Wertheimer | Don Quijotes Erben - Die Kunst des europäischen Romans | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 150 Seiten

Wertheimer Don Quijotes Erben - Die Kunst des europäischen Romans

2: Balzac, Keller, Dickens, Gogol, Fontane, Tolstoi, Flaubert, Zola

E-Book, Deutsch, 150 Seiten

ISBN: 978-3-88769-967-3
Verlag: konkursbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Der zweite Band von insgesamt 4 Bänden des E-Books zur Kunst des europäischen Romans. Die gedruckte Ausgabe versammelt alle 4 in einem Buch
Tausend Seiten Ausnahmezustand. Tausend Seiten Abenteuer – das ist der Stoff, aus dem die frühen Romane sind. Jürgen Wertheimer zeigt anschaulich, wie wichtig das Genre des Romans heute ist.
Das Buch lädt in diese abenteuerliche Welt ein und wird selbst zu einem Roman über Romane. Mit einer großen Auswahl an schönen Zitaten und nachvollziehbaren gut lesbaren Interpretationen bringt Wertheimer seinen Lesern bekannte Romane nahe. Sicher haben Sie irgendwann schon einmal einen der vorgestellten Romane gelesen - oder sich in der Schule damit "gequält". Nach der Lektüre dieses Buchs eröffnet sich ein neuer Zugang - es ist fast so, als hätte man die Romane neu oder erstmals gelesen.

Der Autor erzählt mit scharfem Blick auf Zeitgeschichte – immer in Bezug zur Gegenwart – und von großen Emotionen. Auch in späteren Jahrhunderten zeigt sich der subversive Grund aller Romane: Die Helden reiten oder stolpern von Beginn an ins Abseits. Der große Roman ist das Genre der Verlierer, Versager und Gescheiterten. Was im Alltag bisweilen gerade noch einigermaßen undramatisch endet und versickert, wird im Roman gnadenlos zu Ende gedacht. Romane übersetzen latent spürbare Strukturen in körperlich erfahrbare Wirklichkeiten.
Anschaulich wird in diesen Buch auch, wie wichtig in einer Zeit immer stärker werdenden Sucht und Suche nach simpler Orientierung und klaren Unterscheidungen das per se wahrnehmungsästhetisch verantwortungsfreie Genre des Romans ist. "Er schafft es, mit dem Gestus eines hemdsärmeligen Gelehrten, die Komplexität von Cervantes' monumentalen Roman anschaulich darzustellen und dabei noch zu unterhalten.Wahrlich, ergötzlicher kann Literaturwissenschaft kaum sein!" (Walter Wagner, Literaturkririk.de) Zur gedruckten Ausgabe: "Packen Sie sich also dieses Buch ein, wenn Sie in den Urlaub fahren. Sie erhalten nicht nur eine kurzweilige Lektüre über Literatur. Nein, durch die vielen Zitate, durch die Spannung, mit der über die Werke gesprochen wird, erhalten Sie gleich einen ganzen Handkarren an Belletristik. Gehen Sie los, besuchen Sie ihren local dealer, und erwerben Sie das Buch – es hat Suchtpotential!" (Leander Sukov, literaturglobe.de)
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Aus dem Inhalt:

Balzac verlorene Illusionen oder:
Eine Abrechnung auf Francs und Sous
Gottfried Kellers Grüner Heinrich.
Der Bildungsroman wird zu Grabe getragen
The mystery of Charles Dickens
Im Windschatten Dantes: Gogols Seelen(ver)käufer
Effi, Emma, Anna & Co
Zola: Die Chemie der Gefühle


Die Erfindung des Romans
Zu Beginn scheint das Erzählen ein großes Fest, ein Karneval der Stimmen: ob bei Don Quijote, Gargantua, oder bei Grimmelshausen. Winzlinge und Riesen, Wahnsinnige und Heilige stürmten durch die Welt, und ihre Erzähler schwelgten in Phantasien. Tausend Seiten Ausnahmezustand. Tausend Seiten Abenteuer – das ist der Stoff, aus dem die frühen Romane sind. Diesen großen Atem spürt man erst so recht, wenn die erzählerische Luft in den späteren Jahrhunderten dünner zu werden beginnt, die Räume enger, die Phantasien geordneter. Bei genauem Hinsehen freilich erkennt man auch in späteren Jahrhunderten den subversiven Grund aller Romane: Die Helden des Romans reiten oder stolpern von Beginn an ins Abseits. Der große Roman ist das Genre der Verlierer, Versager und Gescheiterten. »Verlorene Illusionen«: Don Quijote, Candide, Werther, Raskolnikov – keiner, der nicht aus den Koordinaten der Gesellschaft fiele. Alle Abenteuer der Romanhelden enden im Schiffbruch oder in der Kapitulation, im Selbstmord oder in der großen Desillusion. Ein allzu billiger Befund? Nur auf den ersten Blick. Denn zum einen ist alles nur eine Frage der Auswahl. Den unglücklichen Antihelden und Antiheldinnen der großen Romane steht ein Heer mehr oder weniger glücklicher Erfolgsgeschichten gegenüber. Geschichten um Menschen, deren Durchhaltevermögen am Ende auf irgendeine mehr oder weniger überzeugende Art, meistens mittels Heirat, belohnt wird. Oder durch einen gedämpften Kompromiss mit den sogenannten Realitäten. Im Grunde gibt es seit jeher zwei Arten von Romanen. Solche, die Phantasie romantisch entzünden und solche, die sich dem Abenteuer Alltag stellen. Die erste Gruppe wird rauschkonsumiert und gelegentlich verfolgt. Man kennt das Verfahren. Schon im Don Quijote verbrennen die besorgten Familienmitglieder des in ihren Augen durch Überlektüre mental zu Schaden gekommenen Don die von ihnen geschmähten ›Ritterromane‹. Die zur zweiten Gruppe gehörigen Texte stellen sich der sogenannten Wirklichkeit und unterziehen sehr häufig die Phantasien und Fiktionen einem literarischen Stresstest. Flauberts Madame Bovary geht an den erlesenen Gefühlen aus zweiter Hand zugrunde. Überhaupt: die Wirklichkeit. Die literarisierte Effi Briest endet weit tragischer als ihr Vorbild aus der Wirklichkeit. Denn der Roman spitzt die Probleme zu: bis in die bitterste Konsequenz. Was im Alltag bisweilen eben gerade noch einigermaßen undramatisch endet und versickert, wird im Roman gnadenlos zu Ende gedacht und gebracht: Wie viele Candides gingen und gehen halbherzig entschlossen, das Gute zu finden, durchs Leben, das ihnen das Gegenteil beweist? – Keiner torkelt so absurd über Leichenberge, Blutlachen und Vulkanausbrüche wie Candide. Wie viele aufgeklärte mittlere Beamte mochten und mögen bisweilen Werther-Gefühle, jene Mischung aus Hochmut, Hass und Überdruss, empfunden haben? – Kaum einer gab sich programmatisch die Kugel. Die ehrwürdige Mimesis-Diskussion begleitet den europäischen Roman seit seinen Anfängen: kein Manuskript, keine quietschende Türe, kein Hinkebein, keine Quittung, kein Versprecher, kein Stottern, Stammeln, kein Durstgefühl, kein Hungernagen, das nicht als Indiz für die stets behauptete Wirklichkeitsnähe herangezogen worden wäre: Erich Auerbach hat diesem Missverständnis ein ganzes Buch gewidmet. Und es mag ja auch zutreffend sein, dass sich der Roman der sozialen Wirklichkeit Stück um Stück anzunähern versucht. Wichtiger als dieser soziale Bezug jedoch ist die Entdeckung der unsichtbaren Seite der Wirklichkeit. Keine andere Gattung hat sich so sehr den Blick auf die Innenseite des Individuums zur Leitaufgabe gemacht wie diese Gattung. Introspektion, Briefdokumente, innerer Monolog, Selbstbeobachtung und Vivisektion der eigenen Nerven – kein Bereich, der nicht erzählerisch abgetastet und dokumentiert würde. Oft genug anscheinend vollständig entblößt – häufiger dominiert, inszeniert, reglementiert durch das Über-Ich der Instanz des Erzählers, die sich ihrerseits bisweilen eher verbirgt, dann wieder, wie zum Beispiel bei Balzac, unverstellt, ja exhibitionistisch entfaltet. Es war der Roman, der von ihm entdeckte Roman, der den Prozess der Auflösung von Orientierungssicherheit vor allen anderen Literaturgattungen seit Jahrhunderten vorangetrieben hatte. Der tschechisch-französische Romancier Milan Kundera hat in seinem Essay Das verkannte Erbe des Cervantes darauf verwiesen, dass bereits mit dem Don Quijote eine Figur in Erscheinung tritt, die die Welt als Ambiguität begreift und statt einer einzigen absoluten Wahrheit einer Vielzahl relativer, widersprüchlicher Wahrheiten gegenüberstand. Eine Tendenz der Relativierung, die sich über Richardson, Fielding, Sterne, Balzac, Flaubert als Konstante durchziehen sollte. Die Weisheit, die Erkenntnis des moderneren und modernen Romans besteht in der Fähigkeit, der essentiellen Relativität der menschlichen Dinge ins Auge zu sehen und die Abwesenheit irgendeines höheren Gesetzes als Realität zu akzeptieren. Der Roman ist die säkulare Gattung schlechthin. Romane sind Lügengeschichten mit Wahrheitsanspruch, Wissens- und Gefühlsdeponien unerhörten Ausmaßes. Es gibt Romane, denen es gelingt, bestehende Möglichkeiten zu bündeln, überraschende Konsequenzen zu ziehen und das Potential der Verhaltensmöglichkeiten voll zu entfalten. Goethes Werther, als Summe des Briefromans, ist dazuzurechnen. Vielleicht auch Sternes Tristram Shandy, als Bravourstück, alle Techniken der Erzählmöglichkeiten frei flottierend Revue passieren zu lassen. Oder Manzoni, der den historischen Roman der Zukunft schrieb. Andere stehen auf faszinierend unauffällige Art und Weise außerhalb der Regeln. Austens Emma ist ein solcher Roman jenseits der Muster: keine Helden, keine Orte, kein Erzähler, der brillieren will – kein nennenswertes Geschehen, alle Erwartungen enttäuscht und gerade dadurch Interesse geweckt. Nur das schreiben, was man kennt, genau kennt. Ein unprätentiöser Weg in die Moderne. Man erwacht, und der Alptraum verfliegt. So war es immer. In der Moderne aber beginnen die Schrecken mit dem Erwachen erst wirklich zu werden: da hat sich einer bis zur Unkenntlichkeit verändert oder er gerät in eine ihm unbekannte Welt, in ein Räderwerk der Vernichtung, ein System der Vergewaltigung. Gesicherte Wirklichkeiten und Grenzen lösen sich auf, Wahrnehmungen und Empfindungen verflüchtigten sich. Die Romane seit 1900 protokollieren diesen anfangs kaum spürbaren, allmählich übermächtig werdenden Zerfallsprozess. Die Erzähler selbst werden von diesem gewalttätigen Vorgang erfasst und versuchen dennoch, ihn noch im Moment der eigenen Gefährdung zu dokumentieren. Jeder der Romane vermittelt dieses Ineinander von Auflösungsdrohung und erzählerischer Gegenwehr. Erzählen als manchmal verzweifelter Versuch, eine, wenn auch gefährdete, Ordnung herzustellen. Wer erzählt, kommt aus dem Loch des dumpfen Schweigens heraus und modelliert die Erfahrung begrifflich. Es geht hier nicht darum, diesen Vorgang an sich zu verklären: Seit Nietzsches epochalem Aufsatz über die Kunst der Lüge im außermoralischen Sinne ist das Geschäft der Versprachlichung, je literarischer umso mehr, ein für alle Mal seiner Unschuld beraubt: Geschichtliches Dasein erscheint als ein Herumstochern im Nebel schiefer Metaphern und trügerischer Bilder. Das Erzählen bleibt davon nicht unberührt, verliert seine Unbefangenheit, verliert seinen ruhigen, gleichmäßigen Gang, kommt aus dem Tritt, beginnt über sich selbst zu reflektieren. Nicht, dass die Erzähler früherer Jahrhunderte immer trittsicher gewesen, nie gestrauchelt wären. Die Gattung ist per se krisengewohnt. Doch gerieten Raum-, Zeit- und Bewusstseinskoordinaten allenfalls im Ausnahmefall außer Kontrolle: der Realismus des 19. Jahrhunderts unternimmt den wohl systematischsten Versuch einer Annäherung und Durchdringung von Sprache und Wirklichkeit. Ein zum Scheitern verurteilter Versuch, eine geschlossene Weltordnung mit einem fixierbaren Bewusstseinshorizont herzustellen. Logozentrische Kosmetik, wo längst schon die Binnenverankerungen gesicherter Wahrnehmung gerissen sind. Der vorliegende Band will keinen Überblick geben und zielt nicht auf Vollständigkeit, jedenfalls keine quantitative Vollständigkeit. Seine Auswahl folgt einer Spur, die, von Don Quijote ausgehend, die mentalen Migrationen, narrativen Wanderwege, und die Dialektik von Aufbruch und Rückkehr in den Blick fasst. Sicherlich selektiv und subjektiv – wie sonst könnte man das sehr ›weite Feld‹ auch nur annähernd beackern. Er unternimmt im zweiten Teil auch Ausflüge in die sehr vielgestaltige europäische Erzähllandschaft des 20. Jahrhunderts. Beginnend mit der krisenhaften Ablösung vom realistischen Erbe bei Broch, bis hin zur spielerischen Selbstaufhebung der Gattung bei Calvino. Obwohl mit Gabriel García Márquez auch eine Exkursion in die Tropen unternommen wird, handelt es sich primär um eine Erkundung des europäischen Terrains, ohne jeden Anspruch auf Kanon oder Normbildung. Im Gegenteil: Das Kulturbiotop Europa überzeugt, wenn überhaupt, durch seine radikale, das heißt von den Wurzeln herrührende, innere Vielstimmigkeit. Es ist sprachgewordene, textförmige Heterogenität pur. Die ausgewählten Romane repräsentieren diese Eigenwilligkeit nicht nur thematisch, was den Anti-Typus des Menschen ohne feste Eigenschaften betrifft, der seine Fahrt durch die Schichtungen der Geschichten antritt. Auch die Art der erzählerischen Wahrnehmung und Vergegenwärtigung der Wirklichkeit vermittelt diese, sich jeder Norm und Normierung entziehende, Eigen-Sinnigkeit,...


Jürgen Wertheimer ist Professor für Komparatistik und Germanistik an der Universität Tübingen, Schwerpunkte seiner Arbeit u.a.: Kulturkonflikte in Texten, Poetik der Emotionen.
Im konkursbuch Verlag erschien auch Schillers Spieler und Schurken (2. Auflage 2012)


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