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E-Book, Deutsch, 186 Seiten

Storck Deutung

E-Book, Deutsch, 186 Seiten

ISBN: 978-3-17-041212-5
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Als eine spezifische Form der Intervention im Behandlungsprozess ist die Deutung in das Setting und den Rahmen psychoanalytischer Behandlungen eingebettet. Sie beruht auf der Regressionsförderung, richtet sich auf (dynamisch) Unbewusstes und soll zu einem Durcharbeiten anstoßen, in dessen Verlauf psychische Veränderung möglich wird. Im vorliegenden Band, dem achten in der Reihe "Grundelemente psychodynamischen Denkens", wird u.a. auf die Bedeutungs- und die Veränderungstheorie der Psychoanalyse geblickt, um zu prüfen, wie der besondere "Austausch von Worten" (Freud) im Rahmen der analytischen Beziehung Wirkungen nach sich zieht. Thematisiert werden verschiedene Formen der Deutung in kritischer Betrachtung sowie die Frage nach dem Umgang mit Diversität in der Psychoanalyse und ihrer Deutungspraxis.
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2          Das Konzept der Deutung in der Freud’schen Psychoanalyse
      Laplanche und Pontalis (1967, S. 117) definieren die Deutung im Freud’schen Sinne als »Aufdeckung der latenten Bedeutung der Worte und Verhaltensweisen eines Subjekts durch die analytische Untersuchung.« Sie erhelle »die Modalitäten des Abwehrkonflikts und zielt letztlich auf den Wunsch ab, der sich in jeder Bildung des Unbewußten ausdrückt.« In einer psychoanalytischen Behandlung sei die Deutung eine »dem Subjekt gemachte Mitteilung, um ihm zu dieser latenten Bedeutung Zugang zu verschaffen« (a. a. O.), sie diene dem »Erhellen der latenten Bedeutung eines Materials« (a. a. O., S. 118). Auch Mertens (2004, S. 91) bezeichnet die Deutung als »das wesentliche Charakteristikum der Tätigkeit des Psychoanalytikers«. Die Deutungen unbewusster Sinnzusammenhänge ( Kap. 3), so Mertens (a. a. O.) weiter, »sollen zur Einsicht in die Entstehung von neurotischen Konflikten, Symptomen und Charakterhaltungen beitragen«. In einer ersten Sichtung kann man also sagen, dass die Deutung damit zu tun hat, etwas dem Bewusstsein nahezubringen, das beziehungsweise dessen Bedeutung ansonsten aus guten psychischen Gründen vom bewussten Erleben ferngehalten wird. 2.1       Begriffliche Grundlagen und Differenzierungen
Dabei muss besonders beachtet werden, dass – auch wenn das Konzept der Deutung viel mit Bedeutungen und der Einsichtnahme darin zu tun hat – zwischen Deutung und Interpretation zu unterscheiden ist (was umso komplizierter wird, wenn man sich die Übersetzungen beispielsweise ins Englische oder Französische ansieht, in denen zwischen beiden zumindest terminologisch nicht unterschieden wird). Eine Interpretation als Teil des verstehenden Vorgehens in einer Hermeneutik besteht im probeweisen Einsetzen möglicher Bedeutungen in Verständnislücken. Der hermeneutische Zirkel, in dem sich eine Interpretation am Interpretandum bewähren muss, verfolgt das Ziel, eine verstehbare Gestalt unter Berücksichtigung der verschiedenen Kontexte der Interpretation, des Interpretandums und des Interpreten zu finden. Das spielt in der Psychoanalyse zweifelsohne eine große Rolle, insofern es ja auch darum geht, einfühlend ein Bild davon zu gewinnen, wie ein Analysand sich fühlt oder mit welchen Fantasien eine Vorstellung oder Handlung verbunden ist – und dies im Kontext von Biografie, sozialen Beziehungen und Affekten. Nichtsdestoweniger ist die Deutung im engeren Sinn etwas, das in erster Linie erstarrte Erlebnisweisen (z. B. im Symptom) in Frage stellen soll; sie soll Zusammengesetztes (etwa eine abwehrbedingte Ersatzbildung oder einen Kompromiss aus Wunsch und Abwehr) auftrennen – und in dieser Weise geht sie analytisch, zerlegend, vor (vgl. zu diesem Gedanken auch Laplanche, 1995). Während die Interpretation etwas zusammenzusetzen helfen soll, dient die Deutung der Auftrennung und damit dem Finden neuer Erlebnisformen, ohne diese bereits bereitzustellen. Auch mit Mertens (2004, S. 94; Abb. 2.1) kann gesagt werden, dass der Vorgang des Interpretierens sich intrapsychisch auf Seiten des Analytikers vollzieht (und parallel dazu vor und nach der Deutung auf Seiten des Analysanden). Die Interpretation ist Teil von dessen einfühlendem Erkenntnisprozess, im Zuge dessen er sich ein Bild davon macht, was er hört und anderweitig zu spüren bekommt. Die Deutung als eine Form der Intervention wird im interpersonellen Bereich verortet, sie ist Teil des analysierenden Prozesses, den beide Beteiligten gemeinsam vollziehen. Das bedeutet auch, dass die vom Analytiker ausgesprochene Deutung nicht am Ende eines Verstehensprozesses steht, nicht dessen Ergebnis ist, sondern etwas in Gang setzen soll. Insofern ist nur zu unterstreichen, dass die Deutung dem Analysanden Zugangsmöglichkeiten zu seinem eigenen Erleben möglich ma- Abb. 2.1: Interpretation, Intervention und Deutung (aus Mertens 2004, S. 94) chen soll, sie ist Teil eines Prozesses und soll nicht Inhalte vermitteln, sondern Prozesse, die wiederum eine Formgebung (in Wort, Bild, Affekt) nach sich ziehen. Das findet sich in anderen Worten auch in der Definition von Berns (2014, S. 176), in der Deutungen die »Mitteilungen des Psychoanalytikers an seinen Patienten [sind], die der Aussage des Patienten eine Bedeutung zumessen, die über das bisherige bewusste Selbstverständnis des Patienten hinausgeht, so dass er zu der unbewussten Bedeutung seiner Verhaltensweisen und Worte Zugang bekommen kann«. Auch hier: Die Deutung soll nicht selbst die Bedeutung vermitteln, sondern es ermöglichen, eine solche zu finden. Sie zielt genauer gesagt darauf ab, »Symptome oder Widerstände als pathogene Verarbeitungsformen einer aktuellen Beziehungserfahrung durch Nutzung der freien Einfälle (Derivate des Unbewussten) verstehbar und unnötig zu machen.« (a. a. O., S. 177) Hier findet sich angedeutet, dass die Deutung konzeptuell zunächst einmal (weiter unten wird diskutiert werden, welche Variationen einzubeziehen sind) in ein konfliktbezogenes Modell von (neurotischen) Erkrankungen eingebunden ist. Dabei ist eine Berücksichtigung der »aktuell stattfindenden Interaktionen zwischen Patient und Analytiker« (a. a. O.) nötig. Abb. 2.2: Die Zusammenhänge zwischen Interaktion, Mitteilung, Bedeutung und Unbewusstem in der Deutung Es zeigen sich also einige Eckpfeiler in der Konzeption der psychoanalytischen Deutung. Als spezifisch psychoanalytische Interventionsform bezieht sie sich auf (dynamisch) Unbewusstes, den Gegenstand der psychoanalytischen Erkenntnisbemühungen. Sie berührt eine Suche nach Bedeutung, aber gleichsam gebrochen darüber, dass sie keine Bedeutungen vermittelt, sondern einen Prozess anregt, durch den bedeutungsmäßige Formen (nicht nur sprachlicher Art) gefunden werden können sollen. Sie ist ferner angebunden an eine verbale Mitteilung im Rahmen der Interaktion zwischen Analytiker und Analysand (weiter unten wird sich auch zeigen, dass der Zeitpunkt, in dem im Rahmen dieser Interaktion eine Deutung gegeben wird, von hoher Bedeutung ist). Die Deutung findet gerahmt durch das analytische Behandlungssetting (verbindlicher Rahmen, Regressionsförderung) und die Haltung des Analytikers (gleichschwebende Aufmerksamkeit) wie der des Analysanden (freie Assoziation) statt. Das bedeutet auch, dass die Deutung Teil der psychoanalytischen Methode ist – sie steht im Kontext anderer Elemente des Prozesses und kann aus diesem nicht »wild deutend« herausgelöst werden. Das Konzept der Deutung ist schillernd und hat eine Reihe von Erweiterungen und Anpassungen erfahren. Bei aller Vorsicht gegenüber einer solchen Dichotomie und nur scheinbaren Abgrenzbarkeit können eine eher »klassische« und eine »erweiterte« Betrachtungsweise unterschieden werden. In klassischer Hinsicht sind Deutungen bezogen auf Abwehr und Widerstand (besonders in der Übertragung) und darauf, wie sich darin unbewusste Wünsche und nicht-zugängliche Affekte zeigen. Dies erfolgt auf der Grundlage der freien Assoziation, die ja gerade diese Abwehrbewegungen und die Kompromissbildungen aus Wunsch und Verbot zu erhellen helfen soll. Dabei werden Übertragung und Gegenübertragung auch insofern beachtet, als dies – unter Förderung der Regression – das Feld ist, in dem sich Wiederholungen zeigen und verstanden werden können, so dass Veränderung (als das Finden neuer, funktionsfähigerer Ersatzbildungen) möglich wird. In erweiterter Betrachtung (dazu nicht im Widerspruch stehend, aber der Möglichkeit nach auch auf andere Leidenszustände und analytische Prozesse beziehbar) sollen Deutungen vor allem die Möglichkeit einer psychischen Repräsentation von Affekten und Beziehungserleben (anders gesagt: das Erleben von Affekten in Beziehungen) sowie deren Verarbeitungsmodi voranbringen, auch hier unter besonderer Beachtung von Übertragung und Gegenübertragung ( Kap. 5 zu verschiedenen Veränderungsmodellen in der Psychoanalyse). 2.2       Die Deutung von Träumen
Der Terminus »Deutung« kann außerhalb der Psychoanalyse Verschiedenes meinen. Auch hier ist er eng verbunden mit dem interpretatorischen »Aus«-Deuten von etwas, in erster Linie von Texten (eine Google-Suche zu »Deutung« liefert unter den Vorschlägen zur Vervollständigung des Suchbegriffs u. a. »Deutungshypothese Faust« oder »Deutungshypothese Steppenwolf«…). Deutung im allgemeinsprachlichen Verständnis meint das Finden einer vermeintlich korrekten oder wahren Bedeutung; hinzu kommen Konnotationen wie das Deuten auf etwas, im Sinne eines Hindeutens. Laut Duden meint Deutung den »Versuch, den tieferen Sinn, die Bedeutung von etwas zu erfassen; Auslegung, Interpretation«. Der Begriff ist eng verbunden mit dem der Interpretation und taucht im Umfeld der Hermeneutik als Methodenlehre der Interpretation...


Prof. Dr. Timo Storck ist Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Psychologischen Hochschule Berlin sowie psychologischer Psychotherapeut und Psychoanalytiker (DPV/DGPT/IPA).


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