Strobach / Hasselhorn / Kunde | Kognitive Psychologie | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Strobach / Hasselhorn / Kunde Kognitive Psychologie

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-17-032663-7
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Die Kognitive Psychologie befasst sich mit Aussagen zu grundlegenden mentalen Erlebnis- und Verhaltensprozessen. Generelle Fragen sind dabei: Wie denkt der Mensch? Wie kann er etwas im Gedächtnis behalten? Wie funktioniert die Wahrnehmung des Menschen?
In diesem Lehrbuch werden Theorien und empirische Befunde aus experimentellen Studien dargestellt, die Antworten auf diese und andere generelle Fragen der Kognitiven Psychologie geben können. Der Fokus liegt dabei auf den Domänen Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Gedächtnis, exekutive Funktionen und komplexe Prozesse wie Entscheiden und Problemlösen. Zusätzlich werden diese Domänen aus der Perspektive des kognitiven Alterns und der Perspektive des kognitiven Trainings betrachtet. Die Darstellung der Kognitiven Psychologie fokussiert sowohl auf etablierte Theorien wie auch neuere Befunde, um die Entwicklung in diesem Bereich aufzuzeigen.
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2          Wahrnehmung
      Herr F. betritt wie bei jedem Heimspiel seiner Lieblingsfußballmannschaft das Stadion. Die hellen Flutlichter und Werbedisplays im Stadion blenden ihn. Unschwer ist an den Fahnen, Schals, Trikots und Gesängen zu erkennen, dass Herr F. das Stadion und den Block mit den Fans seiner Lieblingsmannschaft erreicht. In einem Block auf der gegenüberliegenden Stadiontribüne sind die Fans der Gästemannschaft zu erkennen. Schon am Eingang des Stadions hat Herr F. einige Bekannte getroffen und im Fanblock seiner Mannschaft kommen weitere bekannte Gesichter dazu. An dieser kurzen Beschreibung vom Betreten des Stadions unseres Protagonisten können einige interessante Fragen abgeleitet werden, die wir in diesem Kapitel beantworten werden: •  Welche physiologischen Prozesse kennzeichnen unsere visuelle Wahrnehmung, die dazu führen, dass Herr F. beim Betreten des Stadions geblendet wird? •  Wie werden Farben durch das physiologische System verarbeitet und repräsentiert? Immerhin kann Herr F. die verschiedenen Farben der Fans, sowohl der eigenen als auch der gegnerischen Mannschaft, unterscheiden. •  Allerdings sind es nicht nur die Farben der Mannschaften, sondern auch die Ordnung, mit der sich die Fans im Stadion und in den Blöcken gruppieren und welche die Fangruppen voneinander unterscheidbar macht. Dazu kann Herr F. verschiedene Objekte, wie Schals, Fahnen oder Trikots wahrnehmen, erkennen und benennen. Wie aber werden solche Objekte wahrgenommen und erkannt? •  Daran angeschlossen ist die Frage: Wie ist es möglich, bekannte Gesichter zu erkennen und zu identifizieren? In der Forschung wurden große Anstrengungen unternommen, gerade die Besonderheiten der Gesichtserkennung darzustellen. Der Hauptteil des Kapitels wird sich mit der visuellen Wahrnehmung auseinandersetzen; an der kurzen Beschreibung haben wir deren Bedeutung beim Stadionbesuch gesehen. Aber wir beschäftigen uns in gesonderten Textboxen auch mit der auditiven Sinnesmodalität. Für detaillierte Ausführungen zu anderen Sinnesmodalitäten, wie dem Tast-, Geruchs- und Geschmackssinn, muss auf andere Stellen verwiesen werden (Goldstein, 2015). Die hier dargestellten Sinnesmodalitäten und ihre Wahrnehmungseigenschaften werden aus drei Perspektiven behandelt: die neurophysiologische Perspektive, die beschreibende Perspektive und die erklärende Perspektive. Die neurophysiologische Perspektive beschreibt die essentielle Frage nach der Beziehung zwischen physikalischer Energie eines Reizes und seiner Reizdimensionen (z. B. Helligkeit und Farbigkeit von Licht, Lautstärke von Tönen) sowie den Erregungsprozessen der Sinnesorgane und des Nervensystems. Die beschreibende Perspektive definiert sich vornehmlich über die Gestaltpsychologie und die stark methodisch orientierte Psychophysik mit der Fragestellung: Welche Beziehung besteht zwischen einfachen physikalischen Dimensionen von Wahrnehmungsreizen und dem Wahrnehmungseindruck? Die Antwort lautet: Durch diese Beziehung wird vor allem eine Relation zwischen den objektiven physikalischen Eigenschaften und den subjektiven Empfindungen hergestellt. Allerdings sehen die neurophysiologische und die beschreibende Perspektive die kausale Rolle der Wahrnehmung insbesondere in den Reizeigenschaften. In der erklärenden Perspektive werden außerdem kognitive Prozesse formuliert, die die Wahrnehmung zusätzlich zu den Reizeigenschaften kausal beeinflussen. Dadurch wird beispielsweise der Fakt berücksichtigt, dass nicht nur Reize in das Wahrnehmungssystem aufgenommen werden, sondern dass deren Wahrnehmung durch die im Gedächtnis repräsentierte Informationen beeinflusst werden. Im Fall unseres Stadionbesuchs nimmt Herr F. nicht nur Gesichter wahr, sondern er erkennt die Gesichter auch als bekannt und ruft eventuell dazugehörige Informationen, wie den Namen der Person, ab. Dieser Fall zeigt, dass Reizinformationen nicht nur einfach in unser Wahrnehmungssystem aufgenommen werden, sondern dass diese Informationen zusätzlich durch das Wahrnehmungssystem bearbeitet werden. Diese Bearbeitung bestimmt ebenfalls unseren subjektiven Erlebniseindruck. Aus diesem Ansatz können wir die folgenden grundlegenden Fragen ableiten: Wieweit können wir unserem subjektiven Erlebniseindruck überhaupt glauben? Wieweit stellt dieser Eindruck ein Abbild der objektiven und physikalischen Umwelt dar? Drastisch aufgenommen wurde diese Frage in der Matrix-Filmreihe (»The Matrix« [1999], »Matrix Reloaded« [2003] und »Matrix Revolution« [2003]) mit Keanu Reeves und Laurence Fishburne in den Hauptrollen. Es ist die zentrale Idee dieser Filmreihe, dass die Computer die Kontrolle über den menschlichen Geist und den Verstand übernehmen. Die Fähigkeit dieser Übernahme erlaubt es den Computern, Menschen eine beliebige virtuelle Realität wahrzunehmen zu lassen und die geistige Freiheit zu simulieren. Menschen sind also lediglich Gefangene in einer computergenerierten Umwelt. Auf einer gewissen Abstraktionsebene greifen die Matrix-Filme damit eine Reihe von Fragen auf, die (vielleicht nicht ganz so drastisch, aber annähernd) so auch in der erklärenden kognitiven Wahrnehmungspsychologie gestellt werden: Wieweit sind unsere subjektiven Wahrnehmungseindrücke eine eins-zu-eins-Abbildung unserer äußeren Umwelt? Was von unseren Eindrücken existiert überhaupt in unserer objektiven Umwelt? Wie können wir wissen, was in dieser Umwelt vorhanden oder nicht vorhanden ist? Übertragen auf die Wahrnehmungspsychologie werden wir uns also damit beschäftigen, wie Reizinformationen systematisch durch kognitive Prozesse und deren Mechanismen moduliert werden und somit unsere subjektive Wahrnehmung beeinflussen. 2.1       Neurophysiologische Perspektive auf visuelle Wahrnehmung
In diesem Kapitel werden wir eine neurophysiologische Perspektive auf die visuelle Wahrnehmung einnehmen. Das bedeutet, wir werden den Weg der visuellen Informationsverarbeitung durch das neurophysiologische System von den Photorezeptoren auf der Retina (Netzhaut der Augen) über die neuronale Weiterleitung bis zur Repräsentation im Kortex (Gehirn) verfolgen. Entsprechend diesem Weg ist die Struktur dieses Kapitels angelegt. 2.1.1     Anatomie und Neurophysiologie des Auges
Der Vorgang der visuellen Wahrnehmung beginnt mit der Verarbeitung von Licht in Form von elektromagnetischen Wellen in einem Spektrum von etwa 400 bis 700 Nanometern (nm). Elektromagnetische Wellen im Bereich kürzerer Wellen (z. B. Gamma-Strahlen, Röntgenstrahlen) oder längerer Wellen (z. B. Infrarot-Strahlen, Mikrowellen) können durch das visuelle System nicht verarbeitet werden und sind deshalb nicht sichtbar. Die elektromagnetischen Wellen im sichtbaren Spektrum gelangen durch den Einfall von Licht zunächst über Hornhaut (Cornea), Pupille und Linse in das Auge. Die rückwärtige Schicht des Auges wird von den Photorezeptoren gebildet, die das einfallende Licht in elektrische Potentiale umwandeln (Fototransduktion). Diese Potentiale werden über die vor den Photorezeptoren angelegten Bipolarzellen und über die Axone (Nervenzellenfortsätze zur Weiterleitung von Nervenimpulsen) der Ganglienzellen und über den Sehnerv zum visuellen Kortex geleitet. Jedoch entsprechen die Signale an dieser Stelle der Weiterleitung nicht mehr den ursprünglichen Informationen des im Auge einfallenden Lichts. Zum einen wird Licht durch Brechung in der Linse seitenverkehrt und kopfüber in das Auge und die Retina projiziert, zum anderen fällt Licht nicht ungehindert auf die Photorezeptoren. Das Licht muss zunächst durch die Schicht von Bipolar- und Ganglienzellen hindurch, bevor es von diesen Rezeptoren aufgenommen werden kann (mit Ausnahme der Fovea, s. u.). Die Rezeptoren auf der Retina unterteilen sich in zwei Typen, die Zapfen und die Stäbchen. Die Zapfen und Stäbchen unterscheiden sich in ihrer Anzahl und Verteilung auf der Retina sowie ihrer Funktion ( Abb. 2.1). Auf der Netzhaut jeden Auges befinden sich ca. fünf bis sieben Millionen Zapfen und ca. 120 Millionen Stäbchen. Zapfen befinden sich in hoher Konzentration an dem Ort der Netzhaut, auf den durch den Blick fixierte Reize in unserer Umwelt projiziert werden. Dieser Ort ist im Auge gegenüber Hornhaut, Pupille und Linse lokalisiert und wird als Fovea bezeichnet. Durch die hohe Dichte von Zapfen ist die Fovea der Ort mit der höchsten Auflösung und dem schärfsten Sehen. Außerhalb der Fovea kommen Zapfen nur noch in sehr geringer Konzentration vor, stattdessen befinden sich dort Stäbchen. Dieser Rezeptortyp ist relativ gleichmäßig über die Peripherie der Retina verteilt (mit nur leichtem Konzentrationsabfall bei zunehmender Entfernung zur Fovea). Neben der Fovea stellt der Blinde Fleck ebenfalls einen Ort mit einer Besonderheit dar. An...


Prof. Dr. Tilo Strobach ist seit 2015 Professor für Allgemeine Psychologie an der Medical School Hamburg. Zuvor lehrte er unter anderem an der Humboldt-Universität zu Berlin, Ludwig-Maximilians-Universität München, FernUniversität Hagen und Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen exekutive Funktionen, kognitives Training und kognitive Plastizität.


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