Schulz | Öl und Bienen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Schulz Öl und Bienen

Roman

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

ISBN: 978-3-608-11838-4
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Die Zeiten, in denen man in Beutenberge den Siegeszug des Erdöls ersehnte, sind längst vorbei. Stattdessen hoffen Lothar Ihm und seine Freunde höchstens noch auf die nächste geschmuggelte Platte aus dem Westen. Doch dann fällt ein Schwarm heiratswilliger Frauen in das havelländische Provinznest ein, und nichts bleibt mehr, wie es war. Ein herrlich skurriler DDR-Roman über die Beharrlichkeit von alten und neuen Mythen.

Den Männern in der Familie Wutzner liegt das Aufspüren von Erdöl in den Genen. Kaum stapfen sie durch die Havelländische Heide, schon scheint unter ihren Füßen der Boden zu vibrieren. Dumm nur, dass das sprudelnde schwarze Gold jedes Mal wieder versiegt, wenn man es aus dem Boden holen will. Als der Staat in den 20er Jahren die Siedlung Beutenberge errichtete, glaubten die Bewohner noch an die verheißungsvollen Erdölquellen. Doch inzwischen ist man in der Realität angekommen, und Lothar Ihm, dem letzten Nachfahren der Wutznerschen Dynastie, bleibt nichts Besseres übrig als mit seinen DDR-Kumpanen Blutblase und Krücke im hauseigenen Garten dem Bier zuzusprechen und zu der aus dem Westen eingeschmuggelten Musik ausdrucksvoll mit dem Kopf zu nicken. Bis dann eines Tages ein Schwarm Frauen anrückt und Schluss ist mit der friedlichen männlichen Existenz zwischen Alkohol und Rockmusik.
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Wie Edwin Kronokiewitschky mit seiner Wutzner-Geschichte die Zeche bezahlt und Krücke einen Traum erwähnt
»Ein ganzes Stück hinter Nauen, tief in der Havelländischen Heide, wo es außer Sand und Sträuchern kaum etwas zu sehen gibt, befand sich einst, von 1920 bis später, die Siedlung Beutenberge.« So sagt es, knapp hundert Jahre nach 1920, der selbsternannte Heimatchronist Edwin Kronokiewitschky. Dann macht er eine Pause, in der sein Redebeginn nachklingen kann. Vor allem aber dient ihm die Pause dafür, einen Schluck Bier zu trinken. Und am Kräuterlikör zu nippen: Wurzelpeter, seine Stammsorte. Früher, fügt er hinzu und ruckelt in seinem Rollstuhl hin und her, habe er nicht genippt, sondern ein ordentliches Glas in einem Zug geleert und mit Bier kräftig nachgespült. Dabei habe er am Tresen gestanden, hier in Schröders Wirtsstube am Rande von Nauen oder in irgendeiner anderen Kneipe, wie eine Eins habe er gestanden, vom Anfang eines Trinkabends bis zu seinem Ende. Erst seit ein paar Jahren, seit ihm, wie er es ausdrückt, das Blut täglich aufs Neue von den Beinen in den Kopf steigt, kriegt er das nicht mehr hin. Das mit dem Blut im Kopf kauft ihm jeder ab, der sein dunkelrotes Gesicht sieht. Und da auch die Glatze dunkelrot ist, würde sich vermutlich niemand wundern, wenn der Kopf das viele Blut irgendwann nicht mehr aushalten und platzen würde. Freilich will keiner der Gäste seinen Kopf platzen sehen. Die Vorstellung reicht allemal. Aus Nauen kommen die Besucher, aus Friesack und Falkensee, aus Wustermark und Schönwalde oder auch von weiter her, manchmal sogar aus Berlin. Fünf bis zehn an einem Sonntagabend, gelegentlich auch ein paar mehr, heute vierzehn. Edwin sieht keinen an, während er redet. Dass sie mit den Kneipenstühlen ein Halbrund um ihn gebildet haben, ist ihm allerdings nicht entgangen. »Beutenberge«, fährt er fort, wie jemand, der einen großen Gedanken wiederaufnimmt. »Dieser Ort war ein Ort von Bedeutung. Und das lag am Erdöl. Oder am Traum vom Erdöl …« Alle haben von der Geschichte, die Edwin hier an jedem Sonntagabend erzählt, bereits gehört. Aber da sie die Geschehnisse aus erster Hand dargeboten bekommen wollen, haben sie zum Heimatabend die Wirtsstube aufgesucht. An der Kneipentür mussten drei Euro Eintritt gezahlt werden; außerdem gehen Edwins Getränke auf die Rechnung der Gäste. »Den Ersten Weltkrieg, das sollten Sie wissen, verlor Deutschland vor allem wegen des Erdöls. Das man für die Herstellung von Benzin brauchte, für Panzer, Lastwagen, Flugzeuge… U-Boote… Ich meine damit nicht, dass Deutschland den Krieg hätte gewinnen sollen. Obwohl es dann den zweiten, 1939, bestimmt nicht gegeben hätte.« Wer möchte das bestreiten, fügt er fast hinzu. Aber das erscheint ihm dann doch zu provokativ. »Der Sieg der Gegner Deutschlands war ein Sieg des Erdöls, der die Weltgeschichte verändert hat. Logisch, dass die Verlierernation nach dem Ersten Weltkrieg wie verrückt nach diesem Stoff zu suchen begann. Unzählige Männer zogen los. Der eine oder andere kam ins Havelland.« Edwin atmet tief ein und aus, seine Hände zittern. Er verbirgt sie nicht, im Gegenteil: Mit beiden Händen, so fest wie möglich, nimmt er das Bierglas, umklammert es und trinkt, bis nur noch eine Neige übrig geblieben ist. Nie trinkt Edwin sein Glas leer, immer bleibt eine Neige. Lucy Schröder, die Wirtin, ist schon auf dem Weg, ihm ein neues zu bringen. »Adalbert Wutzner, so hieß einer der Männer, Mitte dreißig, Hauptfeldwebel a. D.« Eine Spur Wehmut ist in Edwins Stimme. Als spräche er über einen guten Bekannten, den er gern an seiner Seite hätte. »Ein respektabler Mann, dynamisch, kraftvoll. Verwunderlich nur die ausgesprochen dünnen Beine, die Wutzner-Beine, wie er sie selbst nannte. Aber gerade in denen steckte Kraft, das können Sie mir glauben. Außerdem immerfort rote, wässrige Augen, obwohl er, soviel bekannt ist, keinen Alkohol trank und auch sonst nichts nahm, was den Namen Droge verdient hätte. Seine Droge war, so gesehen, das Erdöl. Alles tat er, um es zu erahnen, zu fühlen, zu orten. Er pilgerte von Nauen nach Linumhorst und Kremmen, durchs havelländische Luch bis zum Westhavelland, über Felder, durch Wälder… grub und roch an der Erde, in die Erde hinein. Zwei Meter tiefe Löcher hob er aus, stampfte und hüpfte stundenlang in den Gruben, um durch die Vibration, die das Hüpfen auslöste, eine Gegenvibration des Öls zu erzeugen, die er sofort in den Füßen spüren würde, unverkennbar, wie er behauptete, wenn man ihn fragte oder auch wenn man ihn nicht fragte. Und wer ihm nicht glaubte, bekam es mit seinem harschen Befehlston zu tun. Hauptfeldwebel bleibt eben Hauptfeldwebel, a. D. hin oder her. Ja, Herrschaften, so war das bei ihm …« Nicht nur dass Edwin, so scharf und laut, wie er ihn sich vorstellt, den Befehlston von Adalbert Wutzner darbietet, er ist sich auch bewusst, dass er das eine oder andere Detail enthüllen muss, um der Geschichte die Glaubwürdigkeit zu verleihen, die sie verdient. »Adalbert Wutzner …« Die Lust, diesen Namen auszusprechen, ist ihm deutlich anzumerken. »Er suchte und suchte, und obwohl sich kaum jemand traute, ihm das zu sagen, hielten ihn die meisten für nicht ganz richtig im Kopf. Trotzdem hat er Unterkunft in Schuppen und Scheunen bekommen, auch Wasser und Brot, manchmal Wurst oder Speck. Selten von den Bauern, meist von ihren Frauen, die ihn für seine Hingabe bewunderten und denen er dann und wann schöne Augen machte, ohne freilich dass die Bauern davon etwas mitbekamen. Boten ihm die Frauen ein Gläschen Schnaps an, lehnte er ab; ein leidenschaftlich Suchender, der keinen Tropfen Alkohol trinkt – was konnte man sich Schöneres vorstellen? Und eines Tages«, so Edwin weiter, »geschah das, womit niemand, außer ihm selbst natürlich, mehr rechnete… Ein sonniger Frühlingsnachmittag, der schon den Sommer ahnen ließ, und da war es auf einmal: das Vibrieren. Seltsamerweise durch keine Aktivität von ihm ausgelöst. Im Gegenteil: Fast ein wenig achtlos war Adalbert Wutzner an einem Feldrain entlangspaziert, als er unter seinen Füßen plötzlich ein Beben verspürte. Unverzüglich hieb er den Spaten in die Erde und begann zu graben. Zwischenzeitlich hörte es auf, dann war es wieder da, und als er die Tiefe von einem Meter und fünfzig erreicht hatte, taten sich Risse in der Erde unter ihm auf. Er hielt inne, starrte auf die sich immer deutlicher abzeichnende Musterung und sah, wie aus den Rissen Erdöl hervorquoll. Dickflüssige schwarze Soße mit beißendem Schwefelgeruch …« Edwin hält sich nicht dabei auf, den Gestank näher zu beschreiben oder die Farbe und Konsistenz des Öls. »Adalbert Wutzner«, fährt er fort, »war der Letzte, der im Havelland überhaupt noch suchte, und er war der Erste, der auf Erdöl stieß. Und was er damit auslöste, überstieg sein Vorstellungsvermögen und das der Havellandbewohner erst recht.« Zunächst, so Edwin, kamen die staatlich geprüften Überprüfer, ihres Zeichens Geologen, Geophysiker und Chemiker, aus Potsdam, aus Brandenburg, schließlich aus Berlin. Sie nahmen Proben des Öls mit, untersuchten es in ihren Laboren, kamen wieder mit Bohrgeräten und Arbeitern und Technikern, die die Geräte bedienten. Adalbert Wutzner suchte beharrlich weiter, stapfte über Felder und Wiesen, und der edle Stoff ließ die Erde unter seinen Füßen nun häufiger vibrieren. Ein Wunder! Der Sommer brach an, die Zeitungen in Deutschland berichteten vom legendären Hauptfeldwebel a. D.; manche Blätter priesen ihn als Gott des schwarzen Goldes oder Zauberer für Deutschland. Adalbert Wutzner alias Wunder-Wutzner wurde mit Spenden aus industriellen Kreisen und von reichen Privatmenschen überschüttet. Friedrich Ebert, erster Reichspräsident der Weimarer Republik, empfing ihn und verlieh den Orden Ehrenzeichen der Republik für Forscher und Erfinder. Ein Finder, sprach der Reichspräsident zum Hauptfeldwebel a. D., sei mehr noch als ein Erfinder, auch wenn das Wort zwei Buchstaben weniger habe als das andere. Ein Finder nämlich sieht, was es alles gibt in Gottes schöner Welt, ein Erfinder fantasiert sich nur etwas zurecht. Bei Potsdam, nicht weit entfernt vom Griebnitzsee, wurde die Wutzner-Villa gebaut, ein Geschenk des Staates; Adalbert heiratete die wenig bekannte, aber sehr hübsche Schauspielerin Ottilie »Ottchen« Schulze, zog mit ihr in die Villa und schwängerte sie. Und während all dies geschah, gedieh im Havelland der Traum von der Erdölförderung, und in unmittelbarer Nähe der Fundstellen entstand die Siedlung Beutenberge. Alles wäre gut gewesen, ja perfekt, wenn nicht das Öl…...


Schulz, Torsten
Torsten Schulz, geboren 1959, ist Autor preisgekrönter Spielfilme, Regisseur von Dokumentarfilmen und Professor für Dramaturgie an der Filmhochschule Babelsberg. Sein Debütroman 'Boxhagener Platz' wurde in mehrere Sprachen übersetzt und fürs Kino verfilmt. Die Hörspieladaption erhielt diverse Preise. Torsten Schulz lebt in Berlin.

Torsten Schulz, geboren 1959, ist Autor preisgekrönter Spielfilme, Regisseur von Dokumentarfilmen und Professor für Dramaturgie an der Filmhochschule Babelsberg. Sein Debütroman 'Boxhagener Platz' wurde in mehrere Sprachen übersetzt und fürs Kino verfilmt. Die Hörspieladaption erhielt diverse Preise. Torsten Schulz lebt in Berlin.


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