Steinbacher | Wie der Sex nach Deutschland kam | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 576 Seiten

Steinbacher Wie der Sex nach Deutschland kam

Der Kampf um Sittlichkeit und Anstand in der frühen Bundesrepublik

E-Book, Deutsch, 576 Seiten

ISBN: 978-3-641-05317-8
Verlag: Siedler
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Neues über die Pubertät der RepublikMuffig und verklemmt erscheint die Adenauerzeit im Rückblick: als Epoche der Prüderie und Lustfeindlichkeit. Doch diese Einschätzung täuscht. Sybille Steinbacher zeigt, dass es Sexwellen gab, lange bevor die »sexuelle Revolution« begann.Sex, das Wort war neu, als es kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in Westdeutschland gebräuchlich wurde. Es stand im Zentrum erbitterter Auseinandersetzungen über Sittlichkeit und Anstand. Denn gerade mit dem neuen Erotikboom in der Publizistik sahen viele Zeitgenossen der Adenauerära eine moralische Krise heraufziehen, während andere davon überzeugt waren, Fortschritt und Modernität hielten nun aus Amerika Einzug. Wie vermint das ideologische Gelände war und wie heillos Sittlichkeitsverfechter bald ins Hintertreffen gerieten, offenbarte Anfang der fünfziger Jahre die Verbreitung der Kinsey-Reporte. Bald florierte zudem Beate Uhses Erotik-Firma, und im Sommer 1961 kam die Pille auf den Markt. Sybille Steinbacher erschließt ein bislang unbeachtetes Feld in der Politik- und Gesellschaftsgeschichte der frühen Bundesrepublik – und bricht Klischees auf: Sie zeigt, dass es in puncto Sexualität eine Revolution vor der Revolution gab.• Neue Erkenntnisse über die »sexuelle Revolution« in Deutschland• Überraschender Blick auf die Nachkriegszeit
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KAPITEL 3 Konsumzeitalter und sexuelle Befreiung (S. 237-238)

Beate Uhse, die spätere Chefin von Europas größtem Erotikkonzern, begann ihr Geschäft mit dem Sex in Braderup, einem 300-Seelen-Dorf bei Niebüll im äußersten Norden Schleswig-Holsteins. Dorthin hatte es die knapp 25-jährige Kriegerwitwe in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges verschlagen, nachdem sie gemeinsam mit ihrem anderthalbjährigen Sohn und einigen Begleitern noch aus dem zerbombten Berlin herausgekommen war.

Die Flucht war ihr im Flugzeug gelungen, einer zweimotorigen Reisemaschine, die sie selbst steuerte. Beate Uhse war Hauptmann der Luftwaffe gewesen und hatte seit 1943 in Diensten der Wehrmacht gestanden. Als Angehörige eines Überführungsgeschwaders hatte sie Jagdmaschinen, Sturzkampfbomber und Strahljäger an die Front geflogen, so wie ihr Ehemann und einstiger Fluglehrer Hans-Jürgen Uhse, der Staffelkapitän eines Nachtfluggeschwaders gewesen und im Jahr vor Kriegsende umgekommen war. Beate Uhse hatte im Dritten Reich eine für Frauen wenig typische Karriere gemacht; Mitglied der NSDAP war sie nicht geworden, aber am Nationalsozialismus hatte ihr besonders die Offenheit für den technischen Fortschritt gefallen.

Die jüngste Tochter des Landwirts und Gutsbesitzers Otto Köstlin und seiner Frau Margarete, einer Ärztin, war im Oktober 1919 zur Welt gekommen und mit ihren beiden Geschwistern auf dem elterlichen Gutshof Wargenau bei Cranz in Ostpreußen aufgewachsen. Sie hatte die behütete Kindheit eines Mädchens aus wohlhabendem Hause verlebt, zuerst auf der Nordseeinsel Juist die höhere Schule und dann das Internat der Odenwaldschule besucht. Mitte der dreißiger Jahre hatten die Eltern sie zum Sprachaufenthalt nach England geschickt. Statt danach, wie geplant, eine Haushaltslehre zu absolvieren, hatte sie mit 17 Jahren den Pilotenschein gemacht und war zunächst Einfliegerin in einem Flugzeugwerk geworden, ehe sie heiratete und im Dienst der Wehrmacht in die Reichshauptstadt zog.

Ihre Flucht vor dem »Endkampf«, der dort tobte, führte sie zunächst für einige Wochen in britische Kriegsgefangenschaft.2 Ihre Eltern waren zu dem Zeitpunkt beim Einmarsch der Roten Armee in Ostpreußen bereits ums Leben gekommen.3 Nach ihrer Entlassung verdingte Uhse sich in Braderup und Umgebung als Landarbeiterin, verkaufte im Wandergewerbe Spielzeug, Knöpfe und Haushaltswaren und setzte Annoncen in die Zeitung, in denen sie Traumdeutung anbot.

Als Hausiererin in einer Gegend, in der sich viele Flüchtlinge niedergelassen hatten, lernte sie viele Frauen kennen - und deren Probleme. Angesichts der Nachkriegsnot und der mit Abtreibung verbundenen hohen gesundheitlichen Risiken für die Frauen war eines besonders dringlich: die Verhütung ungewollter Schwangerschaft. Beate Uhse half mit Ratschlägen, erstellte Fruchtbarkeitstabellen und ließ sich dafür (in Naturalien) bezahlen. Dies waren ihre Anfänge als Unternehmerin in Sachen Sexualität.


Steinbacher, Sybille
Sybille Steinbacher, geboren 1966, ist Historikerin. Nach ihrem Studium in München war sie an den Universitäten Bochum, Jena, Harvard und Frankfurt am Main tätig. Derzeit ist sie Professorin für Zeitgeschichte in Wien. Sie ist Autorin zahlreicher Fachpublikationen, darunter viele Arbeiten zur Geschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust sowie zur Gesellschaftsgeschichte der „sexuellen Revolution“ in der Bundesrepublik Deutschland. Ihr Buch „Auschwitz. Geschichte und Nachgeschichte“ (2004) wurde in mehrere Sprachen übersetzt.


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