Tartt | Die geheime Geschichte | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 736 Seiten

Tartt Die geheime Geschichte

Roman

E-Book, Deutsch, 736 Seiten

ISBN: 978-3-641-22595-7
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Richard Papen stammt aus einfachen Verhältnissen. Als er aufgrund eines Stipendiums das College besuchen kann, ist er gleich fasziniert von der ihm fremden Welt. Besonders zieht ihn eine Gruppe junger Studenten in den Bann, mit denen er nicht nur Griechisch lernt, sondern auch ausgelassen feiert. Doch bald spürt er, dass unter der Oberfläche unerschütterlicher Freundschaft Spannungen lauern und dass ein furchtbares Geheimnis seine Freunde belastet - ein Geheimnis, das auch ihn mehr und mehr in seinen dunklen, mörderischen Sog zieht.

Donna Tartt ist eine amerikanische Autorin, die für ihre in vierzig Sprachen übersetzten Romane stets von Kritik und Publikum gefeiert wurde. Ihr erster Roman, »Die geheime Geschichte«, wurde 1992 veröffentlicht. Im Jahr 2003 erhielt sie den WH Smith Literary Award für ihren Roman »Der kleine Freund«, der auch für den Orange Prize for Fiction nominiert war. Für ihren zuletzt geschriebenen Roman, »Der Distelfink«, wurde sie mit dem Pulitzer-Preis und der Andrew Carnegie Medal for Fiction ausgezeichnet.
Tartt Die geheime Geschichte jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


ERSTES KAPITEL Gibt es – außer in der Literatur – wirklich so etwas wie den »Keim des Verderbens«, diesen auffälligen dunklen Riss, der sich mitten durch ein Leben zieht? Ich dachte immer, es gebe ihn nicht. Jetzt denke ich, es gibt ihn doch. Und ich denke, bei mir ist es dies: das morbide Verlangen nach dem Pittoresken um jeden Preis. A moi. L’histoire d’une de mes folies. Mein Name ist Richard Papen. Ich bin achtundzwanzig Jahre alt, und ich hatte New England oder Hampden College nie gesehen, bis ich neunzehn war. Ich bin Kalifornier von Geburt und, wie ich kürzlich herausgefunden habe, auch von Natur aus. Das Letztere ist etwas, das ich erst jetzt zugebe, im Nachhinein. Nicht, dass es darauf ankäme. Aufgewachsen bin ich in Plano, einer Kleinstadt im Norden, die von der Chip-Industrie lebt. Keine Geschwister. Mein Vater führte eine Tankstelle, und meine Mutter war zu Hause, bis ich heranwuchs und die Zeiten härter wurden und sie als Telefonistin in der Verwaltung einer der großen Chip-Fabriken außerhalb von San José arbeiten ging. Plano. Das Wort beschwört Drive-ins herauf, Bungalowsiedlungen, Hitzeflimmern über dem Asphalt der Straßen. Die Jahre dort haben mir nie viel bedeutet; eine entbehrliche Vergangenheit, wegwerfbar wie ein Plastikbecher. Was vermutlich ein sehr großes Geschenk war, in gewisser Hinsicht. Als ich von zu Hause wegging, konnte ich mir eine neue, sehr viel befriedigendere Geschichte zulegen, geprägt von einem ebenso außerordentlichen wie klischeehaften Milieu: eine farbenprächtige Vergangenheit, leicht zugänglich für jeden Fremden. Der Glanz dieser fiktiven Kindheit – voller Swimmingpools und Orangenhaine und mit verlotterten, aber bezaubernden Eltern aus dem Showbusiness – hat das triste Original so gut wie überlagert. Ja, wenn ich über meine wirkliche Kindheit nachdenke, bin ich außerstande, mir davon viel mehr als ein betrübliches Gewirr von Gegenständen in Erinnerung zu rufen: die Turnschuhe, die ich das ganze Jahr über trug, Malbücher aus dem Supermarkt und den zerdrückten alten Fußball, den ich zu den Spielen in der Nachbarschaft beisteuerte – wenig Interessantes, noch weniger Schönes. Ich war still, groß für mein Alter, hatte eine Neigung zu Sommersprossen. Ich hatte nicht viele Freunde, aber ob das auf mich oder auf die Umstände zurückzuführen war, weiß ich nicht. In der Schule war ich, wie es scheint, gut, aber nicht außergewöhnlich gut; ich las gern – Tom Swift, die Bücher von Tolkien –, aber ich sah auch gern fern und tat es reichlich, ausgestreckt auf dem Teppich in unserem leeren Wohnzimmer an den langen, langweiligen Nachmittagen nach der Schule. Ich kann mich ehrlich nicht an viel mehr aus diesen Jahren erinnern – abgesehen von einer gewissen Stimmung, die sie größtenteils durchdrang, einem melancholischen Gefühl, das ich damit assoziiere, dass ich sonntagabends »Die wunderbare Welt des Walt Disney« sehe. Der Sonntag war ein trauriger Tag – früh zu Bett, am nächsten Morgen zur Schule und die beständige Sorge, dass meine Hausaufgaben nicht in Ordnung waren –, aber wenn ich sah, wie das Feuerwerk im Nachthimmel über den flutlichtbestrahlten Schlössern von Disneyland hochging, erfüllte mich geradezu ein Gefühl der Beklemmung, des Gefangenseins im öden Rund von Schule und Zuhause. Mein Vater war gemein, unser Haus hässlich, und meine Mutter kümmerte sich wenig um mich; meine Kleider waren billig, mein Haarschnitt zu kurz, und niemand in der Schule schien mich besonders zu mögen, und da all das so lange galt, wie ich mich erinnern konnte, glaubte ich, dass es zweifellos in alle Zukunft in diesem deprimierenden Stil so weitergehen würde. Kurz: Ich hatte das Gefühl, dass mein Leben auf irgendeine subtile, aber grundlegende Weise befleckt war. Vermutlich ist es insofern nicht merkwürdig, dass ich mein Leben nur schwer mit dem meiner Freunde in Einklang bringen kann – oder zumindest mit ihrem Leben, wie ich es wahrnehme. Charles und Camilla sind Waisen (wie habe ich mich nach diesem harten Schicksal gesehnt!), von Großmüttern und Großtanten in einem Haus in Virginia aufgezogen: eine Kindheit, die ich mir gern vorstelle, mit Pferden und Flüssen und Süßharzbäumen. Und Francis: Seine Mutter war erst siebzehn, als sie ihn bekam – ein dünnblütiges, kapriziöses Mädchen mit rotem Haar und einem reichen Daddy, das mit dem Schlagzeuger von Vance Vane and His Musical Swains durchbrannte. Drei Wochen später war sie wieder zu Hause, sechs Wochen später wurde die Ehe annulliert, und die Großeltern zogen sie, wie Francis gern sagt, Geschwistern gleich auf, ihn und seine Mutter, zogen sie in so großmütigem Stil auf, dass selbst die Klatschweiber beeindruckt waren – englische Kinderfrauen und Privatschulen, Sommer in der Schweiz, Winter in Frankreich. Oder nehmen Sie sogar den gutmütigen alten Bunny, wenn Sie wollen. Keine Kindheit mit Blazer und Tanzunterricht, ebenso wenig wie bei mir, aber doch eine amerikanische Kindheit: der Sohn eines Football-Stars aus Clemson, der Banker geworden war, vier Brüder und keine Schwester in einem lärmerfüllten Haus in einem Vorort, Segelboote, Tennisschläger und Golden Retriever; die Sommer dann auf Cape Cod, Internat bei Boston, endlose Picknicks in der Football-Saison – eine Erziehung, die man Bunny in jeder Hinsicht anmerkte, angefangen bei seinem Händedruck bis zu seiner Art, einen Witz zu erzählen. Ich aber hatte nichts mit ihnen gemeinsam – und das ist bis heute nicht anders –, nichts außer meinen Griechischkenntnissen und dem Jahr, das ich in ihrer Gesellschaft verbracht habe. Und selbst wenn mir klar ist, dass dies im Lichte der Geschichte, die ich erzählen werde, merkwürdig klingen mag, außer vielleicht der Liebe – wenn denn Liebe etwas ist, das man gemeinsam hat. Wie fange ich an? Nach der Highschool ging ich auf ein kleines College in meiner Heimatstadt (meine Eltern waren dagegen; sie erwarteten, das war unmissverständlich klargemacht worden, dass ich meinem Vater in der Tankstelle half, und das war einer der vielen Gründe, weshalb ich so sehr darauf brannte, aufs College zu gehen), und in den zwei Jahren dort studierte ich Altgriechisch. Nicht dass ich diese Sprache besonders geliebt hätte; aber ich wollte ein vormedizinisches Examen machen (Geld, müssen Sie wissen, war die einzige Möglichkeit für mich, mein Schicksal zu verbessern, und Ärzte verdienen bekanntlich eine Menge Geld), und mein Studienberater hatte vorgeschlagen, für das erforderliche geisteswissenschaftliche Nebenfach eine Sprache zu nehmen; und weil der Griechischunterricht zufällig nachmittags stattfand, belegte ich Griechisch, damit ich montags ausschlafen konnte. Es war eine absolut willkürliche und doch, wie sich zeigen sollte, schicksalhafte Entscheidung. Meine Leistungen in Griechisch waren gut, ja exzellent, und ich gewann im letzten Jahr sogar einen Preis der Altsprachlichen Fakultät. Mein Lieblingskurs war es deshalb, weil es in einem richtigen Klassenzimmer stattfand – keine Gläser mit Kuhherzen, kein Geruch von Formaldehyd, keine Käfige mit kreischenden Affen. Anfangs hatte ich gedacht, mit harter Arbeit könnte ich die fundamentale Empfindlichkeit und Abneigung gegen meinen Beruf überwinden und mit noch härterer Arbeit könnte ich vielleicht sogar so etwas wie Begabung dafür simulieren. Aber das war nicht der Fall. Die Monate vergingen, und ich blieb desinteressiert, wenn nicht sogar regelrecht angeekelt von meinem Studium der Biologie; meine Noten waren schlecht, und Lehrer und Klassenkameraden betrachteten mich mit Verachtung. In einer Geste, die sogar mir selbst wie eine unheilträchtige Pyrrhus-Geste erschien, wechselte ich zu englischer Literatur als Hauptfach, ohne meinen Eltern etwas davon zu sagen. Ich spürte, dass ich mir damit selbst die Kehle durchschnitt, dass es mir auf jeden Fall schrecklich leidtun würde, schließlich war es besser, auf einem lukrativen Gebiet zu versagen, als in einem Fach Erfolg zu haben, von dem mein Vater (der weder von finanziellen noch von akademischen Dingen etwas verstand) versichert hatte, dass es höchst unprofitabel sei – einem Fach, das unweigerlich dazu führen würde, dass ich für den Rest meines Lebens zu Hause herumhängen und ihn um Geld anbetteln würde, Geld, das er mir, wie er mit Nachdruck versicherte, nicht zu geben beabsichtigte. Ich studierte also Literatur, und es gefiel mir besser. Aber mit meiner Heimatstadt kam ich immer weniger zurecht. Ich glaube nicht, dass ich die Verzweiflung erklären kann, die dieser Ort in mir hervorrief. Zwar habe ich inzwischen den Verdacht, dass ich angesichts der Umstände und meiner inneren Natur überall unglücklich gewesen wäre, in Biarritz genauso wie in Caracas oder auf Capri, aber damals war ich davon überzeugt, dass mein Unglücklichsein allein jener Stadt zuzuschreiben war. Vielleicht stimmte das auch zum Teil. Milton hat wohl bis zu einem gewissen Grad recht – der Geist ist ein eigener Ort und kann in sich die Hölle zum Himmel machen und so weiter –, aber es ist dennoch unbestreitbar, dass die Gründer von Plano ihre Stadt nicht gerade nach dem Paradies geformt hatten. Auf der Highschool machte ich es mir zur Gewohnheit, nach der Schule in Einkaufszentren herumzuspazieren, durch strahlend helle, kühle Geschosse zu taumeln, bis ich so geblendet war von Waren und Produkt-Codes, von Gängen und Rolltreppen, von Spiegeln und Musikberieselung und Lärm und Licht, dass in meinem Gehirn eine Sicherung durchbrannte und auf einmal alles völlig unverständlich wurde: wie Farbe ohne Form, wie ein Gestammel unzusammenhängender Moleküle. Dann wanderte ich wie ein Zombie zum Parkplatz und fuhr zum Baseballstadion, wo ich aber nicht mal ausstieg, sondern mit den...


Tartt, Donna
Donna Tartt ist eine amerikanische Autorin, die für ihre in vierzig Sprachen übersetzten Romane stets von Kritik und Publikum gefeiert wurde. Ihr erster Roman, »Die geheime Geschichte«, wurde 1992 veröffentlicht. Im Jahr 2003 erhielt sie den WH Smith Literary Award für ihren Roman »Der kleine Freund«, der auch für den Orange Prize for Fiction nominiert war. Für ihren zuletzt geschriebenen Roman, »Der Distelfink«, wurde sie mit dem Pulitzer-Preis und der Andrew Carnegie Medal for Fiction ausgezeichnet.


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.