Stelter | Eiszeit in der Weltwirtschaft | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 337 Seiten

Stelter Eiszeit in der Weltwirtschaft

Die sinnvollsten Strategien zur Rettung unserer Vermögen

E-Book, Deutsch, 337 Seiten

ISBN: 978-3-593-43353-0
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Vermögensrettung in der Dauerkrise

Privatanlegern erschien die Finanzkrise von 2008 noch als kurzer Schneesturm, der bald vorüber sein würde. Doch mittlerweile ist die gesamte Weltwirtschaft erstarrt. Mit negativen Konsequenzen für unsere Privatvermögen, die langsam, aber sicher schrumpfen. Was können wir tun, um unser Geld zu retten? Daniel Stelter umreißt die vier wahrscheinlichsten Entwicklungsszenarien, auf die wir uns in naher Zukunft einstellen sollten: große Depression, Sanierung durch Schuldenschnitte, Vermögensabgaben und Inflation. Daraus leitet er rationale Strategien ab, die uns helfen, unsere Vermögen zu erhalten - egal, was passiert.
"Daniel Stelter gelingt eine ausgezeichnete Analyse der aktuellen Situation der globalen Ökonomie. Die Folgen für Anleger sind dramatisch: deutlich geringere zukünftige Renditen und eine zunehmende Gefahr von schweren Krisen an den Finanzmärkten."
Marc Faber, Herausgeber des Gloom, Boom & Doom Report und einer der einflussreichsten Investoren der Welt

- Stelters Buch ist eine Anleitung zum Selberdenken in der Wirtschaftskrise.
- Seine Analyse: Der rasche Kollaps unseres Wirtschaftssystems ist ausgeblieben. Eine Anhaltende Stagnation - die Eiszeit - hat eingesetzt.
- Ein Buch für Anleger, die ihr Vermögen langfristig erhalten möchten.
- Stelter gibt sich nicht als Prophet, er ist ein Kenner!
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INHALT

Einleitung 11

Teil 1:
Der Weg in die Eiszeit

Money for nothing 17
30 Jahre Schuldenboom 17
Entfesselung der Märkte 19
Schulden als Allzweckwaffe der Politik 21
Der Euro als Schuldenturbo 22
Die Blase platzt 24

Die Rolle der Banken 27
Privatbanken schöpfen Geld 27
Niemand versteht die Banken 29
Unproduktive Kredite 31
Weg vom Krisenzyklus 36

Deutschland und der Euro 39
Scheinblüte auf Pump 39
Die Natur der Rezession von 2008 41
Island - oder der andere Weg 44
Deutschland, der Eurogewinner? 47
Die ungelösten Probleme des Euroraums 53

Die demografische Krise 54
Die Erwerbsbevölkerung schrumpft 54
Wie Demografie wirkt - das Beispiel Spaniens 56
Deutschland braucht qualifizierte Zuwanderer 58
Ungedeckte Versprechen 62

Die Produktivitätskrise 66
Das Wachstum kehrt nicht zurück 66
Warum investieren wir nicht? 68
Im Kondratieff-Winter? 71
Innovationen wirken weniger 74

Teil 2:
Die Politik verschärft die Eiszeit

Die Antwort auf die Krise - noch mehr Schulden 81
Die Ausgangslage 2009 81
Die Schulden des einen sind die Forderungen des anderen 82
Das Ponzi-Spiel geht weiter 85
Schulden wirken immer weniger 88
Wie viele Schulden sind "zu viel"? 90

China - Schuldenwirtschaft nach westlichem Vorbild 94
China wie Griechenland - nur viel größer? 94
An der Wohlstandsmauer 96
Der Geist von 1929? 98
Deflationsexporteur China 99

Planlose Euroretter 102
Die deutsche Europolitik vor dem Scherbenhaufen 102
Die linke Agenda für Europa 106
Musterschüler Spanien 114
Was man tun müsste 119
Ausblick 124

Japan: Vorbild für Europa? 127
Der Weg in die Krise 127
Verlorene Jahrzehnte 128
Japan ist pleite 130
Mit Abenomics die Mauer durchbrechen 132
Staatsschulden annullieren 135
Lehren für Europa 136

Teil 3:
Dreißig Jahre Eiszeit?

Die These von der säkularen Stagnation 141
Die Welt wächst nicht mehr 141
Gefangen in der Negativspirale 143
Gute und schlechte Deflation 145
Der Ruf nach drastischen Maßnahmen 148
Was zu tun wäre 152
Basisszenario: Eiszeit 155

Chaos und deflationärer Kollaps 157
Die zweite große Depression - nur verschoben 157
China als Risikofaktor 161
Beppe Grillo und Co. 162
Volksfront gegen den Euro 164

Sanierung durch Schuldenschnitt 168
Insolvenz oder Schuldenschnitt? 168
Keine neue Idee 172
So könnte man es machen 175
Vernünftig, aber unpopulär 176

Die Notenbanken sollen es richten 179
Mahnende Worte aus Basel 179
Schlechter Rat aus Basel? 181
Erhebliche Nebenwirkungen 183
Kampf der Deflation 188
Monetarisierung: Rettung oder Desaster? 190
Die Notenbanken sind schon weit gegangen 192

Geldreform und Schuldentilgung -
zwei Fliegen mit einer Klappe? 196
Revolution in Island? 196
Bisherige Reformversuche greifen zu kurz 198
Lösung der Schuldenkrise? 199
Zunehmende Unterstützung 201
Kann man dem Staat trauen? 203

Jeder gegen jeden in der Eiszeit 207
Der globale Währungskrieg 207
Das Szenario für die kommenden Jahre 211

Teil 4:
Überleben in der Eiszeit

Kalte Zeiten - kühler Kopf 217
Am Gipfel angelangt 217
Der einzige Tipp: Glauben Sie nicht an Tipps! 219
Vermögen ist mehr als Geld 222
Selber denken 222
Kosten senken 229
Hin und her macht Taschen leer 231
Nicht auf ein Pferd setzen 233

Wer verliert, erfriert 236
Verluste vermeiden 236
Im Einkauf liegt der Gewinn 240
Recht haben ist etwas anderes als recht bekommen 246
Vorsicht mit Schulden 253

Mit Disziplin durch die Eiszeit 259
Vermögenserhalt hat Priorität 259
Wir investieren zu viel in Europa 262
Das diversifizierte Portfolio in der Praxis 264
Diversifikation wirkt bei Deflation und Inflation 268
Was, wenn der Euro scheitert? 278
Qualität geht vor 282
Zinsen können steigen - oder fallen! 293
Gold gehört in jedes Portfolio 299
Lieber eine Rolex als Swatch-Aktien? 303
Wie anfangen? 308
Glück ist mehr als Geld 314

Glossar 316

Anmerkungen 323


EINLEITUNG

Die Krise von 2008 war keine normale Krise. Es war auch keine "Finanzkrise". Es war der Beinahe-Kollaps unseres Wirtschaftssystems, welches von immer mehr und immer billigeren Schulden abhängt. Wie ein Heroinsüchtiger braucht die Weltwirtschaft eine immer größere Dosis billigen Geldes. Wenn die Schulden nicht mehr weiter wachsen, dann bricht alles zusammen.
Schulden schaffen keine Probleme, solange der Kreditnehmer die Absicht hat, einen entsprechenden Teil seines Einkommens zu verwenden, um das geliehene Kapital zurückzuzahlen und seiner Verpflichtung zur Zahlung von Schuldzinsen nachzukommen. Ich nenne solche Schulden "produktiv". Dies gilt für Investitionen und einen Teil der privaten Kredite.
Auf der anderen Seite stehen die unproduktiven Schulden. Der Schuldner eines unproduktiven Kredits hofft, seine Zahlungsverpflichtungen dadurch erfüllen zu können, dass der Wert des von ihm erworbenen Vermögensobjekts steigt. Meist handelt es sich bei dem besagten Objekt um eine Immobilie.
Je größer der Anteil der unproduktiven Kredite, desto krisenanfälliger ist das System. In den letzten drei Jahrzehnten hat sich der Bestand der produktiven Kredite im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt1 nicht nennenswert verändert. Die unproduktiven Schulden haben sich währenddessen vervielfacht. Immer mehr Schulden dienen spekulativen Geschäften.
Die Regierungen und Notenbanken der westlichen Welt haben diese Entwicklung massiv gefördert. Billige Kredite und steigende Vermögenswerte sollten darüber hinwegtäuschen, dass die Realwirtschaft nicht mehr so stark wuchs wie in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Dass infolge des Markteintritts Chinas und Osteuropas die Löhne stagnierten, ließ sich durch die Vermögenszuwächse leichter kompensieren.
Wann immer eine Krise drohte, wurde interveniert: Die Zinsen wurden ein weiteres Mal gesenkt, die Kreditstandards weiter gelockert. 2008 schien die Grenze erreicht. Wer immer sich verschulden konnte und wollte, war nunmehr verschuldet. Das System stieß an seine Grenze und es wurde offensichtlich, dass der Schuldenturm vor dem Zusammenbruch stand.
Wir hatten die Wahl: kalter Entzug, also Abkehr vom Leben auf Pump, oder ein weiterer "Schuss". Wohl nur wenige wundern sich darüber, dass die Politik sich für den Schuss entschied. Manipulierte Bankbilanzen, nochmalige Zinssenkungen und der direkte Kauf von Wertpapieren sollten das Schuldenwachstum anheizen.
Mit Erfolg. Überall liegt die Gesamtschuld der Regierungen, der Unternehmen und der privaten Haushalte im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung höher als 2007. Nur der zusätzlichen Verschuldung ist es zu verdanken, dass wir 2008 nochmals davongekommen sind. Doch wir haben uns nur Zeit gekauft. Ein immer größerer Teil der neuen Schulden dient zur Aufrechterhaltung der Illusion, die bereits bestehenden ließen sich weiterhin bedienen.
Europa und die USA haben sich von dem Einbruch erholt. Doch der Aufschwung ist der schwächste seit dem Krieg. Hohe Arbeitslosigkeit, schwache Nachfrage und geringe Investitionen prägen das Bild. Die Inflationsraten sind bedrohlich gering. Sinkende Preise auf breiter Front sind in greifbare Nähe gerückt.
Alles spricht dafür, dass die Notenbanken in einer Abwärtsspirale gefangen sind. Billiges Geld führt zu steigenden Schulden für Spekulation und Konsum. Damit wächst die Krisenanfälligkeit der Wirtschaft, was wiederum noch geringere Zinsen erforderlich macht.

Zu niedrige Zinsen in der Vergangenheit machen noch niedrigere Zinsen heute erforderlich, die wiederum nochmals niedrigere Zinsen morgen bedingen. Geld muss immer billiger und immer großzügiger in das System gepumpt werden.

Dabei wirkt die Schuldenlast deflationär und trägt damit den Keim des Kollapses in sich. Haben wir uns mit immer mehr Schulden nach oben gehebelt und Vermögenswerte "aufgeblasen", so droht ein scharfer Einbruch, sobald die Preise ins Rutschen kommen oder die Zinsen steigen. Sehr schnell gelangen wir an den Punkt, an dem Verkäufe nicht mehr freiwillig erfolgen, sondern erzwungen werden.
In einer überschuldeten Welt gibt es nur wenige Wege der Sanierung: den kalten Entzug mit Pleiten, Konkursen und Depression. Oder die etwas weniger drastische Lösung über Besteuerung oder Inflationierung.
Wohin man auch blickt, es mehren sich die Warnsignale. Die Welt ächzt unter hohen Schulden, geringem Wachstum und hoher Arbeitslosigkeit. Das Sparbuch wirft kaum noch Zinsen ab. Die Finanzmärkte erleben, ausgehend von China im Sommer 2015, heftige Turbulenzen. Terror und Flüchtlingskrise untergraben die wirtschaftliche Stabilität und den politischen Zusammenhalt. Der Ruf nach immer ungewöhnlicheren Maßnahmen der Notenbanken wird lauter. Statt einer neuen großen Depression erleben wir eine Depression in Zeitlupe. Der rasche Kollaps ist ausgeblieben. Stattdessen hat eine lang anhaltende Stagnation eingesetzt: die Eiszeit.
Fast niemand hat die Krise von 2008 erwartet. Fast niemand sieht die Eiszeit vorher. Das sollte nicht verwundern, zeigen Studien doch eindeutig, dass Volkswirte Rezessionen nicht vorhersagen.1
Die Krise begann vor mehr als acht Jahren. Nach den Maßstäben der Bibel wären die mageren Jahre vorbei und wir könnten uns auf sieben fette freuen. Doch danach sieht es nicht aus. Stattdessen müssen wir uns privat und in der Vermögensanlage auf die Eiszeit einstellen. Selber denken und vorbereiten, lautet die Devise.

Teil 1:
Der Weg in die Eiszeit

MONEY FOR NOTHING

30 Jahre Schuldenboom
Finanz- und Wirtschaftskrisen sind die Folge eines zu starken Kreditwachstums bei privaten Haushalten und Unternehmen. Auf den Staat greifen diese vom Privatsektor ausgelösten Krisen erst dann über, wenn der Staat eingreifen muss, um Banken und Privatwirtschaft zu stabilisieren. Das ist das Fazit einer Studie der Universität Bonn, die 94 Krisen der letzten 140 Jahre zum Gegenstand hat. Schon allein die Zahlen zeigen: Krisen sind eher die Regel als die Ausnahme.2
Was die Studie außerdem zeigt: Je weniger Schulden der Staat vor dem Ausbruch der Krise hatte, desto milder verlief die Krise. Dieser Zusammenhang leuchtet ein, denn nur gering verschuldete Regierungen haben genügend Luft zur Aufnahme von Krediten, um gegensteuern zu können. Müssen sie hingegen zeitgleich mit dem Privatsektor sparen, so folgt daraus ein schwerwiegender Rückgang der Wirtschaftsleistung.
Die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 war demgemäß kein Zufall. Sie war vielmehr das unvermeidliche Resultat eines Übermaßes an Schulden, die im privaten Sektor und von einigen Regierungen eingegangen wurden.
Tatsächlich haben wir es mit einem Verschuldungsboom zu tun, der in der Geschichte ohne Beispiel ist. Von 1980 bis 2010 ist die weltweite Verschuldung dramatisch angewachsen. Berechnungen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) - der Notenbank der Notenbanken mit Sitz in Basel - weisen für die Industrieländer einen Anstieg von 160 Prozent auf über 320 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung aus. Real betrachtet, also bereinigt um den Effekt steigender Preise, haben sich die Schulden der Unternehmen mehr als verdreifacht, die der Staaten mehr als vervierfacht und die der privaten Haushalte gar mehr als versechsfacht.
Abbildung 1 zeigt die Zunahme der Verschuldung von Staaten, privaten Haushalten und Unternehmen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den verschiedenen Ländern. Der leichte Rückgang der Schuldenquote in den USA von 1990 bis 2000 ist auf den damaligen Wirtschaftsboom zurückzuführen. Der deutliche Anstieg der Schulden in Deutschland im selben Jahrzehnt ist die direkte Folge der deutschen Wiedervereinigung. In allen Ländern wuchsen die Schulden deutlich schneller als die Wirtschaftsleistung.

Entfesselung der Märkte
Nachdem die Verschuldung über Jahrzehnte hinweg relativ stabil war, setzte ab 1980 ein deutlicher Anstieg ein. Das war kein Zufall, sondern das gewollte Ergebnis der Wirtschaftspolitik. Den Regierungen ging es immer darum, unmittelbar bestehende Probleme auf einfache Weise zu lösen und Rezessionen zu bekämpfen, wie ein Blick in die Wirtschaftsgeschichte zeigt.
In den 1970er-Jahren schwächte sich das Wirtschaftswachstum in der westlichen Welt deutlich ab. Mit dem ersten Ölpreisschock 1973, steigender Inflation und zunehmender Arbeitslosigkeit kam eine Ära ständigen Wachstums und kontinuierlicher Wohlstandsgewinne zu ihrem Ende. Die Zeit des hohen Wachstums seit dem Zweiten Weltkrieg hatten die Staaten dazu genutzt, die Verschuldung im Verhältnis zum BIP zu reduzieren. Nun begannen sie, mit Konjunkturprogrammen im Sinne der Empfehlungen des britischen Ökonomen John Maynard Keynes (1883 bis 1946) Wirtschaftspolitik zu betreiben. Die Privatverschuldung war derweil gering. Man wirtschaftete vorsichtig.
Bei Kriegsende hatten sich die führenden Nationen im US-amerikanischen Städtchen Bretton Woods auf ein System fester Wechselkurse mit Bindung an den US-Dollar geeinigt. (Der US-Dollar war damals an den Goldpreis gebunden.) In den ersten Jahren funktionierte das System gut, doch dann mehrten sich die Spannungen. Zu ungleich war die wirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Staaten. Überdies führten die enormen Kosten des Vietnamkriegs zu deutlichen Staatsdefiziten in den USA. Als die Franzosen Zahlungen in Gold statt in US-Dollar forderten, brach das System fixer Wechselkurse zusammen. Die Bindung des US-Dollar an das Gold wurde 1973 aufgehoben. Die Schaffung neuen Geldes vollzog sich von nun an losgelöst von den Goldbeständen der Notenbanken.
Die Inflationsraten stiegen deutlich an. Der Begriff der "Stagflation" wurde geprägt, um eine Wirtschaft zu umschreiben, deren Entwicklung bei gleichzeitig stark steigenden Preisen erlahmte. Nur durch drastische Zinserhöhungen gelang es den Notenbanken, allen voran der US-Notenbank Federal Reserve Board (kurz Fed), die Inflation unter Kontrolle zu bringen. Der Preis war eine heftige Rezession Anfang der 1980er-Jahre.
Um das Wachstum der Wirtschaft zu fördern, setzten die Staaten - ausgehend von den USA und Großbritannien - auf eine zunehmende Liberalisierung und Deregulierung vor allem des Banken- und Finanzsektors. Die Banken durften ihre Geschäfte deutlich ausdehnen und die Finanzierung von Anschaffungen auf Kredit wurde für breitere Bevölkerungsschichten normal.
Nach der erfolgreichen Bekämpfung der Inflation ging das Zinsniveau deutlich zurück. Die Nachfrage der privaten Haushalte und Unternehmen zog an. Die Wirtschaft belebte sich und andere Länder folgten dem Vorbild der USA und Großbritanniens und deregulierten ihre Finanzmärkte.
Wachsende Kredite und ein Wirtschaftsaufschwung bewirkten einen deutlichen Anstieg der Vermögenspreise. Die Kurse von Anleihen stiegen, während die Zinsen sanken. Die Aktienmärkte starteten zum größten "Bullenmarkt" ihrer Geschichte, der erst Anfang des Jahres 2000 sein Ende fand.
Mit dem Fall der Mauer und dem Eintritt Osteuropas und Chinas in den Weltmarkt - der sogenannten Globalisierung - intensivierte sich der weltweite Wettbewerb. 820 Millionen Menschen strömten neu auf den weltweiten Arbeitsmarkt.3 Sie brachten die Löhne unter Druck und die Preise stiegen nur noch langsam. Die Inflationsgefahr schien gebannt. Die Notenbanken befürchteten gar eine Deflation, das heißt im Durchschnitt sinkende Preise. Da eine Deflation als Vorzeichen einer großen Depression wie in den 1930er-Jahren galt, hielten sie mit niedrigen Zinsen dagegen. Um jeden Preis sollte ein Verfall der Preise verhindert werden. Das Zinsniveau war jahrelang zu gering und befeuerte die Preise von Anleihen, Aktien und Immobilien. Es war einfach, auf Kredit ein Vermögen zu machen.

Schulden als Allzweckwaffe der Politik
Wann immer es zu Turbulenzen an den Finanzmärkten kam, waren die Notenbanken zur Stelle. Dies gilt für den Börsenkrach im Oktober 1987 und die Asienkrise 1997/98 ebenso wie für die Russlandkrise 1998/99 und die Schieflage des Hedgefonds LTCM 1998. Spekulanten und Investoren an den Finanzmärkten gelangten deshalb zu der Überzeugung, dass nie wirklich etwas schiefgehen könne. Die Notenbanken würden sie retten, wann immer es zu einem Unfall im Finanzsystem kommen würde.
Die steigenden Preise der Vermögenswerte erlaubten es zugleich, mehr Kredite nachzufragen. So ließ sich der höhere Preis für ein Haus nutzen, um mit einem weiteren Kredit entweder ein größeres und schöneres Haus zu kaufen oder das neue Auto oder die Ausbildung der Kinder zu bezahlen. Steigende Vermögenswerte und Schulden dienten als Ausgleich für ausbleibende Lohnzuwächse.
Nicht nur die US-Notenbank betrieb eine aggressive Geldpolitik. Auch die japanische Notenbank versuchte, durch eine Politik des billigen Geldes die eigene Wirtschaft, die noch immer unter den Folgen der im Jahr 1990 geplatzten Spekulations- und Schuldenblase litt, auf Wachstumskurs zu bringen. Kredite in Yen waren unschlagbar günstig. Dies regte Spekulanten aus aller Welt dazu an, sich in Yen zu verschulden und auf den weltweiten Finanzmärkten zu spekulieren - eine Einladung, die bereitwillig angenommen wurde.
In diesem Umfeld steigender Kredite und Vermögenswerte wurde das Internet erfunden, das die Hoffnungen auf viele neue Industrien und Geschäftsmodelle nährte. Obwohl es noch einige Zeit dauern sollte, bis sich diese neuen Geschäfte etablierten, kam es an der Börse zu einer wahren Euphorie. Ein neues Zeitalter wurde beschworen und anerkannte Grundsätze der Bewertung von Unternehmen wurden als veraltet abgetan. Angeheizt durch die Hochstimmung und niedrige Zinsen, kam es zur wohl größten Aktienmarktblase der Geschichte. US-Aktien notierten auf der Spitze mit dem mehr als Dreifachen des fundamental gerechtfertigten Wertes und damit deutlich über dem Höchststand vor dem letzten großen Crash von 1929. Es kam, wie es kommen musste: Die Aktienmärkte stürzten ab und die Angst vor einer neuen großen Depression breitete sich aus.
Dies wiederum rief die US-Notenbank auf den Plan. Unter ihrem damaligen Präsidenten Alan Greenspan wurden die Zinsen auf ein erstes Rekordtief gesenkt. Als nach den Anschlägen vom 11. September 2001 eine Verschärfung der Rezession drohte, wurden sie nochmals herabgesetzt. Die US-Autoindustrie warb mit günstiger Finanzierung. "Keep America rolling", lautete das Motto. Die US-Regierung tat alles, um den Bürgern den Erwerb von Eigenheimen zu erleichtern. Klares Ziel: durch ein Anheizen der Immobilienpreise den US-Konsum und damit die Wirtschaft stimulieren. Die Methode hatte Erfolg. Die Rezession wurde rasch überwunden, die Wirtschaft wuchs wieder, die Arbeitslosigkeit ging zurück und die Aktienkurse ebenso wie die Immobilienpreise stiegen deutlich.
Die Zinspolitik der US-Notenbank wirkt sich unmittelbar auf die Zinspolitik in den anderen Ländern aus. Halten die anderen Notenbanken an höheren Zinsen fest, so kommt es zu einer Aufwertung der jeweiligen Währungen mit entsprechenden negativen Wirkungen für den Export und die Wirtschaft in den betreffenden Ländern. Die Notenbanken der Welt sahen sich deshalb gezwungen, den US-amerikanischen Weg mitzugehen. Weltweit sanken die ohnehin schon niedrigen Zinsen noch weiter ab.

Der Euro als Schuldenturbo
In Europa begann zeitgleich ein historisches wirtschaftspolitisches Experiment: Der Euro wurde eingeführt, ohne dass die für eine Währungsunion wichtigste Voraussetzung - nämlich eine gemeinsame Fiskal- und Wirtschaftspolitik - geschaffen wurde. Der Euro hatte in erster Linie folgende Wirkung: Die Zinsen fielen überall auf das deutlich geringere deutsche Niveau. Da die Inflationsraten nicht gleichermaßen zurückgingen, ergaben sich in vielen Ländern negative Realzinsen. Die Folge war ein rasanter Verschuldungsboom in den heutigen Krisenländern Europas.
Deutschland, das mit einem zu hohen Umtauschkurs in den Euroraum eingetreten war, durchlief derweil eine schwerwiegende Anpassungskrise. Die Arbeitslosigkeit schnellte nach oben und die Löhne stagnierten. Es folgten umfassende Arbeitsmarktreformen (Harz IV). Die Binnennachfrage war davon besonders betroffen, weshalb sich die Wirtschaft noch stärker auf den Export konzentrierte.
Ein Land, das mehr Waren exportiert als importiert, erzielt einen Handelsüberschuss. Ein solcher Überschuss steht aber nicht für sich alleine. Spiegelbildlich bedeutet er, dass das Land mehr Kapital aus- als einführt. Wer also einen Handelsüberschuss erwirtschaftet, transferiert Geld ins Ausland. Der Kapitalexport führt zu einer weiteren Senkung des Zinsniveaus in den anderen Ländern und fördert so den - schuldenfinanzierten - Konsum.
Kapital aus dem Ausland kann gut angelegt sein, zum Beispiel in neuen Fabriken, oder auch schlecht, zum Beispiel in Krediten für Immobilien und Konsum. Können die Kredite nicht bedient werden, so verliert das Kapitalexportland seine Forderungen. Im Grunde genommen könnte es die exportierten Waren, die seiner Kapitalausfuhr gegenüberstehen, auch gleich verschenken. Dieser Aspekt wird uns im Hinblick auf Deutschland noch beschäftigen.
Die niedrigen Zinsen zeigten ihre Wirkung: In den USA, Großbritannien, Spanien, Portugal und Irland stiegen die Preise für Immobilien deutlich. Die Aktienmärkte erholten sich ebenfalls und näherten sich zum Teil wieder den im Jahr 2000 erreichten Höchstständen. Banken und Investoren suchten angesichts der niedrigen Zinsen nach attraktiveren Anlagemöglichkeiten. So kam man in den USA auf die Idee, die vergebenen Hypothekenkredite in Wertpapieren zu bündeln und diese Wertpapiere an Investoren aus aller Welt zu verkaufen. Angesichts der Erfahrung, dass die Immobilienpreise eigentlich nur steigen können, bot dies Investoren eine relative sichere Möglichkeit, ihr Geld anzulegen - so dachte man zumindest.
Der Boom führte dazu, dass die Kreditvergabe immer laxer gehandhabt wurde. Es war immer weniger Eigenkapital vonnöten, um ein Haus zu erwerben, und immer weniger achteten die Banken auf die Finanzkraft des Käufers. Warum auch? Konnten sie doch die Hypothek sogleich, in ein Wertpapier verpackt, an ahnungslose Käufer weiterreichen.

Die Blase platzt
Der Rest ist bereits Geschichte, wie man so schön sagt, denn natürlich kam es, wie es kommen musste: Der Boom wurde immer offensichtlicher. Fernsehsendungen beschäftigten sich mit Strategien, durch "Immobilien-Flipping" - also den schnellen Kauf und Verkauf - reich zu werden. Immer mehr Kunden kauften ohne Eigenkapital, weil sie darauf hofften, der Wertzuwachs des Hauses würde ausreichen, um die Finanzierungskosten zu decken. Aus ihrem laufenden Einkommen konnten viele die Zinsen nicht aufbringen. Die Baubranche boomte und immer mehr Häuser kamen auf den Markt, mit der Folge eines zunehmenden Überangebots.
Als die Immobilienpreise zu fallen begannen, wurde schnell klar, dass viele Schuldner nicht in der Lage waren, ihren Verpflichtungen nachzukommen, und dass folglich die Wertpapiere längst nicht so werthaltig waren wie gedacht. Die Pleite der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers machte die Risiken vollends offensichtlich. Angesichts der Dimensionen, welche die Verschuldung erreicht hatte, und der immer geringer gewordenen Eigenkapitalquoten der Banken drohte ein Kollaps des Finanzsystems, der die Weltwirtschaft in eine tiefe Depression gestürzt hätte.
In Europa zeigte sich zugleich, dass der Euro ein Schönwetterkonstrukt ist. Er ermutigte nicht nur private Haushalte, Unternehmen und Regierungen zu enormer Verschuldung, sondern er hat auch zu wachsenden Ungleichgewichten innerhalb der Eurozone geführt. Deutschland hatte im Zuge der Krise Anfang des Jahrtausends die Lohnkosten stabilisiert, in den anderen Ländern aber stiegen die Löhne während des Booms weiter an. Infolgedessen verloren die anderen Länder an Wettbewerbsfähigkeit und sammelten im Handel mit Deutschland hohe Defizite an.
"Große Finanzkrisen sind meistens die Folge eines sehr starken Kreditwachstums im privaten Sektor", lautet das Fazit der bereits angesprochenen Studie der Universität Bonn. Nicht anders ist es auch bei der Krise, die 2008 begann. Im Unterschied zu den 94 von den rheinländischen Forschern untersuchten Krisen der letzten 140 Jahre hatten wir es hier jedoch mit einer Krise zu tun, die nicht nur ein einzelnes Land betraf, sondern nahezu die gesamte westliche Welt.
In den USA erwuchs die Krise aus der zu hohen Verschuldung der privaten Haushalte, vor allem bedingt durch den Immobilienboom, bei zugleich ungenügender Finanzkraft der Banken. In Europa lag die Verschuldung der Unternehmen und der privaten Haushalte auf einem noch höheren Niveau als in den USA. Auffallend hoch war sie bei den privaten Haushalten in Großbritannien, Irland, Spanien und Portugal. Unternehmen, speziell solche aus dem Bausektor, waren vor allem in Irland, Spanien und Portugal hoch verschuldet. Zugleich wiesen Staaten wie Griechenland und Italien bereits 2008 eine nicht tragfähige Schuldenlast auf. Das Bankensystem Europas hatte zugleich deutlich mehr Kredite in den eigenen Büchern stehen als die Kollegen in den USA - und das auch noch mit deutlich weniger Eigenkapital.


Daniel Stelter ist die unabhängige Stimme zur Finanzkrise. Der Makroökonom macht mit seinem Blog »Think Beyond the Obvious« sowie seiner Kolumne »Stelter strategisch « (Wirtschaftswoche) auf sich aufmerksam. Seine Artikel erscheinen auch im ManagerMagazin, in Capital, SZ und Euro am Sonntag.


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