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E-Book

E-Book, Deutsch, 136 Seiten

Steckelberg / Bieker Wohnungslosigkeit

Grundlagen und Handlungswissen für die Soziale Arbeit

E-Book, Deutsch, 136 Seiten

ISBN: 978-3-17-038454-5
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Wohnungslosigkeit ist ein soziales Problem, mit dem sich die moderne Soziale Arbeit seit ihren Anfängen beschäftigt. Auch im 21. Jahrhundert ist die Wohnungsfrage eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen angesichts der steigenden Mieten, Zwangsräumungen und zunehmender Armut. Für immer mehr Menschen ist eigener Wohnraum keine Selbstverständlichkeit mehr.
In diesem Lehrbuch wird Wohnungslosigkeit aus unterschiedlichen Perspektiven und Disziplinen beleuchtet. Soziologische und ökonomische Grundlagen werden ebenso vermittelt wie sozial- und wohnungspolitische Strategien gegen die Wohnungsnot. Welche Ansätze, Konzepte und Methoden zur Überwindung von Wohnungslosigkeit die Soziale Arbeit bietet, wird differenziert für unterschiedliche Lebenslagen und Zielgruppen aufbereitet. Im Fokus steht dabei nicht nur die Wohnungslosenhilfe; vielmehr bezieht das Buch zahlreiche Handlungsfelder der Sozialen Arbeit mit ein und liefert entsprechende Methoden. Denn den Folgen von Wohnungsnot begegnen Sozialarbeitende in den unterschiedlichsten Kontexten - eine Entwicklung, der dieses Buch Rechnung trägt.
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2 Wohnungsmarkt und Wohnungspolitik
T Was Sie in diesem Kapitel lernen können In diesem Kapitel wird darauf eingegangen, was man unter dem Wohnungsmarkt versteht, welchen Bedingungen er unterliegt und welche Auswirkungen dies auf den Zugang von Menschen zu Wohnraum hat (? Kap. 2.1). Daraufhin wird die Frage beantwortet, was wohnungspolitische Maßnahmen sind, weshalb sie eingesetzt werden und warum sie kontrovers diskutiert werden (? Kap. 2.2). Wichtige Instrumente der Wohnungspolitik werden kategorisiert und erklärt (? Kap. 2.3) Aktuelle Entwicklungen des Wohnungsmarktes fordern die Wohnungspolitik in besonderer Weise heraus (? Kap. 2.4). Auf der Grundlage dieser Ausführungen wird verständlich, inwieweit Ursachen von Wohnungslosigkeit mit ökonomischen und politischen Strukturen und Entscheidungen zusammenhängen. Wohnen ist ein existenzielles Grundbedürfnis für alle Menschen und eine unablässige Bedingung für ein menschenwürdiges Leben. Über angemessenen Wohnraum zu verfügen, stellt die Voraussetzung für Schutz, Erholung, Reproduktion und gesellschaftliche Teilhabe dar. Die soziale und räumliche Verortung in einer Nachbarschaft und einer wohnraumnahen Infrastruktur stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wohnraum herzustellen und zur Verfügung zu stellen, dient damit dem Gemeinwohl und die Versorgung mit bezahlbaren Wohnraum stellt somit auch eine soziale Frage dar. Wohnraum ist als Sozialgut zu verstehen, dessen gerechte und ausreichende Verfügbarkeit für alle Menschen in der öffentlichen und damit vor allem politischen Verantwortung liegt. Ein gesellschaftlicher und sozialer Konflikt entsteht daraus, dass Wohnraum nicht nur ein Sozialgut, sondern zugleich auch ein Wirtschaftsgut ist (Vornholz 2013, 6). In der kapitalistischen Wirtschaftsordnung wird Wohnraum als Ware von Privatpersonen und Unternehmen hergestellt, verkauft und erworben, um einen finanziellen Gewinn zu erzielen. Das Gemeinwohl spielt dabei keine Rolle, sondern ausschließlich profitorientierte ökonomische Interessen. Um diesen Konflikt zwischen der Funktion von Immobilien als Sozialgut einerseits und Wirtschaftsgut andererseits zu entschärfen und einen Ausgleich zwischen sozialen und ökonomischen Interessen zu schaffen, werden in der sozialen Marktwirtschaft sozial- und wohnungspolitische Maßnahmen entwickelt und umgesetzt. 2.1 Der Wohnungsmarkt als unvollkommener Markt
Allgemein betrachtet ist im volkswirtschaftlichen Sinne ein Markt »der ökonomische Ort des Zusammentreffens von Angebot und Nachfrage« (Vornholz 2013, 93). Der Wohnungsmarkt ist ein Gütermarkt, auf dem Waren gehandelt werden. Der Markt entsteht durch das Zusammentreffen von Akteur*innen, die Waren verkaufen oder erwerben wollen. Der Tauschwert der Waren und damit die Höhe der Preise ergeben sich idealtypisch in der Aushandlung zwischen denjenigen, die eine Ware anbieten und mit Gewinnmaximierung veräußern wollen, und denjenigen, die die Ware nachfragen, weil sie Bedarf dafür haben. Man spricht hier von einem vollkommenen Markt (ebd., 96). Unter Marktlogik versteht man die Annahme, dass diese Aushandlung zwischen Angebot und Nachfrage sicherstellt, dass alle nachgefragten Bedarfe von Menschen gedeckt werden zu einem Preis, der allen gerecht wird. Anbieter*innen müssen sich flexibel daran orientieren, welche Waren nachgefragt sind, damit sie Abnehmer*innen auf dem Markt finden. Sind die Preise überhöht, sinkt auch die Nachfrage und zudem können Nachfragende die Waren an anderer Stelle erwerben. Die Anbieter*innen stehen dadurch im Wettbewerb zueinander. Nachfragende können auch als Ersatz auf andere Waren ausweichen (z.?B. Fahrrad statt Auto), was als Substitution bezeichnet wird, Nachfragende können aber auch auf bestimmte Waren ganz verzichten (ÖPNV statt Auto). Der vor allem von wirtschaftsliberaler Seite vertretene Leitsatz »Der Markt regelt das« vertritt die Auffassung, dass das in dieser Dynamik des idealtypischen oder vollkommenen Markts quasi von selbst entstehende Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage zu einem Leben in Wohlstand für alle Menschen führen wird und damit das individuelle Streben nach Wohlstand und Gewinn letztlich dem Gemeinwohl zugutekommt. Staatliche regulierende Eingriffe in dieses Gleichgewicht werden als störend weitgehend abgelehnt. Was heißt das nun für den Wohnungsmarkt? Folgt man der Einschätzung des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, dann gilt für den Wohnungsmarkt genau das Gleiche wie für den oben beschriebenen vollkommenen Markt. Eine freie Preisbildung auf dem Wohnungsmarkt führe zu einer angemessenen und bezahlbaren Versorgung mit Wohnraum, so das Ergebnis eines Gedankenexperiments, das der Beirat in einem 2018 erstellten Gutachten ausführt (BmWi 2018, 6?f.). Wissenschaftler*innen unterschiedlicher Disziplinen mit Expertise in den Bereichen Stadtentwicklung und Wohnen widersprechen dem hingegen (Die Unterzeichnenden 2018) auf der Grundlage empirischer Erkenntnisse zahlreicher Forschungen (Beran/Nuissl 2019, 14?f.; Holm 2014, 27). Aus diesen Forschungen lässt sich belegen, dass der Wohnungsmarkt mehrere Besonderheiten aufweist, die ihn als unvollkommenen Markt ausweisen (Vornholz 2013, 136). Welche Besonderheiten dies sind, wird im Folgenden erläutert. 2.1.1 Wohnraum als unbewegliche Ware
Wohnraum ist eine Immobilie, also eine unbewegliche Ware. Wer eine Wohnung sucht, hat in der Regel einen eingeschränkten Suchradius und ist auf regionale Teilmärkte angewiesen, zwischen denen er nicht ohne größeren Aufwand wechseln kann. So sind beispielsweise die geringen Mietpreise für Wohnungen in Kaiserslautern nicht verfügbar für Menschen, die in München leben und damit kein Angebot, auf das sie zurückgreifen können. Das hat Auswirkungen auf die Regulierungseffekte, die dem Markt idealtypisch zugeschrieben werden. Es ist bei anderen mobilen Waren (wie Autos oder Möbel) undenkbar, dass ein Produkt von vergleichbarer Größe, Funktion und Qualität in der bayerischen Hauptstadt drei Mal so viel kostet wie in einer anderen Region. Bei Miet- und Kaufpreisen von Immobilien ist dies allerdings der Fall (Holm 2014, 27). Die Angebote auf dem Wohnungsmarkt sind geografisch an einen Standort gebunden, deshalb können die Waren nicht zu den Nachfragenden geliefert werden, vielmehr müssen die Wohnungssuchenden zu den Immobilien kommen (Vornholz 2013, 7). Der Wohnungsmarkt ist deshalb gekennzeichnet durch lokale Teilmärkte mit einer begrenzten Zahl an Marktteilnehmer*innen, auf die die Wohnungssuchenden angewiesen sind (Beran/Nuissl 2019, 14). Der Wechsel zu einem anderen Angebot als Reaktion auf eine veränderte Marktlage (erhöhte Miet- oder Kaufkosten) ist in der Regel seitens der Nachfragenden nur durch einen Umzug möglich, der jedoch aufwändig ist, Kosten verursacht und durch ortsbindende Faktoren wie Arbeitsplatz, Kinderbetreuung, ÖPNV-Anbindung oder soziale Nahbeziehungen in der Nachbarschaft Nachteile mit sich bringt. »Die Immobilität der Wohnungen verzerrt also ganz offensichtlich die Preisbildung« (Holm 2014, 27). 2.1.2 Heterogenität der Güter und mangelnde Markttransparenz
Um einen Wettbewerb zwischen den Anbieter*innen einerseits und eine vergleichbare Auswahl an Waren für die Nachfragenden andererseits zu ermöglichen, sind die gehandelten Güter bei einem vollkommenen Markt möglichst homogen (Vornholz 2013, 137). Dies ist bei Wohnraum nicht der Fall. Immobilien unterscheiden sich nicht nur in der Bausubstanz und Ausstattung. Auch die Lage ist entscheidend für die Attraktivität und den Preis von Wohnraum, also die Frage in welcher Umgebung mit welcher Infrastruktur die Immobilie steht und welches Image die Wohngegend hat oder welches Image perspektivisch erwartet wird. Dadurch ist jede Immobilie nahezu ein Unikat (Vornholz 2013, 137), was die idealtypische Dynamik von Angebot und Nachfrage für eine ausgeglichene Preisbildung unmöglich macht. Die Heterogenität der Ware Wohnraum und die fragmentierten Teilmärkte führen auch zu einer mangelnden Markttransparenz, die eine weitere Voraussetzung für einen vollkommenen Markt darstellt. Es ist für Mietinteressent*innen schwer, sich eine Übersicht über den Markt zu verschaffen, also zu verstehen, welche Angebote es gibt, welche Qualität die angebotene Ware hat (Bausubstanz, Nachbarschaft etc.), wie sich der Preis begründet und welche alternativen Angebote es gibt. 2.1.3 Geringe Flexibilität und Anpassungselastizität
Bei einem vollkommenen Markt wird von einer flexiblen Anpassungsfähigkeit an Veränderungen bei den Angeboten oder bei den Bedürfnissen und Bedarfen der Nachfragenden ausgegangen. Der Wohnungsmarkt weist hingegen eine sehr eingeschränkte Flexibilität auf. Mieter*innen können nicht ohne weiteres aufgrund veränderter Bedarfe ein anderes Angebot nutzen. Die Suche nach einer kleineren Wohnung nach Auszug der Kinder wird beispielsweise dadurch erschwert, dass die große Wohnung mit bestehendem Mietvertrag häufig preiswerter ist als die...


Dr. Claudia Steckelberg hat die Professur für Sozialarbeitswissenschaft an der Hochschule Neubrandenburg inne und ist Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit.


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