Smith | Dahinter das offene Meer | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Smith Dahinter das offene Meer

Roman

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-95438-120-3
Verlag: Liebeskind
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Der Junge und der alte Mann leben auf einer Plattform in der Nordsee, inmitten eines riesigen Windparks, der langsam verfällt. Es gibt kein Stück Horizont ohne Windräder, doch der Park läuft nur noch mit neunundfünfzig Prozent Leistung, manchmal mehr, manchmal weniger. Öl und Schmierfett lecken aus den Rädern, die von Rost überzogen sind, manche neigen sich leicht zur Seite, die Fundamente zerfallen. Der Junge und der alte Mann sollen mit ihrem Wartungsboot den Park instand halten. Aber mit den ihnen zur Verfügung stehenden Werkzeugen und Ersatzteilen können sie immer nur notdürftige Reparaturen vornehmen. Übersetzungsräder austauschen, Risse schweißen, Kabel neu verlegen. Alle drei Monate bringt ein Versorgungsschiff neue Ersatzteile, meist jedoch nicht ... Der Junge wurde von der 'Firma' auf die Plattform geschickt, um den Platz seines Vaters einzunehmen, der einst spurlos verschwunden ist. Der alte Mann hüllt sich darüber in Schweigen. Als der Junge durch Zufall ein zweites Wartungsboot findet, zusammen mit einer Karte vom Festland, beginnt er seine Flucht zu planen. Zwischen dem Jungen und dem alten Mann beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel.

Ben Smith, 1985 in der Grafschaft Warwickshire geboren, ging in Stratford-upon-Avon zur Schule und studierte anschließend Literaturwissenschaften in Exeter. Heute lehrt er Kreatives Schreiben an der Universität von Plymouth, wo er an mehreren Projekten zum Thema Klimawandel arbeitet. 'Dahinter das offene Meer' ist sein erster Roman.
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Nichts
Die Luft im Turm war brackig und feucht, das Licht genauso merkwürdig gelb wie eine Wolke, bevor sie zu Eisregen wird. Der Junge und der alte Mann standen eng beieinander, jedoch ohne sich zu berühren im schmalen Wartungsaufzug des Windrads, die Werkzeugtasche zwischen sich. Der alte Mann drückte einen Knopf, und sie ruckelten in die Höhe. Es war still, jedenfalls so still, wie es im Park sein konnte. Da waren immer das Meer und das langsame Pulsieren der Rotoren und Generatoren, dazu der Wind, der seine rauen Fasern durch alles trieb. Sie fuhren höher, und die Geräusche wurden lauter. Es waren hundert Meter vom Gerüst bis zum Maschinenraum, und auf dieser Distanz stieg die Stärke des Windes so sehr, dass er durch jedes Gelenk und jede Niete drang, zwischen Turm und Maschinenraum, Maschinenraum und Nabe, Nabe und Getriebe. Den ganzen Tag spürte der Junge, wie die Böen auf das Metall trafen, und die Vibration drang ,ihm durch Füße und Hände bis in die Brusthöhle, dass es schien, als klopfte da sein eigener Puls an die Außenwände und wollte herein. »Dicke Scheiben Rinderfilet«, sagte der alte Mann. »Englisch. Mit Bratensaft.« Der Junge sah ihn an. »Englisch?« »Blutig.« Der Junge zählte die Sektionen des Turms, während sie an den Schweißnähten vorbeikamen. »Ich weiß.« Jedes Mal zählte er die Sektionen, obwohl die Türme alle gleich waren – aus riesigen Metallzylindern bestanden sie, die wie Dosen übereinandergestapelt waren. Die Aufzugtüren öffneten sich, und der Junge nahm die Werkzeugtasche und folgte dem alten Mann auf die Brücke hinaus. Sie blieben am Fuß der Leiter stehen und sahen zur Luke hinauf. Sie war zugerostet. »Eine Quiche«, sagte der alte Mann. »Eine Käse-Zwiebel-Quiche.« Seit einer Woche ging das jetzt schon so. Das Versorgungsschiff war überfällig, und ihnen gingen die Lebensmittel aus. Der Junge zuckte mit den Schultern. »Was?«, sagte der alte Mann. »Ich weiß nicht.« »Du weißt nicht, was das ist, oder du weißt nicht, ob du eine essen willst?« »Was ist der Unterschied?« Der Junge stellte die Tasche neben den Fuß der Leiter und sah hinauf zum schuppigen Rost. Jeden Tag sagte ihnen das automatische Instandhaltungssystem des Parks, was getan und repariert werden musste. Der Computer auf der Plattform erstellte einen Bericht, nannte die Windradnummern, ihre Position und worin das Problem bestand. Die alten technischen Handbücher beschrieben das System als intelligent. Es richtete nicht nur die Windräder aus, sondern kontrollierte auch die Leistung, verlangsamte die Generatoren, damit sie nicht überhitzten, und änderte die Einstellwinkel der Rotorblätter, wenn der Wind zu stark wurde. Es war darauf ausgelegt, das Wartungspersonal nur dann zu alarmieren, wenn etwas kaputt war, die Fälle nach Wichtigkeit geordnet, mitsamt Diagnose, und es teilte sogar mit, was sie an Werkzeugen mitnehmen sollten. Der Junge fragte sich oft, ob es je so funktioniert hatte. Nach Jahren zahlloser Berichte war das System am Ende. Es meldete ein Problem mit dem Getriebe, und tatsächlich war es der Nachführungsmotor, es zeigte an, dass der Generator nicht richtig arbeitete, obwohl die Blattwinkeleinstellung eingerostet war. Mitunter schickte es sie auch zum falschen Windrad, und sie mussten herausfinden, welches denn nun defekt war. Und so folgten sie der Liste wie dem Geschwafel von jemandem, der langsam den Verstand verlor. Dies war der dritte Job, den sie heute erledigen wollten. Mit dem ersten Windrad war alles in Ordnung gewesen. Beim zweiten hätten sie laut System nur ein paar Dinge neu verkabeln müssen, aber als sie hinkamen, fehlte der gesamte vordere Teil des Maschinenraums samt Rotor, Nabe und so weiter. Nur ein gähnendes Loch war noch zu sehen. Der Junge holte eine Bohrmaschine aus der Tasche und suchte herum, bis er einen dicken, abgenutzten Bohrer fand, dessen spiralförmige Schneiden nur mehr abgeflachte Grate waren. Er stellte sich auf die unterste Sprosse der Leiter und machte sich an den Nieten in den verrosteten Scharnieren zu schaffen. Der Bohrer verkantete und setzte aus. Der Junge schlug mit dem Akku gegen die Leiter, und der Bohrer lief wieder. Die Nieten wurden zu feinem orangefarbenem Staub. »Was würdest du nehmen?«, sagte der alte Mann. Er lehnte sich gegen das Geländer. Der Junge griff nach einer Brechstange. »Ich weiß nicht.« Er spürte den Blick des alten Mannes in seinem Rücken. Jeden Moment würde er etwas über den Winkel sagen, in dem er die Stange ansetzte, oder dass es die falsche Stelle war. »Ich denke, das scharfe Zeugs«, sagte er. Der alte Mann schloss die Augen und lächelte. »Curry-Pastete, ja. Golden und knusprig.« »Knusprig?« »Natürlich. Die muss knusprig sein.« »Wie soll das gehen?« »Wie nicht?« »Aus der Dose?« »Curry-Pastete aus der Dose?« »Curry-Pastete?« Der alte Mann atmete hörbar aus. »Was redest du, wenn du nicht weißt, was das ist?« »Ich weiß, was es ist.« Der Junge drückte fester auf das Brecheisen. »Ich weiß nur nicht, was das damit zu tun haben soll.« »Warum hast du dann Curry-Pastete gesagt?« »Ich habe scharfes Zeugs gesagt.« »Himmel.« Der alte Mann rieb sich die Stirn. »Das geht nicht.« »Warum nicht?« »Weil das bedeuten würde, dass du von allem, allem, was mit dem nächsten Versorgungsschiff kommen könnte, ausgerechnet gewürztes Protein nimmst.« Dosen, getrocknete Lebensmittel, vakuumverpackte Pakete, etwas anderes brachte das Versorgungsschiff nicht. Es gab irgendwelche zähen Weißkäse-Würfel und Pakete mit gepresstem Reis. Das gewürzte Protein war das Einzige mit ein wenig Geschmack, weshalb es immer als Erstes weg war. Deshalb benutzten sie es als Wetteinsatz, oder sie kauften sich damit von Aufgaben los, die sie nicht mochten. Der alte Mann schuldete dem Jungen bereits vier Portionen. Bis das Versorgungsschiff endlich kam, würde es nur noch Dosengemüse geben. Gelatinierte Kohlehydrate in Form von Dingen, wie sie einmal gewachsen waren. Sie waren bleich und mehlig und hinterließen einen pudrigen Rückstand auf Zunge und Zähnen. Da das Boot zu spät dran war, aßen sie seit Wochen nichts anderes. Das Einzige, was den Jungen tröstete, war, dass der alte Mann das Essen noch mehr hasste als er. Er drückte fester, die Brechstange rutschte ab, und er riss sich die Knöchel an der Luke auf. Der Junge warf die Brechstange in die Tasche und ballte und öffnete die Fäuste, eine nach der anderen. »Das hätte ich dir vorher sagen können«, meinte der alte Mann. Der Junge legte die Handflächen flach unter die Luke, fasste auf der untersten Sprosse Tritt und drückte die Klappe in den Maschinenraum. Der alte Mann stieg als Erster hinauf. Kein Licht ging an. Einmal war der Junge in einen Maschinenraum gekommen, in dem alle Schalter sanft geglüht hatten, geschmolzenes Plastik war wie Kerzenwachs die Wände heruntergeronnen. Jetzt waren ein Knall und leises Fluchen zu hören, das Umlegen von Schaltern und ein metallisches Kratzen, als der alte Mann die Dachluke öffnete und Tageslicht und einen Höllenlärm hereinließ. Der Computer hatte eine Funktionsstörung des Generators angezeigt, doch als der Junge hinaufkletterte, sah er gleich, dass der Generator funktionierte. Er blinzelte zweimal ins Licht, rieb sich mit der Hand über die Augen und machte sich daran, die einzelnen Komponenten durchzuchecken. Es gab vielfältige Gründe, warum ein Windrad nicht lief. Meist war es das Wetter, das sich Zugang verschaffte: Die Verschlüsse der Luken zerbröselten, Nieten wurden lose und Risse in der Farbe boten der Feuchtigkeit und dem Rost die Möglichkeit, sich ins Metall zu fressen. Wobei die verschiedenen Windradmodelle im Park alle ihre eigenen Schwächen hatten. Kleine Unterschiede, die mit der Zeit zu notorischen Störquellen wurden oder ganze Teile des Maschinenraums halb dem Rost hingaben. Einige der neueren Modelle sollten widerstandsfähiger sein, mit besserer Abdichtung der Schaltkreise, weniger Mechanik, aber nichts blieb lange neu und widerstandsfähig. Der Junge ging hinüber zur Schalttafel, auf der eine Reihe Lichter verloschen war. Er machte eine Geste zum alten Mann hin, der seufzte, den Reißverschluss einer Tasche vorne auf seinem Overall öffnete und ein altersschwaches Tablet herauszog. Zwei Seiten waren dick mit Isolierband verklebt, und von einem Sprung oben in einer...


Ben Smith, 1985 in der Grafschaft Warwickshire geboren, ging in Stratford-upon-Avon zur Schule und studierte anschließend Literaturwissenschaften in Exeter. Heute lehrt er Kreatives Schreiben an der Universität von Plymouth, wo er an mehreren Projekten zum Thema Klimawandel arbeitet. "Dahinter das offene Meer" ist sein erster Roman.


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