Storck | Ich und Selbst | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 207 Seiten

Storck Ich und Selbst

E-Book, Deutsch, 207 Seiten

ISBN: 978-3-17-041208-8
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



In der Psychoanalyse ist die Betrachtung, wie "ich" "mich selbst" erlebe, von besonderer Bedeutung. Dazu ist zu untersuchen, wie unter dem Begriff des Ich psychische Funktionen oder Fähigkeiten gefasst werden und unter dem Begriff des Selbst die Vorstellungen, die sich jemand von sich selbst macht. Damit verbunden sind verschiedene Akzente in unterschiedlichen psychoanalytischen Richtungen, v.a. in der Ich-Psychologie oder der Selbstpsychologie. Zudem sind u.a. Konzepte psychischer Struktur oder struktureller Fähigkeiten relevant. Im vorliegenden Band wird eine kritische Prüfung dieser Konzepte und Richtungen vorgenommen, illustriert an der Untersuchung eines Fallbeispiels in verschiedenen Betrachtungsweisen.
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1          Einleitung
      In jeder Theorie des Psychischen spielen Konzeptionen von Ich oder Selbst eine zentrale Rolle, in deren Entwicklung, im Verhältnis zum anderen oder als Teile von »Persönlichkeit«. Psychoanalytisch betrachtet lassen sich entlang dieser beiden, manchmal deutlich unterschiedlich verwendeten Konzepte (Überblick und Einordnung zuletzt bei Althoff, 2019), viele der wichtigsten Positionen unterschiedlicher Schulrichtungen kennzeichnen. Psychoanalytische Konzepte haben (zurecht) den Anspruch, wissenschaftliche zu sein. Das muss bedeuten, dass sie sich in bedeutsamer Weise auf Phänomene der inneren und äußeren Erfahrung richten. Somit sind sie nicht etwas, das man so in der Welt finden oder beobachten könnte (z. B. das Über-Ich), sondern es handelt sich bei ihnen um konzeptuelle Abstrakta, die etwas auf den Begriff bringen sollen (z. B. wiederkehrende Selbstanklage). Als wissenschaftliche Konzepte werden sie auf dem Weg eines methodisch geleiteten Zugangs zur Erfahrungswelt gewonnen; »empirisch« im grundlegenden Sinn bedeutet zunächst einmal nur »erfahrungsbezogen« (im Gegensatz zu »rationalistisch«), erst in einem engeren Begriffssinn ist damit dann ein apparativ, experimentell o. ä. geleiteter wissenschaftlicher Zugang gemeint. Für einen solchen bedarf es Operationalisierungen der psychoanalytischen Konzepte, die methodisch auf der Ebene der klinischen Behandlung gebildet und verändert werden (vgl. z. B. Kaluzeviciute & Willemsen, 2020). Diese stehen überdies in einem konzeptuellen Zusammenhang zu einander, denn nur auf diese Weise lässt sich ihr argumentativer Gehalt prüfen. Ferner sind sie »sparsam«, also gerade so komplex wie nötig, um etwas darüber zu sagen, worauf sie sich beziehen. Vor diesem Hintergrund sind in den vorgegangenen Bänden der vorliegenden Reihe verschiedene Konzepte in den Blick geraten. Besonders deutlich wird der Gedanke, dass Konzepte sich nicht auf Dinge in der Welt beziehen, in Auseinandersetzung mit dem psychoanalytischen Triebkonzept (Storck, 2018a). »Trieb« ist nicht mess- oder beobachtbar, es handelt sich um ein Konzept, das etwas über Vermittlungsprozesse zwischen physiologischer Erregung und psychischem Erleben sagen soll. Deshalb bezeichnet Freud (1915c, S. 214) den Trieb als »Grenzbegriff zwischen Psychischem und Somatischem«, es wird bezeichnet, dass uns etwas in die psychische Repräsentation treibt. »Trieb« ist in diesem Sinn ein psychosomatisches Konzept, es bezieht sich auf Wirkungen von Psyche und Soma aufeinander. Noch aus einem anderen Grund unterscheidet es sich vom Instinkt oder biologischen Zusammenhängen: Triebhaftes erwächst aus der Interaktion, die körperlichen/leiblichen Zustände, die ins Psychische drängen (um dort reguliert zu werden). Statt dass das triebhafte Individuum losgelöst von sozialen Bezügen und Interaktion betrachtet werden könnte, handelt es sich beim Trieb auch um ein sozialisatorisches Konzept. Indem darin nun gefasst ist, dass sich Erregung in Erleben vermittelt (Freud meint, der Triebdrang stelle das Maß an Arbeitsanforderung für das Psychische dar; 1915c, S. 214ff.), kann man davon sprechen, dass es sich bei der Triebtheorie der Psychoanalyse um eine Theorie der allgemeinen Motivation des Psychischen handelt, insofern sie nämlich etwas darüber sagt, wie Psychisches als solches motiviert ist. Eine Theorie der speziellen Motivation hingegeben findet die Psychoanalyse in ihrer Konzeption des unbewussten Konflikts (Storck, 2018b). Dort also, wo es konkret darum geht, welche Motive hinter einer Erlebnisweise oder Handlung verborgen sind, rekurriert die Psychoanalyse vor dem Hintergrund der Theorie der infantilen Psychosexualität, der Aggressionsentwicklung oder des Narzissmus auf Motivkonflikte. Die Psychoanalyse verwendet einen erweiterten Begriff von Sexualität und zwar dahingehend, dass sich Sexualität über Lust/Befriedigung und Erregung auch jenseits der primären Geschlechtsorgane bestimmt. Auch andere lustvolle körperliche Empfindungen gelten dann als sexuell. Als infantile Sexualität ist dies noch unintegrierter und unregulierter als später, wenn, so Freud, eine Vereinigung unter dem Genitalprimat (1905d, S. 109ff.) erfolgt ist. In der infantilen Sexualität sind die verschiedenen lustvollen Empfindungen noch unverbunden. Nachfolgende Autoren1, etwa Laplanche (1988), akzentuieren auch besonders den Bruch in der zweizeitigen Sexualentwicklung des Menschen, wie die Psychoanalyse sie beschreibt: Es wird nicht von einer schlichten Entwicklungsreihe aus infantiler Sexualität, Latenz-Zeit und genitaler Sexualität ausgegangen, in der das Frühere im Späteren aufgehoben ist. Vielmehr bleibt die infantile Sexualität, also die ungebändigte Form, beim Erwachsenen eine Art Fremdkörper. Lust und Unlust liefern die Grundlage für die Konzeption des Menschen als konflikthaft. Freud versteht Lust als das, was wir empfinden, wenn ein Reiz an Intensität abnimmt, und Unlust als das, was wir erleben, wenn die Intensität eines Reizes ansteigt beziehungsweise gleichbleibend hoch ist. Dabei sind es die Momente, wo dieselbe Handlung oder Handlungsvorstellung sowohl mit Lust als auch mit Unlust verbunden ist, die psychische Konflikte darstellen. Prototypisch kann dafür der Stillvorgang genommen werden (oder allgemein der Vorgang der Nahrungsaufnahme durch den Säugling): Hier geht es um eine Interaktion, die sowohl mit Beruhigung als auch mit Stimulierung verbunden ist, denn natürlich ist das Stillen eingebunden in eine sinnvolle Interaktionsszene. Andere Beispiele wären verschiedene Formen von Ambivalenz, wo es darum geht, sowohl positive als auch negative Gefühle einer Person beziehungsweise der Vorstellung von ihr gegenüber zu empfinden. Einer der Kontexte der Konflikttheorie ist die Theorie der psychosexuellen Entwicklungsphasen. Diese beziehen sich zwar auf Körperlichkeit und körperliche Entwicklung und ihre Konflikthaftigkeit hat damit zu tun, welche Entwicklungsaufgaben sich stellen: In der oralen Phase geht es um die Erkundung der Welt mit dem Mund (einschließlich der Lautproduktion), um lustvolle Empfindungen an Zunge, Lippen oder Mundschleimhäuten, in der analen Phase geht es um die Kontrolle der Ausscheidungsfunktion, die Sauberkeitserziehung und die Auseinandersetzung mit den eigenen »Produkten« und in der phallisch-ödipalen Phase tritt der Geschlechter- und Generationenunterschied ins Zentrum sowie die Auseinandersetzung mit Rivalität, Verlust und Wirkmacht. Neben stärker körperbezogenen Lesarten lassen sich für die Entwicklungsphasen allerdings auch stärker »thematische« Lesarten verfolgen, in denen es bei der Oralität insgesamt um Fragen der Versorgung geht, bei der Analität um Kontrolle und beim Phallisch-Ödipalen um Begrenzung und deren Anerkennung. Im Hinblick auf die Strukturkonzeptionen in der Psychoanalyse (Kap. 5) ist noch zu erwähnen, dass sich psychische Konflikte aus psychoanalytischer Perspektive auf unterschiedlichen Stufen der Reife beziehungsweise strukturellen Integration bewegen können. Es lassen sich eher reifere Formen eng umgrenzter innerpsychischer Konflikte zwischen Wunsch und Verbot beziehungsweise zwischen widerstreitenden Wünschen beschreiben, aber auch viel basalere Konflikte beziehungsweise Konfliktschemata, zum Beispiel solche aus Nähesehnsüchten und Verschmelzungsängsten. Eine besonders zentrale Rolle im Hinblick auf Konflikt und Sexualität kommt dabei der Ödipalität zu. Bei Freud wird diese noch eher konkret verstanden, z. B. als die Angst des Jungen, durch den Vater für seine sexuellen Wünsche gegenüber der Mutter mit Kastration bestraft zu werden (allerdings benennt Freud durchaus auch eine Rivalität des Jungen mit der Mutter um die Nähe zum Vater, ebenso wie beide Formen für das Mädchen). In einem zeitgenössischen Verständnis lässt sich über den weiteren Verlauf der Konzeptentwicklung, etwa in Form der von Melanie Klein beschriebenen »Frühstadien des Ödipuskonfliktes«, davon sprechen, dass sich ödipale Konflikte um die Auseinandersetzung damit drehen, dass die Personen, zu denen jemand in Beziehung steht, auch prinzipiell zueinander in Beziehung stehen können, und man selbst aus deren Beziehung zumindest relativ und passager ausgeschlossen sein kann. Dann werden ödipale Konflikte zu etwas, das mit der Anerkennung von Begrenzung zu tun hat, die Kastration ist dann keine gefürchtete anatomische Handlung, sondern bezieht sich als »symbolische Kastration« darauf, in seiner Potenz eingeschränkt zu sein, d. h. Grenzen und Begrenzungen anerkennen zu müssen. In einer solchen Lesart bleiben ödipale Konflikte nicht auf klassische Familienkonstellationen beschränkt: Die Auseinandersetzung damit, dass Bezugspersonen aufeinander...


Prof. Dr. Timo Storck ist Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Psychologischen Hochschule Berlin sowie Psychologischer Psychotherapeut und Psychoanalytiker (DPV/DGPT/IPA).


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