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E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Wertheimer Immanuel Kant

Der Magier der Vernunft in 24 Episoden

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

ISBN: 978-3-7109-5152-7
Verlag: Benevento
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Kant für Anfänger: Die Grundfragen der Philosophie und der Geist der AufklärungImmanuel Kant erscheint heute oft wie ein Koloss, der die Menschen vor Ehrfurcht erstarren lässt. Dem wirkt Jürgen Wertheimer mit seinem Kant-Lesebuch auf unterhaltsame Weise entgegen. Dafür verpackt er die großen und kleinen Dinge rund um Leben und Werk des Philosophen in 24 erhellende Episoden. Darin schildert er, wie der berühmte Philosoph versuchte, die menschliche Existenz zu ergründen und bringt Kant damit auf Augenhöhe mit den Leserinnen und Lesern.- Eine etwas andere Biografie: Thematische Kapitel zu Immanuel Kants Leben und Werk- Sapere aude: Die Philosophie der Aufklärung- Was ist der Mensch: Kantische Fragen und der Kategorische Imperativ- Mit Abbildungen von handschriftlichen Notizen Kants und weiteren IllustrationenWer war Immanuel Kant? Ein besonderer Blick auf den berühmten PhilosophenDer Literaturwissenschaftler zeigt auf, warum Kants Denken heute relevanter ist denn je. Er charakterisiert Immanuel Kant als fantasievollen und weltklugen „Magier der Vernunft“ – und unternimmt Gedankenexperimente, wie sich der große Denker in ein Verhältnis zu heutigen politischen, gesellschaftlichen und auch technischen Entwicklungen wie KI bringen lässt. Frei nach dem lateinischen Sprichwort, das Kant zum Leitspruch der Aufklärung erklärte: Sapere aude – habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! Ein Lesebuch, das dazu einlädt, den Königsberger Philosophen noch einmal ganz neu zu entdecken.
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GEDANKEN-SPIELE
Er war im Bann dieses Spieles. Gut, er verdiente sich sein Geld damit. Seine Schüler mochten ihn. Aber es war doch mehr als nur ein Zeitvertreib oder Broterwerb. Es war auch mehr als das trockene Klackern der Billardkugeln, wenn sie sich touchierten. Jeden Morgen um halb zehn war Kant für eineinhalb Stunden in diesem Café hinter dem Hafen und spielte, meist mit seinen Schülern, denen er mit unendlicher Geduld beizubringen versuchte, den Queue nicht verkrampft, sondern ganz locker zu führen. Bei den allermeisten ein hoffnungsloses Unterfangen. Wenn er sah, wie sie mit verdrehtem Oberkörper über dem Tisch hingen und linkisch herumstocherten, hätte er schreien können. Für sie war der grüne Tisch ein Schlachtfeld, und die Elfenbeinbälle waren Kanonenkugeln. Da fehlte jede Eleganz und Leichtigkeit, das war nur ein animalisches Gewürge, wenn sie mit gerötetem Gesicht unter den Rauchschwaden, die unter der Decke hingen, platt auf dem Tisch lagen und die Kugeln besinnungslos hin und her jagten. Am liebsten spielte er aber allein und gegen sich selbst. Nur leicht gebückt, den Queue wie einen Geigenbogen oder ein Florett federnd, vibrierend. Angespannt, aber nicht verkrampft, dann der Stoß mit konzentrierter Kraft. Weiß über Grün, Rot über Grün, immer innerhalb des Raumes, der nur zwei Quadratmeter grünen Filzes umschloss. Das war sauber, trocken und genau. Er spielte schon lang nicht mehr nach Regeln, wollte nicht Serien spielen, Points sammeln. Er stieß eine Kugel an, manchmal hart, touchierte sie seitlich, gab ihr Effet – sie zeichnete, indem sie die beiden anderen berührte, für ihn jedes Mal eine neue geometrische Figur aus dem grünen Nichts. Wenn die Kugeln aufeinandertrafen, sich die Energien von einer auf die andere übertrugen, sie lautlos wie von Zauberhand präzise Bahnen über das grüne Feld zogen, konnte ihn das berauschen. Eine Maschinerie, in der es keinen Zufall gab, nur logische Kraftverlagerungen. Die Manifestation einer Gesetzmäßigkeit und Ordnung, die keinen Anfang und kein Ende kannte. Nur er allein setzte Anfang und Ende, bestimmte den Plan, organisierte das Spielsystem. Jeden Morgen aufs Neue, auf die Minute genau. Er allein war dann Herr des Verfahrens. Später, wenn sie endlich ihren Rausch vom Vorabend ausgeschlafen hatten, trudelten allmählich die anderen mit verquollenen Gesichtern ein. Er unterrichtete sie lustlos, professionell. Nahm das Geld, das sie ihm gönnerhaft zusteckten, ging seiner Wege. Ihr Spiel war nicht sein Spiel. Wieder an der frischen Luft ging er oft runter zum Hafen an der Pregel. Die Schiffe der preußischen Seehandlungssozietät kannte er alle. Die meisten von den polnischen, litauischen, spanischen auch. Die Sloops, die mit ihren dreieckigen Großsegeln hereingedümpelt kamen, die Barques, Briggs und Brigantinen, ab und zu ein Klipper mit schlankem Rumpf aus Übersee. Manche davon mit vielen kleinen Zusatzsegeln bestückt, um auch bei Flaute Fahrt aufzunehmen. Er mochte es, wenn sie mit klatschnassen, gerefften Segeln anlegten und, kaum angelandet, von einem Heer von Schauerleuten, ameisenartig gebückt mit mächtigen Ballen auf dem Rücken, gelöscht wurden. Er sah ihnen gebannt zu, ohne jemals auch nur für einen Moment in Versuchung zu geraten, ein Schiff besteigen zu wollen oder gar über das Meer zu fahren: Polen, Litauen, Cadiz waren ihm bloße Namen ohne irgendeinen Geschmack, ein Aroma wie Elemente einer mathematischen Gleichung. In seinem kleinen grünledernen Notizbuch notierte er dennoch penibel alle Schiffsnamen, die Zeiten des Anlandens, die Art der Ladung, ihre Herkunft. So als wollte er ergründen, nach welcher Regel sie die blauen Flächen der Meere durchkreuzten. Wann das begonnen hatte, diese Sucht, die Dinge und die Menschen aus der Entfernung wie durch eine Linse zu beobachten, wusste er nicht mehr. Seine Kindheit war für ihn nicht von großem Interesse. Eltern und Geschwister standen wie hölzerne Schachfiguren vor ihm. Es genügte ihm, sie zu beobachten – an ihren Geschäften teilzunehmen war nicht seine Sache. Dennoch mochte man ihn. Er verkehrte mit den Gefährten an den Schulen und später der Universität, galt als höflich und unauffällig, vielleicht ein wenig schrullig – aber niemand hatte Angst vor Immanuel Kant. Was dann allmählich im Lauf der Jahre mit ihm geschah, war gänzlich unerwartet. Dass er zu einem Monument, einem Koloss der Philosophie werden würde, konnte niemand ahnen. Inzwischen ist er von seiner eigenen Legende überwuchert. Kategorischer Imperativ, Transzendentalphilosophie. Man erstarrt in Ehrfurcht. Oder gibt sich überlegen. Es fällt leicht, im spöttischen Tonfall über Kant herzufallen und sich über seine vermeintliche Weltfremdheit lustig zu machen oder sich in philosophischem Fachjargon über ihn zu stülpen. Sehr viel reizvoller ist es, einen unbefangenen Blick auf ihn zu werfen und mit einem Mal einen fantasievollen, weltklugen, weisen Magier der Vernunft zu entdecken. Einen, der manisch, nein systematisch versucht, dem Leben und dem widersprüchlichsten Lebewesen dieser Erde auf die Spur zu kommen: dem Menschen, diesem Rätsel, dieser kuriosen Mixtur aus Rationalität und Irrwitz, Verstand und Affekt, Kalkül und Trieb, Unterwürfigkeit und Anarchie, Neugier und Stumpfsinnigkeit. Missratenes Tier? Krone der Schöpfung? Halbgott? Zufallsprodukt? Er konnte nicht anders – musste wissen und ergründen, warum die Kugeln so und nicht anders rollten. Was geschah, wenn sie eine »Karambolage« hatten, manchmal sogar über die Bande sprangen und auf den Fußboden kullerten. Waren die Menschen, war die menschliche Gesellschaft etwas anderes als ein groß angelegtes Billardexerzierfeld? Konnte man die Laufwege ihrer Existenz nach logischen Gesetzen beschreiben, steuern – das blinde Schicksal ausschalten? Herr des Spieles, Herr des Verfahrens werden? Anstatt sich dem Chaos Mensch ungeschützt auszusetzen, unternimmt Kant einen wahrhaft groß angelegten und mutigen Rettungsversuch. Mittels dreier ebenso einfacher wie elementarer Fragen versucht er Licht ins Dunkel unserer dubiosen Existenz zu bringen. Gleichsam die trügerischen »Zauberlaternen« unserer Illusionen zu löschen. Seine Fragen: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Alle seine Schriften, auch seine Ehrfurcht gebietenden drei großen »Kritiken«, Kritik der reinen Vernunft (1781), Kritik der praktischen Vernunft (1788) und Kritik der Urteilskraft (1790), beziehen sich letztlich auf diese eine, für ihn allein entscheidende, finale Frage: Was ist der Mensch? Natürlich fragt Kant auch nach Universalien wie Gott, Natur und Universum. Der Bezugspunkt all dessen jedoch bleibt immer einzig und allein der Mensch. Alles andere als eine Selbstverständlichkeit in einer Zeit, in der die Schatten der Mystik und Metaphysik, der Religion und des Grundgefühls der Allmacht Gottes noch immer alles Denken und Verhalten bestimmten. Das entschiedene »Erstens der Mensch!« der Philosophie Kants kam so gesehen einem gesellschaftlichen Weckruf gleich. Und seine zum Programm gewordene Aufforderung »Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!« war nichts anderes als ein aktionistischer Appell von säkularer Wucht. Revolutionär vor allem durch den Mut, an die Kompetenz jedes einzelnen Individuums zu appellieren, sein eigenes Geschick selbst in die Hände zu nehmen. Manche fragen sich, wie das sein kann. Wie es sein kann, dass ein einzelner, damals sicher nicht ganz unbekannter, aber auch nicht omnipräsenter Philosoph aus der Provinz sich einen solchen Auftrag zu übernehmen zutraut. Noch dazu ein Mann, der, wie ja immer wieder betont wird, die Grenzen seiner mittelgroßen preußischen Provinzhauptstadt an der Ostsee – Königsberg – kaum verlassen hat. Der nicht in einer der großen, mondänen Metropolen des Geisteslebens wie Paris oder London zu Hause war oder zumindest als Teil einer Denkfabrik wie der der Enzyklopädisten brillierte. Einer, der sich allenfalls ab und an ein Fässchen Spreewälder Gurken gönnte und auf die Minute genau seine Runden im Park zog. Nach riskanten Abenteuern und leidenschaftlichen Amouren sucht man in seiner Vita vergebens. Im Meer geschwommen ist Kant vermutlich nie, und einen 3000er wie Petrarca hat er auch nicht erklommen. Die Schrecken des Krieges hat er nie unmittelbar erfahren, und der Atem der großen Zeitenwende der Französischen Revolution streifte ihn nur mit großem Abstand. Die Frage, wie ein solcher Mann, der das, was man im Allgemeinen mit dem Begriff der Welterfahrung bezeichnet, eher vom Hörensagen als aus persönlicher Erfahrung kannte, es sich zutraute, ein Projekt dieser Dimension zu stemmen und die Denkwelt nachhaltig aus den Angeln zu heben, ist dennoch vergleichsweise einfach zu beantworten. Man muss nicht gleich von »Genialität« sprechen, wenn man feststellt, dass Künstler und manchmal auch Wissenschaftler ganz offenbar...


Als internationaler Literaturwissenschaftler interessiert sich der in München geborene Jürgen Wertheimer seit jeher für kulturelle Grenzbereiche und Übergangszonen. Werke über Bild und Text, Politik und Poesie und nun auch Literatur und Philosophie sind kennzeichnend für seine Arbeitsweise. Er unterrichtete u. a. in München, Metz, Bamberg und Tübingen und nahm mehrere Gastprofessuren wahr.


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