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E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Spahn Ins Offene

Deutschland, Europa und die Flüchtlinge

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-451-80964-4
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Europa 2015 – Millionen Flüchtlinge machen sich auf den Weg ins "gelobte Land", Grenzkontrollen werden eingeführt, Zäune an der Außengrenze des Schengenraumes gebaut. Niemand hat noch vor Kurzem das Ausmaß dieser neuen Völkerwanderung voraussehen können. Fest steht schon jetzt: Das wird unser Land und Europa verändern.
Meinungsstarke Autorinnen und Autoren stellen ihre Sicht auf die aktuelle Entwicklung pointiert dar, sie beleuchten Risiken und Chancen und wagen einen Ausblick auf die kommende Monate und Jahre.
Mit Beiträgen von Herfried Münkler, Boris Palmer, Sineb El Masrar, Julia Klöckner, Klaus von Dohnanyi, Mouhanad Khorchide, Franz-Josef Overbeck, Bernd Fabritius, Wido Geis, Michael Hüther, Wolfang Ischinger, Markus Kerber, Bruno Le Maire, Peter Limbourg, Carsten Linnemann, Wolfgang Niersbach, Hermann Parzinger, Julian Reichelt, Oliver Samwer, Markus Söder und Paul Ziemiak
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2 Werte – aber welche?
Unveräußerliche Werte des Zusammenlebens aus islamischer Perspektive
Von Mouhanad Khorchide Werte geben Orientierung im Leben, sie geben aber auch Motivation. Sie sind handlungsleitend und handlungsstrukturierend. Werte strukturieren unser Leben, auch in Konfliktsituationen. Werte werden nicht am Schreibtisch gemacht und werden auch nicht durch Hausordnungen und Deklarationen hervorgebracht.5 Wie der österreichische Theologe und Philosoph Clemens Sedmak schreibt: »Werte sind ›conceptions of the desirable‹, ›stabile Grundlagen für Präferenzenordnungen‹ […], sie zeigen sich in der Praxis des Zusammenlebens; sie müssen entsprechend eingeübt werden. Das geschieht im Rahmen einer Gemeinschaft.«6 Der Pragmatismus geht davon aus, dass Werte in Interaktionen zwischen Menschen entstehen. Der Sozialphilosoph Hans Joas greift diese von Charles Peirce und William James begründete und von John Dewey und Herbert Mead weiterentwickelte Denkrichtung auf, wenn er Werte als »emotional stark besetzte Vorstellungen über das Wünschenswerte«7 definiert. Diese Kurzdefinition greift gleichermaßen auf den Wertobjektivismus (das allgemein Wünschenswerte) und den Wertsubjektivismus (die emotional stark besetzten subjektiven Vorstellungen) zurück. Joas betont die Bedeutung der Wertebindung. Werte sind »etwas, das uns ergreift, das wir nicht direkt ansteuern können, das aber, wenn es uns ergreift, zu einer spezifischen Erfahrung der Freiheit führt, die selbst unter Bedingungen äußerer Unfreiheit nicht verschwindet«8. Werte entstehen in Prozessen der Selbstbildung und des Dialogs, wobei dieser Dialog auch ein innerer Dialog aufgrund der dialogischen Struktur des Selbst sein kann. Joas bezieht sich auf den Begründer des Pragmatismus und der Psychologie in den USA, William James, der den Begriff des »idealen sozialen Selbst« entwickelt hat. Jeder Mensch, so James, entwickelt in seinem Allerinnersten ein Gegenüber als das absolut Ideale. Von hierher kommt er dann auch auf den Begriff des Gebets. Das Beten kann laut James nicht historisch verschwinden; er nimmt an, dass wir beten, weil »wir nicht anders können, als zu beten«9, um uns dieses absolut idealen Anderen zu vergewissern. Der Gedanke, dass der Mensch als dialogisches Wesen auf ein ideales soziales Selbst, ein absolutes Gegenüber ausgerichtet ist, macht die Bedeutung der Religionen für die Werteaneignung verständlich. In einer pluralen Gesellschaft wie Deutschland begegnen sich unterschiedliche Wertevorstellungen zum Teil auf engstem Raum. Durch die jüngsten Flüchtlingsströme aus Syrien, dem Irak und anderen Ländern ist die Frage nach dem Minimum an Wertekonsens in unserer Gesellschaft, der eine Orientierung für ein konstruktives und friedliches Zusammenleben darstellt, wieder aktuell geworden. Da ein Großteil der Flüchtlinge der ­letzten Monate muslimischen Glaubens ist, werde ich auf das Thema Wertekonsens aus einer islamischen Perspektive eingehen. Die erste Frage, die zu beantworten ist, lautet: Um welche Werte handelt es sich, wenn hier von einem Mindestmaß an Wertekonsens die Rede ist? Im zweiten Schritt ist zu hinterfragen, ob und, wenn ja, wie sich diese Werte islamisch begründen lassen. Abschließend möchte ich Möglichkeiten der gemeinsamen Gestaltung der Zukunft des Islams in Deutschland, der ja durch die muslimischen Flüchtlinge die Chance bekommt, sich von neuen Impulsen bereichern zu lassen, aufzeigen. Nicht verhandelbare Werte
Gerade moderne plurale Gesellschaften benötigen ein hohes Maß an Partizipation und Teilhabe ihrer Bürgerinnen und Bürger, wenn sie funktionieren sollen. Gerade demokratische Staaten sind stärker auf eine eigene politische Identität angewiesen als despotisch oder autoritär regierte Gesellschaften.10 Was hält aber unsere deutsche Gesellschaft zusammen? Gibt es eine Wertebasis Deutschlands, die auch für Zugewanderte gilt? Säkularität als Trennung von Kirche und Staat
Gerade in der arabischen Welt wird Säkularität nicht lediglich als Trennung von Kirche und Staat verstanden, sondern im Sinne des französischen Modells der laïcité als radikal betriebene Säkularität und daher von der Überzeugung geleitet, dass nur eine nachreligiöse Denkweise zukunftsweisend sei, dass religiöse Praktiken und Denkweisen vormodern seien.11 Die Konsequenz daraus ist eine Abwehrhaltung bei vielen, vor allem arabischen, Muslimen gegenüber dem Begriff »Säkularität«. Die Säkularität, wie sie in Westeuropa verstanden und praktiziert wird, bedeutet, dass es keine Staatsreligion geben darf. Diese Form der Säkularität will sowohl den Staat vor religiösen Machtansprüchen als auch Religionen vor politischer Instrumentalisierung schützen und ist daher als Basis für die religiöse Neutralität des Staates zu verstehen. In einem säkularen Staat wird niemand zu einem Glauben gezwungen. Gleichzeitig wird die religiöse Gemeinde vor staatlichen Eingriffen geschützt und der Staat verzichtet auf die Favorisierung einer spezifischen religiösen oder säkularen Weltsicht.12 Jürgen Habermas hat nach dem 11. September 2001 in seiner Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels geäußert, auch wer nicht religiös sei, sollte die Kraft, die aus den religiösen Quellen kommen kann, nicht verleugnen. Habermas möchte den religiösen Gemeinschaften in der postsäkularen Gesellschaft einen Platz in der Öffentlichkeit einräumen, weil er der Überzeugung ist, dass Menschen Wertebindungen brauchen, und er befürchtet in einer Gesellschaft ohne Religion ein Wertevakuum.13 »Werte fallen nicht vom Himmel«, betont auch Clemens Sedmak14 und verweist auf die besondere Bindekraft religiöser Orientierungen. Freiheit, Gleichheit und Solidarität
Drei zentrale Werte der Französischen Revolution sind für ein friedliches und konstruktives Zusammenleben unentbehrlich: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Josef Freise interpretiert sie für uns heute als Verbundenheit, Solidarität und »compassion«15. Auch wenn diese Werte zumeist als säkulare und »religionsfreie« Werte verstanden werden, muss jeder diese mit der eigenen religiösen oder nichtreligiösen Tradition verbinden. Werte müssen zur gelebten Lebenswirklichkeit werden, damit sie keine leeren Parolen bleiben. Freiheit bezieht sich auf viele Dimensionen, dazu gehören: die freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit, die Freiheit sich zu organisieren und die Wahlfreiheit. »So gibt es keinen Zwang zu einer ganz bestimmten normierten Lebensweise. Der Amsterdamer Vertrag hat beispielsweise die homosexuelle Lebensgemeinschaft der heterosexuellen Lebensgemeinschaft mit Blick darauf gleichgestellt, dass es keine Diskriminierung geben darf. Homosexuelle Lebensweisen werden von offiziellen Vertretern der monotheistischen Religionen noch weithin abgelehnt, aber innerhalb der Religionsgemeinschaften gibt es intensive Diskussionen und Neuorientierungen dazu. Hier zeigt sich, dass religiöse Menschen und Gruppen sich dem Diskurs mit Gruppen nichtreligiöser Orientierung geöffnet haben und ihre eigenen religiösen Traditionen neu interpretieren.«16 Zur Freiheit gehört aber auch, dass Werte nicht von »oben« aufgezwungen werden, sondern von den Subjekten selbst angeeignet werden. Dazu braucht es entsprechende Sensibilisierung der Subjekte, die ihre eigenen Erfahrungen machen müssen, um sich Werte in Freiheit aus Überzeugung zu verinnerlichen. Religionsfreiheit ist eine weitere Dimension der Freiheit, die vor jeglichem Zwang in religiösen Fragen schützen soll. Dazu gehören sowohl die aktive als auch die passive Religionsfreiheit. Das heißt, dass alle Menschen das Recht haben, ihren religiösen Überzeugungen gemäß zu leben und zu handeln, solange sie nicht in Konflikt mit dem Grundgesetz bzw. mit den demokratischen Grundwerten geraten. Alle Menschen haben aber auch das Recht darauf, keiner Religion anzugehören. In Europa gibt es eine symmetrische Anerkennung religiöser Minderheiten und Mehrheiten.17 Im Amsterdamer Vertrag wird Gleichheit mit Blick auf die Überwindung von Diskriminierung und die Anerkennung von Vielfalt angesprochen. Der Amsterdamer Vertrag wendet sich gegen jede »Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Welt­anschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Orientierung« (Art. 13 des EU-Grundlagenvertrags). Diese europäischen Richtlinien finden ihre Umsetzung in Deutschland in einem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Zur Gleichheit gehört auch die Gleichberechtigung der ­Geschlechter. Solidarität in einer Gesellschaft setzt voraus, dass sich alle Bürgerinnen und Bürger in dieser Gesellschaft auf Augenhöhe begegnen und dass der »Andere« in seiner Andersheit anerkannt wird. Hans Joas unterstreicht, dass überall da, wo Menschen das Wohlergehen ihrer Person und ihrer Gruppe auf Kosten anderer durchsetzen wollen, wo Menschen diskriminiert und ausgegrenzt werden, um eigene Privilegien zu schützen, es einen Werteverfall gibt und Werte von Gleichheit und Gerechtigkeit verfallen.18 Wie steht der Islam zu demokratischen Grundwerten?
Gerade durch die Zuwanderung vieler Muslime in den letzten 60 Jahren – im Zuge der Arbeitermigration nach Deutschland und aktuell durch das Ankommen vieler Flüchtlinge muslimischen Glaubens – wurde und wird Deutschland auch religiös und...


Jens Spahn, geb. 1980 in Ahaus, sitzt seit 2002 für die CDU im Bundestag und ist seit Sommer 20105 Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Spahn plädiert seit Langem für eine qualifizierte Einwanderung und einen Islam mitteleuropäischer Prägung.


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