Whitehouse | Der Blumensammler | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 346 Seiten

Whitehouse Der Blumensammler

Roman

E-Book, Deutsch, 346 Seiten

ISBN: 978-3-608-11062-3
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



New York, 1983. Als Peter Manyweathers in einer Bibliothek einen alten Brief entdeckt, weiß er noch nicht, dass er gerade das größte Abenteuer seines Lebens in den Händen hält. Sechs seltene Blumen sind in dem geheimnisvollen Brief notiert. Sechs Blumen, die so unvergleichlich sind, dass Peter Manyweathers für sie um die ganze Welt reisen wird.

Peter Manyweathers hat weder ausgefallene Hobbys noch abenteuerliche Phantasien. Doch dann fällt ihm zwischen den Seiten einer Enzyklopädie ein alter Brief mit den seltensten Blumen der Erde in die Hände, und mit einem Mal erwacht sein Entdeckergeist. Stück für Stück taucht er ab in die sonderbare Welt der Blumen, und als sich die Nachricht verbreitet, dass die geheimnisvolle Udumbara in voller Blüte in China entdeckt wurde, begibt er sich auf eine Reise, die ihn rund um den Kontinent führen wird. Drei Jahrzehnte später wandelt Dove Gale fasziniert auf den Spuren des Blumensammlers. Es sind Erinnerungsfetzen, die dem jungen Mann aus dem Leben von Peter Manyweathers erzählen. Doch weshalb besitzt Dove die Erinnerungen eines anderen und was verbindet die beiden Männer? David Whitehouse ist ein spektakulärer Roman über Liebe und Verlust sowie die ungezähmte Macht der Erinnerung gelungen.

'Außergewöhnlich klug, um nicht zu sagen, genial. Keine Frage, David
Whitehouse ist ein Schriftsteller, den man im Blick haben muss.'
New York Times

'Kraftvoll und exzentrisch: Whitehouses Schreibstil steckt voller Energie und Temperament, gespickt mit überraschenden, zärtlichen Momenten.'
The Times
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Weitere Infos & Material


1.
Dreitausend Meter unter dem Meeresspiegel ächzen die Knochen unter der Last der Einsamkeit. Professor Cole kann spüren, wie sie ihm ins Brustbein steigt. Er konzentriert sich auf den schmalen Lichtschacht, den die Scheinwerfer seines Ein-Mann-Tauchbootes in die Dunkelheit schneiden, und murmelt vor sich hin. »Alles wird gut werden. Ganz bestimmt wird alles wieder gut.« Aber es ist eine Stunde her, seit er das letzte Mal von dem Forschungsschiff an der Wasseroberfläche gehört hat. Mit kalter Angst ruft er in das Funkgerät. Dabei wickelt er sich das Kabel so eng um die Finger, dass das gestaute Blut unter der Haut Knoten bildet. »Hier spricht Professor Jeremiah Cole. Ich wiederhole. Mittlerweile sind beide Motoren ausgefallen. Und der automatische Notauftrieb hat sich auch nicht eingeschaltet. Laut Bordcomputer bleiben mir noch achtzehn Minuten Luft zum Atmen. Können Sie mich hören? Over.« Nach den ersten Worten hat sich eine seltsame, vollkommen unangebrachte Gelassenheit in seine Stimme eingeschlichen, als hätte ein wohlmeinender Bauchredner die Macht übernommen. »Können Sie mich hören? Over.« Er streicht sich mit dem Hemdsärmel über die Stirn. Der Schweiß hinterlässt diamantförmige Flecken, klein wie Nadelstiche auf dem Baumwollstoff. Die Leuchtuhr, die ihm mitteilt, wie viel länger er in etwa noch am Leben bleiben wird, springt auf siebzehn Minuten um. Dann auf sechzehn. Fünfzehn. Wie passend, dass ein so tief in der Ozeanografie verwurzeltes Leben am Meeresgrund endet. Er hämmert auf den Bildschirm ein, bis die Haut an seinen Fingerknöcheln aufspringt, und lässt dann einen winzigen Luftstoß durch seine Lunge gleiten. In diesem Augenblick bereut er bitter, sich jemals auf eine Mission eingelassen zu haben, bei der von vorneherein klar war, wie viele Dinge möglicherweise schiefgehen konnten. Technische Pannen. Ungünstige Wetterverhältnisse. Ein katastrophaler Stromausfall wie ebender, dessen Opfer er gerade geworden ist. Sollten wir uns nicht damit zufrieden geben, uns im Lächeln der Sonne zu baden, statt unsere Finger auszustrecken und sie berühren zu wollen? Er lacht, lacht tatsächlich – schließlich gibt es außer ihm niemanden, der sich darüber beschweren könnte, dass er damit Sauerstoff verschwendet. Und geschieht es uns dann nicht recht, dass wir uns die Finger verbrennen? Er streicht wehmütig über das Tastenfeld auf seinem Kontrollpult und fängt an, sein eigenes Ableben zu betrauern. Im nächsten Moment ist ihm das furchtbar peinlich, was absurd ist, schließlich ist er mutterseelenallein. Die Schamröte zeichnet ein filigranes Muster in sein Gesicht. Es bleiben noch zwölf Minuten Sauerstoff. Die nächsten drei Minuten verbringt er damit, immer wieder den roten Nottaster zu betätigen. Gleichzeitig denkt er ernsthaft darüber nach, sich die Zigarette anzuzünden, die er noch in der Tasche hat. Für einen Mann, der gerade erstickt, wäre das immerhin eine ziemlich spektakuläre letzte Tat. Er schließt die Augen und kann schon fast das herrliche Zischen der brennenden Asche hören – ein Geräusch, als würde jemand in den Schnee pinkeln. Er stellt sich vor, wie der Rauch zur Decke der Kapsel emporsteigt und dort seine Kreise zieht. Fast gelingt es ihm, sich einzureden, dass er gerade zu Hause im Garten auf der Erde liegt, eine Zigarette im Mundwinkel, die Finger in die seiner Frau verschränkt, deren Hand so leicht wiegt wie ein Sperling. Dann sieht er es. Durch das Bullauge, das über der Navigationskonsole liegt. Es ist nur ein flüchtiger Blick auf ein weißes, geisterhaftes Wesen, das durch den goldenen Schein des Lichtstrahls gleitet. Der Tod ist gekommen, um ihn zu holen. Die Angst hat ihm eine Gestalt verliehen. Sein wild jagender Atem hallt mit ohrenbetäubender Lautstärke in der knappen Luft wider. Da ihm nicht genug Platz zur Verfügung steht, um auf die Knie zu sinken, zieht er die Schuhe aus, faltet seine Socken, kniet sich auf den Sitz, legt die Handflächen aneinander und betet zu einem Gott, an den er nie geglaubt hat. Doch der quälende Gedanke daran, wie man später sein demütig auf Knien liegendes Skelett entdecken könnte, veranlasst ihn dazu, sich sofort wieder auf den Stuhl fallen zu lassen und seine Hosentaschen nach einem Feuerzeug zu durchsuchen. Sollte man ihn jemals finden, dann wird man erkennen: In seinen letzten Augenblicken hatte es dieser Teufelskerl keineswegs nötig, sich aus Angst vor einem höheren Wesen zu verneigen. Oh nein. Er hat vielmehr eine köstlich nach Holz duftende Zigarette geraucht. Er war sein eigener Gott. Kein Feuerzeug. Er murmelt ein Gebet, an das er sich noch halb aus der Schule erinnert, doch mit jeder Zeile wächst der Abscheu, den er vor sich selbst empfindet. Plötzlich wirft ihn ein dumpfer Schlag nach links, an die Wand der Kapsel. Er prallt mit dem Kopf gegen die kaputte Stromanzeige und wird dann auf die andere Seite geschleudert, wo er sich einen Zahn am Öffnungshebel der Ausstiegsluke abbricht. Der Geschmack nach Kupfer und Blut breitet sich in seinem Mund aus. Durch das Glas erhascht er einen weiteren Blick auf die Kreatur, die gekommen ist, um seine Seele zu fordern. Doch jetzt kann er erkennen, worum es sich handelt: Es ist alles andere als der Tod. Den Messdaten der Instrumente zufolge, befindet sich der Cuvier-Schnabelwal, auf den Coles Unterwasserfahrzeug in diesem Augenblick zufällig trifft, exakt zweihundert Meilen westlich der auf dem australischen Kontinent gelegenen Stadt Perth. Angelockt vom zarten Wiehern des Sonars, verhakt sich der neugierige Wal mit seiner Schwanzflosse im Ellenbogen des mechanischen Arms, der am Fahrzeug angebracht ist. Das Tier wirft sich panisch hin und her, bis schließlich sein Herz vor lauter Bedrängnis kapituliert und stehenbleibt. Sterbend steigt sein Körper an die Oberfläche und nimmt das Tauchboot – zusammen mit dem Professor in dessen Innern – mit sich. Als das Tauchboot die Wasseroberfläche durchbricht, ist der Wal bereits tot. In Coles Adern sprudelt und zischt es, aber nicht infolge der Dekompressionskrankheit, sondern vielmehr wegen des unglaublichen Glücks, das er da gerade gehabt hat. Seine Frau, mit der er seit vierzig Jahren verheiratet ist, wird niemals die Worte Ich liebe dich. Ich habe dich immer geliebt. Ich werde dich immer lieben lesen, die er hastig auf die Rückseite einer zerknitterten Zigarettenschachtel gekritzelt hat. Er öffnet die Luke und saugt gierig die salzige Seeluft ein. Neben ihm dümpelt der Kadaver des Wals. Der Sprühnebel der Wellen kühlt sein Gesicht. Er schält sich aus seinem schweißgetränkten Overall, schießt eine Leuchtrakete in den frühabendlichen Himmel und sieht zu, wie ein Schwarm vorüberziehender Möwen aus Furcht vor den Funken auseinanderstiebt. Bald schon kann er am unendlichen Horizont, wo die Blautöne des Wassers und des Himmels in einer diffusen Naht miteinander verschwimmen, sein herannahendes Schiff erkennen. Zwanzig herrliche Minuten betrachtet er – in Ekstase niedergesunken – das Schauspiel, wie die Scheibe der riesigen, orangeglühenden Sonne hinter der Silhouette des Schiffs im Meer versinkt. Er lebt. Die Mitglieder seines Forschungsteams werfen Seile von der Reling herab und wenden die Augen ab, während der nahezu nackte, kreideweiß leuchtende Körper des Professors an dem mattgrauen Stahl des Schiffsrumpfes hinaufklettert. Eine junge Frau legt ihm ein Handtuch um die Schultern. Er vergisst, wenn auch nur für eine Sekunde, dass sie seine Studentin und er ihr Professor ist, und verspürt das überwältigende Bedürfnis, sie mitten auf ihr volles, üppiges Lächeln zu küssen. »Sie sind in Sicherheit, Professor Cole«, sagt sie. Ein Teil von ihm hätte am liebsten geweint, aber diesen Teil würde er ihr niemals freiwillig zeigen, weshalb er die Tränen hinunterschluckt und ein wütendes Knurren in die Runde wirft. Die junge Frau schaut verwirrt zu ihren Kollegen hinüber. »Holt das da an Bord«, sagt er. »Das da?« »Das habe ich doch gesagt.« »Den Wal?« »Selbstverständlich den Wal! Was hätte ich denn sonst meinen sollen? Den verdammten Ozean?« Also klirren Ketten, mahlen Zahnräder, schwingt ein Kran. Zwei Stunden vergehen, dann ist der Wal an Bord. Es ist der längste, schwerste Schnabelwal, den Cole jemals zu Gesicht bekommen hat, so viel kann er schon nach einer ersten flüchtigen Betrachtung feststellen. Diese Tiere können zwar für gewöhnlich in großer Tiefe verweilen – tiefer und für längere Zeiträume als jedes andere Säugetier –, aber er hat noch nie von einem Cuvier-Schnabelwal gehört, der in einer Tiefe von dreitausend Metern gesehen worden ...


Whitehouse, David
David Whitehouse wurde 1981 in Nuneaton, England geboren. Sein Debut 'Bed' wurde 2010 mit dem 'To Hell with Prizes Award' ausgezeichnet. Er lebt in London.

Merkel, Dorothee
Dorothee Merkel lebt als freie Übersetzerin in Köln. Zu ihren Übertragungen aus dem Englischen zählen Werke von Edgar Allan Poe, John Banville, John Lanchester und Nickolas Butler.

David Whitehouse wurde 1981 in Nuneaton, England geboren. Sein Debut 'Bed' wurde 2010 mit dem 'To Hell with Prizes Award' ausgezeichnet. Er lebt in London.
Dorothee Merkel lebt als freie Übersetzerin in Köln. Zu ihren Übertragungen aus dem Englischen zählen Werke von Edgar Allan Poe, John Banville, John Lanchester und Nickolas Butler.


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