Vincent | Tanzen macht nicht nur glücklich, sondern auch schlau | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Vincent Tanzen macht nicht nur glücklich, sondern auch schlau

Mit neuesten Erkenntnissen aus der Neurobiologie

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-641-24709-6
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Gehirn im Viervierteltakt
Wir haben es immer gewusst, aber nun ist es wissenschaftlich belegt. Tanzen macht nicht nur glücklich, sondern auch schlau. Die Kombination aus Rhythmus, musikalischem Gehör, Choreographiearbeit, asymmetrischem Training von linker und rechter Körperhälfte, Koordinationsvermögen (alleine, als Paar oder in der Gruppe) und Ausdauertraining fördert und fordert unterschwellig den Denkapparat. Das lässt sich in der Gerontologie und Demenztherapie wunderbar umsetzen, aber auch im schulischen Kontext gibt es hiermit eine Alternative zum Geigenunterricht.

Lucy Vincent, Neurobiologin, geboren in Wales, lebt seit vielen Jahren in Frankreich. Neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit ist sie Redakteurin für Sachthemen bei Radio France. Sie schrieb mehrere international erfolgreiche Bücher zu Aspekten der Neurobiologie im sozialen Miteinander. Sie ist verheiratet mit dem Neurobiologen Jean-Didier Vincent.
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Wenn verallgemeinernd von »sportlichen Aktivitäten« die Rede ist, klingt das so, als wären sie untereinander austauschbar, das ist jedoch alles andere als zutreffend. Um joggen zu können, brauchen Sie ein gutes Herz-Kreislauf-Training, die Schrittfolge werden Sie aber keinesfalls vergessen haben. Das Gleiche gilt fürs Radfahren oder Schwimmen – man kann sich vielleicht über die Strategie Gedanken machen, nicht aber um den emotionalen Ausdruck. Und beim Tanzen? Nun, das Tanzen hebt sich dadurch von anderen Aktivitäten ab, dass es so viele unterschiedliche Fähigkeiten mobilisiert. Tatsächlich leisten dies nur wenige Sportarten. Gleichgewicht, Muskelarbeit im gesamten Körper, Koordination, Ausdruckskraft, Interaktion mit einem Partner bzw. einer Partnerin, Rhythmusgefühl: Wenn man darüber nachdenkt, gibt es kaum eine Körper- oder Gehirnfunktion, die nicht miteinbezogen wäre. Und als Krönung des Ganzen tanzt man, im Unterschied zu vielen anderen Aktivitäten, immer um des Vergnügens willen und nicht, weil man sich einredet, zum eigenen Wohl zu leiden. Ohne zu behaupten, dass der Tanz die einzige Sportart wäre, die der Mühe lohnt, drücken wir es lieber so aus: Das Tanzen bringt viele spezifische Vorteile mit sich, angefangen bei der kognitiven Arbeit. In diesem ersten Kapitel werden wir genauer darauf eingehen, wie die Körperbewegungen direkt auf unsere Neuronen einwirken, wenn wir tanzen. Das Brain-Building Die Auswirkungen eines Tanz-Lernprogrammes wurden mit denjenigen einer Folge wiederholter Sportübungen verglichen (Muller, Rehfeld u.a. 2017). 22 ältere Menschen zwischen 63 und 80 Jahren bei guter Gesundheit beteiligten sich über einen Zeitraum von 18 Monaten als Freiwillige. Bereits nach sechs Monaten bemerkte man, dass die Tänzer eine signifikante Zunahme an grauen Zellen im Gyrus precentralis (dem Teil der motorischen Rinde, der die Bewegungen steuert) verzeichnen konnten, was bedeutet, dass das Tanzen (und eben nicht die wiederholten Übungen) Gehirnmasse hervorbringt. Auf der anderen Seite zeigten die gleichen Tänzer eine Zunahme von neuronalen Wachstumsfaktoren, was wiederum belegt, dass die Verbindung zwischen Tanzen und Gehirn über den Weg der Hormone verläuft. Und schließlich konnte man bei ihnen auch eine Steigerung des Volumens des Parahippocampus beobachten (zentrale Struktur für das Funktionieren der Erinnerung), wodurch sich einigermaßen konkret das bestätigen lässt, was man über die Auswirkungen des Tanzens auf das Erinnerungsvermögen weiß. Daraus haben die Forscher den Schluss gezogen, dass ein Tanzprogramm mit konstantem Lernen neuer Schrittfolgen sinnvoller wäre als die simple Wiederholung von Bewegungen, um die Funktion des Gehirns zu verbessern. Tanzen als höhere Gehirnfunktion Ist das wirklich so erstaunlich? Wenn man darüber nachdenkt, ist alles, was wir von der Welt kennen, über unsere Sinne ins Gehirn gedrungen: Man hat Erklärungen angehört, Schemata betrachtet, Unterschiede der Temperatur oder des Drucks wahrgenommen, Düfte eingeatmet, Gerichte probiert … Anschließend, und eben erst anschließend hat unser Gehirn diese Informationen geordnet, indem es sie klassifizierte und verknüpfte, um daraus Strategien abzuleiten, um unser Überleben und unsere Reproduktion zu sichern. Während unseres gesamten Lebens prasseln auf diese Weise Neuigkeiten auf uns ein, und die Organisation unserer neuronalen Netze richtet sich entsprechend ein, um die neuen Daten integrieren zu können. Beim Lernen hat der Körper eine zentrale Rolle inne. Er ist es, der der äußeren Welt gegenübersteht und sie ausprobiert, und er ist von bemerkenswerter Empfindsamkeit und Feinheit in der Behandlung all dieser Informationen. Vielleicht sind Sie wie viele Menschen überzeugt, dass die Intelligenz, die an unseren Körper gebunden ist, eher gering ist, verglichen mit der, die uns die Lektüre eines Buches oder das Anhören eines Philosophiekurses bringt. Doch das stimmt nicht. In Wahrheit kann jede Lektüre, jede Lehrstunde nur von einem Gehirn aufgenommen werden, das darauf vorbereitet ist. Es ist der Körper, der sich dieser Aufgabe dank seines sensorischen Systems annimmt, und diese Vorbereitung wird durch Erfahrungen, die man gemacht hat, gestärkt, was unser Gehirn immer mehr befähigt, mit komplexen und virtuellen Begriffen umzugehen. Also immer noch Mens sana in corpore sano, ein gesunder Geist in einem gesunden Körper? Sagen wir eher Mens intelligens in corpore movente – ein intelligenter Geist in einem Körper, der sich bewegt! Die Bewegung erschafft das Gehirn Zunächst sei festgehalten: Nur die Lebewesen, die sich bewegen, verfügen über ein zentrales Nervensystem. Wurde das Gehirn durch die Evolution »erfunden«, dann erfolgte das in erster Linie, um die Bewegungen des Körpers und die Koordinierung der Organe zu leiten. Tiere, die nur gering entwickelt sind, wie die Qualle oder der Seeigel, verfügen darüber nicht, weil ihr Überleben durch eine simple Folge von Reflexen garantiert wird. Erst die Evolution hin zu einem komplexen Körper hat die Existenz eines Gehirns erfordert. So gesehen, versteht man eher, warum ein verbesserter Einsatz des Körpers die Funktion des Gehirns optimiert. Bewegen Sie sich nicht, entwickelt sich Ihr Gehirn zurück Die Manteltiere (Tunicata) zeigen sehr gut, inwieweit das Gehirn dem Körper dient. Diese Meeresschneckenart verbringt den größten Teil ihres Lebens an einen festen Untergrund fixiert. Nur zu Beginn ihres Lebens, im Larvenstadium, verfügt sie über die Anlage zu einem Nervensystem – eine Chorda dorsalis. Nur so kann sie sich auf der Suche nach einem idealen Plätzchen machen, an dem sie sich dann für den Rest ihres Leben festsetzt. Später entwickelt sich die Chorda dorsalis zurück, da sie nicht mehr gebraucht wird. Das menschliche Gehirn entsteht unter dem Einfluss spontaner Muskelkontraktionen beim Fötus. Diese winzigen Bewegungen stimulieren die Anlage von neuronalen Netzen, die anfangen, sich zu betätigen, indem sie ihrerseits an die Muskeln Reize senden, die allmählich ihre motorische Kontrolle verfeinern. Der Muskel erteilt dem Gehirn Befehle Die Muskeln produzieren während ihrer Ausbildung in utero, aber auch noch während der Kindheit kleine Kontraktionen, sogenannte Twitches, und zwar während der REM-Schlafphase (Rapid Eye Movement), somit also während der Traumphase des Schlafs. Da diese Phase durch eine Lähmung der Muskeln gekennzeichnet ist, hat man lange Zeit angenommen, dass diese Mikro-Kontraktionen ohne Bedeutung wären. Heute aber weiß man, dass sie für die Entwicklung des Zusammenspiels von Körper und Gehirn wesentlich sind. Weit davon entfernt, zufällig zu sein, folgen sie vielmehr einem koordinierten Rhythmus und tragen zur Ausbildung des Nervensystems bei, jedoch auch zu der von Knochen und Gelenken. (Auf der Webseite www.twitchsleep.net kann man Videos von Kleinkindern und Tieren sehen, die im Schlaf »twitchen« [Blumberg und Dooley 2017].) Die Verbindungen im Gehirn bzw. zwischen Gehirn und Körper sind an die Muskelaktivität gebunden. Ab ihrer Entstehung fangen sie an, Bewegungen ohne scheinbaren Nutzen auszuführen, diese liefern aber elektrische Reize, die wiederum die sensomotorischen Systeme im Gehirn ausbilden. Die Nervenzellen, die so entstehen, stimulieren ihrerseits die Muskeln, die die Nervenzellen ausgebildet haben. Dieses Hin und Her von Reizen und Gegenreizen festigt die Schaltkreise, die die typischen Bewegungen bewirken, die man bei Föten und Neugeborenen beobachten kann. Bewegung und Gehirn sind derart eng miteinander verbunden, dass man sogar einfache zerebrale Schädigungen diagnostizieren kann, wenn man die Bewegungen von Neugeborenen oder ihre Haltung in Ruhestellung beobachtet. Bei Kindern, die eine Hirnlähmung (Cerebralparese) aufweisen, hat man auf diese Art Haltungsanomalien feststellen können, dazu das vollständige Fehlen bestimmter typischer Bewegungen im Repertoire eines Neugeborenen sowie die Koordination ungewöhnlicher Bewegungen (Ferrari, Prechtl u.a. 1997). Gar nicht so dumme Dummheiten Kinder führen spontan kleine Bewegungen ohne offensichtliche Absicht aus, die man als fidgets bezeichnet, als Zappeln. »Stop fidgeting« bzw. »Hör auf zu zappeln« ist eine häufige Ermahnung. Diese Körperaktivität, die als vollkommen unnötig erscheint, war Gegenstand einer ernsthaften Studie. Forscher haben 130 Kinder bis zu ihrem zweiten Geburtstag regelmäßig gefilmt und sämtliche fidgets, die sie zeigten, analysiert. Die Forscher beobachteten, dass 67 von 70 Kindern (also 96 Prozent), die normale »Zappelbewegungen« aufwiesen, eine neurologisch gleichfalls normale Entwicklung hatten. Im Gegenzug war das vollständige Fehlen von fidgets bzw. eine »anormale« Ausprägung mit neurologischen Anomalien verbunden (infantile Zerebralparese, Entwicklungsverzögerung, kleinere neurologische Anzeichen). Die spezifischen Fähigkeiten und die Sensibilität dieser Methode bei der Beobachtung von fidgets waren ausgeprägter als die entsprechenden Eigenschaften bei der Diagnostik durch eine Sonografie des Gehirns (Prechtl, Einspieler u.a. 1997). Die Entwicklung unseres Gehirns hängt also von vielen Erfahrungen ab, die die Kinder ganz natürlich machen, wenn sie sich frei bewegen...


Vincent, Lucy
Lucy Vincent, Neurobiologin, geboren in Wales, lebt seit vielen Jahren in Frankreich. Neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit ist sie Redakteurin für Sachthemen bei Radio France. Sie schrieb mehrere international erfolgreiche Bücher zu Aspekten der Neurobiologie im sozialen Miteinander. Sie ist verheiratet mit dem Neurobiologen Jean-Didier Vincent.


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