Seelos | Duale Ökonomie und historische Eigentumsformen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 6, 556 Seiten

Reihe: Beiträge zur Kulturgeschichte

Seelos Duale Ökonomie und historische Eigentumsformen

Band 1

E-Book, Deutsch, Band 6, 556 Seiten

Reihe: Beiträge zur Kulturgeschichte

ISBN: 978-3-347-02390-1
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Martin Seelos macht in diesem Buch auf knapp 1.000 Seiten (Band 1 und Band 2) den Begriff der dualen Ökonomie für die Wirtschaftsgeschichte fruchtbar. Das Konzept der "Dualökonomie" wurde bislang hauptsächlich in der Ethnologie oder der Entwicklungssoziologie verwendet, um die Gleichzeitigkeit von einem modernen mit einem vormodernen Wirtschaftssektor zu umreißen.

Dieser begrenzte Fokus wird hier überwunden. Erstens, weil die "Modernität" konkret zu bestimmen ist, um sie historisch einzuordnen. Und zweitens findet sich die duale Ökonomie in der Globalgeschichte immer wieder als dynamisches Element: Die Dualität umreißt den Konflikt zwischen unterschiedlichen Eigentumsformen, der jede neue Produktionsweise begleitet.

Der Autor, der bereits mehrere Bücher zur Eigentumstheorie und -geschichte veröffentlicht hat, führt zu verschiedenen "Stationen" der historischen Entwicklung, um die Logik einer dualen Ökonomie aufzuspüren: Neolithikum vs. Mesolithikum in Mitteleuropa, Hellenismus vs. altorientalische Produktionsweise, Spätantike vs. Feudalismus, frühneuzeitliches Europa vs. altamerikanisches und altafrikanisches Eigentum, Französische Revolution & Bauernbefreiung in Kontinentaleuropa, sowjetische Industrie vs. kleinbürgerliche Agrarproduktion.

Bei all diesen Konstellationen geht es auch um die Frage, nach welchen Kalkülen so unterschiedliche Gesellschaften miteinander in Kontakt treten, mit welchen Methoden und mit welchen Folgen: Aus dem Nebeneinander wird ein Nacheinander. In dieser Hinsicht kann von einer globalgeschichtlichen Relevanz jeder Dualökonomie gesprochen werden.

Das vorliegende Werk ist originär, kenntnisreich verfasst und spannend zu lesen. Die Untersuchung liegt im Schnittpunkt der Geschichtsforschung und der politischen Ökonomie. Konkrete Berührungspunkte zu der Wirtschaftsanthropologie fehlen nicht. Ein umfangreicher Anmerkungsapparat sowie ein Literaturverzeichnis (Band 2) machen die Textbelege nachvollziehbar.
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WAS ALLES IST DUALE ÖKONOMIE NICHT? Das Thema „duale Ökonomie“ ist verführerisch. Gerne sehen wir – nach einer Einführung in Begriff und Modell – Ungleichzeitigkeiten der Entwicklung von Gesellschaften als Beispiele einer Dualökonomie an. Keine Ökonomie ist in sich völlig homogen, es gibt überall Beimengungen von etwas anderem. Die methodische Herausforderung besteht darin, Inhomogenitäten in einem theoretischen Modell aufzulösen: Bestehen sie zufällig, aus lokalen Besonderheiten? Bestehen sie, weil die Produktionsweise, auf die sich die Beobachtung der Inhomogenität bezieht, erst im Werden begriffen ist? Handelt es sich um eine Inhomogenität, die innerhalb der Usancen einer bestimmten Produktion angesiedelt ist? Oder handelt es sich tatsächlich um duale Ökonomie, die sich auch in den aufgelisteten Varianten ausdrücken kann? Wenn wir etwa das Kastenwesen Indiens hernehmen, so handelt es sich um eine Struktur einer vorkapitalistischen Ökonomie. Aber diese Ökonomie gibt es nicht mehr, das Kastenwesen jedoch nach wie vor. Es ist in den indischen Kapitalismus inkorporiert worden. Oder präziser gesagt: Es wurde von diesem instrumentalisiert, wenngleich die ökonomischen Auswirkungen vermutlich schwer zu quantifizieren sind. Aber wir können annehmen, dass die Mehrwertrate der unteren Kasten auf einem hohen Niveau gehalten werden kann und dass das Kastenwesen einer Vereinheitlichung des Arbeitsmarktes entgegensteht. Man könnte somit annehmen, es hat auch Vorteile für das indische Kapital. Andererseits weist es vorbürgerliche Aspekte auf, die der Akkumulation auch entgegenstehen können: Es nimmt den Menschen etwas an Individualität, die mit dem Eigentum, und sei es auch nur Eigentum an der eigenen Arbeitskraft, einhergeht. Es gibt ihnen etwas von persönlichen Bindungen und Verpflichtungen innerhalb der eigenen Kaste. Insofern kommt hier ein feudales Prinzip zum Ausdruck, das dem bürgerlichen Prinzip entgegenwirkt.21 Aber handelt es sich trotz dieses Antagonismus um eine duale Ökonomie: Kastenwesen versus Kapitalismus? Es fließen vermutlich Ressourcen zwischen den Kasten und dem Kapitalismus hin und her. Aber das notwendige Kriterium für eine duale Ökonomie ist, dass diese zwischen zwei Eigentumsformen hin und her fließt. Auf der einen Seite steht das bürgerliche Eigentum und auf der anderen Seite steht was? Genau diese Frage ist schwer zu beantworten. Der Eigentumsbegriff bei Marx fängt nicht bei einem Rechtstitel an, sondern endet bei diesem. Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Kann ich mich als etwas anderes reproduzieren als Arbeiter, Kapitalist oder Kleinbürger? Und ist die ökonomische Handlung meiner Klasse in eine eigene Produktionsweise eingebunden? Selbst wenn ich in Indien weder Arbeiter noch Kapitalist werden kann, sondern Kleineigentümer, so arbeite ich dennoch für den und im Umfeld des kapitalistischen Marktes. All das spricht für die Existenz des bürgerlichen Eigentums. Nun könnte man doch darlegen, dass gerade der Eigentumsbegriff bei Marx die Vorstellung eines Kasteneigentums plausibel macht: Wenn ich in eine untere Kaste hineingeboren werde, kann ich definitiv nicht Kapitalist werden. Das stimmt, aber das „Hineingeboren“ bedeutet auch sonst nie, dass ich mir die Klassenzugehörigkeit aussuchen kann. Es bedeutet nur, dass die Zugehörigkeit zu Klassen, die in der existierenden Produktionsweise nichts zu suchen haben, gar nicht möglich ist. Selbst wenn ich mich noch so sehr anstrenge und die besten familiären Voraussetzungen erfülle, ich kann im Kapitalismus nicht einfach Feudalherr werden und ein Dorf dazu bringen, als meine Leibeigenen zu dienen. Was vorbei ist, ist vorbei. Kommen wir zu dem Argument der sogenannten sozialen Durchlässigkeit zurück. Diese soziale Durchlässigkeit ist im Kapitalismus auch außerhalb Indiens nicht gerade groß. Ohne Kapital als Erbschaft kann ich es gerade zu einem leitenden Angestellten oder mit guter Ausbildung, Glück und Geschick zu einem CEO bringen, aber auch die sind keine echten Kapitalisten. Das Kastenwesen verstärkt die soziale Undurchlässigkeit zusätzlich zu jener, die bereits das bürgerliche Eigentum in den Boden gegraben hatte. Aber das Kastenwesen ersetzt diese Undurchlässigkeit nicht durch ein eigenes, spezifisches Eigentum. Das ist der Punkt. Und deswegen macht es wenig Sinn, von einer Dualökonomie innerhalb Indiens zu sprechen. Ähnlich verhält es sich mit der Beziehung „Hausarbeit zu Erwerbsarbeit“ im Kapitalismus. Auch hier klingt es vorderhand verlockend, eine Dualökonomie – zugunsten des Kapitalismus – auszumachen. Verhindert das Kapital nicht etwa, dadurch dass ein Teil der Gesellschaft unbezahlte Hausarbeit verrichtet, diese zu entlohnen? Umgekehrt könnte aber auch gesagt werden, dass die Existenz von Hausarbeit dem Kapital einen zusätzlichen Markt nimmt. Es ist eine Einschränkung des bürgerlichen Prinzips wie im Falle des Kastenwesens. Aber das ist für unsere Frage nicht der relevante Punkt. Es geht nicht um den Nutzen oder Schaden, sondern es geht um die Frage, ob durch einen ökonomischen Bereich außerhalb der Marktlogik eine duale Ökonomie existiert. Auch diese Frage würden wir verneinen. So erniedrigend und ausbeuterisch die Zwangslage der Nur-Hausarbeit für die Menschen sein kann, so begründet die Hausarbeit doch keine spezifische Eigentumsform. Ja, wir könnten sogar sagen, dass gerade Hausarbeit die Absenz von Eigentum zur Bedingung hat. Menschen, die dazu verdammt sind, als Hausfrauen (meist) oder Hausmänner (selten) zu werken, tun dies immer als Anhängsel von anderen Menschen, die in einem Eigentumsverhältnis stehen, und sei es nur ein Lohnarbeitsverhältnis. Es gibt also selbst nach gut 200 Jahren Kapitalismus und nach 200 Jahren eines Kapitalismus, der im Unterschied zu früheren Produktionsweisen den ganzen Globus verwerten möchte, noch immer ökonomische Bereiche, die nicht zum Objekt des Kapitals wurden. Und die gleichzeitig sich nicht selbst als autonome Produktionsweise mit eigenen Klassen reproduzieren. Das ist an sich schon bemerkenswert – obwohl nicht das Hauptthema dieses Buches. Diese Bereiche, die nicht zum Partner des Kapitalismus einer dualen Ökonomie werden konnten, sind entweder instrumentalisiert (wie das Kastenwesen), Anhängsel (wie die Hausarbeit) oder Zersetzungserscheinungen – wie die informelle Ökonomie vor allem in den kapitalarmen Ländern des Südens, die zum Beispiel Industrie- und Konsumschrott der reichen Länder verarbeiten (etwa in Westafrika westlich von Nigeria). Ich gebe an dieser Stelle aber gerne zu, dass letzteres Beispiel noch einer genaueren Aufbereitung bedarf. Nun könnte man andererseits eine duale Ökonomie nicht am Rande der großen Ökonomie vermuten, sondern mitten in dieser drinnen und zwar als Interaktion zwischen kapitalreichen und kapitalarmen Ländern. Bewirkt nicht gerade der gleiche Tausch von Werten – ein Aspekt des Wertgesetzes –, dass die kapitalarmen Länder kapitalarm bleiben? Wenn wir zwei Ökonomien vor uns haben, die eine kapitalreich, die andere kapitalarm und beide produzieren dieselben Waren, dann sind jene der kapitalarmen Ökonomie wertvoller und deswegen teurer. Denn in ihrer Produktion wird weit mehr Arbeitszeit verwendet als in der Produktion der kapitalreichen. Letztere verwendet ihren Kapitalreichtum, um auch und vor allem in das fixe konstante Kapital zu investieren. Eine Stunde Arbeit kann daher weit mehr Produktionsmittel in Bewegung setzen als in unserem Pendant. Diese Ökonomie kann damit auch mehr Produkte pro Stunde herstellen oder, was dasselbe ist, gleich viele billiger. Das ist pro Stück auch dann der Fall, indem durch die „lebendige“ Arbeit der Wert des fixen konstanten Kapitals auf die Produkte übertragen wird. Dieser Wert der „toten“ Arbeit wird eben auf sehr viele Produkte übertragen und daher pro Produkt in einem geringen Ausmaß. Es sind sehr viele Produkte, von deren Wert, relativ gesehen, immer weniger in den Konsumfundus der Arbeiter eingeht, da auch diese Konsumgüter wegen des Produktivitätsfortschritts an Wert abgenommen haben. Die Mehrwertrate steigt relativ, nicht (notwendigerweise) absolut. Das ist in den kapitalarmen Ländern genau umgekehrt. Der geringere Preis der Produkte aus den kapitalreichen Ländern bedeutet: geringerer Wert … immer, freilich hypothetisch, vorausgesetzt, es werden die gleichen Produkte in unseren zu vergleichenden Ländern hergestellt. Werden diese nun am Weltmarkt gehandelt, so setzen sich die Produkte der kapitalreichen Länder gegen die Produkte der kapitalarmen Länder durch – eben weil sie einen geringeren Wert in der eigenen Ökonomie repräsentieren. Uns scheint das nur deswegen nicht so, weil wir meistens die Preise nach internen Währungseinheiten miteinander vergleichen: den Preisen im jeweils inneren Markt. Und hier repräsentiert eine Währungseinheit der kapitalreichen Länder mehr Kapital und eine Währungseinheit der kapitalarmen Länder weniger Kapital, das in Bewegung...


Martin Seelos (Jahrgang 1965) arbeitet unter anderem als Redakteur in Wien. Er betreut seit 2009 Blogs zu Fragen der Weltwirtschaft, der Alltagskultur und der Theorie der Planwirtschaft. Seit Beginn der 2000er Jahre beschäftigte sich der Autor mit der Methodologie in "Das Kapital" und anderen Texten von Karl Marx. Martin Seelos schrieb Beträge für verschiedene Plattformen und Zeitschriften, so etwa anlässlich der Weltwirtschaftskrise 2008/09 eine Artikel-Serie für Dolmeç, die deutschsprachige Beilage einer türkischen Monatszeitung.


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