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E-Book

E-Book, Deutsch, Band 2333, 130 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

Steinbacher Auschwitz

Geschichte und Nachgeschichte

E-Book, Deutsch, Band 2333, 130 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

ISBN: 978-3-406-75675-7
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



'Auschwitz' ist zum Synonym für den Massenmord an den europäischen Juden geworden. Das größte Konzentrations- und Vernichtungslager des Dritten Reiches, in dem mehr als eine Million Menschen ermordet wurden, lag unmittelbar neben der gleichnamigen Stadt, die im Zweiten Weltkrieg zur 'Musterstadt der deutschen Ostsiedlung' avancierte. Normalität und Verbrechen lagen hier dicht beieinander. Sybille Steinbacher schildert knapp und präzise die Geschichte von Auschwitz. Im Mittelpunkt steht dabei die konzeptionelle, zeitliche und räumliche Einheit von Vernichtungspolitik und 'Lebensraumeroberung'. Sie fragt nach der Wahrnehmung des Mordgeschehens in der (deutschen) Öffentlichkeit und nach der Situation der Häftlinge, nach Möglichkeiten zum Widerstand gegen die Lager-SS und dem Verhalten der Alliierten. Ein eigenes Kapitel ist der Frage nach der Zahl der Opfer gewidmet. Abschließend werden die juristische Ahndung der Verbrechen nach Kriegsende und die 'Auschwitz-Lüge' behandelt.
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I. Die Stadt Auschwitz
Grenzort seit Jahrhunderten
Deutsche ließen sich in der Gegend um Oswiecim erstmals Ende des 13. Jahrhunderts nieder. Sie begannen ein Siedlungsvorhaben, dessen vermeintliche «Vollendung» fast 700 Jahre später Antrieb und Ziel der programmatisch gewalttätigen «Germanisierungspolitik» der Nationalsozialisten wurde. Oswiecim, das 1178 erstmals schriftlich erwähnt ist, lag an der Nahtstelle zwischen Slawen und Deutschen. Sein vom altpolnischen «swiety» für «Heiliger» abgeleiteter Name verweist auf die frühe Christianisierung. Die Ostkolonisation des Mittelalters entsprang dem Wunsch polnischer Landesherren nach Landesausbau, Hebung der slawischen Kultur durch Sozial-, Rechts- und Wirtschaftsordnungen und Stärkung ihrer Macht. Die deutschrechtliche Erschließung – «deutsch» bedeutete weniger einen nationalen denn einen Rechtsbegriff – verlief unter Erhalt, Pflege und Förderung der slawischen Traditionen als friedlicher, kultureller Assimilationsprozess. Mit sich führten die Siedler das deutsche Stadtrecht, denn nach der mittelalterlichen Tradition waren Rechtsordnungen an Personen, nicht an Territorien gebunden; sie etablierten die Rechte dort, wo sie lebten, in Oswiecim um 1260. Die Stadt am Zusammenfluss von Weichsel und Sola wurde bald zu einem kleinen Handelszentrum, war Gerichtssitz und Hauptstadt des Herzogtums, das seinen Namen trug. Oftmals im Laufe der Jahrhunderte wechselte Oswiecim seine politische Zugehörigkeit: Im Jahr 1348 wurde es dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation einverleibt, und Deutsch setzte sich als Amtssprache durch. Mit der ersten Agrarkrise des Mittelalters geriet die deutsche Siedlungsbewegung Mitte des 14. Jahrhunderts jedoch ins Stocken, die Hussitenkriege beendeten die Ostkolonisation, und unter böhmischer Herrschaft wurde Tschechisch die Amtssprache in Oswiecim. Im Jahr 1457 gelangte das Herzogtum – für 50.000 Silbermark verkauft – unter die Herrschaft der polnischen Krone, behielt aber vorläufig schlesisches Recht, ehe es 1565 endgültig in den Feudalbesitz der polnischen Könige überging. Als Preußen, Russland und Österreich den polnischen Staat 1772 zerstückelten und sich Österreich die Gebiete zwischen der Biala im Westen und dem Zbrucz im Osten einschließlich der Handels- und Kulturmetropolen Krakau und Lemberg einverleibte, wurde die Region Aufmarschgebiet der Teilungsmächte, und Oswiecim ging noch im selben Jahr in österreichischen Besitz über. Deutsch wurde wieder die Amtssprache, die Stadt hieß «Auschwitz» und lag im neuen Königreich Galizien und Lodomerien des habsburgischen Kaiserreichs. Im Zuge der erneuten Revision der Teilungsgrenzen – die zweite Teilung Polens 1793 und die dritte von 1795 waren für die Stadt ohne Folgen geblieben – kam Oswiecim auf dem Wiener Kongress 1815 zum Deutschen Bund; es gehörte der föderalen Staatengemeinschaft bis zu deren Auseinanderbrechen 1866 an. Den Habsburgern unterstand die Stadt bis zum Zusammenbruch der Monarchie 1918, und bis zuletzt trug der Kaiser den Titel «Herzog von Auschwitz». Katholiken und Juden
Angezogen von den Handelsstraßen in Richtung Lemberg, Krakau, Breslau und Görlitz, siedelten sich Juden erstmals im 10. und 11. Jahrhundert im oberschlesischen Raum an. Zu dieser Zeit dürften sie sich auch in Oswiecim, das an der Kreuzung der Handelswege lag, niedergelassen haben, aber schriftlich belegt ist ihr Zuzug erst für 1457. In der Stadt bestand im Gegensatz zu den umliegenden Orten keine Vorschrift, Juden Niederlassung und Gewerbe zu verbieten. Die Katholiken entfesselten weder Pogrome noch Hinrichtungen, sie sperrten die Juden nicht in ein Ghetto und trieben sie auch nicht vor die Stadtmauern. Während der ersten blutigen Verfolgungswelle der Neuzeit, dem von Kosaken angezettelten Chmel’nickijPogrom, wurden Juden 1648/49 zwar aus den Nachbarstädten verjagt, in Oswiecim dagegen waren sie, vielleicht aufgrund ihrer relativ geringen Zahl, nicht bedroht. Im Gegensatz zu Preußen, das die polnischen Bewohner der östlichen Provinzen im 19. Jahrhundert hemmungslos preußischer Staatsräson unterordnete, ließ Österreich unter dem Eindruck außenpolitischer Niederlagen und im Bemühen um einen Ausgleich mit Ungarn den galizischen Bestrebungen nach Polonisierung und Eigenstaatlichkeit relativ freien Lauf. Das cisleithanische Kronland Galizien erhielt im Autonomiestatut von 1866 weitreichende Selbstverwaltungsrechte. Polen übernahmen die Stellen der österreichischen Beamten, die polnische Sprache zog wieder in das Verwaltungs- und Schulwesen ein. Oswiecim bekam seinen ursprünglichen polnischen Namen zurück, und auch die Straßennamen wurden wieder polnisch. Mit den gleichzeitigen wirtschaftlichen Umwälzungen nahm für die Juden Oswiecims die Phase der «guten österreichischen Zeit» ihren Anfang. Es begannen Jahrzehnte, in denen sich die zuvor eher unbedeutende und arme jüdische Gemeinde demographisch und ökonomisch stark entwickelte. Die agrarisch feudale Gesellschaftsordnung entfiel und damit auch die alte Mittlerfunktion der osteuropäischen Juden, die als Kleinhändler, Handwerker, Hausierer, Schankwirte und Pächter zwischen Grundherrschaft, Bauerntum und Staat standen und entsprechenden sozialen Konflikten ausgesetzt waren. Diese einseitige Berufsstruktur, die Juden wirtschaftliches Vorwärtskommen jahrhundertelang verwehrt hatte, verschwand. Juden konnten sich ihrer unsicheren Rechtsposition entledigen, volle bürgerliche Gleichberechtigung erlangen und Kultur und Politik maßgeblich gestalten. Eine blühende jüdische Gemeinde entstand am Ort, bald geistiges Zentrum orthodoxer Juden und zudem Sitz bedeutender zionistischer Vereinigungen. Schon die Zeitgenossen sprachen in stolzer Selbstwahrnehmung vom «Oswiecimer Jerusalem». Während Galizien Ende des 19. Jahrhunderts ein Agrarland blieb, die Bewohner zu fast 80 Prozent von der Landwirtschaft lebten, Unterbeschäftigung und offene Not herrschten, entwickelte sich Oswiecim wegen der Nähe zu den neu erschlossenen Industriegebieten Oberschlesiens und Nordostböhmens zu einer prosperierenden Stadt. Der Industrialisierungsprozess beschleunigte sich rapide, als die Stadt 1856 Haltepunkt der Eisenbahn wurde. Durch die Lage zwischen dem Kohlerevier um Kattowitz-Dombrowa und dem Industrierevier Bielitz avancierte Oswiecim um 1900 zu einem Eisenbahnknotenpunkt; drei Linien der Kaiser-Ferdinand-Nordbahn führten direkt nach Krakau, Kattowitz und Wien. Während die Katholiken Oswiecims ihren agrarischen Berufen verhaftet blieben und die Industrialisierung ablehnten, arbeitete nur ein kleiner Teil der Juden noch im hergebrachten Gewerbe. Überwiegend strebten sie in freie Berufe, vor allem im industriellen Sektor. Viele wurden Großunternehmer und eröffneten in Oswiecim und Umgebung Banken und Fabriken. Andere wagten sich mit der Gründung von Chemiewerken und Weiterverarbeitungsbetrieben in die modernen Industriezweige. Das älteste jüdische Unternehmen war die 1804 gegründete Likörfabrik von Jakob Haberfeld, die die Stadt durch das Markenzeichen «Schnaps aus Oswiecim» weithin bekannt machte. Einwanderungsschübe führten vor allem Juden nach Oswiecim. Im Jahr 1867 stellten sie mit knapp 4000 Personen mehr als die Hälfte der Neueinwanderer. Seither überstieg die Zahl der Juden die der katholischen Einwohner. Kooperation bestimmte lange Zeit die kommunale Politik – allerdings unter dem Vorzeichen jüdischer Selbstbeschränkung. Nur das Amt des zweiten Bürgermeisters war einem Juden vorbehalten, erster Bürgermeister war stets ein Katholik. Die Zahl der Deutschen und Deutschstämmigen in Oswiecim war vor dem Zweiten Weltkrieg unbedeutend. Das subjektive Zugehörigkeitsgefühl zu einer Volksgruppe richtete sich im österreichischen Vielvölkerstaat und im inhomogenen polnischen Nationalstaat nach der Umgangssprache. In den Volkszählungen der k.u.k.-Zeit bekannten sich die Einwohner so gut wie ausschließlich zur polnischen Sprache. Im Jahr 1880 gab nur ein einziger Einwohner Deutsch als Umgangssprache an, 1900 waren es zehn, und bei der Volkszählung 1921 schrieben sich drei Bewohner in die Rubrik «Volkstumszugehörigkeit deutsch» ein. Eine deutsche Minderheitengruppe existierte in Oswiecim nicht, wenngleich bei der Volkszählung vom Dezember 1931 in Polen landesweit immerhin drei Prozent der Bevölkerung ihre Zugehörigkeit zur deutschen Volksgruppe erklärten. Ebenso wenig gab es am Ort deutsche Schulen, deutsche Organisationen, deutsche Kirchen, deutsche Interessenverbände und deutsche Zeitungen. Gleich drei städtische Redaktionen aber brachten polnische Zeitungen heraus;...


Sybille Steinbacher ist Direktorin des Fr itz Bauer Instituts und Inhaberin des Lehrstuhls zur Erforschung der Geschichte und Wirkung des Holocaust an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.


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