Eine poetische Begegnung mit Antoine de Saint-Exupéry auf seinem letzten Flug
E-Book, Deutsch, 168 Seiten
ISBN: 978-3-96136-137-3
Verlag: Gedankenkunst Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)
Autoren/Hrsg.
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KORSIKA
Fabian Braun lenkte den Mietwagen des Flugplatzes Bastia-Poretta vorsichtig durch die engen Straßen zum Cap Corse. Es war genau das Auto, welches er jetzt nicht benötigte. Doch dieser schreckliche Hybrid-SUV war das einzig verfügbare Fahrzeug, um ihn nach Miomo zu bringen. Er suchte das Restaurant Les Sablettes. Dort, so sagten die Quellen, soll sein Idol, der legendäre Pilot und Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry, zusammen mit einigen Staffelkameraden, seinen letzten Abend verbracht haben. Miomo war nach Lyon, Biscarrosse und Toulouse der letzte Ort auf Fabians fliegerischer Spurensuche. Am Ortsschild verlangsamte er die Fahrt. Das Dorf zog sich nach Westen in die steil ansteigende Berglandschaft von Santa-Maria-di-Lota hinein, deren Spitzen von den letzten Sonnenstrahlen erfasst wurden. Doch Fabians Augenmerk war zur Wasserseite gerichtet. Er ließ die Badegäste passieren, die von der Plage de Miomo zu den Bars der vom Verkehr vollgestopften Durchgangsstraße schlenderten. Anders als die Häuser auf Elba und Sardinien gefiel ihm der raue Baustil mit der anspruchslosen Architektur und den schmuck- und blumenlosen Fassaden nicht besonders. Er spähte zwischen den Häusern zum Strand hinunter. Am Ende der Ortschaft hatte er immer noch nicht gefunden, was er suchte und drehte um. „Pardon, Madame“, fragte er aus dem Autofenster heraus die alte Frau am Kiosk. „Ich suche das Restaurant Les Sablettes.“ Sie sah ihn kopfschüttelnd an: „Les Sablettes? Das gibt es hier nicht.“ Fabian parkte enttäuscht sein Fahrzeug am Hotel und bezog sein Zimmer. Sofort korrigierte er seine Auffassung von der anspruchslosen korsischen Bauweise. Der hohe Raum war in strahlendem Weiß gehalten, mit modernen Badezimmergarnituren und einfachen, geradlinigen Möbeln eingerichtet und begeisterte ihn mit einem atemberaubenden Blick von der Terrasse auf das Meer. Er fand sich damit ab, dass das Restaurant nicht mehr existierte, und doch hatte er hier das Gefühl, dass Antoine de Saint-Exupéry zum Greifen nahe war. „Kennen Sie vielleicht das Les Sablettes?“, fragte er den jungen Mann am Check-in. Als der verneinte, zeigte Fabian ihm ein altes Schwarz-Weiß-Foto. „Ach, das meinen Sie!“, reagierte der junge Mann freudig überrascht. „Es ist das Hotel nebenan, keine hundert Meter entfernt.“ „Merci beaucoup! Sie haben meinen Tag gerettet“, freute sich Fabian und machte sich sofort auf den Weg. „Salut, Monsieur, kann ich Ihnen helfen?“ Fabian war sprachlos angesichts ihrer umwerfenden Erscheinung. Schlank, milchbraune Haut, mittellange, rote Haare, ein grünes Top in der Farbe der Augen, enge, blaue Jeans. „Ja, ich hoffe doch sehr. Ich bin auf der Suche nach dem Restaurant Les Sablettes.“ „Hm, da sind Sie hier fast richtig.“ „Fast?“ „Ja, fast, das Restaurant heißt schon längst nicht mehr so.“ Pascale musterte Fabian interessiert. Groß, schlaksig, volles dunkles Haar, Typ erfolgreicher Geschäftsmann, sehr sympathisch. Sie hatte einen geschulten Blick für das Erkennen ihrer Gäste. „Was führt Sie zu uns, Sie sind aus Deutschland?“ Sie hatte seine Nationalität bereits an den Korkbett-Sandalen erkannt, die die Deutschen so gern trugen. „Ja, Volltreffer!“ Er gab ihr die Hand. „Ich bin Fabian, schön, dass wir uns kennenlernen.“ Sie erkannte sofort, dass seine Freude nicht gespielt war. Sein Lächeln und die Grübchen um die Augen sagten die Wahrheit. „Und ich bin Pascale, angeblich der gute Geist in diesem Haus“, lachte sie. Währenddessen zeigte sich an ihrem Nacken eine Tätowierung: Ein kleiner Kerl mit wehendem Schal und einer roten Rose. Fabian stutzte: „Sie haben den kleinen Prinzen auf Ihrem Nacken! Mehr Glück geht nicht!“ Sie sah ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue kritisch an. „Wie darf ich das verstehen?“ Tatsächlich freute sie sich über seine Beobachtung. So viele Menschen gab es nicht, die diese Symbolfigur auf Anhieb erkannten. „Pardon, das sollte nicht persönlich sein. Ich bin auf den Spuren von Antoine de Saint-Exupéry.“ „Aha. Das ist interessant. Sie sagen, dass Sie geflogen sind. Sind Sie als Tourist oder geschäftlich hier?“ „Als Tourist, aber nicht mit der Fähre. Ich bin mit meinem kleinen Flieger nach Bastia-Poretta geflogen und wohne im Hotel nebenan. Leider, wenn ich gewusst hätte, dass sich hier mein Idol aufgehalten hat, hätte ich bei Ihnen gebucht, Pascale.“ Sie ging darauf nicht ein und meinte: „Wie, mit dem eigenen Flugzeug? Den ganzen weiten Weg? Wie lange sind Sie unterwegs?“ „Schon einige Tage, ich habe ein paar Stopps gemacht.“ „In einem Rutsch geht das in Ihrer Maschine nicht von Deutschland zu uns?“ „Rechnerisch ja, aber sicherheitshalber tanke ich gern in Südfrankreich auf, bevor ich die zweihundert Kilometer über Wasser nach Korsika fliege. Ich liebe trockene Füße.“ Sie sprudelte sofort los: „Ich war einmal in so einem kleinen Flieger, nie wieder! Alles, was höher als ein Küchentisch ist, löst bei mir Höhenangst aus.“ „Geht mir auch so“, lachte er verschmitzt. „Aber ich sage das meinen Passagieren nicht.“ Während sie ihn auf den Wahrheitsgehalt seiner Aussage prüfend ansah, betrachtete er das bis auf den letzten Platz gefüllte Restaurant. Durch die geöffneten Fenster zog die frische Meeresluft bis zu ihm an den Empfang. Er versuchte herauszufinden, was sich hier verändert hatte. „War das hier früher tatsächlich das Les Sablettes?“ „Ja, ganz früher, inzwischen hat sich der Bau verändert. Wir sind längst auch ein kleines Hotel.“ Sie überlegte. Er war zwar nicht Gast des Hauses, aber jemand, der sich für die Geschichte des Hauses interessierte. „Haben Sie etwas Zeit, Fabian?“ „Ja, natürlich!“, antwortete er überrascht. „Warten Sie einen Augenblick, ich möchte Ihnen etwas zeigen.“ Sie telefonierte mit jemandem, um sich kurz abzumelden und ergriff einen Schlüssel an der Wand. „Würden Sie mir bitte folgen, Fabian?“ Im ersten Stock öffnete sie eine Zimmertür und bat ihn mit einer einladenden Handbewegung einzutreten. Sie blieb dabei am Türrahmen stehen, sodass er ihr Parfum riechen konnte. Er nahm das nur am Rande wahr, denn was er im Zimmer sah, konnte er nicht glauben. Fabian blickte auf ein hohes Bild des jungen Antoine de Saint-Exupéry, wie er lächelnd unter seiner Fliegerhaube in einem zugebundenen schwarzen ledernen Fliegermantel in den Raum schaute, die Hände in den Taschen vergraben, bekleidet mit Krawatte, Hose und Halbschuhen, die so gar nicht zu einem Flieger passten. Auf dem Einzelbett mit strahlend weißem Bezug lagen einladend aufgerollte Handtücher. „Ich bin sprachlos, Pascale. Hat er hier etwa vor seinem letzten Flug vom 30. auf den 31. Juli 1944 übernachtet?“ „So ist es. Deswegen haben wir das Zimmer ihm gewidmet, es ist unverändert. Hier kann man mit seinem kleinen Prinzen zu den Sternen schweben. Man muss es sich nur wünschen.“ Auf einem kleinen Schreibtisch lagen unter Glas eine Fotosammlung und Dokumente aus dem Leben des Schriftstellers. Es wirkte überzeugend. Dennoch fiel es Fabian schwer zu glauben, dass der Autor hier oben tatsächlich geschlafen hatte, die Quellen besagen übereinstimmend etwas anderes. Fabian sah durch das Fenster in die Nacht. Nach so vielen Jahrzehnten mag sich vieles verändert haben, aber den felsigen Strand unter ihm, mit dem im Mondlicht glitzernden Wasser, musste auch Antoine de Saint-Exupéry 1944 hier gesehen haben. Was mochte er hier im damaligen Restaurant Les Sablettes vor seinem folgenschweren Flug gedacht oder geplant haben? Fabian löste sich nur mit Mühe vom Fenster. Näher als hier konnte er auf der Spurensuche seinem Idol nicht sein. „Danke, Pascale, Sie haben mir eine große Freude bereitet. Ob er hier nun geschlafen hat oder nicht ist unerheblich. Wichtig ist mir, dass er an diesem Ort war.“ Sie überlegte kurz, warum ihm das Gebäude so viel bedeutete. Dieser Mann schien mehr zu sein als nur ein nach Fakten suchender Tourist. Sie schloss Exupéry’s Tür und begleitete Fabian zurück zum Empfang. „Sie fliegen morgen wieder heim,...