Vilgis | Wissenschaft al dente | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 80407, 160 Seiten

Reihe: HERDER spektrum

Vilgis Wissenschaft al dente

E-Book, Deutsch, Band 80407, 160 Seiten

Reihe: HERDER spektrum

ISBN: 978-3-451-80407-6
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Harte Schnitte und brodelnde Töpfe. Eiskalte Gefrierfächer und der Angriff der Mikrowellen. - Wie viel Physik und Chemie verbergen sich hinter der Küchentür? Neues vom Soundtrack der Kartoffelchips, Überraschendes aus dem Reich der Fleischreifung und Verblüffendes über die Physik des Abwaschwassers. Kulinarisch lehrreich und äußerst amüsant.
Vilgis Wissenschaft al dente jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


Noch ein Ei gefällig?
Sicher haben Sie während des Frühstücks Ihr geliebtes Ei vermisst, auf das vor allem hartgesottene Frühstücksfans kaum verzichten wollen. Keine Sorge, es soll Ihnen nicht vorenthalten werden, schon gar nicht aus unbegründeter Furcht vor Cholesterol oder aufgrund anderer Schauergeschichten, die man sich vom Ei erzählt. Es wäre lediglich viel zu schade ums Ei, würden wir es als schlichte Frühstücksbeigabe abtun; dazu schmeckt es einfach viel zu gut. Und auch bei etlichen anderen Anlässen sind Eier viel mehr als nur nützliche und schmackhafte Zutaten. Uns Küchenwissenschaftlern zum Beispiel bietet das Ei die ideale Gelegenheit, unser Wissen über Proteine aufzupolieren. Außerdem ist es ein wunderbares Modellsystem für angewandte Gastrophysik. Übrigens ist es gar nicht so dumm, auf das Ei bereits am frühen Morgen zu sprechen zu kommen, denn Proteine werden uns noch den ganzen Tag über den Weg laufen. Und das Ei ist schlicht und ergreifend das Modellsystem für grundlegende Proteinphysik. Glibber mit Albuminen
Im Ei befindet sich eine ganze Reihe von Molekülen, und die haben es in sich. Nicht nur küchentechnisch, sondern auch aus rein wissenschaftlicher Sicht. Beginnen wir mit der Schale. Sie ist ein gar wundersames Gebilde. Alle, die einmal Peter Mayles Geschichten aus der Provence oder einschlägige französische Kochliteratur gelesen haben, wissen, wie porös Eierschalen sind: Sperren Sie Eier mit ein paar ordentlichen Trüffelstücken in ein Glas, dann duften die Eier nach ein paar Tagen intensiv nach Trüffeln. So können Genießer, die sich im Winter einen Trüffel der ordentlichen Sorte (tuber brumate, tuber melanosporum) leisten, zweimal in den Genuss des Klassikers Trüffelomlette kommen. Mit und ohne Trüffel – und doch mit natürlichem Trüffelaroma. Das Prinzip ist ganz einfach. Die Eierschalen – sie bestehen im Wesentlichen aus Kalziumkarbonat – sind poröse Materialien. Für bestimmte Moleküle sind sie durchlässig, für andere nicht. Wasser und Salze (also Natrium- und Chlorionen) dringen kaum beziehungsweise nur extrem langsam durch Schale und Schalenhaut, gasförmige Duftstoffe jedoch schneller. Sie aromatisieren Eiweiß und Dotter. Mit dem Eiweiß sind wir mitten im Ei angelangt, nämlich bei seinem Inhalt. Aber auch bei einer kleinen sprachlichen Ungenauigkeit. Doch lassen Sie uns erst einmal schnell ein Spiegelei zubereiten. „Was?“, werden Sie jetzt vielleicht protestieren, „Für das trivialste aller Gerichte soll hier Platz vergeudet werden?“ Nur keine Aufregung. Im Trivialen verbirgt sich häufig eine Menge Interessantes. Das Spiegelei etwa lehrt uns allerhand Grundsätzliches über das Verhalten von Eiweißen. Und schom sind wir bei der angedeuteten Sprachverwirrung: Eiweiß – Protein: Wo liegt da der Unterschied? Antwort: deutsche Sprache schwere Sprache. Eiweiß ist nichts anderes als Protein. Es bezeichnet aber nicht das, was wir im Allgemeinen als das Weiße im Ei ansehen. Weshalb wir dies im Folgenden auch nicht Eiweiß, sondern Eiklar nennen werden. Alles klar? Eben nicht. Sobald wir nämlich das Ei aufschlagen und es vorsichtig in die heiße Pfanne gleiten lassen, sehen wir deutliche Unterschiede: Eiklar ist nicht gleich Eiklar. Offensichtlich garen die Eiweiße im Eiklar einmal schneller, ein anderes Mal langsamer. Jenes Eiklar, das sich sehr schnell in der Pfanne verteilt, gart eher schnell. „Na und?“, grummelt da manch ein hungriger Zeitgenosse. „Ist doch egal.“ Im Gegenteil, dahinter verbirgt sich mehr an Wissenschaft, als der ein oder andere Freund des Spiegeleis vermutet. Schnell fließend bedeutet weniger zäh oder viskos. Das Eiklar rund um den Dotter ist dagegen zäher und will kaum in die Pfanne fließen. Was hat es damit auf sich? Offenbar besteht das Eiklar aus mehreren Proteinsorten. In diesem Gemisch aus verschiedenen Proteinen ist auch Wasser in rauen Mengen enthalten, was sich einfach nachweisen lässt, indem Sie einen Glasdeckel oder auch nur eine Glasplatte über die heiße Pfanne halten. Rasch beschlägt diese mit Dampf, der schnell kondensiert und dabei Wassertropfen bildet. Wasser an sich ist sehr flüssig und überhaupt nicht zäh. Folglich muss die Veränderung der Viskosität, also der Zähigkeit, von den Proteinen herrühren. Intuitiv wissen wir: Sobald sich etwas im Wasser löst, wird die Lösung zäher. Das bekannteste Beispiel ist die Zuckerlösung. Wenn Sie nur genügend Zucker im Wasser auflösen, notfalls mit Gewalt, sprich bei hoher Temperatur, und kochen, wird die Lösung umso dicker und umso zähflüssiger. So entsteht bald ein dickflüssiger Sirup. Siehe Honig. Das Glibberige des rohen Eiklars stammt also von den darin gelösten Proteinen. Proteine sind lange Molekülfäden, die zu Kugeln oder, wie der Fachchinese sagt, Globulen gerollt oder gewickelt sind. Wenn dicke Kugeln im Wasser treiben, muss die Viskosität zunehmen, denn nun können die Wassermoleküle nicht mehr ungehindert umher schwimmen, sondern müssen Umwege um die Kugeln in Kauf nehmen. Folglich ist Eiklar zähflüssig. Und da wir zwei verschiedene Zähigkeitszustände ausmachen, schließen wir messerscharf: In dem Eiklarwasser werden wir zwei verschiedene Proteine finden. Also haben wir die Zusammensetzung des Eiklars schon fast erraten: zwei verschiedene Proteine plus Wasser. Mit genaueren Analyseverfahren könnten wir etwa 70 Prozent Wasser und 12 Prozent Protein nachweisen. Zwei verschiedene Proteine wohlgemerkt, Ovalbumin und Conalbumin. Das Conalbumin, das bei etwa 61 Grad „denaturiert“, und das Ovalbumin, das erst bei ca. 85 Grad gerinnt. Das Gerinnen der Proteine lässt sich in diesem Fall sehr einfach erkennen: Das Eiklar wird weiß, ein deutliches Zeichen des Garens. Die unterschiedlichen Gerinnungstemperaturen deuten auf eine ganze Reihe wichtiger Fakten hin, die es lohnt, einmal genauer zu betrachten. Dazu müssten wir aber etwas schärfer in die Proteine schauen. Kommt sofort, aber zunächst einmal weiter mit unseren einfachen Beobachtungen und Interpretationen. „Denaturierung“ – das klingt bedrohlich, zumal so nah am Frühstückstisch. Doch keine Sorge, der Wissenschaftler bezeichnet damit lediglich die strukturelle Veränderung von Molekülen, in unserem Fall von Proteinen. Was kann bei der Denaturierung passieren? Stellen wir uns einfach einmal vor, dass sich diese eng gewickelten Kugeln zu langen Fäden aufrollen. Das klingt plausibel, denn Temperatur bedeutet immer Energie. Erhöhen wir die Energie, indem wir das Eiklar erwärmen, so können die molekularen Kräfte, die die Kugeln zusammenhalten, nicht mehr aufrecht erhalten werden. Folglich siegt das Streben nach mehr Freiheit, und die Kugeln müssen sich aufrollen. – Erinnert an die erhitzte Milch, oder? – Das bedeutet aber, dass sich die Fäden – sie sind ja lang genug – gegenseitig zu fassen bekommen. Somit bilden sie ein weitmaschiges molekulares Netz und fangen das Wasser darin ein. So richtig hart wird Eiklar erst bei 84 Grad, denn dann kann das von den Albuminen (so der Sammelbegriff für eine Klasse der globulären Proteine in Milch und Ei) eingefangene Wasser wieder abgegeben werden. Was also aus dem Netzwerk abdampft, ist sein Weichmacher, sein Quellmittel. Ist das Wasser weg, ziehen sich die Netzwerkmaschen viel enger zusammen. Und schon wird es regelrecht gummiartig. Die mechanischen Eigenschaften verändern sich: Je enger die Netzwerkmaschen stehen, desto fester wird es. Diese Eiklareiweiße sind also ein ganz besonderer Stoff mit erstaunlichen Fähigkeiten. Im Reich der Eiweißdenaturierung
Was eben beschrieben wurde, ist nichts anderes als der übliche Brat- und Kochvorgang des Eiklars. Also Eierkochen, Spiegeleierbraten und so weiter. Aus physikalischer Sicht ist dabei entscheidend, dass die Proteine aus ihrer natürlichen, meist kugeligen Gestalt gebracht werden, und zwar durch Energiezufuhr, also ordentliches Einheizen, bis die thermische Energie der Hitze ausreicht, um den Zusammenhalt der Molekülkugeln zu überwinden. Wie wir noch aus den endlosen Stunden im Physikunterricht wissen, ist Energie immer auch mit Bewegung verbunden. Und so wackeln die Moleküle und die Molekülteile der Proteine bei höherer Temperatur zunehmend schneller und mit größeren Auslenkungen. Die Folge: Der kugelige Zusammenhalt ist nicht mehr gewährleistet, das Protein entfaltet sich. Das hatten wir bereits. Es geht aber auch anders. Was Hitze schafft, das schafft auch Säure. Ein Experiment macht das klar, auch wenn dessen Ergebnis alles andere als klar ist. Wir geben sauberes Eiklar in ein Wasserglas und träufeln etwas Haushaltsessig dazu, der von wässriger Farbe sein sollte. Denn erstens ist Spitzenbalsamico für diesen Zweck viel zu schade, zum anderen würde seine tiefschwarze Färbung unseren Blick fürs Wesentliche trüben. Was wir beobachten, ist sehr eindrucksvoll. Sobald der Essig mit dem Eiklar in Berührung kommt, wird dieses weißlich, ganz so, als hätten wir es mit einer gezielten Flamme gegart. Sehr gut funktioniert das mit Essigessenz, noch besser wäre Salzsäure, aber derart heftige Säuren lassen wir besser nicht in der Küche herumstehen. Schon schlichter Zitronensaft genügt, wobei es nur ein wenig länger dauert, bis sich dieser Effekt einstellt. Um unsere Beobachtungen zu verstehen, sollten wir uns die genannten Säuerlichkeiten etwas genauer anschauen. Geht es um Säuren, dann ist immer Wasserstoff mit im Spiel. Allerdings treffen wir nicht etwa auf vollständige Wasserstoffatome, sondern auf solche, denen ein Elektron geklaut worden ist. Bei großen Atomen mit vielen Elektronen mag das unter Umständen nicht weiter tragisch sein, beim Wasserstoff hingegen schon. Denn das...


Professor Dr. Thomas Vilgis, geb. 1955, ist theoretischer Physiker am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz. Der Mitherausgeber der Zeitschrift »Journal culinaire« ist Autor zahlreicher Bücher zur Naturwissenschaft des Kochens.


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.