Vittrup | Das Hotel am Meer | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 496 Seiten

Vittrup Das Hotel am Meer

Roman

E-Book, Deutsch, 496 Seiten

ISBN: 978-3-641-22911-5
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Eine Liebe die über Wasser geht ...
Málaga, 1954: An der südspanischen Küste wird ein Argentinier angespült. Er nennt sich Víctor de la Vega und behauptet, er sei auf einem französischen Walfänger unterwegs gewesen, als ein Sturm ihn über Bord geworfen habe. Über seine Vergangenheit bewahrt er Schweigen.In einem Ordenkloster wird er gesundgepfelgt. Dort lernt er die kluge Sofía kennen und verliebt sich in sie. Gemeinsam gründen sie eines der ersten Hotels der Stadt. In den kommenden Jahrzehnten werden Schicksalsschläge und Abenteuerlust die Familie auseinandertreiben. Doch im Hotel am Meer kommen sie immer wieder zusammen.

Morten Vittrup, Jahrgang 1983, hat in Spanien und Argentinien gelebt und arbeitet heute als freier Journalist in Dänemark. Inspiriert von den großen nord- und südamerikanischen Erzählern, verfasste er seinen Debütroman »Das Hotel am Meer«.
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Die Entscheidung In dem Augenblick, als die Eier ins kochende Wasser plumpsten, begann Sofía mit dem Glaubensbekenntnis. »Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde, und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten. Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige katholische Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben. Amen.« Sie nahm eine Keramikschüssel aus dem riesigen Küchenregal, wischte sie sauber und stellte sie auf die Ablage neben dem Herd. Dabei warf sie einen Blick aus dem Fenster. Ein sanfter Frühjahrsregen fiel auf die Lavendelbüsche im Klostergarten, leichter Morgennebel umhüllte die Stämme der Obstbäume. Als sie mit dem Glaubensbekenntnis fertig war, kamen die Vaterunser an die Reihe. Mitten im zweiten Vaterunser betrat Schwester María Ángeles die Küche und begrüßte Sofía mit einem Nicken. Sie störte ihr Gebet nicht, sondern öffnete wortlos die Ofenklappe und warf ein paar Holzscheite in das flammende Inferno. Wollten die guten Schwestern von San Luis eine Ermahnung, was sie in der Hölle erwartete, mussten sie bloß in den Küchenherd schauen. In der Küche war es unerträglich heiß, besonders an warmen Tagen wie diesem. Ostern war spät dieses Jahr, es war schon April. Nachdem Sofía fünf Vaterunser aufgesagt hatte, fischte sie ein Ei nach dem anderen mit einem Holzlöffel aus dem Topf und legte sie vorsichtig in die Schüssel. Ein Glaubensbekenntnis und fünf Vaterunser machten perfekte Eier und sorgten nebenbei für Seelenfrieden, hatte ihre Mutter ihr eingeprägt. Sie trug die Schüssel durch den Speisesaal in den Ostflügel. Dort lagen die Sterbenden, die unheilbar Kranken und die Dementen. Die anderen Patienten, mit Typhus, leichter Bronchitis, Polio oder Lungenentzündung, lagen im ersten Stock. Sie konnten noch selbst Treppen steigen. Die Decke im Schlafsaal war niedrig mit dicken Balken. Bis auf die bronzenen Kreuze, die über jedem Bett wachten, waren die Wände nackt und voller Stockflecken. Das einzige Licht kam von einer nackten Glühbirne und der großen, halbrunden Sprossentür am Ende des Saales. Die kleinen Fenster an den Seitenwänden waren meist verriegelt, um die schlimmste Hitze draußen zu halten. Die Äbtissin hatte einen Handwerker mit langem Sündenregister überredet, ein einfaches Waschbecken neben der Tür zu installieren, damit man wenigstens Wunden und Verbände vor Ort auswaschen konnte. Sofía stellte die Schüssel mit den Eiern auf die Ablage, wo die Schwestern Bettpfannen, Baumwollwindeln und Nachttöpfe aufbewahrten. Opiate und andere Medikamente waren in einer Kammer im Erdgeschoss weggeschlossen. Es war keineswegs üblich, die Patienten in San Luis mit Frühstückseiern zu verwöhnen, aber die Äbtissin hatte es Sofía erlaubt. Schließlich war Ostern, und auch ein Sterbender hatte ein Recht auf ein einfaches Osterei, hatte Sofía argumentiert. Der erste Patient, der eines bekam, war Pablo Herrera, ein frommer, alter Gießereiarbeiter, dessen Körper sich nicht entscheiden konnte, was ihm den Garaus machen sollte, die Demenz oder die Bronchitis. Sofía tupfte ihm den Schweiß von der Stirn, nahm das Tuch mit dem ausgehusteten Schleim von seiner Brust, wischte ihm das Kinn ab und legte ein frisches Tuch auf den Nachttisch. Dann half sie ihm in einen Rollstuhl und schob ihn vor die Sprossentür. Sie führte zur Loggia des Klostergartens, aber wegen des Regens ließ Sofía sie geschlossen. »Möchten Sie ein Osterei?« Ohne auf Antwort zu warten, öffnete Sofía die geballte Hand des alten Mannes und legte das Ei hinein, als wäre es ein Rosenkranz. Sofía machte eine schnelle Runde. Die Betten, neun Stück auf jeder Seite, waren von unterschiedlichster Herkunft. Manche waren hoch, andere niedrig. Manche waren aus Holz, andere aus rostigem Metall. Manche waren am Boden verschraubt, andere ließen sich nach Belieben umstellen. Nur das vergilbte Leinen und die Nachttische waren bei allen gleich. Sie legte den Patienten die Hand auf die Stirn, um ihre Temperatur zu prüfen, und hob kurz die Decken an, um zu riechen, ob Windeln oder Hosen gewechselt werden mussten. Alle wachen Patienten bekamen ein Lächeln und ein »Guten Morgen«, begleitet von einem Osterei. Viel mehr konnte sie nicht tun. Nicht dass die Schwestern ihre Patienten nicht retten wollten – die Dementen, die Verdammten, die Ausgestoßenen, die Unglücklichen – , aber die von der Kirche bewilligten Mittel deckten kaum den Bedarf. Penizillin, Antibiotika, Morphin und Kodein waren seltene Luxusgüter. Außerdem fehlte den Schwestern die grundlegende medizinische Kenntnis. Sie waren Kinder des Glaubens, nicht der Wissenschaft. Sofía und die acht Nonnen konnten in der Regel nicht mehr tun, als für die Patienten zu beten und ihnen Rosenkränze in die Hand zu drücken. Sie rieben ihnen selbst gemachte Mentholsalbe unter die Nase oder betupften ihre Gesichter mit Rosenwasser, damit der Gestank ungepflegter Bettnachbarn oder der Latrinen im hinteren Klostergarten ihren Todeskampf nicht allzu sehr störte. Dort lagen sie im Halbdunkel und warteten, bis Alter, Typhus, Tuberkulose, Scharlachfieber, Polio, Unterernährung, Schwermut und andere in Spanien verbreitete Plagen sie von ihrem Elend erlösten und ins Reich des Himmlischen Vaters erhoben. Die medizinische Expertise von San Luis lag in der Hand eines einzigen Arztes, eines älteren Mannes, der Gerüchten zufolge einmal ein vielversprechender Chirurg gewesen war, bis ein früher Anfall von Tremor seine Karriere beendete. Alle wussten, dass er dem Alkohol zusprach, um seine Hände zu beruhigen; mehr als einmal hatten die Schwestern ihn am frühen Morgen bewusstlos in den Lavendelbeeten des Klostergartens gefunden, aber sie sahen darüber hinweg. Keine Gewohnheit war so sündig, dass sie nicht mit einem oder zwei Ave Maria gesühnt werden konnte, und wo ließ sich eine verlorene Seele besser an der kurzen Leine halten als in einem Kloster? Als Sofía zu Pablo Herrera zurückkam, war sein Kinn auf die Brust gesunken. Er schlief. Sofía schob den Rollstuhl wieder ans Bett und half ihm hinein. Sie schloss mit einem Gebet für seine Seele ab. Sofía verließ die Unheilbaren im Ostflügel und ging zurück in die Küche. Im Speisesaal begrüßte sie die Äbtissin und Schwester Agneta, die den Tisch für das Mittagessen deckten. Die Übertragung der Morgenmesse aus Madrid war vorbei, und das Radio spielte spanische Volksmusik. »Guten Morgen, Fräulein Baéz«, grüßte die Äbtissin, ohne mit der Arbeit innezuhalten. Sie lächelte Sofía an. »Wie haben die Patienten ihre Geste aufgenommen?« »Manche besser als andere. Ich hätte ihnen ebenso gut einen Edelstein geben können, sie hätten es kaum bemerkt.« Die Äbtissin und Schwester Agneta tauschten vielsagende Blicke aus. »Ihre Aufopferung für die Patienten ist einmalig. Mein Respekt«, sagte die Äbtissin zwischen scheppernden Blechtellern und den munteren Tönen einer andalusischen Copla. »Danke, Schwester Maribel.« Das Lob der Äbtissin klang einsilbig wie ein Telegramm, und doch fühlte sich Sofía, der es momentan an Anerkennung fehlte, geschmeichelt. »Haben Sie schon näher über unser Angebot nachgedacht?« Sofía schüttelte den Kopf. »Ich hatte noch nicht genug Zeit. Ich hoffe, Sie verstehen.« »Natürlich. Am wichtigsten ist, dass Sie sich selbst fragen, ob Ihre Hingabe zu unserem Herrn ebenso groß ist wie die zu den Patienten.« Sie richtete eine Gabel. »Wir alle schätzen Ihr Engagement sehr, Fräulein Baéz, aber dem Herrn zu dienen ist nicht dasselbe, wie den Patienten zu dienen. Und selbst, wenn Sie jetzt den Ruf verspüren, ist es noch ein weiter Weg bis zum ewigen Gelübde.« »Würden Sie mich einen Moment entschuldigen? Ich komme gleich zurück.« Sofía ging rückwärts aus dem Speisesaal hinaus. Sie wollte noch rasch in die Kapelle und rannte am Operationszimmer vorbei durch die Loggia, die am Rand des Klostergartens verlief. Hier lagen die Zellen der Schwestern, die mit einem Kreuz über jeder Tür markiert waren. Früher hatte es einen großen Schlafsaal über der Kapelle gegeben, um das Stundengebet zu erleichtern, aber die Äbtissin hatte es für vernünftig befunden, die Schwestern näher zu den Patienten im Ostflügel unterzubringen. Sofía Baéz war keine Nonne. Sie überlegte, das Gelübde abzulegen, konnte sich aber nicht entscheiden, weshalb sie bis auf Weiteres nur freiwillige Helferin im Kloster war. Mit ihren zweiundzwanzig Jahren war sie die Jüngste unter den neun Schwestern von San Luis. Und die Einzige, die nicht permanent im Kloster wohnte. San Luis war viele Jahre lang ein Kloster des St. Elisabeth-Ordens gewesen, bis die Äbtissin eines Tages im Frühjahr 1944 einen Spaziergang durch die Wirklichkeit machte, wie die Schwestern erzählten. Als sie zurückkam, war sie völlig überrumpelt von der Einsicht, in welch trauriger Verfassung ihr Land war. Unzählige amputierte Veteranen, gefolterte Partisanen, unterernährte Kinder, exkommunizierte Intellektuelle und Eltern, die ihre Kinder verloren hatten, brauchten ein Krankenbett und warme Mahlzeiten. Schwester Maribel bat den Orden und den zuständigen Bischof um...


Vittrup, Morten
Morten Vittrup, Jahrgang 1983, hat in Spanien und Argentinien gelebt und arbeitet heute als freier Journalist in Dänemark. Inspiriert von den großen nord- und südamerikanischen Erzählern, verfasste er seinen Debütroman »Das Hotel am Meer«.


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