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E-Book

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Reihe: Kurt-Otto Hattemer

Wagner Winzersterben

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Reihe: Kurt-Otto Hattemer

ISBN: 978-3-86358-828-1
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Kein



Im Trubel der hitzigen Erntetage wird der alte Winzer Schlamp tot in seinem Ohrensessel entdeckt, aus dem er seit einem Schlaganfall kaum noch herausgekommen war. Als nur wenige Tage später ein zweiter Winzer tot aufgefunden wird, glauben nur noch diejenigen an einen Unglücksfall, die die alten Geschichten nicht mehr kennen wollen. Kurt-Otto Hattemer aber kennt sie - und er hat einen grausamen Verdacht, wer seine Kollegen auf dem Gewissen hat…
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2 »Was macht denn der Ecke-Kurt im Wingert? Ich dachte, der wäre schon fertig mit der Weinlese.« Günther Schlamp streckte sich in die Höhe und versuchte, dem Blick seiner Frau zu folgen, die in der Rebzeile neben ihm stand. Entdecken konnte er Kurt-Otto nicht. Das Laub war trotz der beginnenden Verfärbung der Blätter noch zu dicht, aber es war klar, wo er sich in etwa befinden musste. Wie er aussah, wusste er auch, also brauchte er ihn nicht noch zu mustern. Desinteressiert beugte er sich daher wieder nach vorne, um die nächste dunkle Traube in den Blick zu bekommen. »Keine Ahnung, was der macht. Scheint Langeweile zu haben«, sagte er. »Wahrscheinlich scheucht sie ihn daheim herum. Da flüchtet er eben lieber zwischen seine Rebstöcke. So hat er seine Ruhe.« Insgeheim hoffte er, dass seine Frau den deutlichen Wink verstehen und ihn in Frieden lassen würde. Die Arbeit hier war schon schlimm genug. Da brauchte er nicht auch noch eine Unterhaltung darüber, was Kurt-Otto im Weinberg direkt neben ihnen gerade tat oder nicht tat. Schnell schnitt er die nächste Traube vom Stock. Er kratzte die eingetrockneten Beerchen vorsichtig mit der Spitze der Schere heraus und drehte dann die Traube, um auch die Rückseite zu begutachten. Sie war fast vollständig von einer pelzig weißen Schicht überzogen, von der ein dünner Sporenschleier aufstieg. Mit einem Seufzen ließ er die verfaulte Traube neben den Eimer fallen. Mindestens ein Drittel Ausschuss. So teuer konnten sie den Spätburgunder aus diesem Weinberg gar nicht verkaufen, dass sich das wieder ausgleichen ließ. Sie waren einfach zu spät dran in diesem Jahr. Der Spätburgunder hätte schon letzte Woche weggemusst. Aber da waren die Bütten und Maischebehälter noch durch die früheren Sorten, den Portugieser und den Dornfelder, blockiert gewesen. Unter normalen Umständen wäre das kein Problem gewesen, weil der Spätburgunder immer ein bis zwei Wochen länger hängen blieb. Die Zeit benötigte er für eine brauchbare Reife. In guten Jahren konnte man bei mäßigem Behang und einer sauber entblätterten Traubenzone, die für ausreichende Belüftung und widerstandsfähige Schalen sorgte, sogar drei Wochen herauskitzeln. In diesem Jahr hatte nichts davon wirklich geholfen. Es war zu warm und zu feucht, schon seit Wochen. Die Trauben faulten schneller, als sie in der Lage waren, sie zu ernten. Und sie konnten ja nicht aus allem Rosé machen, auch wenn es bei der Fäulnis wahrscheinlich besser wäre. Das waren die Kehrseiten des Wachstums der letzten Jahre. Seit sein Sohn in den Betrieb eingestiegen war, hatten sie jeden Weinberg dazugenommen, der zu kriegen gewesen war. Zu jedem Preis. Hauptsache, Wachstum. Der Betrieb musste schließlich zwei Familien ernähren und noch Geld für den Ausbau abwerfen. Reichlich Geld. »Dein Investitionsstau der letzten zwanzig Jahre bringt uns noch um«, hatte Markus ihm vorgeworfen. »Hättest du früher schon mal was in den Keller gesteckt, müssten wir jetzt nicht alles auf einmal machen.« Was konnte er denn dafür, dass sich der Junge nie klar geäußert hatte? »Ich übernehme den Betrieb«, das war erst mit fünfunddreißig gekommen. Davor hatte er nie Interesse gezeigt. Studium, Staatsexamen und Schuldienst, bloß kein Winzer. Erst als es Krach in der Schule gegeben hatte, weil nicht mehr zu verheimlichen gewesen war, dass er eine seiner minderjährigen Schülerinnen geschwängert hatte – worauf sich noch ein paar mehr meldeten, die er angeblich begrapscht hatte –, schien er sich an den Weinbaubetrieb zu Hause erinnert zu haben. Ein Winzer aus Not, der sich erstaunlich schnell in die neue Materie eingearbeitet hatte. Wahrscheinlich lag es an Marta, seiner ehemaligen Schülerin, die jetzt seine Frau war und zusammen mit ihm bei ihnen auf dem Hof wohnte. Er schnaufte und griff nach der nächsten Traube, die ihn Sporen staubend willkommen hieß. »Die Renate ist heute Morgen mal wieder in einem Affenzahn hier vorbeigerannt, wie auf der Flucht. Wenn die so weitermacht, ist irgendwann mal gar nichts mehr an ihr dran. Abgerannt das letzte bisschen Fett.« Er ließ auch die nächste Traube auf den Boden fallen und durchsuchte den Rest des Stocks nach einer weitgehend gesunden. Da er wusste, was jetzt für ein Thema anstand, hatte er dieses kleine Erfolgserlebnis dringend nötig. Die rennende Renate, die als Lehrerin am Nieder-Olmer Gymnasium arbeitete und durch das ständige Laufen in ihrer Freizeit stetig drahtiger und weniger wurde, und ihr aus dem Leim gehender Kurt-Otto, der das zunahm, was sie ablief. Seine Frau schien die Aufregung darüber dringend zu brauchen, weil sie sich seit ihrer Hochzeit selbst langsam, aber stetig in Richtung Kurt-Otto entwickelt hatte. »Wenn die in dem Tempo zwischen den Rebstöcken herumrennen würde, wären die schon im Juli mit der Weinlese fertig. Kurt-Otto hätte sicher nichts dagegen, der fängt ja wahrscheinlich jetzt schon an, den ersten Weinberg zu schneiden und zu biegen. Januar- und Februararbeiten im Oktober, damit alle, die den großen Feldweg entlangkommen, sehen, wie fleißig er ist. Kein Wunder bei den paar Weinbergen.« »Aber schöne Parzellen hat er, viel Riesling und Grauen Burgunder im besten Alter und oben im Kalkstein den Spätburgunder. Und ganz so wenig, wie du jetzt wieder tust, ist das auch nicht. Immerhin ist der Ecke-Kurt schon zweiundsechzig. Nicht mehr sehr weit bis zur Rente.« Er sah sich prüfend um. Die anderen aus der Lesetruppe waren weit genug weg. Sie mussten ihn nicht unbedingt hören, das ging sie nichts an. »Und er hat keine Kinder, du wirst dich also schön zurückhalten.« Er flüsterte jetzt. »Die Weinberge können wir in zwei, drei Jahren noch gut gebrauchen.« Erneut warf er einen verstohlenen Blick hinter sich in die Gasse. Niemand zu sehen, nur das Klappern der Scheren war entfernt zu erahnen, was in diesem Moment gut war. Gleichzeitig nervte es ihn aber auch, dass die beiden Frauen aus dem Dorf schon wieder so weit zurücklagen. Wahrscheinlich quatschten sie die ganze Zeit miteinander. Wenn sie dabei bloß ordentlich hinschauten. Der Spätburgunder in der Mistkaut musste heute fertig werden, damit sie morgen mit dem auf dem Hiberg anfangen konnten. Der sah nämlich genauso mies aus. »Er hört uns schon nicht. Kannst ja morgens mit der Renate mitrennen, vielleicht sind dann die Chancen besser«, zischte sie ihm durch das bunte Reblaub entgegen. Er reckte sich wieder in die Höhe und versuchte nun doch, den Ecke-Kurt in den Blick zu bekommen. Vielleicht war er näher an ihnen dran, als Hilde dachte. Dann könnte er ein paar Worte über die Reben hinweg mit ihm wechseln. Kritischer Jahrgang, viel zu tun, knapper Ertrag, schön steht dein Weinberg da. Ein wenig Lob erhielt die gute Nachbarschaft, zumal absehbar war, dass der Ecke-Kurt seinen Betrieb in naher Zukunft aufgeben und die Weinberge verpachten würde. Die Konkurrenz schlief nicht. Er selbst war ganz sicher nicht der Einzige, der zweiundsechzig plus drei rechnen konnte. Dahinten, ganz auf der anderen Seite war er. Von unten quälte er sich die Zeile hinauf, blieb immer wieder kurz stehen. Er entfernte die kleinen Klammern, die die Drähte zusammen und die grünen Triebe dadurch aufrecht hielten. Eine der Vorarbeiten, die für den Rebschnitt im Frühjahr notwendig waren. Nichts, was eilte. Für das Einsammeln der Klammern hatte man den halben Winter mehr als genug Zeit. Wahrscheinlich war er wirklich vor Renate geflüchtet und schob sich lieber den Hang hinauf, als zu Hause gescheucht zu werden. Auch wenn das bei seinen Ausmaßen keine Freude war. Am Ecke-Kurt war von allem reichlich, bloß keine Ecke. Rund war er, war sein Gesicht und war die Kugel, die er unter seiner ausgewaschenen blauen Latzhose vor sich herschob. Den Spitznamen Ecke-Kurt, den jeder im Dorf benutzte, wenn er selbst nicht dabeistand, hatte er nicht, weil er in seiner Jugend einmal eckig gewesen war oder an einer Ecke wohnte. Sein Fachwerkhof stand eingereiht an der Hauptstraße. Nein, der Ecke-Kurt hatte seinen Spitznamen seinem Ruf, um Ecken schauen und durch geschlossene Fenster hindurch hören zu können, zu verdanken. Was so natürlich nicht stimmte, ihn und seine Neugier aber treffend beschrieb. Der Ecke-Kurt wusste alles, verbreitete auch das, was er nicht wusste, und war zufälligerweise immer dann zur Stelle, wenn es Neuigkeiten zu erfahren gab. Darauf schien er geradezu sehnsüchtig zu warten. Anders war es kaum zu erklären, dass er selbst in der Weinlesezeit schon am späteren Nachmittag auf dem Bürgersteig vor seinem Hof stand und jeden, der vorbeikam, in einen kaum enden wollenden Plausch verwickelte. Wer es allzu eilig hatte, den begleitete er ein Stück weit im Gespräch, um dann dort stehen zu bleiben, wo sich die Wege trennten. Dieses Verhalten führte dazu, dass man nie genau absehen konnte, wo man ihm begegnete. Der Gesprächsfluss trieb ihn bis zum Nachtessen quer durchs Dorf, und vom Zufall hing es ab, wo der runde Ecke-Kurt als Nächstes ans Ufer gespült wurde. Wer wichtige Dinge entlang der Hauptstraße zu besprechen hatte, schloss daher in weiser Voraussicht die Fenster, bevor er damit anfing. Den Weinbaubetrieb machte Kurt-Otto weitgehend allein. Im Vergleich zu dem, was sie selbst mittlerweile bewirtschafteten, hatte Kurts Weingut fast Hobbygröße. Nett und überschaubar. Alte Schule und gerade so viel, dass es für ihn und seine laufende Renate reichte. Einen kleinen Teil der Ernte füllte er für seine wenigen Kunden auf Flaschen, einen Teil trank er selbst, und das, was übrig blieb, verkaufte er als Fassware an die Großkellerei. Da Kurt-Otto in ein paar Jahren aufhören würde, fanden sich am Nachmittag in letzter Zeit immer häufiger ansonsten stark beschäftigte Kollegen an seiner Seite ein. Die,...


Andreas Wagner ist Winzer, Historiker und Autor. Nach dem Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Bohemistik in Leipzig und an der Karls-Universität in Prag hat er 2003 zusammen mit seinen beiden Brüdern das Familienweingut seiner Vorfahren in der Nähe von Mainz übernommen. Er ist verheiratet und hat vier Kinder.
www.wagner-wein.de/Krimi


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