Wachtel | Schreiben fürs Hören | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 29, 192 Seiten

Reihe: Praktischer Journalismus

Wachtel Schreiben fürs Hören

Trainingstexte, Regeln und Methoden

E-Book, Deutsch, Band 29, 192 Seiten

Reihe: Praktischer Journalismus

ISBN: 978-3-7445-0629-8
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Kein



Ein gutes Radio- oder Fernsehmanuskript erleichtert Sprechen und Hörverstehen gleichermaßen: Denn wie geschrieben wird, so wird auch (vor)gelesen. Stefan Wachtel leitet aus dem Vergleich von Mündlichkeit und Schriftlichkeit Regeln zum Schreiben ab und erläutert Methoden kreativen und hörverständlichen Formulierens. Freies Sprechen kann durch professionelle Stichwortkonzepte erlernt werden. Exemplarische Sendetexte aus dem gesamten deutschsprachigen Raum ermöglichen ein gezieltes Schreib- und Sprechtraining. Die 5. Auflage wurde überarbeitet und aktualisiert. 'Stefan Wachtel macht uns nützliche Vorschläge, die Melodie eines Satzes so zu komponieren, dass die Betonung auf dem Kern der Botschaft liegt.' Wolf von Lojewski, ZDF
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[38][39]1 Fürs Sprechen schreiben 1.1 Mündlich! Wenn Schreiben fürs Hören mündlich schreiben heißt, dann hilft ein Blick auf das Charakteristische mündlicher Sätze. Das Mündliche hat im Vergleich zum Schriftlichen: mehr finite Verbformen, weniger Substantive, kleinere Sinneinheiten; selten mehr als 6 Wörter pro Sinnschritt (vgl. Gutenberg 1994, 29). Die alte Regel, nicht mehr als 13 Wörter pro Satz zu verwenden, scheint von hier schon zu milde. Gesprochenes hat auch: mehr einsilbige und weniger mehrsilbige Wörter. Und auf der Satzebene: mehr nebenordnende Satzverbindungen und mehr Hauptsätze, insgesamt mehr selbstständige Einheiten als das Schriftliche (vgl. Geißner 1988/2, 156 ff.). Im Gegensatz zum Schriftlichen hat Sprechen auch kulturgeschichtlich andere Eigenschaften (Ong 1987, 42 ff.): »eher additiv als subordinierend«, »redundant«, »eher einfühlend und teilnehmend als objektiv« und »eher situativ als abstrakt«. Solche Eigenschaften haben durchaus auch viele Funktexte, die vorformuliert und dennoch mündlich sind, wie das folgende Beispiel: Die Leute im Osten haben’s nicht leicht: mit der Wirtschaft, mit der Umstellung, und überhaupt. Da kriegen sie seit Jahren nun schon von Westexperten eingetrichtert, wie sie sich verhalten sollen im Kapitalismus, wie sie ihr Geld am besten zusammenhalten und clever in die Zukunft investieren. Das ist in der Ex-DDR genauso wie in Russland, Polen oder eben – in Ungarn. Hier sorgt sich mancher so sehr um sein Geld, dass er schon mal fürs Jenseits vorbaut, weniger aus Frömmigkeit, als vielmehr aus finanzieller Kalkulation, was man hat, hat man. So macht sich eine ungewöhnliche Sitte breit in Ungarn. Marcus Müller berichtet. [40]Claus Kleber verwendet häufig eine gekünstelte mündliche Sprache. Hier ein Beispiel von seinem Vorgänger, Wolf von Lojewski: Verweilen wir noch einen Augenblick bei dem Manne, der gestern gestorben ist. Über einen Toten nichts als Gutes zu sagen, wird manchem schwer fallen daheim in Deutschland. Und doch: jetzt noch einmal kräftig drauf zuschlagen auf alles, was er war und wofür er stand, schafft weder Genugtuung noch Vergnügen. Wenn jemand stirbt, dann stellt sich noch einmal die Frage: Wer war er, nicht nur der Funktionär, auch der Mensch? Viel hat er uns davon nie preisgegeben. Er erschien als jemand, der kompliziert und dröge redete. Einer der grauen Männer, die auf eine freudlose Art Millionen beherrschten, die sich gegenseitig küssten und nach ihren eigenen Reden klatschten. Schwer vorstellbar, dass sie anderen hätten Glück bescheren können, weil sie selbst so matt und so traurig wirkten. Unser Reporter N. N. hat auch heute noch einmal nach Erinnerungen an Erich Honecker gesucht. Er hat Menschen gefragt, die ihn kannten. Die meisten wollten einfach nichts mehr sagen. Nichts über Honecker und nichts über die DDR. Sie sind tot, das war’s. Das nächste Beispiel besteht aus sehr kurzen Sätzen, teils aus Ellipsen, die gleichsam hingeworfen sind. Die Wortwahl ist salopp bis vulgär: »volle Anmache«, »anbaggern … Sex«. Die Autoren wollten ihre Reportage im Stil der Jugendlichen produzieren, von denen sie handelt. Aber, müssen wir zu den Zuschauern noch exakt die reduzierte Sprache sprechen, in denen die Akteure im O-Ton oft selbst reden? Originalton und Autortext bleiben zwei verschiedene Situationen mit verschiedenen Rollen und Stilen: Während der O-Ton eine parteiische Sicht zeigt, muss der Autorenton übergreifend werten. Darum darf er den Figuren nicht bis in die letzten Niederungen folgen. Etwas Angleichung mag angemessen sein, im folgenden Fall scheint mir die Grenze überschritten, innerhalb derer ein Text sprachlich angemessen und vertretbar ist: Sommerurlaub! Für viele junge Leute DAS Ereignis im Jahr! Raus aus dem Alltag, rein ins Vergnügen. Erholung und Komfort sind dabei nicht gefragt. Stattdessen: Sonne und Spaß, anbaggern, flirten, Sex. Tanzen, feiern, Alkohol. Party rund um die Uhr. Zum Beispiel Lloret de Mar, eine Hochburg des Jugendtourismus. »Dort wird jeden Tag gefeiert, als ob es der letzte wäre.« So steht’s im Reiseprospekt. [41]Wir begleiten junge Leute in den Urlaub … Anzüglichkeiten suggerieren Freiheit und Sex-Abenteuer. Billig muss es sein! Der gute Geschmack bleibt dabei auf der Strecke. Fastfood statt spanische Küche. Freizügigkeit statt Folklore. Nackte Haut lockt überall – in natura und auf Hochglanz. Lloret lebt vom Bustourismus. Zehn Tage Urlaub ab 300 Euro pauschal. Die Masse macht’s … Allgemein gilt aber: Nah an den mündlichen Ausdruck! Geschriebenes ist prinzipiell offener interpretierbar, weil kein Sprechausdruck Hilfen anbietet. Dieser Nachteil des Schriftlichen muss bei Hör-Texten später durch das Sprechen ausgeglichen werden. Allerdings gewährt Gesprochenes Verstehenschancen, die Schriftliches nicht bietet: Gesprochenes kann extrem glaubwürdig sein – wenn der Sprechausdruck authentisch ist. »Ein Mann – ein Wort« stand immer schon für verlässliches Handeln. Schreiben fürs Hören kann prinzipiell Platz für den später sprechenden Menschen lassen – und sollte das auch. Diese Glaubwürdigkeit wird am besten erreicht, indem schon der Sprachstil der eigene ist, nicht durchsetzt von Sprachmustern, nicht zusammengesetzt aus Versatzstücken fremder Gedanken und fremder Texte. Im eigenen Stil schreiben! 1.2 Die Fakten umkleiden und anbinden Sprechen ist immer situativ. Im Mündlichen erhalten die Wörter ihre Kraft wesentlich durch die Eindringlichkeit ihres aktuellen Gebrauchs; sie sind nur als an jemand gerichtet denkbar. Das macht Rhetorik aus, die auf Zustimmung zielt. Auch die ursprüngliche orale Kultur kannte keine situationsentbundenen »Informationen«. [42]Das Gesprochene ist zudem »eher einfühlend und teilnehmend als objektiv-distanziert« (Ong 1987, 50). Beim Sprechen und Hören stehen Informationen immer in Situationen. Die Frage ist, ob die Hörer die Informationen einordnen können. Ist es zweifelhaft, ob die Kontexte vorbereitet sind, dann müssen die Texte selbst »situiert« werden (Geißner 1986, 14), um sie sicher verstehbar zu machen. Man sollte bedenken, dass die Zeitpunkte, zu denen Informationen angeboten werden, nicht unbedingt die sind, in denen die Hörer nach ihnen verlangen. Nachrichten und viele andere Service-Formen werden zyklisch ausgesendet. Noch mehr als in anderen Genres braucht es Einführung. Im folgenden Textbeginn fehlt sie: Dr. Özlem Türeoi und Dr. Ugur Salim, zwei Wissenschaftler der Abteilung Innere Medizin I der Universitätskliniken in Homburg, haben ein Verfahren entwickelt, mit dem es möglich ist, Antigenstrukturen an Tumorzellen unterschiedlicher Art zu erkennen. Antigene sind Stoffe, die im Körper die Bildung von Antikörpern hervorrufen, mit denen sie reagieren … Diesen Beginn eines Hörfunkbeitrages wird niemand anhören wollen: »Strukturen« und Doktoren, die (noch) niemand kennt. Ein krasses Beispiel für die Nichtanbindung der Themen an die Situation der Zuhörer und Zuschauer. Ohne Situierung kommen aber gerade schwierige Themen kaum aus. Günstig ist es dagegen immer, einige Schritte voranzustellen, die die Fakten einordnen – ausgenommen wieder die »hard news«. Schließlich entsteht Sinn weder beim Sprecher noch beim Hörer durch Wortbedeutungen; Sinn entsteht allein durch Beziehungen – zwischen Wörtern, vor allem aber zwischen Wörtern und Menschen und zwischen Menschen. Deshalb müssen wir uns im Text auf Bekanntes beziehen; ein einfaches Beispiel: Sie kennen das ja: Sie müssen schnell aus dem Haus, aber wenn Sie das Garagentor öffnen, sehen Sie einen anderen Wagen direkt davor stehen. Sie rufen, Sie gestikulieren verzweifelt herum, schließlich rufen Sie den Abschleppdienst. Claudia Werner zeigt, dass das ein Nachspiel haben kann. Mit solchen Anbindungen an Bekanntes findet die Information ihre Abnehmer. Die Regel: Das Gesprochene an den Hörer binden: die gemeinsame Situation benennen! [43]Die folgenden Beispiele sind TV-Moderationen, die ohne diese Situierungen kaum auskommen. Die erste Moderation ist gut situiert; was als Einstieg gesagt wird, kann wohl von jedem nachvollzogen werden, und so ergibt der Text für viele Zuschauer zunächst Sinn: Als Kind habe ich das ziemlich gerne gemacht – Drachen steigen lassen. Stundenlang auf einer Wiese stehen und zu sehen, wie sich der Papiertiger im Wind bewegt. Heute im Zeitalter von Hightech sind selbstgebastelte Flugobjekte lange out. Heute tummeln sich mindestens Lenkdrachen am Himmel. Doch was passiert, wenn man vier bis fünf dieser Drachen aneinander bindet? Auf der Erde halten kann man die Ungetüme nicht mehr. Das wollen Drachenfreaks von heute auch nicht – sie gehen in die Luft. Der Beginn sollte an die Situation der Zuschauer anschließen. Zum Situieren eignen sich Ereignisse und Bilder, die bekannt sind. Noch wirkungsvoller sind dazu Aussagen mit hoher Bekanntheit und anerkannter Geltung – die sonst so oft gescholtenen Gemeinplätze wie »Jedem Manne recht getan ist eine Kunst, die niemand kann«, oder, nicht fest formuliert: »Erfahrung ist durch nichts zu ersetzen«. Keine Angst vor Gemeinplätzen! Ein Gemeinplatz spricht aus, was viele denken, und packt damit das Publikum. Das ist eine seit sehr langer Zeit bekannte Einsicht, die der moderne Journalismus – nicht selten der besonders gute – ignoriert. Einfache und bewusst nicht intellektuelle Beispiele...


Dr. Stefan Wachtel ist Senior Coach der Repräsentanz für Medien- und Managementtrainer 'Expert.' in Frankfurt am Main und berät u. a. Spitzenmanager für öffentliche Auftritte. Er promovierte über Fernseh- und Hörfunkmoderation und arbeitete als TV-Sprecher und Trainer bei ARD und ZDF.


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