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ten Brink Chinas Kapitalismus

Entstehung, Verlauf, Paradoxien

E-Book, Deutsch, Band 78, 372 Seiten

Reihe: Schriften des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung Köln

ISBN: 978-3-593-41989-3
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Das chinesische Wirtschaftswachstum der letzten 30 Jahre stellt mittlerweile jeden anderen langen Aufschwung der neueren Geschichte in den Schatten. Wie konnte sich diese Entwicklung in einem Land vollziehen, in dem die uneingeschränkte Herrschaft der Kommunistischen Partei gilt? Tobias ten Brink untersucht die politische Ökonomie Chinas erstmals systematisch anhand von Erkenntnissen aus der vergleichenden und internationalen Kapitalismusforschung. Seine Analyse der Dynamiken dieses eigentümlichen
Wirtschaftstyps zeigt zudem, dass der chinesische Kapitalismus eine paradoxale Entwicklung durchläuft, die den Aufstieg Chinas zur Weltmacht beeinträchtigen könnte.
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Inhalt










Dank

Einleitung




Kapitel 1
Forschungsstand und Forschungsrahmen

1.1 Einsichten, Defizite und Desiderate in der Chinaforschung
1.1.1 Vom Plan zum Markt: Diskurse der Transformationsforschung
1.1.2 Vermarktlichung und innovatives Unternehmertum
1.1.3 Die Debatte um die Anpassungs- und Steuerungsfähigkeit
des Partei-Staates
1.1.4 China als sozialistische Marktwirtschaft und Hybridmodell

1.2 Zur Untersuchung Chinas in politökonomischer Perspektive
1.2.1 Spielarten des Kapitalismus und Spielarten der Kapitalismustheorie
1.2.2 Kapitalistisch dominierte Moderne(n)
1.2.3 Institutionen und historischer Wandel: Zur soziokulturellen Einbettung des Kapitalismus
1.2.4 Fünf Dimensionen des Kapitalismus
1.2.5 Zwischenfazit

Kapitel 2
Von Mao über Deng bis zur Hu/Wen-Ära: Entstehung und Verlauf der kapitalistischen Modernisierung in China

2.1 Proto-Kapitalismus: Zur Vorgeschichte der Deng'schen Wende
2.1.1 Exkurs: Die Revolution von 1949 und der Maoismus
2.1.2 Zwischen Kommandowirtschaft und Plan-Anarchie: Wesensmerkmale der chinesischen Ökonomie zwischen den 1930ern und den 1970ern
2.1.3 Die Krise nach der Krise: Der erschöpfte Maoismus in den 1970ern
2.1.4 Zwischenfazit

2.2 Die Entstehung des staatlich durchdrungenen Kapitalismus (I): Zwei Phasen der Reform
2.2.1 Reform des Agrarsektors, Marktexpansion und der Aufstieg der township and village enterprises
2.2.2 Zur Transformation der urbanen Zentren und industriellen Sektoren
2.2.3 Das politische System im Prozess der Marktexpansion: De- und Rezentralisierung
2.2.4 Umwandlung des Finanzsystems
2.2.5 Veränderungen im System der Arbeitsbeziehungen und der Sozialpolitik
2.2.6 Zwischenfazit

2.3 Die Entstehung des staatlich durchdrungenen Kapitalismus (II): Chinas Integration in den globalen Kapitalismus
2.3.1 Die Entstehung des Exportismus
2.3.2 Hongkong, Taiwan und die Überseechinesen
2.3.3 Die Rolle globaler Produktionsverbünde und der Überakkumulation von Kapital im "Norden"
2.3.4 Zwischenfazit

Kapitel 3
Gegenwärtige Entwicklungslinien des chinesischen Kapitalismus

3.1 Unternehmensorganisation und gesamtwirtschaftliche Dynamiken .....
3.1.1 Einheit in der Vielfalt? Heterogene Unternehmensformen und Produktionsregime
3.1.2 Die privat-öffentliche Organisation der chinesischen Wirtschaft
3.1.3 Der Unternehmenssektor als Stabilisator des Status quo: Erste Schlussfolgerungen
3.1.4 Paradoxien der Prosperität: Zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung nach 2008
3.1.5 Zwischenfazit

3.2 Für und mit Märkte(n) planen: Der heterogene Parteistaat
3.2.1 Politische Steuerungskapazitäten des unternehmerischen Planstaates
3.2.2 Wie steuert der Staat? Zum Verhältnis lokaler Modellexperimente und zentraler Koordination
3.2.3 Das fortwährende Gewicht der KPCh
3.2.4 Grenzen der politischen Steuerung
3.2.5 Zwischenfazit

3.3 Grenzen des chinesischen Typus der Subordination? Der Wandel der industriellen Arbeitsbeziehungen
3.3.1 Strukturmerkmale des chinesischen Arbeitssystems
3.3.2 Die "vier Parteien" im System der Arbeitsbeziehungen
3.3.3 "Tripartismus mit vier Parteien": Erste Schlussfolgerungen
3.3.4 Zwischen einem unvollständigen Korporatismus und eruptiven Sozialprotesten: Perspektiven der Arbeitsbeziehungen im chinesischen Kapitalismus
3.3.5 Zwischenfazit

Kapitel 4
Fazit

4.1 Kapitalistische Entwicklung in China

4.2 Paradoxien des chinesischen Kapitalismus

4.3 Theoretische Implikationen für die Kapitalismus- und Chinaforschung



Abbildungen und Tabellen

Abkürzungen

Literatur


Einleitung
Das chinesische Wirtschaftswachstum seit Ende der 1970er-Jahre stellt mittlerweile jeden anderen langen Aufschwung in der Geschichte der Moderne in den Schatten. Während die größten OECD-Ökonomien noch immer mit den Folgen der schärfsten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg kämpfen, schickt sich die Volksrepublik an, mit vergleichsweise gewaltigen Wachstumsraten darauf hinzuarbeiten, nicht mehr nur als "Werkstatt der Welt" zu fungieren, sondern selbst die Rolle eines Innovationsmotors zu übernehmen.
Freilich existiert jenseits dieser Entwicklungen auch ein anderes China, das noch immer mit sozialen Problemen zu kämpfen hat, die denen anderer Entwicklungs- beziehungsweise Schwellenländer vergleichbar sind. Dennoch stellt China nach Kriterien der ökonomischen Effizienzsteigerung den weltweit erfolgund folgenreichsten Fall einer nachholenden Entwicklung dar. Selbst erfahrene Wachstumsforscher oder Industriesoziologen sind von den Ausmaßen der industriellen Expansion in einigen Gebieten des Landes überrascht, etwa im Pearl-River- oder im Yangtse-River-Delta. In den letzten dreißig Jahren sind hier die größten Industriezonen der Weltgeschichte errichtet worden. Was westliche Beobachter dabei häufig mehr als alles andere erstaunt, ist die Tatsache, dass sich die Entwicklung zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Erde in einem Land vollzog, das von einem autoritären Parteistaat dominiert wird, in dem die Herrschaft der "Kommunistischen Partei Chinas" (KPCh) noch immer uneingeschränkt gilt.
Die Renaissance des Reichs der Mitte hat ein großes Interesse an China angestoßen und viele Fragen aufgeworfen: Was für ein gesellschaftliches Gebilde ist im Zuge des chinesischen Reformprozesses entstanden, der mittlerweile die maoistische Ära (1949-1978) zeitlich um einige Jahre übertrifft? Welche Antriebskräfte haben die Entwicklung befördert? Welche paradoxalen Folgen zeitigt dieses "Wirtschaftswunder"? Unterschiedlichste Positionen, die zum Teil durch Argwohn gegenüber einem aufstrebenden China gekennzeichnet sind, bis hin zu einer "Sinomania" (Anderson 2010a), werden in der neuen China-Debatte vertreten. Die gegenwärtige Begeisterung über die wirtschaftliche Dynamik des Landes, obgleich zeitweise durch Berichte über die politische Repression in
der Volksrepublik relativiert, erinnert dabei an das 17. und 18. Jahrhundert, als Denker wie Leibniz, Voltaire oder Quesnay beeindruckt über den Wohlstand des imperialen China schrieben und ihm eine gegenüber Europa fortgeschrittene Zivilisationsstufe beimaßen. Selbst die etwas skeptischeren Zeitgenossen wie Montesquieu oder Adam Smith bewunderten die Herrschaftsordnung und den Reichtum des Landes. Nachdem dann im 19. Jahrhundert und der Kolonialisierung von Teilen des Landes drastische Einstellungsveränderungen gegenüber China auftraten, in denen die militärische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Rückständigkeit des zerfallenden Reiches in den Vordergrund rückten - Antipathien, die im 20. Jahrhundert und schließlich mit der Machteroberung der Maoisten eskalierten -, erscheint heute eine von Befürchtungen durchdrungene Bewunderung die Oberhand zu gewinnen.

Problemstellung und Erkenntnisinteresse

Die chinesische Gegenwart erinnert in Vielem an kapitalistische Entwicklungsprozesse. In den emissionsgesättigten Großstädten des Landes besteht vor dem Hintergrund sich rasant auftürmender "Warenansammlungen" (Marx) ein hektisches Klima des Kaufens und Verkaufens. Ein rastloser Expansionismus und Erfindergeist verbindet sich mit einer nationalen Euphorie, in der alles möglich scheint. Die Durchsetzung einer neuen Wirtschaftsethik hat das "Erwerbsprinzip" (Sombart) und den Wettbewerb zu quasi unhinterfragten und irreversiblen wirtschaftlichen Leitbildern gemacht.
Eigentlich müsste die beispiellose wirtschaftliche Dynamik jedoch jeden Verteidiger des freien Markts verstummen lassen: Die Wirtschaft ist nämlich durch eine hohe staatliche Interventionsdichte gekennzeichnet, im Unterschied zu den Transformationsländern des Ostblocks wurde auf vorschnelle Liberalisierungen verzichtet und eine lange Zeit herrschten keine klar definierten privaten Eigentumsrechte. Auch das fortwährende Erbe einer bürokratischen Kommandowirtschaft und der herrschenden Partei sind ohne Zweifel erklärungsbedürftig.
Zur Analyse des chinesischen "Transformationsprozesses" ist eine reichhaltige wie kontroverse Literatur entstanden. In ihr lassen sich zentrale Problemstellungen identifizieren, die bislang nicht hinreichend analysiert wurden oder umstritten blieben:

- Erstens existiert keine plausible Antwort auf die Frage, wodurch das sozioökonomische System der Volksrepublik vorrangig gekennzeichnet ist;
- zweitens ist die Frage nach den wesentlichen Triebkräften und Dynamiken der Entstehung des neuen Entwicklungstyps und des folgenden schnellen Wachstums strittig;
- drittens bestehen hinsichtlich der Fragestellung nach den für den Wachstumsprozess charakteristischen Widersprüchen Differenzen.

Zur Beantwortung dieser Fragen stehen eine Reihe avancierter Einsichten und Konzepte bereit. Wie weiter unten erläutert, erwarte ich von einer Verknüpfung dieser zu einem Forschungsrahmen, der im Unterschied zu marktbeziehungsweise unternehmenszentrierten Ansätzen als erweiterte Kapitalismusanalyse bezeichnet werden kann, einen Beitrag dazu zu leisten, wesentliche Merkmale und Entwicklungsdynamiken der politischen Ökonomie Chinas, ihrer historischen Verlaufsformen und paradoxalen Entwicklungslinien verständlich zu machen.
Ich grenze mich dabei von folgenden, hier idealtypisch überspitzten Argumentationsmustern ab: In einer Reihe journalistischer, aber auch wissenschaftlicher Abhandlungen werden marktwirtschaftliche Formen in der chinesischen Wirtschaft mit einer "kommunistischen" Politik kontrastiert. Einerseits prägen ein neues Unternehmertum und die wirtschaftliche Entwicklung den sozialen Wandel. Andererseits übt der Parteistaat - der häufig noch immer, entgegen wissenschaftlichen Erkenntnissen der Chinaforschung, als monolithischer Einheitsstaat behandelt wird, in dem die Fäden im Zentralkomitee der KPCh zusammenlaufen - einen fortwährenden Einfluss auf diesen Wandel aus. Das politische System Chinas wird dieser Argumentation zufolge als inkompatibel mit den Anforderungen eines Marktsystems betrachtet. Wie kann dieses irritierende Nebeneinander theoretisch gefasst werden? Ist der chinesische Modernisierungsprozess überhaupt vergleichbar mit den "westlichen" Wegen der Modernisierung?
Ein anderes Argumentationsmuster rekurriert dagegen auf differierende zivilisatorische Wurzeln des Landes, die es gestatteten, das in den Augen westlicher Beobachter eigenartige Nebeneinander von Markt und Parteistaat gewissermaßen produktiv zu kombinieren. Wie kritische Chinaforscher feststellen, lässt sich mit dieser kulturorientierten, auf chinesische Traditionen enggeführten "China-ist-China"-Perspektive eine vergleichende sozialwissenschaftliche Perspektive jedoch streng genommen nicht vereinbaren (Kennedy 2011a). Auch eine im medialen Diskurs heimische postmoderne Perspektive verbietet eigentlich den Versuch, historisch zu vergleichen oder theoretisch zu verallgemeinern: In dieser Perspektive wird die Zeitgeschichte Chinas als chaotisch-kontingentes Geschehen nacherzählt und jegliche geschichtliche Gesetzmäßigkeit in Abrede gestellt. Es erscheint konsequenterweise als ein intellektueller Irrwitz, kohärente Aussagen über eine inkohärente Wirklichkeit machen zu wollen, in der die wesentliche Konstante der Wandel ist.


Tobias ten Brink, PD Dr., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt am Main.


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