Weber | Ruhe bewahren | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Weber Ruhe bewahren

Geschichten, die das Leben schrieb

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

ISBN: 978-3-7412-2000-5
Verlag: Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Seitdem Jürgen Weber 2007 sein erstes Buch mit Geschichten über das Fahrradfahren veröffentlichte, sind zahlreiche neue Texte entstanden.Sie gehen aus von der Erkenntnis, dass es auch ein Leben ohne Fahrrad gibt, und beschäftigen sich mit dem Leben an sich und dem ganz alltäglichen Wahnsinn, der nur mit Humor zu bewältigen ist.

Die Texte handeln von dem einstigen Widerstandsgeist, der sich nur noch beim Zimtsternebacken äußert, von der Idee zu einer Revolutionierung der Schenkpraxis und von dem eingespielten Alltag einer langjährigen Ehe. Das Fahrradfahren kommt natürlich auch zu seinem Recht. Neben neuen Texten sind die besten Radgeschichten erneut aufgenommen. So wird diese Zusammenstellung witziger Texte zu einem Werk, das Zeugnis dafür ablegt, dass Humor und Ernsthaftigkeit zwei Seiten einer Medaille sind.
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RADLOS IN TODI
EIN DENKWÜRDIGES ERLEBNIS IN ITALIEN Verteidigende Vorrede Das im Folgenden berichtete Erlebnis widerfuhr mir auf einer der Gruppenreisen, welche ich mit einem bayrischen Radsport-Veranstalter mehrmals in Italien unternahm, genauer gesagt in dem kleinen Städtchen Todi in Umbrien, durch dessen wunderschöne Landschaft die Radtouren der kommenden Woche führen sollten. Die Fahrt zu dem für die Tour durch Umbrien festgelegten Ausgangspunkt dauerte fast den ganzen Tag. Es war schon später Nachmittag, als wir etwas erschöpft aber guter Dinge in Todi ankamen, das eine Woche lang unser Heimatort sein sollte. Die jeweiligen Tagestouren gingen alle entweder von unserem Hotel aus bzw. endeten dort oder begannen in der näheren Umgebung, wohin uns dann der Bus bringen sollte. Wir konnten uns also in unserem Hotel richtig häuslich einrichten. Als erstes stand denn auch der Bezug der Zimmer an. Nun verhielt es sich derart, dass ich mit meinen beiden Freunden anreiste. Da keine Drei-Bett-Zimmer zur Verfügung standen, musste einer von uns ein Einzelzimmer beziehen. Die Wahl fiel auf mich, was ich nicht weiter bedauerte, ist das Alleinsein für mich seit jeher doch eher ein begrüßens- denn ein beklagenswerter Zustand. Und dass ich nicht ganz verloren sein würde, dessen konnte ich mich schließlich durch die Anwesenheit meiner Freunde sicher sein. Das nachfolgend berichtete Ereignis wird allerdings verdeutlichen, dass dieses beruhigende Gefühl trog und meine Bekanntschaft mir nichts nützte. Neben einigen zufällig wieder getroffenen, von früheren Touren flüchtig bekannten Radlern, waren meine beiden Freunde auch die einzigen Personen, die mich kannten. Das ausgiebige abendliche Essen und die noch etwas schleppend dahin fließende Konversation mit den angetroffenen Mitradlern war im übrigen nicht dazu angetan, die noch bestehende Fremdheit in nennenswertem Umfang zu beseitigen oder aufzuweichen. Da die Tour durch Umbrien bereits meine dritte Reise mit diesem Radsport-Veranstalter war, wusste ich nicht nur vom programmmäßigen Ablauf der Reise, sondern auch von der üblichen gruppendynamischen Entwicklung, die ich zu gewärtigen hatte. Somit war mir klar, dass eine richtige Bekanntschaft und ein interessanter Austausch erst dann möglich sein würde, wenn frühestens am ersten Tag nach Ablieferung der radsportlichen Leistung eine virtuelle Rangordnung einigermaßen sichtbar und durch das bisweilen eigenartige Verhalten einzelner Personen auch deren intellektuelle, moralische, religiöse, ja politische Einordnung möglich gemacht worden sei. Diese Ausführungen dienen an dieser Stelle vorrangig dem Zweck, meine Mitreisenden angesichts des kommenden Ereignisses von jeglicher Form der Verantwortung freizusprechen. Nach dem ersten Abend kann niemand verlangen, dass sich ein fremdes Gesicht der Gemeinschaft nachhaltig einprägt, zumal wenn es sich bei dessen Träger um eine derart zurückhaltende und unscheinbare Person wie die meinige handelt. Nein, einen Vorwurf darf ich auch im Rückblick niemandem machen, bedenkenswert sind die Umstände des Erlebten gleichwohl. Das Ereignis Doch genug der Vorrede, das ist passiert: Nach einem ausgiebigen Nachtmahl, etwas Wein und ein bisschen smalltalk ging ich recht zeitig in mein Zimmer und legte mich schlafen. Da ich mir meistens selbst nicht ganz traue, hatte ich mir zur Sicherheit am Abend meinen Wecker gestellt. Den herbei gesehnten ersten Radsporttag in Umbrien wollte ich schließlich nicht verschlafen. Wie immer war diese Vorsichtsmaßnahme völlig grundlos, vor entscheidenden Ereignissen wache ich immer pünktlich auf. So war ich bereits hell wach, als der Wecker seinen Dienst versah. Ein Blick aus dem Fenster zeigte mir, dass der beginnende Tag meiner positiven und optimistischen Stimmung das passende Umfeld zu geben in der Lage sein würde: Italien, Mitte Mai, blauer Himmel, Sonnenschein. So soll es sein, was kann an einem solchen Tag schon schief gehen?, dachte ich im Stillen. Um halb sieben stand ich auf und begab mich in mein Badezimmer, das fensterlos zum Inneren des Gebäudes lag. Da ich alleine im Zimmer war, wäre es nicht nötig gewesen, die Tür zum Bad zu schließen, allein es war mein Ordnungssinn, vielleicht auch die Befürchtung, es könnte Wasser ins Zimmer laufen, die mich dazu bewogen hatten, die Tür zu schließen. In der Regel ist eine derartige Entscheidung, die Tür zu schließen oder nicht, nicht von berichtenswerter Tragweite, für mich wurde sie jedoch zum Verhängnis und die gravierendste Fehlentscheidung meines Urlaubs. Wie in manchen Hotels bestand der Türgriff aus einem großen Knopf, der mittels einer kräftigen Feder den Schnäpper ins Schloss befördert, ein Mechanismus, der in deutschen Landen zwar eher unüblich ist, aber durchaus seine technische Berechtigung hat. Ich schloss die Tür, die mit einem kräftigen Knacken einrastete. Nachdem ich die üblichen Tätigkeiten der Morgenhygiene absolviert hatte, es war mittlerweile kurz vor sieben, wollte ich ablaufgemäß die Stätte meiner Reinigung wieder verlassen, allein die Tür verwehrte mir dieses Ansinnen. Der Türknopf ließ sich zwar drehen, er weigerte sich jedoch, die mit der Drehung bestimmungsgemäße Funktion zu versehen. Die Tür blieb zu. Ich prüfte, ob möglicherweise eine zusätzliche Verriegelung angebracht wäre oder das Schloss ein sonstiges technisches Geheimnis beherbergte. Das schien jedoch nicht der Fall zu sein. Ich versuchte das Öffnen erneut und immer wieder unter Anwendung sämtlicher überhaupt denkbarer Varianten, den Türknopf zu drehen. Nichts passierte, die Tür blieb geschlossen. Da ich weder von klaustrophobischen Ängsten betroffen bin noch unter sonstigen, in solchen Situationen ausbrechenden psychischen Defekten leide, wurde ich nicht hektisch, sondern versuchte, Ruhe zu bewahren und die Situation zu analysieren: Ich war allein eingeschlossen in einem fensterlosen Raum, der noch dazu eine Eigenschaft aufwies, die man in Zimmern anderer Hotels durchaus begrüßen würde, er war nämlich gut isoliert. Da offenbar die Metallfeder des Türschlosses gebrochen war, hatte ich demnach nur zwei Möglichkeiten: entweder mir würde es gelingen, durch irgendwelche Lebensäußerungen auf mich aufmerksam zu machen oder aber ich würde es schaffen, die Tür aufzubrechen. Zunächst versuchte ich das nahe Liegende, ich betätigte die Klingelschnur, die anzubringen zur Sicherheit des Hotelgastes wohl vorgeschrieben ist. Ich gestehe, ich hatte kaum Hoffnung, dass diese Vorrichtung tatsächlich funktionierte und das nötige Signal an die Rezeption weiterleiten würde. Falls dieser Klingelmechanismus allerdings wider Erwarten funktionieren würde, so rechnete ich mir aus, würde der Diensthabende an der Rezeption bestimmt denken, dass mal wieder so ein dummer Hotelgast aus Spaß an der Schnur gezogen hat, und würde nichts unternehmen. Ich täuschte mich nicht. Ganz gleich, welche Überlegung nun richtig war, auf mein Klingeln hin geschah jedenfalls nichts. Da ich nicht unnötig Aufmerksamkeit auf mich ziehen wollte, versuchte ich es also mit der gewaltsamen Lösung. Ein Anrennen mit der Wucht meines Körpers, wie es mutige Männer in Fernsehkrimis in vergleichbaren Situationen immer erfolgreich praktizieren, brachte neben einem dumpfen Knall mir lediglich einen schmerzhaften blauen Fleck an der Schulter ein. Die Tür bewegte sich nicht, das Schloss schien Wertarbeit zu sein. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass ich noch genügend Zeit hatte, mein Problem zu lösen, es war erst viertel nach Sieben, ich war gut in der Zeit. Außerdem war ich noch in dem Glauben, irgendwer, zumindest aber meine beiden Freunde würden mich beim Frühstück vermissen und fürsorglich meinem Verbleiben nachspüren. Später sollte ich erfahren, dass mein Nicht-Gesichtetwerden beim Frühstück durchaus kurzzeitig Gegenstand der morgendlichen Erörterung meiner Freunde gewesen sei, man sich jedoch mit der Erklärung beruhigte, mein Übereifer habe mich frühzeitig frühstücken und bereits wieder das heimische Zimmer aufsuchen lassen. Nachdem die brutale Methode kläglich gescheitert war, sollte es also nun die technische Lösung bringen. Als handwerklich nicht ungeschickter Mensch untersuchte ich hoffnungsfroh den Aufbau des Schlosses und des Drehknopfes und entdeckte zwei Schrauben, deren Entfernen mich meinem ersehnten Ziel näher zu bringen mir verhieß. Unglücklicherweise mangelte es mir an einem Schraubenzieher oder einem ähnlichen den Zweck erfüllenden Gegenstand. Dies mir als Versäumnis vorzuwerfen, empfand ich jedoch als unstatthaft, ist es doch allgemein unüblich, zum Duschen einen Werkzeugkasten mit ins Bad zu nehmen. Ich beschloss, dieses Verhalten für die Zukunft zu überdenken. Eine Nagelfeile und eine Minischere waren leider kein gleichwertiger Werkzeugersatz, außer dass sich beide verbogen, brachte ihr Einsatz keine entscheidende Wende in meiner Lage. Mein Gleichmut und meine Besonnenheit begannen einer Gefühlsregung zu weichen, die mit Wut noch am ehesten...


Weber, Jürgen R.
Jürgen Weber, geb. 1954 in Ludwigshafen am Rhein, ist promovierter Sinologe, Germanist und Musikwissenschaftler. Seit 1980 wohnt er mit seiner Familie in einem Dorf in Schleswig-Holstein. Er arbeitet in der Erwachsenenbildung.
Bisherige Veröffentlichungen: sinologische und germanistische Facharbeiten, Arbeitsschwerpunkt ist die Übersetzung klassischer chinesischer Gedichte aus dem 8. Jahrhundert und Aufsätze zum Themenbereich „Hermann Hesse und China“.


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