Storl | Wolfsmedizin - eBook | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 224 Seiten, Format (B × H): 155 mm x 230 mm

Storl Wolfsmedizin - eBook

Eine Reise zu den Pflanzenheilkundigen in der Mongolei und Sibirien

E-Book, Deutsch, 224 Seiten, Format (B × H): 155 mm x 230 mm

ISBN: 978-3-03902-013-3
Verlag: AT Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Kein



Die Mongolei und Burjatien (Sibirien) sind dünn besiedelt, die Natur ist wild und ursprünglich – nachts heulen die Wölfe, Geier und Adler kreisen am Himmel. Noch immer ziehen Wanderhirten durch die Grassteppe, leben in Jurten und praktizieren einen altüberlieferten Schamanismus. Nördlich davon beginnen die endlosen Wälder der Taiga, in denen die Völker der Burjaten und Ewenken leben. Mit einer kleinen Gruppe von Heilkundigen machte sich der Autor auf, diese abgelegene Region zu besuchen, um die Heilpflanzen und die schamanischen Praktiken hautnah kennenzulernen und zu erforschen.
In diesem reich bebilderten Buch wirft er einen eingehenden Blick auf die Tier- und Pflanzenwelt, beschäftigt sich mit den Heilpraktiken der indigenen Völker und zeigt die kulturelle Kontinuität mit den nordamerikanischen Indianern und unseren Vorfahren, den europäischen Waldvölkern, auf. Er erzählt die aufregende Geschichte von Rhabarber, Rosenwurz und Weidenröschen, berichtet aber auch von den verheerenden Auswirkungen der Suche nach Rohstoffen und Seltenen Erden.
Storl Wolfsmedizin - eBook jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


Auf in die Taiga Wir wussten noch nicht, ob wir für die kurze Stecke über die Grenze nach Sibirien die transsibirische Eisenbahn nehmen oder ob uns unsere Begleiter mit den Geländewagen dort hinfahren würden. Das Letztere war der Fall. Bolo würde uns begleiten, damit es keine unnötigen Probleme geben würde. Es gab auch keine. Nur bei mir stimmte was nicht. Die Grenzkontrollbeamtin in ihrer Glaskabine ließ mich nicht durch; sie telefonierte hektisch, schien aber keine Verbindung zu kriegen. Meine Reisebegleiter schauten schon ungeduldig um die Ecke. Schließlich kam doch eine Verbindung zustande und kurz darauf erschienen zwei fesche junge Beamte in Zivil und begannen, mich auf Englisch auszufragen. Was ich in Russland wolle? »Ich bin Tourist, Teil einer Reisegruppe«, gab ich zur Antwort. »Sprechen Sie Mongolisch?«, fragte der, der anscheinend das Sagen hatte. »Nein.« »Sprechen Sie Russisch?«, fragte er als Nächstes. Abermals antwortete ich mit Nein. Meine Antworten schienen sie zu befriedigen, denn sie wurden freundlicher. »Sind sie gerade aus den USA in die Mongolei eingereist?«, wollte der Beamte dann wissen, »Sie haben doch einen amerikanischen Pass.« »Ich bin aus Deutschland mit der Gruppe gekommen. Ich lebe seit über dreißig Jahren in Deutschland und bin auch dort geboren.« Der Chef wandte sich seinem Partner zu und sagte: »Der ist harmlos, das ist nur ein Nemezki (Deutscher) mit amerikanischen Pass!« Er schenkte mir ein freundliches Lächeln und wünschte mir eine gute Zeit in Russland. Russland ist ein Vielvölkerstaat; wenn man einen russischen Pass hat, bedeutet das nicht, dass man ethnischer Russe ist, man könnte genauso gut ein Tatar, Armenier, Russlanddeutscher, Burjate oder was auch immer sein. Schon in Sowjetzeiten wurde zwischen Staatsangehörigkeit und Nationalität unterschieden. Ich war erleichtert, denn einen Augenblick lang schwebte mir ein Schicksal vor, wie es Lutz erfahren hatte, als er nicht in die Mongolei gelassen wurde. Ich hatte zwar ein gültiges Einreisevisum für die Russische Föderation, aber dummerweise hatte die amerikanische Regierung in der Woche zuvor gerade über sechshundert russische Diplomaten und Geschäftsleute aus den USA ausgewiesen, wegen angeblicher Spionage und Einmischung in die amerikanische Präsidentenwahl. Da musste sich die Trump-Administration hart zeigen, um zu beweisen, dass der neue Präsident doch nicht russlandfreundlich ist. Außerdem war es notwendig, Russland wieder als Feind aufzubauen, denn sonst würden die Aktionäre der Rüstungsindustrie leiden müssen. Die russische Regierung nahm das nicht hin, sie reagierte mit eigenen Einreisebeschränkungen für Amerikaner. Doch nun war ich endlich durch. Und ich traute meinen Augen kaum – wer stand da mitten in unserer Gruppe? Es war Lutz! Wäre unser unfreiwilliger Aufenthalt im Moskauer Scheremetjewo-Flughafen nicht so toll gewesen, ein richtiges Fest, das die Gruppe zusammengeschweißt hatte, wäre er nicht wiedergekommen, um zumindest den sibirischen Teil der Reise mitzumachen, erklärte er freudestrahlend. Er wurde für den Rest der Reise mein Zimmerkamerad in den Gasthäusern oder Gästezimmern der sibirischen Landbevölkerung. Lutz rauchte nicht, und glücklicherweise schnarchte er auch nicht, er war ein angenehmer Reisegefährte. Bolo verabschiedete sich, und Elena, eine hübsche, hellblonde, blauäugige, fließend Deutsch sprechende junge Russin, stellte sich als unsere Reisebegleiterin in Sibirien vor. Wir stiegen in einen kleinen, engen Bus und fuhren los. Die Grenze zwischen der Mongolei und Sibirien schien eine ganz natürliche zu sein: Die Grassteppe mit einzelnen Waldinseln hörte hier auf; plötzlich befanden wir uns in der Taiga mit geschlossenen Kiefernbeständen. Kjachta – der Glanz vergangener Tage Unser erster Halt war eine Stadt, in der vernachlässigte, teilweise zerfallene, herrschaftliche Prachtgebäude, große Lagerhäuser und hölzerne Wohngebäude unbepflasterte, sandige Straßen säumten. Kjachta, 1727 als Handelsposten zwischen Russland und China etabliert, hatte offensichtlich bessere Zeiten gesehen. Der Name Kjachta hat übrigens einen ethnobotanischen Bezug, er bedeutet in der Sprache der Burjaten »Quecke«, denn diese Grasart ist hier die dominante Vegetationsform. Im Heimatmuseum wurde uns die ganze Pracht der einstigen Stadt vor Augen geführt. Hier, im »Wilden Osten«, nachdem sich verwegene Kosaken gegen eine chinesische Übermacht und mongolische Plünderer behauptet hatten, wurde der Grenzverlauf zwischen den beiden Riesenreichen festgelegt. Händler aus Riga, St. Petersburg und Moskau, auch Schmuggler und nach Sibirien verbannte Politrevoluzzer und Freidenker, wurden in kürzester Zeit unermesslich reich. Gegen die Pelze und Felle – Zobel, Fuchs, Wolf, Bär, Marder, Murmeltier, Otter, Eichhörnchen –, Blei und Holz tauschten die Chinesen Leinen, Seide, Brokat, Baumwolle, Tabak, Beile, Sicheln und vor allem Teeblätter (Camellia sinensis) und Rhabarberwurzel. Die »Teestraße« – so hieß die Karawanenroute – transportierte die kostbare Ware bis nach Europa. Besonders teuer war die getrocknete Rhabarberwurzel, die das streng gehütete Monopol der Chinesen war. Diese Radix rhei der Apotheker war als wirksames Abführmittel bei den kultivierten Europäern hoch begehrt. Im Zeitalter der »heroischen Medizin« im 18. und frühen 19. Jahrhundert waren Konstipation und träger Darm zu einem der größten medizinischen Probleme geworden. Der Grund dafür war die viel zu häufige Verschreibung von darmschädigenden Quecksilberpräparaten und vor allem von schmerzstillenden, aber verstopfenden Opiumpräparaten. Nichts half dem Stuhlgang so gut wie der Medizinal-Rhabarber. Er machte den Stuhl weich und den Stuhlgang bei Hämorrhoiden und Analfissuren weniger schmerzhaft.30 Die Europäer gaben sich alle Mühe herauszufinden, um welche Pflanze es sich bei dieser von den Chinesen Da Huang genannten Wurzel handelt. Das Russische Medizinalkollegium gründete eine Rhabarber-Kommission und schickte den jungen, deutschen Botaniker und Apotheker Johann August Carl Sievers (1762–1795), der als 22-Jähriger nach Russland ausgewandert war, an die russisch-mongolische Grenze, um das Geheimnis auszuspionieren. Er hatte keinen Erfolg; die Einreise ins chinesische Reich wurde ihm verweigert. Dennoch erforschte er fleißig die Flora Dahuriens (Daurien), der Region zwischen dem Baikalsee und dem Oberlauf des Amurs.31 Chinesische Kulis beim Teetransport (alte Aufnahme vom Teehandel in Kjachta). Es heißt, im 19. Jahrhundert lebten nur Millionäre in Kjachta. Sie bauten sich nicht nur klassizistische Villen und füllten diese mit französischen Möbeln, chinesischem Fayence-Geschirr und anderem Luxus, sie gaben sich auch als Kulturförderer. Sie errichteten Bibliotheken, Theater und unterstützten Wissenschaft und Forschung. Hier wurde die erste Zeitung östlich des Baikalsees gedruckt. Aber dann, 1880, wurde der Suezkanal gebaut und der Transport über den Seeweg wurde billiger, bald kam die transsibirische Eisenbahn, welche die Karawanen und Schlitten der Teestraße überflüssig machte, und zuletzt wüteten die Revolution und der Bürgerkrieg – und aus war es mit der Pracht. Burjaten, die »Waldmongolen« Das Museum enthielt eine hervorragende Ausstellung zur Kultur der Ureinwohner der Region, der Burjaten und Ewenken. Das war wichtig zu sehen, denn da wurde uns klar, dass wir uns in Burjatien befanden, der Republik der Burjaten, einem »russifizierten« mongolischen Volk, das halbsesshafte Viehzucht betreibt und sich zum Lamaismus tibetischer Prägung bekennt. Wer hat in den westlichen Ländern schon mal etwas von den Burjaten gehört? Der Schauspieler Yul Brynner hat burjatische Wurzeln, aber wer weiß das schon? Viele Burjaten sind teilweise noch immer als Jäger und Sammler in der Taiga unterwegs. Auch ist die ursprüngliche Spiritualität noch lebendig, der Schamanismus, die Verehrung des Tenger, des »blauen Himmels«, der sogenannte Animismus, der besagt, dass alles, Flüsse, Berge, Bäume, Steine, beseelt und ansprechbar ist. Der Bär gilt noch immer als mächtiger Gesandter des Himmels, als Häuptling der Tiere, und Wolf und Adler genießen hohe Achtung. Mein Freund Henning aus Leipzig ist mehrmals zu den Burjatien gereist und hat mir das Pulver der Rinde von einer Birke, an der ein Bär gekratzt hat, mitgebracht. Für Burjaten gilt diese Rinde als starkes Heil- und Zaubermittel. Elena, unsere Reiseführerin, erzählte, dass im 17. und 18. Jahrhundert missionierende orthodoxe russische Missionare und zugleich chinesische und tibetanische buddhistische Mönche ins Land kamen und versuchten, die Eingeborenen zu ihrer jeweiligen Weltsicht zu bekehren. Die Russen bauten Missionsstationen und lockten die Nomaden mit Geschenken, mit Getreide, Eisenwerkzeugen und Pferden. Diese nahmen die Burjaten dankend an und ließen sich taufen. Die Missionare konnten anhand der vielen frisch Getauften große Erfolge an die Mutterkirche in Moskau zurückvermelden. Die Nomaden waren jedoch recht listig; nach zwei, drei Jahren, wenn sie sicher sein konnten, man würde sie nicht wiedererkennen, kamen sie zurück, um sich erneut taufen zu lassen und ihre Geschenke abzuholen. Die Lamas gingen klüger vor als die Orthodoxen. Sie besetzten die schamanischen Kraftplätze, stellten ihre Stupas und auch Klöster auf diese Stellen, machten aus den lokalen Geistern buddhistische Heilige oder tantrische Gottheiten und ließen die Schamanen vorerst gewähren. Die Buddhisten hatten es sowieso leichter als die Christen,...


Ruoff, Marianne
Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, Akupunktur, Traditionelle Chinesische Kräutermedizin und Phytotherapie, seit 1996 in eigener Praxis in Bern. Vorträge und Seminare zu Heilkräutern und Wildnispädagogin.

Storl, Wolf-Dieter
Kulturanthropologe und Ethnobotaniker. Lehrte als Dozent an verschiedenen Universitäten und hat zahlreiche Bücher publiziert, die zu erfolgreichen Longsellern wurden. Er lebt auf einem Einödhof im Allgäu.

Wolf-Dieter Storl, Kulturanthropologe und Ethnobotaniker. Lehrte als Dozent an verschiedenen Universitäten und hat zahlreiche Bücher publiziert, die zu erfolgreichen
Longsellern wurden. Er lebt auf einem Einödhof im Allgäu.


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.