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E-Book, Deutsch, Band 13, 190 Seiten

Reihe: Staatlichkeit im Wandel

Schuppert Staat als Prozess

Eine staatstheoretische Skizze in sieben Aufzügen

E-Book, Deutsch, Band 13, 190 Seiten

Reihe: Staatlichkeit im Wandel

ISBN: 978-3-593-40853-8
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Seit einigen Jahren beschäftigen sich Sozial-, Politik- und Rechtswissenschaftler mit dem Wandel des Staates als Organisations- und Herrschaftsform. Doch wie misst oder beschreibt man die Transformation eines so abstrakten Gegenstandes? Gunnar Folke Schuppert beschreibt anhand zahlreicher Beispiele den Wandel des Staates als einen vielschichtigen, keineswegs einheitlichen Prozess, in dem sich kontinuierlich Strukturen auflösen, Akteure an Einfluss verlieren, neue Akteure hinzukommen und jenseits des Nationalstaats neue Formen der Herrschaft entstehen.
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Inhalt

Vorwort

Vorbemerkung

Einleitung: Wozu eine Prozessperspektive auf den Staat?


Erster Aufzug: Zum Siegeszug des Staates als Organisationsmodell politischer Herrschaft
1. Der Staat als Lösung
2. Zur Verstaatlichung der Welt oder Der Staat als Exportartikel
3. Der Staat als Beute oder Zur spezifischen Rolle des Völkerrechts
4. Zwischenbilanz


Zweiter Aufzug: Zum facettenreichen Prozesscharakter der Herausbildung moderner Staatlichkeit
1. Staatsbildung als Prozess des Kampfes um Schlüsselmonopole oder Der lange Weg zum Staat als Herrschaftsmonopolisten
2. Staatsbildung als Ergebnis des Prozesses der Säkularisation
3. Staatsbildung als Prozess der Verrechtlichung und der Entpersonalisierung der Macht
4. Staatsbildung durch Aushandlungsprozesse


Dritter Aufzug: Fiktive Staatlichkeit oder Zur imaginären Fabrikation des Staates
1. Die klassischen Substanz- und Ordnungsmetaphern
2. Prozess-Metaphern


Vierter Aufzug: Vom frühneuzeitlichen Territorialstaat zur Enträumlichung politischer Herrschaft?
1. Staatswerdung als Prozess der Territorialisierung von Herrschaft
2. Zum Denken in Staatlichkeitsräumen oder Zur Ambivalenz der Kategorie des Raumes
3. Von Staatlichkeits- zu Governanceräumen: eine postkoloniale Aufteilung der Welt?
4. Was sind und wie bestimmt man Governanceräume?
5. Einige zusammenfassende Bemerkungen


Fünfter Aufzug: Momentaufnahmen von Staatlichkeit oder Der Staat als Beobachtungsobjekt
1. Der Staat unter Beobachtung: Zur Herausbildung institutionalisierter Beobachtungsstrukturen
2. Rating und Ranking von Staaten oder Staaten unter Beobachtungsstress
3. Riskante Staatlichkeit oder Staaten auf abschüssiger Bahn: von Strong, Weak, Failing and Collapsing States


Sechster Aufzug: "Semantic Shifts" - modische Umetikettierungen oder Anzeichen tiefer liegender Wandlungsprozesse?
1. Wandel von Staatlichkeit im Spiegel von "semantic shifts"
2. "Semantic shifts" in staats- und verwaltungsrechtlichen Diskursen
3. Begriffsverstaatlichungen und Begriffs-Entstaatlichungen


Siebter Aufzug: Metamorphosen des Staates
1. Was sind Metamorphosen?
2. Typisierung des Wandels: Staatstypen und Typen von Regelungsstrukturen
3. Den Wandel auf den Begriff bringen: Schlüsselbegriffe des Wandels von Staat und Verwaltung


Schluss: Von "Schwarzen Schwänen" oder Zur Pflege der staatlichen Alleinstellungsmerkmale als Staatsaufgabe

Literatur
Tabellen und Abbildungen
Sachregister


Einleitung: Wozu eine Prozessperspektive auf den Staat? Der Staat - so könnte man angesichts seines schon vielstimmig konstatierten Ablebens meinen - sei eigentlich keines Blickes mehr würdig - auch nicht aus einer prozessorientierten Perspektive. Jedoch zeigt sich schon auf den zweiten Blick, dass gerade die besonders intensiv und mit dem Brustton der Überzeugung vorgetragenen Totsagungen auf ebenso intensiven Missverständnissen beruhen, weil sie nämlich nicht den Staat als Organisationsmodell politischer Herrschaft verabschieden, sondern einen ganz bestimmten Staatstyp, dessen Endzeit oder Erosion sie als gekommen ansehen. Hier sollen nicht noch einmal die bekannten 'Neinsager der Bundesrepublik' (Stephan Schlak 2008) zitiert werden, die Galerie konservativer Staatsdenker, Carl Schmitt oder Ernst Forsthoff, und ihr Befund vom Untergang des Staates im Chaos der organisierten Interessen. Vielmehr sollen uns als Referenzautoren solche Personen dienen, die nicht von vornherein zum Kreis der üblichen Verdächtigen gehören, wenn es um das Beklagen vergangener Staatlichkeit geht. Der erste Autor ist Wolfgang Reinhard, der in seiner 2007 erschienenen 'Geschichte des modernen Staates' folgendes zu Protokoll gibt (Reinhard 2007: 122/123): 'Der moderne Staat, der sich in vielen hundert Jahren europäischer Geschichte entwickelt und durch die europäische Expansion über die Welt verbreitet hat, hat bereits aufgehört zu existieren. Vor allem das Kriterium von Modernität schlechthin, die einst dem Ancien Régime abgerungene Einheit von Staatsvolk und Staatsgewalt, Staatsgebiet und Staatshoheit (Souveränität) trifft kaum mehr zu. Das staatliche Machtmonopol hat sich zugunsten intermediärer Instanzen und substaatlicher Verbände aufgelöst. Auf der anderen Seite sind die Staaten übernational in einer Weise vernetzt und gebunden, die mit den alten Kategorien eines Völkerrechts zwischen souveränen Staaten nicht mehr angemessen erfasst werden kann.' Was Reinhard ganz offensichtlich beklagt, ist nicht der Untergang des Staates als solchen, sondern eines bestimmten, mit unangefochtener innerer und äußerer Souveränität begabten Staatstyps, eines Staatstyps, den man mit einer weit verbreiteten angelsächsischen Redeweise als 'The Westphalian State' bezeichnen könnte. Über diesen 'allround' souveränen Staat sind die Zeitläufe in der Tat hinweggegangen, wie gerade am Beispiel des Prozesses der Europäisierung leicht veranschaulicht werden kann. Rainer Wahl (2006: 95) hat diesen Sachverhalt der Mutation des klassischen souveränen Nationalstaates zum Mitgliedsstaat einer supranationalen Gemeinschaft für die Bundesrepublik in einem einzigen Satz wie folgt auf den Punkt gebracht: 'Deutschland ist weiterhin ein Staat, gewiß, aber in vielerlei Hinsicht ist es treffender, es als Mitglied-Staat zu charakterisieren.' Noch deutlicher wird die Tatsache, dass der Abgesang auf den Staat eigentlich nur eine Verabschiedung eines bestimmten Staatstyps meint, am Beispiel der Zerfaserungssemantik des Bremer Sonderforschungsbereichs 'Staatlichkeit im Wandel' (Genschel/Leibfried/Zangl 2008; Genschel/Zangl 2008). In den in jeder Hinsicht anregenden Publikationen dieses Sonderforschungsbereichs ist von der Zerfaserung des Staates die Rede (zuletzt Hurrelmann u.a. 2008), gemeint ist aber die Zerfaserung eines bestimmten Staatstyps, nämlich des 'Demokratischen Rechts- und Interventionsstaates', den sie DRIS nennen und dessen 'Goldenes Zeitalter' sie in den sechziger und siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts verorten. In großer Klarheit heißt es dazu bei Genschel/Leibfried und Zangl wie folgt (2006: 1): 'Die Zerfaserung von Staatlichkeit bedeutet also nicht das Ende des Staates. Sie bedeutet aber, daß die Organisation von Staatlichkeit komplexer und womöglich prekärer geworden ist, als sie es im goldenen Zeitalter des DRIS war.' So mögen also bestimmte Staatstypen untergehen, erodieren oder ausfransen, der Staat als Ordnungsmodell politischer Herrschaft aber bleibt davon offenbar unberührt, ja wir könnten vielmehr - wie der Titel eines von Wolfgang Reinhard und anderen herausgegebenen Bandes (1999) lautet - von einer 'Verstaatlichung der Welt' sprechen. Diese auffallende Diskrepanz zwischen dem Befund, dass der Staat als Ordnungsmodell politischer Herrschaft keineswegs ausgedient hat, gleichzeitig aber verschiedene Typen von Staatlichkeit ihren Zenit überschritten haben oder inzwischen - sternschnuppengleich - verglüht sind, scheint darauf hinzudeuten, dass 'der Staat' eine wandlungsfähige Institution ist und verschiedenerlei Gestalt annehmen kann. Die Nachricht vom Tod des Staates war also offenbar eine Ente. Wenn sich dies aber so verhält, bedarf es offenbar einer Theorie des Wandels von Staatlichkeit, so dass das eigentliche Problem nicht in dem Verlust des Staates, sondern im Fehlen einer gegenstandsangemessenen Staatstheorie besteht. Was also tun? Wir können diesem Mangel an Staatstheorie nicht abhelfen; dies überstiege unsere Kompetenz. Was wir aber tun können, ist, einige kleine Bausteine zu einer zu entwickelnden Theorie des Wandels von Staatlichkeit beizusteuern. Dazu schlagen wir vor, den Staat nicht als feststehenden Gegenstand, sondern als Prozess in den Blick zu nehmen. Eine solche Prozessperspektive auf den Staat scheint uns unverzichtbar zu sein, will man der Gefahr entgehen, Staatstyp und Staat als Ordnungsmodell zu verwechseln; vielmehr hätte man von hier aus einen vergleichsweise sicheren methodischen Grund, um Wandlungsprozessen des Staates auf die Spur zu kommen, sie zu analysieren und zu systematisieren. Wir fühlen uns in diesem Ansatz bestärkt, und wir wenden - was den Leser in diesem Augenblick verwundern mag - den Blick für einen kurzen Moment vom Staat ab und einem anderen Gegenstand zu, den wir gewöhnlich als sich kaum verändernd wahrnehmen. Diese Anregung verdanken wir der soeben erschienenen Schrift von Hansjörg Küster (2009) mit dem Titel 'Schöne Aussichten', in der zwei uns interessierende Aspekte behandelt werden, nämlich einmal die Frage 'Was ist Landschaft?', zum anderen die Verwendung des Landschaftsbegriffs als Metapher. Zunächst einmal lernen wir hier, dass nicht nur Staatlichkeitsbeschreibungen Momentaufnahmen sind, sondern auch jedes Landschaftsbild, obwohl wir doch gewohnt sind, eine gemalte Landschaft als etwas in sich Ruhendes, häufig auch zu Bewahrendes zu betrachten (2009: 72): 'Man kann Landschaften fotografieren oder malen. Zum Blick auf Landschaft gehören immer Interpretation und Abstraktion: Die Landschaft wird vielleicht so dargestellt, wie man sie in Zukunft wieder sehen möchte. Oder man möchte das besonders ?Typische? an ihr zeigen. Das Bild ist eine Momentaufnahme dessen, was in der Wirklichkeit abläuft, es ist immer statisch. Vom Moment seiner Entstehung an ist es ein historisches Zeugnis - für eine real existierende und abstrahierte Landschaft oder für ein Ideal, eine Metapher, die Künstler oder Fotograf darin gesehen haben, vielleicht sogar für ein Symbol. Ist eine konkrete Landschaft auf Fotopapier oder auf Leinwand gebannt, können Menschen beispielsweise für die Bewahrung des Bildes eintreten. Das Landschaftsbild bleibt Teil ihrer Kultur; als Teil der Natur aber entwickelt sich die Landschaft nach dem Moment der Betrachtung beständig weiter.' Da die gemalte oder fotografierte Landschaft häufig als eindrucksvoll und daher erinnernswert wahrgenommen wird, werden Bilder von Landschaften zu Metaphern - und hier fühlen wir uns schon sehr an das goldene Zeitalter des 'Demokratischen Rechts- und Interventionsstaates (DRIS)' erinnert -, die eine positive Erinnerung überhöhen; bei Küster heißt es dazu wie folgt (2009: 72f.): 'Bilder von Landschaften wurden und werden zu Metaphern oder zu Symbolen des Vergangenen, seitdem es zu den Veränderungen kam, die in den vorigen Kapiteln dargestellt wurden. Das aus dem Blickwinkel zivilisierter Menschen ?Wilde? wurde erklärt oder gebändigt. Es blieb aber auch ein Ideal, das man bewahren wollte - als Bild einer Landschaft der Vergangenheit, in der man selbst und seine Vorfahren sich tatsächlich oder angeblich glücklich gefühlt hatten. Das Bild steht für die Erinnerung, die darauf sichtbare Landschaft ist Metapher für Glück, oft auch für ein vergangenes Ideal, das man wiedergewinnen möchte [...]. Während man mit Wehmut an das Vergangene dachte, entwickelte sich die Umwelt stets weiter. Es gab natürliche Veränderungen, und es setzten sich Innovationen durch, die Menschen ersonnen hatten, um ihre Umwelt effizienter zu nutzen. Eine Innovation ging nie überall gleichzeitig vonstatten: Echte Wildnis stieß an ein Gebiet, in dem eine frühe Form von Landwirtschaft betrieben wurde. Zivilisiertes Land grenzte an unzivilisiertes. Ländereien, in denen Landreformen, beispielsweise die Verkoppelung, bereits durchgeführt worden waren, lagen neben Gegenden, in denen noch die schmalen Ackerbeete auf den Zelgen der Dreifelderwirtschaft bearbeitet wurden. ?Moderne? Industrieflächen entstanden mitten in ?traditionellem? Agrarland.'


Gunnar Folke Schuppert ist Inhaber der Forschungsprofessur »Neue Formen von Governance« am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.


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