Ursprung | Joseph Beuys | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 338 Seiten

Ursprung Joseph Beuys

Kunst Kapital Revolution

E-Book, Deutsch, 338 Seiten

ISBN: 978-3-406-75634-4
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



"WER NICHT DENKEN WILL, FLIEGT RAUS" JOSEPH BEUYS

Joseph Beuys (1921–1986): einerseits als Künstler von Weltruhm gefeiert, andererseits aber als 'Scharlatan' angefeindet. Wie kaum ein anderer prägte und polarisierte er die zeitgenössische Kunst. Welche Rolle spielt der Mann aus Kleve, der zum Inbegriff der Gegenwartskunst geworden ist, heute? Philip Ursprung begibt sich auf eine zeithistorische Reise zu 24 zentralen Beuys-Schauplätzen und bietet dabei einen umfassenden Überblick über das Gesamtwerk des Künstlers im gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenhang der Bundesrepublik Deutschland. Der Band enthält 116 Abbildungen.

- 100. Geburtstag von Joseph Beuys am 12. Mai 2021
- Eine zeithistorische Reise ins Werk von Joseph Beuys

- Umfassender Überblick über das gesamte Werk – vor dem zeithistorischen Hintergrund
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1. Tableau Die Präsenz von Beuys
«Provokation bedeutet
im Kern nichts anderes als Produktion.»[1] Joseph Beuys in seiner Ausstellung im Solomon R. Guggenheim Museum in New York 1979. Ein Dritteljahrhundert nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erreichte ein westdeutscher Künstler, der offen über seine Zeit als Soldat sprach, den Gipfel der Kunstwelt in New York. Die langjährige US-amerikanische Führungsrolle in der zeitgenössischen Kunst kam ins Wanken und mit ihr die Idee einer autonomen, von der Geschichte unabhängigen Kunst. Beuys wurde zum internationalen Star – und zur kontroversen Figur, welche die Meinungen bis heute polarisiert. 100 Jahre Mann mit Hut! Aus der Kunstgeschichte ist Joseph Beuys (1921–1986) nicht wegzudenken. Seine Sprachschöpfungen wie «Jeder Mensch ist ein Künstler», «erweiterter Kunstbegriff» und «soziale Plastik» sind heute ebenso bekannt wie die Skulptur Stuhl mit Fett (1963), die Aktion I like America and America likes me (1974) und das Projekt 7000 Eichen (1982). Sein Image mit Filzhut, Jeans und Anglerweste ist Teil des kollektiven Gedächtnisses. Selbst die wichtigsten Stationen seiner Biographie sind Gemeingut: Kindheit in der Weimarer Republik, freiwilliger Kriegsdienst, Überleben des Absturzes in einem Kampfflugzeug, Studium und Professur an der Akademie in Düsseldorf, Entlassung durch den Kultusminister, weil er alle abgewiesenen Studenten in seine Klasse aufnimmt, Hinwendung zur Politik in den 1970er Jahren, Einsatz für Ökologie und Gründungsmitglied der Partei «Die Grünen». Beuys erschloss der Kunst die Materialien Filz und Fett, aber eine Kamera nahm er nie in die Hand. Er demokratisierte die westdeutsche Kunstausbildung und perpetuierte zugleich den Geniekult des 19. Jahrhunderts. Er gründete die «Deutsche Studentenpartei» – ohne die Studierenden zu fragen. Für ihn waren alle Menschen Künstler, aber seine Kunst blieb für die Mehrheit unverständlich. Er konfrontierte mit seiner Kunst das Publikum früh mit der Verdrängung des Holocaust, aber er selbst sprach erst in den 1970er Jahren über seine eigene Rolle im Krieg. Er kritisierte die repräsentative Demokratie der Bundesrepublik Deutschland und fand Partner im gesamten Spektrum der Politik, von links bis rechts. Im Streitgespräch mit Politikern, Ökonomen und Philosophen war er in seinem Element, aber als er Andy Warhol traf, wussten beide nicht, worüber sie reden sollten. Den Mainstream mied er, aber er stempelte seine Kunstwerke gern mit «Hauptstrom». Institutionen misstraute er, außer wenn er sie selbst gründete. Aus der Kirche trat er aus, aber er hielt die Türen der Kunst zum Glauben weit offen. Er bezog sich in seinem Denken auf Rudolf Steiner, aber der anthroposophischen Gesellschaft trat er nie bei. Vom Marxismus distanzierte er sich mit den Worten: «Ich bin kein Marxist, aber ich liebe Marx vielleicht mehr als viele Marxisten, die nur an ihn glauben.»[2] Beuys’ Kunst ist geprägt von Polarität und Gegensätzen. Für seine Anhänger und Gegner war Beuys die Personifikation der zeitgenössischen Kunst schlechthin. Kunst wollte er in Politik verwandeln, Politik in Kunst. Kein Problem war ihm zu groß, vom Numerus clausus der Hochschulen über die wirtschaftliche Misere der 1970er Jahre bis zum Konflikt in Nordirland traute er sich Lösungen zu. Welche Aspekte seines Werkes und seines Images als Künstler sind heute, ein Dritteljahrhundert seit seinem Tod, relevant? Welche Kapitel sind geschlossen, welche Fragen gelöst? Was bleibt von den Aktionen, wenn ihr Urheber nicht mehr da ist? Wie verändert sich die Wirkung von Werken, die vom Ort, für die er sie eingerichtet hat, umziehen? Und vor allem: Was geschieht, wenn ein Künstler, der während Jahrzehnten schulbildend und der Inbegriff der Gegenwartskunst war, zu einem Teil der Kunstgeschichte wird? Anlässlich des 100. Geburtstags von Beuys begebe ich mich auf eine Reise durch sein Werk, als ob es eine Landschaft beziehungsweise eine große Ausstellung wäre. Das räumliche Nebeneinander der Phänomene ist in meiner Darstellung deshalb wichtiger als das zeitliche Nacheinander der Ereignisse. 24 Mal mache ich vor einem Kunstwerk halt. Ich wähle 24 Zugänge, um Beziehungen innerhalb des Werkes nachzuspüren und Verbindungen mit den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Themen ihrer Zeit aufzuzeigen. Die 24 Tableaus sind chronologisch angeordnet, aber sie müssen nicht linear gelesen werden. Die Zahl 24 übernehme ich von den 24 Stationen, in welche die Kuratorin Caroline Tisdall die Beuys-Retrospektive einteilte, die Ende 1979 im Solomon R. Guggenheim Museum in New York stattfand. Die organische Architektur des von Frank Lloyd Wright entworfenen Baus mit seiner berühmten Spiralrampe passte optimal zur Raumvorstellung von Beuys. Zum ersten Mal war fast das gesamte Werk zu überblicken. Während die 24 Stationen die Beuys-Forscherin Antje von Graevenitz an den christlichen Kreuzweg mit 24 Stationen erinnerten, denke ich eher an den 24-Stunden-Tag, passend zu New York, der «Stadt, die niemals schläft», und zum Arbeitspensum von Beuys.[3] Er machte jeden Moment produktiv, vergeudete keine Idee, integrierte noch die kleinsten Reste von früheren Kunstwerken, ja seine eigenen Zehennägel, in spätere Werke. «Beuys ist telefonisch für jeden erreichbar» hieß es.[4] Arbeit und Privatleben verschwammen. Er nahm seine Frau Eva und seine Kinder Wenzel und Jessyka mit zu Aktionen und Eröffnungen (s. Abb. S. 301) und seine Studenten mit ins Wohn-Arbeitszimmer. Er debattierte schlagfertig und nahm sich Zeit für alle – auf einem Podium 1970 rief er dem Philosophen Max Bense zu, dass er «bereit wäre, bis ins Morgengrauen zu sprechen». Wie ein Motto lauten die Titel von zwei Multiples: Ich kenne kein Weekend (1972) und Ich ernähre mich durch Kraftvergeudung (1978). Das Rudel (The Pack), 1969 Fast sein gesamtes skulpturales und zeichnerisches Werk war zu sehen, von der frühen Badewanne über die Straßenbahnhaltestelle bis zur kolossalen mehrteiligen Plastik Unschlitt/Tallow. Besonderes Aufsehen erregte die Installation Das Rudel (The Pack) (1969). Ein alter, rostiger VW-Bus stand auf der Rampe. Aus der geöffneten Hecktür schien eine Reihe von Schlitten auszuschwärmen. Die Schlitten, die separat auch als Multiple vertrieben wurden, waren mit einer Filzrolle, einem Klumpen Wachs oder Fett und einer Taschenlampe bepackt. Der Titel weckte die Assoziation von Wölfen oder Hunden. Waren es Rettungshunde, die kamen, um jemanden zu bergen? Oder waren es angriffige Wesen, vor denen man sich in Acht nehmen musste? War der Bus defekt und ein Weiterkommen ohne Motor, mit Schlitten, möglich? Im Umfeld des weißgestrichenen Museums und der Rampe riefen sie die Assoziation einer Winterlandschaft hervor. Schlitten, Multiple, 1969 Die New Yorker Ausstellung im Winter 1979 bis 1980 rückte Beuys in ein neues Licht. Er wurde zum Weltstar. Aber auch zu einer kontroversen Figur, die fortan die Kunstwelt polarisierte. Wie sollte man umgehen mit einem Künstler, der sein eigenes Leben zum Kunstwerk erklärte und sogar die eigene Geburt als «Ausstellung» deklarierte? Wie sollte man umgehen mit einem Künstler, der mitteilte, dass die Kunst keine Grenzen habe? Und vor allem, wie sollte man umgehen mit einem Künstler, der über ein Tabu sprach, über seine Zeit als Soldat im Zweiten Weltkrieg, über den Holocaust? Der Absturz
Eine Doppelseite im Ausstellungskatalog löste eine Debatte aus, die bis heute nicht ganz aufgehört hat.[5] Sie beschreibt, wie Beuys 1940 eingezogen und zum Funker und Kampfpiloten ausgebildet wird. Danach folgen verschiedene Stationierungen, die Beuys auflistet, als ob es sich um eine Bildungsreise an reale und mythische Orte kreuz und quer durch Europa handelte. Die Reise führt von den «Slav lands» über die «Russian steppes (Kuban) – living spaces of the Tartars. Tartars wanted to take me into their family», die «Jaila Mountains (Golden Fleece)», «Romania (Danube Delta)», «Vienna (Huns and Turks before the gates of Vienna)», «Apulia» bis zum «Western theatre of war as paratrooper in North Holland» und zur «North Sea coast».[6] ...


Philip Ursprung ist Professor für Kunst- und Architekturgeschichte an der ETH Zürich.


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