Storck | Übertragung | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 185 Seiten

Storck Übertragung

E-Book, Deutsch, 185 Seiten

ISBN: 978-3-17-037573-4
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Der fünfte Band der Buchreihe setzt sich mit dem Konzept der Übertragung auseinander. Darin zeigen sich wichtige Grundannahmen der Psychoanalyse, etwa die Wiederholung von Beziehungserfahrungen und Fantasien in der Beziehung zwischen Analytiker und Analysand. Damit korrespondiert nicht nur auf Seiten des Behandlers die Gegenübertragung, sondern es lässt sich auch begründen, wie in der Psychoanalyse Annahmen über unbewusste Prozesse gebildet werden. Die Konzepte von Übertragung und Gegenübertragung stellen die Grundlage für die Konzeption der therapeutischen Beziehung in analytischen Behandlungen dar. Spezifische Übertragungsformen bei unterschiedlichen psychischen Störungen werden in den Blick genommen und skizziert, wie eine Arbeit an oder in der Übertragung mit Veränderungsprozessen im Zusammenhang stehen.
Storck Übertragung jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


2          Das psychoanalytische Konzept der Übertragung: Grundlagen, Verbindungen und Variationen
      Es geht also, insbesondere unter Rückgriff auf die Überlegungen zum dynamisch Unbewussten und zur Objektrepräsentanz, darum, was an (Beziehungs-) Vorstellungen nicht bewusst zugänglich und trotzdem leitend ist, und andere Formen findet, sich bemerkbar zu machen. Darauf gibt das Konzept der Übertragung eine Antwort. In einer Folge der TV-Serie The Sopranos (»Pax Soprana«, 1999) sehen wir den Protagonisten Tony Soprano, einen Mafiaboss, der wegen Angstattacken eine Psychotherapie bei Dr. Melfi begonnen hat. Er spricht über Schwierigkeiten in seiner Ehe und u. a. eine Erektionsstörung. Er habe deshalb seiner Frau vorgeschlagen, sich sexyer anzuziehen. Seine Therapeutin greift das auf und spricht darüber, dass sich nicht jede Frau damit wohlfühle, Reizwäsche zu tragen. Tony antwortet, dass es ihm nicht darum gehe – manche Frauen seien sexy, wenn sie sich schlicht kleideten: »So wie Sie. Sie spielen es runter. Es ist offensichtlich, dass Sie einen Hammerkörper darunter haben.« Sie sei zart, nicht laut, wie eine Mandoline. Tony steht auf und beginnt, Dr. Melfi zu küssen, doch sie wehrt ihn ab. Angesichts ihrer Grenzsetzung (und dem Ende der Stunde) verlässt Tony gekränkt die Praxis. Dass ein Analysand Gefühle, unter diesen eine erotische Anziehung oder Verliebtheit, entwickelt, ist kein Zufall, sondern Teil dessen, dass sich Gefühle, Wünsche, Fantasien und anderes in der therapeutischen Beziehung aktualisieren. Freud hat mit der Beschreibung der Übertragung (und Gegenübertragung) dafür eine konzeptuelle Rahmung bereitgestellt. 2.1       Die Entwicklung des Übertragungskonzepts bei Freud
Gleichwohl muss beachtet werden, dass sich das behandlungstechnische Konzept der Übertragung erst im Verlauf und in Auseinandersetzung mit einigen anderen Annahmen entwickelt hat. 2.1.1     Ursprünge des Konzepts in den Studien über Hysterie
In Freuds Entwicklung der Psychoanalyse als »talking cure« (Freud, 1910a, S. 7) gibt es einige Einflussfaktoren und Vorläufer. Im Anschluss an die Hypnose als einem wichtigen Ausgangspunkt entwickelt Freud den Gedanken einer »Druckprozedur« (1895d, S. 307): Er nimmt vorübergehend an, dass – auch ohne Hypnose – den auf der Couch liegenden Analysandinnen Wesentliches zu den Ursachen ihrer Erkrankung einfallen würde, wenn er ihnen auf die Stirn drückte: »Ich teile dem Kranken mit, daß ich im nächsten Momente einen Druck auf seine Stirne ausüben werde, versichere ihm, daß er während dieses ganzen Druckes eine Erinnerung als Bild vor sich sehen oder als Einfall in Gedanken haben werde, und verpflichte ihn dazu, dieses Bild oder diesen Einfall mir mitzuteilen« (Freud, 1895d, S. 270). Wenig verwunderlich ist, dass er dies bald zur Methode einer Arbeit mit der freien Assoziation abändert – nun geht es um das freie Folgen der Einfälle und ein möglichst spontanes Sprechen, auch ohne Druck auf die Stirn. Dabei stößt Freud auf ein »Hindernis«, jedoch kein inhaltliches (bezogen auf die Denkprozesse und -inhalte), sondern ein »äußerliches«, das mit der Beziehung zum Arzt zu tun habe: »[W]enn das Verhältnis des Kranken zum Arzte gestört ist«, bedeute es »das ärgste Hindernis, auf das man stoßen kann«. Bereits in diesem Kontext beschreibt er also hemmende Elemente des Behandlungsprozesses, und zwar in allgemeiner Form: »Man kann […] in jeder ernsteren Analyse darauf rechnen« (a. a. O.), dass es Widerstandsphänomene gibt (vgl. Storck, in Vorb. a), also eine Art von Sträuben gegen die Veränderung, der mittels eines (professionellen) Beziehungsangebots begegnet wird. Zu dieser recht frühen Zeit der Entwicklung seines psychoanalytischen Werks geht es Freud bereits um Aspekte der therapeutischen Beziehung: »Ich habe bereits angedeutet, welche wichtige Rolle der Person des Arztes bei der Schöpfung von Motiven zufällt, welche die psychische Kraft des Widerstandes besiegen sollen. In nicht wenigen Fällen, besonders bei Frauen und wo es sich um Klärung erotischer Gedankengänge handelt, wird die Mitarbeiterschaft der Patienten zu einem persönlichen Opfer, das durch irgendwelches Surrogat von Liebe vergolten werden muß. Die Mühewaltung und geduldige Freundlichkeit des Arztes haben als solches Surrogat zu genügen.« (Freud, 1895d, S. 307f.). Hier geht es noch nicht direkt darum, dass die Analytikerin als jemand zur Verfügung steht, auf die sich die Gefühle stellvertretend richten, sondern dass sie mit ihrer unterstützenden, zugeneigten Haltung dabei hilft, das Opfer zu bringen, über Peinliches oder anderweitig Unangenehmes zu sprechen. Damit ist nun aber zugleich bereits darauf verwiesen, weshalb die analytische Beziehung so anfällig für Verliebtheitsgefühle ist: Es handelt sich um harte Arbeit und die Analytikerin stellt eine sehr intime und liebevolle Beziehung zur Verfügung. Auch aus Sicht des »frühen« Freuds zeigt sich hier allerdings nicht nur die zugewandte Haltung des Arztes (zur Überwindung des einen Widerstands, aber als Quelle eines anderen, nämlich dem Übertragungswiderstand), sondern auch eine Anklage ihm gegenüber, in der Beziehung selbst kann sich auch ein »gestörtes« Verhältnis zeigen, denn es »tritt der Kranken das Bewußtsein der Beschwerden dazwischen, die sich bei ihr gegen den Arzt angehäuft haben« (a. a. O., S. 308). Der Arzt ist Surrogat als Entschädigung für das Opfer der Überwindung der Peinlichkeit, aber auch Ziel verschiedenster anderer Gefühle. Für Freud sind drei »Hauptfälle« von Widerstand unterscheidbar (a. a. O., S. 308f.). Dabei geht es erstens um die »leicht zu überwinden[de]« Widerstandsform, dass eine Patientin sich »beleidigt glaubt« oder »Ungünstiges über den Arzt und die Behandlungsmethode gehört« habe, was Freud als »eine Art von Missverständnis oder Fehleinschätzung« begreift. Als zweiten Fall nennt er die Furcht der Patientin, dem Arzt gegenüber ihre »Selbständigkeit« zu verlieren oder in (sexuelle) Abhängigkeit von ihm zu geraten. Darin liege ein Hemmnis, sich auf die Behandlung einzulassen, denn das Angewiesensein auf den Therapeuten liege »in der Natur der therapeutischen Bekümmerung«. Als dritte Form wird genannt: »Wenn die Kranke sich davor erschreckt, daß sie aus dem Inhalte der Analyse auftauchende peinliche Vorstellungen auf die Person des Arztes überträgt.« Hier beschreibt Freud den Kern des später genauer ausgeführten Übertragungskonzepts, indem es darum geht, dass der Analytiker nicht nur unterstützend dafür wirkt, mit Hemmnissen umzugehen, oder zum Ziel von Anklagen wird, sondern dass sich in der Beziehung zu ihm Gefühlsregungen zeigen, die mit psychischen Konflikten im Zusammenhang stehen. Freud spricht vom »regelmäßige[n] Vorkommen« in Analysen und meint, die »Übertragung auf den Arzt geschieht durch falsche Verknüpfung«. Er veranschaulicht das Gemeinte durch das Beispiel aus einer Behandlung: »Ursprung eines gewissen hysterischen Symptoms war […der…] ins Unbewußte verwiesene Wunsch, der Mann, mit dem sie damals ein Gespräch geführt, möchte doch herzhaft zugreifen und ihr einen Kuß aufdrängen. Nun taucht einmal nach Beendigung einer Sitzung ein solcher Wunsch in der Kranken in bezug auf meine Person auf; sie ist entsetzt darüber, verbringt eine schlaflose Nacht und ist das nächste Mal, obwohl sie die Behandlung nicht verweigert, doch ganz unbrauchbar zur Arbeit. Nachdem ich das Hindernis erfahren und behoben habe, geht die Arbeit wieder weiter und siehe da, der Wunsch, der die Kranke so erschreckt, erscheint als die nächste, als die jetzt vom logischen Zusammenhange geforderte der pathogenen Erinnerungen.« (a. a. O., S. 309). Es liegt eine große Gefahr darin anzunehmen, dass das, was eine Analysandin erschrecken lässt, letztlich immer auf den verdrängten Wunsch zurückführbar wäre, dass genau das geschehen möge, was bewusst als ängstigend erlebt wird. Das steht in einem größeren Kontext einer Diskussion über Freuds Annahmen zur sogenannten Verführungstheorie (vgl. Storck, 2018b, S. 16ff.). Im Wunsch nach einem Kuss tritt, so Freuds Erklärung, der »Inhalt des Wunsches« ins Bewusstsein, jedoch ohne...


Prof. Dr. Timo Storck ist Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Psychologischen Hochschule Berlin sowie psychologischer Psychotherapeut (AP/TP) und Psychoanalytiker.


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.