
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Wie unsere Töchter wieder Mut schöpfen und zu neuer Lebenskraft findenImmer mehr Mädchen erleben die Wirklichkeit als bedrohlich und überfordernd. Haben wir eine Welt geschaffen, die für einen Teil unserer Kinder nicht mehr attraktiv ist? Sind wir die falschen Vorbilder? Haben wir keine lebenswerten Perspektiven geschaffen? Es zeigt sich, dass die Situation für Mädchen schwieriger ist als für Jungen.Der renommierte Kinder- und Jugendpsychiater Michael Schulte-Markwort identifiziert zahlreiche Gründe, warum gerade Mädchen, die er betreut, ihre Neugier auf das Leben abhandengekommen ist. Seine Erkenntnisse illustriert er anhand von Fallbeispielen. Er richtet den Blick nach vorn, und zeigt Lösungsansätze, die Eltern und Töchtern helfen, Mut zu schöpfen und neue Wege einzuschlagen.Auswege aus der Mutlosigkeit – Kompetent, informativ, einfühlsam.
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Mutlose Mädchen –
ein neues Phänomen Seit ich als Kinder- und Jugendpsychiater arbeite und Kinder und Jugendliche ärztlich-psychotherapeutisch begleiten darf, ist mein Erleben bis heute: Die Kids entwickeln sich gut, werden immer zugänglicher, emotional klüger und kompetenter. Allen pessimistischen und defizitorientierten Vorannahmen zum Trotz lautet meine Erfahrung, dass die Kinder noch nie so reflektiert waren wie heute. Sie sind es gewohnt, einbezogen zu sein, gefragt zu werden und Auskunft zu geben. Die Mädchen schneiden bei dieser Beurteilung etwas besser ab als die Jungen, die mehr dem überkommenen Geschlechtsstereotyp entsprechen. Das soll ihre Entwicklung weder übersehen noch kleinreden, aber die Mädchen haben – mit positiv veränderten Vorbildern – mehr Anteil an dieser positiven Bilanz. Das Scheitern am täglichen Laufsteg Seit ein paar Jahren gibt es bei einer kleinen Gruppe von Mädchen einen neuen Befund: Sie bleiben in ihrer Entwicklung stecken. Es fängt damit an, dass sie sich zurückziehen. Was schleichend beginnt, endet oft mit einem akuten Schulabsentismus. Oder mit einer übermenschlich erscheinenden Anstrengung. Die Mädchen gehen nicht mehr in ihre Schule, meiden den Ort explizit und ziehen sich noch mehr zurück. Ambulante und stationäre Interventionen greifen nur bedingt. Schnell sind alle Menschen um die Mädchen herum maximal besorgt. Der Rückzug scheint unaufhaltsam. Im Kontakt imponiert schon bald eine vorherrschende emotionale Dimension: Die Mädchen sind zutiefst mutlos. Sie beschreiben, dass sie nicht wissen, wie sie in die Welt kommen sollen. Noch schlimmer, sie zeichnen eine Welt, an der nichts lockt, nichts zieht oder interessant ist. Ihr Kernsymptom ist Angst. Daraus entwickelt sich eine immense Unfreiheit, die sich immer wieder in Misstrauen äußert oder auch in Trotz umschlägt. Neues wird gemieden. Alles wird einer gefährlichen Welt zugeordnet, der sich diese Mädchen nicht gewachsen fühlen. Ihr sich immer weiter ausbildender Pessimismus zeichnet alles schwarz, und sie verstummen. Schweigen, Zucken mit den Achseln – das ist ihre prominenteste Körperbewegung. Nichts wissen. Nichts sagen. Ihre Herabgestimmtheit wirkt wie eine Depression oder auch ein Burn-out. Bei genauerem Hinschauen versteht man, dass sie in vielen Situationen überhaupt nicht depressiv oder ausgebrannt sind. Antidepressive Medikamente wirken entsprechend oft zu wenig oder gar nicht. Die Symptomatik wirkt bei anhaltendem Verlauf wie eine Selbstbestrafung. Die mutlosen Mädchen bestrafen sich für sich selbst, für ihr Sosein, für ihr Dasein. Sie hassen sich für ihr Scheitern und können gleichzeitig kaum Hilfe annehmen. Zumindest sind die Angebote innerhalb der Familie unannehmbar und beschämend. Es gibt Mädchen unter ihnen, die traumatisiert sind, aber dieser seelische Zustand scheint nicht häufiger vorzukommen, als es in unserer kinder- und jugendpsychiatrischen Klientel »normal« ist. Sexueller Missbrauch ist ein Phänomen, das bei kinder- und jugendpsychiatrischen Erkrankungen gehäuft vorkommt. In unserer Diagnostik, in unserer Suche nach Ursachen läuft diese Frage naturgemäß immer mit. Ist das Steckenbleiben mit einem Trauma verknüpft, so ist es wichtig, das Trauma aufzugreifen und aufzuarbeiten. Mutlosigkeit und die Scheu, sich zu zeigen, erklären sich in diesen Fällen unmittelbar. Aber eine große Exhibitionsangst trifft auch auf die nicht traumatisierten mutlosen Mädchen zu. Im Laufe der Zeit ziehen sich die Mädchen immer weiter zurück. Sie scheitern am täglichen Laufsteg, der durch die sozialen Medien befeuert wird. Die Angst, sich zu zeigen, wird zum Hauptauslöser für ihren Rückzug, der so weit gehen kann, dass auch der eigene Körper nicht mehr wichtig ist. Auch er hat keine Fürsorge verdient – wie die Mädchen selbst. Dann kann er auch verwahrlosen. Dann ist alles egal. Dieser zerstörerische Kreislauf kann schließlich in Selbstverletzungen oder auch suizidalen Krisen enden. Die Mädchen sind krank. Ihr Kranksein ist irgendwann identitätsstiftend. So paradox es klingt: Die mutlosen Mädchen ziehen ihre reduzierte Lebensenergie aus diesem Gefühl des Scheiterns, der Unfähigkeit und des maximalen Rückzugs von der Welt. Wie lässt sich der Befund einordnen? Hier soll auf keinen Fall vorschnell eine neue Krankheit ausgerufen werden. Wir sind es unseren Kindern, den mutlosen Mädchen, schuldig, nichts zu übersehen. Entwicklung in der Medizin bedeutet immer, dass der genauere Blick mehr Phänomene, mehr Symptome und auch mehr Krankheiten zutage fördert. Wenn ein Mikroskop immer leistungsstärker entwickelt wird, dann entdeckt man immer mehr und feinere Strukturen. Sie sind nicht mehr zu übersehen. Ob die Medizin daraus neue Krankheiten macht oder die zu sehenden Phänomene anders zuordnet, ist die verantwortungsvolle Aufgabe jeder neuen Generation von Ärzten und Psychotherapeuten. Hier geht es darum, auf ein Phänomen hinzuweisen und eine Diskussionsgrundlage zu schaffen. Und betroffenen Mädchen und ihren Familien jetzt schon zu helfen. Wie könnte man die mutlosen Mädchen einordnen? Wie ist es zu verstehen, dass eine kleine Gruppe von Mädchen ausschert und nicht in die erfolgreichen Fußstapfen ihrer Mütter treten möchte? Es könnte so einfach sein. Ängstliche Mädchen folgen ihren im Leben erfolgreichen Müttern. Nehmen sie sich zum Vorbild und müssen sich keine Sorgen machen. Und genau an dieser Stelle bleiben die Mädchen stecken. Für sie sind ihre Mütter keine Vorbilder. Das ist ein dramatischer Befund. Mütter oder Väter müssen keine Vorbilder sein, wenn in Kindern eigene Bilder von Entwicklungen und Wegen entstanden sind. In diesem Fall sind Eltern Vorbilder, indem sie ein anderes Bild ermöglichen. Aber mutlose Mädchen haben noch keine eigenen Vorstellungen von ihrem Leben. Ihre Entwicklung gerät ins Stocken. Mutlose Mädchen werden als unauffällige Mädchen beschrieben. Befragt man sie genauer, stellt sich heraus, dass sie schon immer tendenziell ängstlich waren. Sich subjektiv immer angestrengt haben. Bei ihnen wurde Überanpassung mit Freundlichkeit und Unbedarftheit verwechselt. Diese Verwechslung oder Zuschreibung vergrößert die Anstrengung bei den Mädchen. Natürlich wollen alle Kinder gefallen, uns nicht zur Last fallen und gemocht werden. Wenn ein Kind spürt, dass für das Ängstliche kein Platz ist, versucht es, diesen Zustand nicht spürbar werden zu lassen. Eltern werden sagen: »Wir hätten gar nichts gegen etwas mehr Ängstlichkeit gehabt. Wir lieben sie schon immer so, wie sie ist.« Und wenn es Geschwister gibt: »Wir lieben sie, wie alle anderen Kinder auch.« Möglicherweise mögen die kleinen mutlosen Mädchen ihre ängstliche Disposition auch an sich selbst nicht und machen daraus den inneren Satz: »Mama und Papa wollen bestimmt, dass ich mutiger bin.« Und schon etabliert sich ein Selbstmythos, der mehr oder weniger tatsächlich von den elterlichen Erwartungen befeuert wird. Die kleinen Mädchen beginnen, gegen ein Gespenst anzuarbeiten, das sie von nun an begleiten wird: »Ich muss mutiger werden, mich mehr trauen.« Oder: »Mama und Papa mögen mich lieber, wenn ich weniger Angst habe.« Mit diesen Sätzen nimmt ein Schicksal seinen Lauf, das Jahr für Jahr mehr in die Mutlosigkeit führt. Es gelingt den Mädchen nicht, sich eine größere innere angstfreie Zone zu schaffen. Der Paddock für das Pony ist eng umzäunt und wächst nicht mit. Im Gegenteil, der Platz für die Seele des Mädchens wird kleiner und enger. Der Zaun aus Angst dagegen wird stärker und größer. Platzmangel und Sicherheit bleiben auf das Engste miteinander verbunden. Das familiäre Umfeld Auf der anderen Seite stehen die Mütter, die gute Bedingungen für alle schaffen. Sie sind berufstätig und kümmern sich darüber hinaus um die Kinder, den Haushalt und die Familie. Mütter geben alles. Gehen an Grenzen. Überschreiten manchmal Grenzen. Vielleicht zu oft. Damit zeichnen sie ein Bild von Weiblichkeit und Mütterlichkeit, das prototypisch ist für die Generation der Mütter 2.0. Gekennzeichnet von dem Anspruch, allen Anforderungen an moderne Mutterschaft gerecht zu werden, gestalten sie ein perfektes Bild von sich selbst. Die Anstrengung, die damit verbunden ist, wird wieder weggearbeitet. Bis eine Mutter übrig bleibt, die ihre eigenen Bedürfnisse immer hintanstellt. »Und wo bleiben Sie dabei?« Diese Frage in der Familientherapie wird oft mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Schreck entgegengenommen. Der daraus entstehende Mutter-Tochter-Dialog ist ebenfalls von Anstrengung geprägt. Die Mädchen strengen sich an, um hinterherzukommen. Die Mütter geben sich alle Mühe, um die Bedürfnisse ihrer Töchter zu erfüllen. Das Drama entsteht dadurch, dass sie sich gegenseitig nicht gerecht werden. Nicht gerecht werden können. In der Beziehung zwischen Mutter und Tochter geschieht ein Übersetzungsfehler mit Folgen. Ein emotionales Mismatch. Das ist ganz ohne Vorwurf gemeint und in Anerkennung einer Verquickung, für die niemand etwas kann. An dieser Stelle spätestens kommen die Väter ins Spiel, die – physiologisch bedingt – mit neun Monaten Verspätung in die Beziehung zu ihren Kindern einsteigen und diese Verspätung in der Regel auch nicht aufholen. Es ist müßig, darüber nachzudenken, ob der Satz: »Vaterschaft beginnt mit einer Beziehung, Mutterschaft schon neun Monate früher« veränderbar ist. Am...


Schulte-Markwort, Michael
Prof. Dr. med. Michael Schulte-Markwort ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie. Nach vielen Jahren als Leiter der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf ist er heute Ärztlicher Direktor Oberberg Fachklinik Marzipanfabrik sowie Ärztlicher Leiter der Praxis Paidion-Heilkunde für Kinderseelen in Hamburg und Berlin. In zahlreichen Stiftungen und Kuratorien vertritt er die seelischen Rechte von Kindern und Jugendlichen. Nicht nur durch seine Präsenz in Funk und Fernsehen, sondern auch durch seine zahlreichen Vorträge, Publikationen und Bücher ist er als Experte einem großen Publikum bekannt. Michael Schulte-Markwort lebt mit seiner Familie in Hamburg.


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