Storl | Wesen und Geheimnisse der Neophyten | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 344 Seiten

Storl Wesen und Geheimnisse der Neophyten

Heilpflanzen, Nahrungspflanzen, Nutzpflanzen

E-Book, Deutsch, 344 Seiten

ISBN: 978-3-03902-198-7
Verlag: AT Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Neophyten gelten oft als die bösen Eindringlinge in unserer Natur. Sie verdrängen heimische Pflanzen und sind ohne Nutzen für die Tierwelt, sagt man. Aber stimmt das wirklich? In diesem Buch zeigt Wolf-Dieter Storl, wie wir mit zugewanderten Pflanzen Freundschaft schliessen können.
Er erklärt fundiert und kenntnisreich, dass Gewächse wie Riesenbärenklau, Kanadische Goldrute oder Indisches Springkraut keineswegs ein Problem darstellen. In den Ländern, aus denen sie stammen, gelten viele von ihnen gar als wertvolle Nahrungs-, Nutz- und Heilpflanzen und manche sogar als sakrale Pflanzen, die schamanisch oder rituell verwendet werden.
Dieses Buch lässt uns »wandernde« Pflanzen aus einer frischen Perspektive betrachten, verstehen und nutzbringend anwenden.
Storl Wesen und Geheimnisse der Neophyten jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


Traue nicht dem Ort, an dem kein Unkraut wächst! Unbekannter Verfasser Unkraut ist die Opposition der Natur gegen die Regierung der Gärtner. Oskar Kokoschka GUTE PFLANZEN, BÖSE PFLANZEN
Das Aufzählen von Fakten und Messdaten genügt nicht, um ein Phänomen wie das der sogenannten pflanzlichen Invasoren zu verstehen. Menschen brauchen Bilder, Geschichten, Mythen und Sagen, um die Daten einzuordnen und ihnen Sinn zu geben. Wir sehen das zum Beispiel in der Medizin. Da muss ein Modell, ein Gesamtbild her, um die komplexen Zusammenhänge der körperlichen Phänomene, das Zusammenwirken der Organe zu verstehen. In der westlichen Medizinwissenschaft bietet sich dafür das Bild der Maschine an. Sind wir gesund, läuft die Maschine wie geschmiert; sind wir krank, gibt es Probleme mit dem Energienachschub, mit Verschleiß, Fehlfunktionen und dergleichen, muss die Maschine repariert und müssen notfalls defekte Teile ersetzt werden. In der Zeit der Aufklärung war es die aufgezogene tickende Uhr, die als Erklärungsmuster herangezogen wurde. Dann, im 19. Jahrhundert wurde die Eisenbahnlokomotive zum Modell. Damit konnte man die energetischen Gesetze der Körperfunktionen besser erklären. Uns wird das Bild aus der neusten Technologie entlehnt: Wir sehen uns als hochkomplexe, kybernetisch vernetzte, selbstregulierende Apparate, mit einem Computer als Hirn. Zuvor, in der Renaissance, bediente man sich eines anderen Modells. Der Makrokosmos selbst, die Rhythmen der Natur, das Wetter, die Jahreszeiten, der Lauf der Planeten lieferten die Erklärung: Der Mensch ist ein Mikrokosmos, ein kleines Universum, in dem dieselben Gesetze und ähnliche Rhythmen am Werk sind wie in der großen Natur. Krankheiten wie auch die heilenden Kräuter und Mineralien wurden auf Grundlage dieses Modells nach ihrer planetarischen Signatur gewählt, und Ärzte waren bewandert in astrologischen Zusammenhängen. In der chinesischen Medizin wird der gesunde menschliche Körper mit einer harmonischen Landschaft im Einklang mit den Jahreszeiten verglichen. (Storl 2009a: 9) Auch um das Leben und Wesen der Pflanzen zu verstehen, brauchen wir Bilder und Modelle. In den Schulbüchern lernen wir sie als relativ simple, gengesteuerte, zellulare, geist- und seelenlose Gebilde kennen, die sich durch Zufallsmutationen zu höherer evolutionärer Komplexität weiterentwickelt haben und die Fähigkeit besitzen, aus anorganischen Stoffen organische aufzubauen. Das ist die offiziell anerkannte Sichtweise. Um herauszufinden, was für Stoffe sie enthalten, werden sie in Labors analysiert und vielleicht an Versuchstieren getestet. Andere Völker, andere Kulturen haben da ganz andere Sichtweisen. Die Cheyenne-Indianer, mit denen ich einige Zeit verbrachte, verstehen die Pflanzen als »grünes Volk«, mit dem man im nichtalltäglichen, außergewöhnlichen Bewusstseinszustand kommunizieren kann. Pflanzen sind in der Sichtweise dieser Indianer nicht passive, primitive Lebensformen, sondern weisheitsvolle Wesen, die ihrerseits Kontakt mit den Menschen aufnehmen können. Sie können in den Träumen der Menschen auftauchen oder ihm in Visionen erscheinen; sie können ihm ihre Freundschaft anbieten, ihre Heilkräfte offenbaren oder andere nützliche Botschaften vermitteln. Für die amerikanischen Ureinwohner, die im Besitz einer effektiven Pflanzenheilkunde sind, ist das nicht nur Fantasie oder Einbildung, sondern erfahrbare Wirklichkeit. Auch die traditionelle indische Kultur hatte ein anderes Bild von der Pflanzenwelt. Die ruhig vor sich hin wachsenden Gebilde werden als Wesen in tiefster Versenkung geschildert. Diese Versenkung ist so tief, dass sie sich wie der Yogi im Samadhi (Tiefentrance) kaum bewegen. In ihrer Meditation nehmen sie die Schwingung, den Klang der Sonne auf und verwandeln diese in jene Lebenskraft, die alle anderen Lebewesen auf Erden ernährt. Die grünen, wachsenden, blühenden Pflanzen, die sich unseren Sinnen darbieten, sind Ausdruck hoher göttlicher Wesenheiten. Sie sind die lebendigen, auf der materiellen Ebene manifestierten Körper der lichthaften Devas, der Pflanzenarchetypen. Jede Kultur hat also ihr eigenes Bild von der Wirklichkeit, lebt darin, handelt danach und glaubt, es sei die Wirklichkeit an sich. Wir modernen Menschen sind da nicht viel anders. Auch wir sind überzeugt, dass das von unserer Naturwissenschaft geprägte Bild der Wirklichkeit am nächsten kommt, gerade eben weil es durch fortschreitende Erkenntnis immer wieder revolutioniert wird. Wir sind stolz darauf, zugeben zu können, dass wir (noch) nicht zur allerletzten Wahrheit vorgedrungen sind. Wir sind aber überzeugt, die allerbeste Methode zur Wahrheitsfindung zu besitzen. Dieser Glaube ist nicht ganz neu. Es ist nicht allzu lange her, da waren wir uns sicher, dass die Bibel, das Wort Gottes, uns eine absolut sichere Erkenntnisgrundlage bietet, und sahen es als unsere Aufgabe an, alle anderen Völker davon zu überzeugen. Als Völkerkundler habe ich meine Zweifel, was den Anspruch auf Wahrheit und Wirklichkeit betrifft. Auch unsere Sichtweise ist eine Imagination, ein Produkt unserer Kultur und unseres Zeitgeistes. Die objektive, experimentell gesicherte, wissenschaftliche Sichtweise ist nur eine unter vielen möglichen. Sie ist unser Mythos. Man mag sich fragen, was diese erkenntnistheoretischen Überlegungen in einem Buch über Neophyten zu suchen haben. Es liegen doch wissenschaftlich geprüfte Fakten und Messdaten zum Thema Arealverschiebungen bestimmter Pflanzen, zu Populationsgrößen und zu den durch die Neophyten verursachten Schäden vor. Die Frage jedoch, die wir hier stellen, ist: Wie gehen wir mit den Daten um? Welches Bild machen wir uns von dem Wandel in der Natur, der uns das Phänomen der Neophyten beschert? Meistens werden diese pflanzlichen Wanderer als Bedrohung gesehen, als Kostenfaktor und als Gefährdung der einheimischen Flora. Vielleicht kann man diese zugewanderten Pflanzen auf eine andere Weise verstehen, und nicht nur als aggressive, bedrohliche Eindringlinge. Vielleicht würden andere Bilder und Erklärungsmodelle uns besser dienen. Die Mythen und Bilder, die eine Kultur tragen und die Grundlage des Handelns und Denkens bilden, sind den meisten Menschen nicht bewusst. Sie gelangen in der frühkindlichen Erziehung, durch das Vorbild der Älteren und auch durch die Geschichten, die erzählt werden, in unsere Seelen. In diesen Geschichten schwingt das ganze morphogenetische Feld der Gesellschaft und Kultur mit. Auch wenn uns die Grundannahmen, die uns tragen, meistens unbewusst sind, haben sie dennoch eine Wirkung darauf, wie man die Welt erlebt, wie man in ihr handelt und mit ihr umgeht. Sie beeinflussen damit auch, was wir über zugewanderte Pflanzen denken und wie wir mit ihnen umgehen. Potenziell könnte man die sogenannten Neophyten etwa sehen als: Kinder der Mutter Erde, wie auch wir es sind, als unsere Verwandten also, neue Freunde, mit Nektar und Pollen als Geschenk für die Insekten, Futter und Samen für Vögel und andere Tiere und als Vermittler von Heilkräften für uns Menschen, Boten des Wandels, die uns aus der Starre erlösen und uns lehren, dass alles im Fluss ist, der Naturgöttin oder Mutter Erde neues Kleid, invasive »Aliens«, die uns und die Umwelt bedrohen und finanzielle Unkosten verursachen. Es scheint, dass sich die zuletzt erwähnte Möglichkeit in den Köpfen der meisten Biologen und »Naturschützer« festgesetzt hat und dass demzufolge ein Kampf gegen diese fremden Eindringlinge entbrannt ist, der mit scharfen Waffen geführt wird. In den Labors werden immer neue Generationen von chemischen Unkrautvernichtern entwickelt, denn, wie es sich herausstellt, sind diese Pflanzen – oft sind es Pionierpflanzen – äußerst vital und anpassungsfähig. Sie werden schnell resistent gegenüber unseren Herbiziden. Jede Waffe kommt gelegen. Man rückt mit eingeführten Fressfeinden, Parasiten, Mehltau und Krankheiten gegen sie vor – wobei man meistens nicht weiß, was für weitere Auswirkungen diese wiederum auf die Umwelt haben. Wenn das nichts hilft, geht man mit brachialer Gewalt, mit Flammenwerfern, Bulldozern, Hacken, Macheten, heißen Dämpfen, Mikrowellenbestrahlung und kontrollierten Flächenbränden gegen die »heimlichen Eroberer« vor. Man träumt von gentechnologischen Mitteln, um sie eines Tages unter Kontrolle zu bringen. An synergistische Nebeneffekte wird dabei selten gedacht. Auch das scharfe Vokabular des Krieges und der Kriegspropaganda wird auf die Schadpflanzen angewendet. Sie werden als fremd, aggressiv, feindlich, als fremdartige Schädlinge gebrandmarkt. Sie werden praktisch kriminalisiert, Gesetze werden gegen sie erlassen. Oder sie werden verteufelt, wie die aus dem Mittelmeerraum stammende Dach-Trespe (Bromus tectorum; englisch cheatgrass, »Betrügergras«), die als »Teufelsart« (devil species) die Steppen des amerikanischen Westens erobert hat (Pellant 1996). Im Englischen bezeichnet man Neophyten oft als pests, ein Wort, das...


Storl, Wolf-Dieter
Kulturanthropologe und Ethnobotaniker. Lehrte als Dozent an verschiedenen Universitäten und hat zahlreiche Bücher publiziert, die zu erfolgreichen Longsellern wurden. Er lebt auf einem Einödhof im Allgäu.

Kulturanthropologe und Ethnobotaniker. Lehrte als Dozent an verschiedenen Universitäten und hat zahlreiche Bücher publiziert, die zu erfolgreichen Longsellern wurden. Er lebt auf einem Einödhof im Allgäu.


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.