Bauer / Gebauer / Büscher | Soziale Ungleichheit und Pflege | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 447 Seiten, eBook

Reihe: Gesundheit und Gesellschaft

Bauer / Gebauer / Büscher Soziale Ungleichheit und Pflege

Beiträge sozialwissenschaftlich orientierter Pflegeforschung

E-Book, Deutsch, 447 Seiten, eBook

Reihe: Gesundheit und Gesellschaft

ISBN: 978-3-531-91014-7
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Format: PDF
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Soziale Ungleichheiten im Kontext pflegerischer Versorgung stellen eine wachsende Herausforderung für die Sozial- und Gesundheitspolitik dar.
Die Beiträge angewandter Pflegeforschung machen aus wissenschaftlicher wie praktischer Perspektive deutlich, wie gravierend Ressourcenunterschiede auf die Qualität der Versorgung Einfluss nehmen.
Das gilt für die Ausgestaltung von Pflegearrangements, für die Effektivität und Effizienz der erbrachten Pflegeleistungen sowie für die Funktion der pflegerischen Versorgung bei der Reproduktion sozial bedingter gesundheitlicher Ungleichheiten. Der Band bietet aus der Hand profilierter FachvertreterInnen weitreichende theoretische und praktische Perspektiven zum Thema Pflege und soziale Ungleichheit an und stellt erstmals empirische Befunde zur Thematik einer systematischen Diskussion zur Verfügung.


Dr. Ullrich Bauer hat an der Fakultät für Bildungswissenschaften die Professur für Sozialisationsforschung inne.
Dr. Andreas Büscher ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Pflegewissenschaft (IPW) an der Universität Bielefeld.
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1;Inhalt;6
2;Einführung;9
2.1;Soziale Ungleichheit in der pflegerischen Versorgung – ein Bezugsrahmen;10
2.1.1;1 Was heißt heute soziale Ungleichheit?;12
2.1.2;2 Ungleiche Gesundheit durch ungleiche Versorgung?;19
2.1.3;3 Ungleiche Risiken in der Versorgung – der Altersfokus;24
2.1.4;4 Soziale Ungleichheit in der Pflege – der Diskussionsrahmen;31
2.1.5;5 Die Beiträge im Band;37
2.1.6;Literatur;40
3;Konzeptionelle und theoretische Zugänge;49
3.1;Pflege in Figurationen – ein theoriegeleiteter Zugang zum , sozialen Feld der Pflege‘;50
3.1.1;1 Einleitung;50
3.1.2;2 Das Feld der Pflege;51
3.1.3;3 Der Blick der Pflege;57
3.1.4;4 Das Credo der Pflege;61
3.1.5;5 Das Dispositiv der Pflege;66
3.1.6;6 Epistemologischer Schluss;70
3.1.7;Literatur;72
3.2;Pflege und Ungleichheit: Ungleiche Citizenship rights im internationalen Vergleich;79
3.2.1;1 Einleitung;79
3.2.2;2 Soziale Bürgerrechte und Ungleichheit: ein theoretischer Rahmen;82
3.2.3;3 Familialismus;90
3.2.4;4 Pflegepolitik in europäischen Ländern – Effekte für Inklusion und Ungleichheit;92
3.2.5;5 Fazit;98
3.2.6;Literatur;101
3.3;Gerechtigkeit und Gesundheitsversorgung;105
3.3.1;1 Zum Gang der Untersuchung;105
3.3.2;2 Elemente der Frage nach Gerechtigkeit;106
3.3.3;3 Kritik an Ungerechtigkeit;107
3.3.4;4 Vor der Gerechtigkeit – Ansatzpunkte für Gerechtigkeit;108
3.3.5;5 Von der Würde zur Gerechtigkeit;109
3.3.6;6 Die Gerechtigkeit;110
3.3.7;7 Pflegebedürftigkeit als Anerkennung, dass einer Person Güter zuzuteilen sind;111
3.3.8;8 Assessmentinstrumente als Hilfsmittel der Anerkennung von Pflegebedürftigkeit;112
3.3.9;9 Unvermeidliche Exklusivität?;113
3.3.10;10 Politik und Gesellschaft;114
3.3.11;11 Epidemiologie: die Relevanz von Daten über das Auftreten von Pflegebedürftigkeit in einer Gesellschaft zur Realisierung gerechter Gesundheitsversorgung;116
3.3.12;12 Pflegeklassifikationen;116
3.3.13;13 Universalismus?;118
3.3.14;14 Ungerechtigkeit durch Gerechtigkeit;120
3.3.15;15 Vertiefung der Gerechtigkeit: Die Gabe und das personbezogene Budget;123
3.3.16;16 Familiengesundheitspflege als künftiger Rahmen zur Vertiefung von Verteilungsgerechtigkeit;126
3.3.17;17 Eine Utopie – wie die Zukunft aussehen könnte!;128
3.3.18;18 Zusammenfassung;130
3.3.19;Literatur;131
3.4;Geschlechterungleichheiten in der Pflege;133
3.4.1;1 Einführung;133
3.4.2;2 Forschungs- und Diskussionsstand zu Geschlecht, Alter(n) und Pflege;134
3.4.3;3 Geschlechtsspezifische Vergesellschaftung über den Lebenslauf in ihrer Auswirkung auf Pflege;137
3.4.4;4 Geschlechtsvermittelte Ungleichheitsstrukturen in der Altenpflege;146
3.4.5;5 Entwicklungsperspektiven: Umrisse einer geschlechtersensiblen Altenpflege;150
3.4.6;Literatur;152
3.5;Gibt es eine Unterfinanzierung in der Pflege?;155
3.5.1;1 Einleitung;155
3.5.2;2 Die Volkswirtschaftliche Bedeutung der Pflege;156
3.5.3;3 Unterfinanzierung der Pflege: Begriff und Beispiele;159
3.5.4;4 Gründe für das Entstehen der Unterfinanzierung;165
3.5.5;5 Unterfinanzierung und soziale Ungleichheit;168
3.5.6;6 Mögliche Lösungswege;172
3.5.7;Literatur;177
3.6;Ökonomisches, soziales und kulturelles „Kapital“ und die soziale Ungleichheit in der Pflege;181
3.6.1;1 Fachpflege verstärkt vielfach soziale Ungleichheit;181
3.6.2;2 Die abhängige Variable: Die Güte der Fachpflege und die Klassifikation der Partizipation: Pflegebedürftigkeit, chronische Krankheiten und die Erweiterung der ICD- Diagnostik zur ICIDH und zur ICF;191
3.6.3;3 Die ICF und das mesosoziologische Modell sozialer Ungleichheit in Gesundheit und Pflegebedürftigkeit;196
3.6.4;4 Ist das Gesundheitssystem oder die Armutsbekämpfung für Pflegeabhängigkeit zuständig? Chronische Krankheiten und die Abgrenzbarkeit der Geltungssphäre der Bedarfsgerechtigkeit;201
3.6.5;5 Zusammenfassung;208
3.6.6;Literatur;211
4;Empirische Zugriffe I – Kontext und Ausgangsbedingungen von Pflege;213
4.1;Soziale Einflüsse auf das Risiko der Pflegebedürftigkeit älterer Männer*;214
4.1.1;1 Einleitung;214
4.1.2;2 Einflussfaktoren auf das Risiko der Pflegebedürftigkeit;216
4.1.3;3 Daten und Methode;219
4.1.4;4 Darstellung der Ergebnisse;223
4.1.5;5 Diskussion;231
4.1.6;Literatur;232
4.2;Die Versorgungssituation pflegebedürftiger Menschen vor dem Hintergrund von Bedarf und Chancen;237
4.2.1;1 Versorgungssituation pflegebedürftiger Menschen: Pflegearrangements;238
4.2.2;2 Unterscheidung zwischen Mikro- und Makro-Ebene;239
4.2.3;3 Makroebene: Bedarf und Chancen im Prozess des gesellschaftlichen und demographischen Wandels;240
4.2.4;4 Mikro-Ebene des Entscheidens: stationäre oder häusliche Versorgung – „ Pflegekulturelle Orientierungen“ und soziale Milieus;243
4.2.5;5 Mikro-Ebene der Praktiken – Beteiligung von Sektoren und Akteuren am Pflegearrangement;245
4.2.6;6 Abschließende Bemerkungen;250
4.2.7;Literatur;253
5;Empirische Zugriffe II – Häusliche Pflegearrangements;255
5.1;Töchter pflegen ihre Eltern: Traumatisierungspotenziale in der häuslichen Elternpflege – Indizien für geschlechtstypische Ungleichheit?;256
5.1.1;1 Häusliche Angehörigenpflege – ein kritisches Ereignis mit traumatogenem Potenzial?;259
5.1.2;2 Kennzeichen häuslicher Pflegesituationen;260
5.1.3;3 Die Gesundheit der Pflegenden;268
5.1.4;4 Soziale Pflegeungleichheit und häusliche Pflege;270
5.1.5;5 Grenzen der Untersuchung und Ausblick;276
5.1.6;Literatur;277
5.2;Leben mit einem behinderten Kind: Betroffene Familien in sozial benachteiligter Lebenslage;279
5.2.1;1 Problemhintergrund;279
5.2.2;2 Familien mit einem behinderten Kind;280
5.2.3;3 Sozial benachteiligte Familien mit einem behinderten Kind;282
5.2.4;4 Konzeptualisierung sozialer Ungleichheit;283
5.2.5;5 Soziale Ungleichheit und kindliche Behinderung;284
5.2.6;6 Schlussfolgerungen und Konsequenzen;291
5.2.7;Literatur;294
5.3;Der Zusammenhang von Milieuzugehörigkeit, Selbstbestimmungschancen und Pflegeorganisation in häuslichen Pflegearrangements älterer Menschen;298
5.3.1;1 Einführung;298
5.3.2;2 Die Bedeutung der Milieuzugehörigkeit für die Untersuchung;299
5.3.3;3 Das Untersuchungsdesign;301
5.3.4;4 Milieuzuordnung;302
5.3.5;5 Ergebnisse;303
5.3.6;6 Fazit;310
5.3.7;Literatur;311
5.4;Warum Kinder und Jugendliche zu pflegenden Angehörigen werden: Einflussfaktoren auf die Konstruktion familialer Pflegearrangements;312
5.4.1;1 Problemdarstellung;312
5.4.2;2 Relevante Literatur;315
5.4.3;3 Zielsetzung und Fragestellung;318
5.4.4;4 Methodologische und methodische Aspekte;319
5.4.5;5 Ergebnisse;323
5.4.6;6 Diskussion;332
5.4.7;Literatur;335
6;Empirische Zugriffe III – Spezielle Zielgruppen und Versorgungsprobleme;339
6.1;Der Einfluss sozialer Faktoren auf den Umgang mit komplexen Medikamentenregimen – ( k) ein Thema?;340
6.1.1;1 Einleitung;340
6.1.2;2 Entwicklungslinien und Begrenzungen der Compliance- und Adhärenzforschung;342
6.1.3;3 Soziodemografische Faktoren – Die Illusion von der eindeutigen Vorhersagbarkeit nonadhärenten Verhaltens;344
6.1.4;4 Kritische Betrachtung der Complianceforschung und mögliche Auswege;351
6.1.5;Literatur;353
6.2;Zur Rolle von Ungleichheits- und Machtverhältnissen in der Interaktion zwischen Pflegenden/ Ärzten1 und verschiedenen Patientengruppen im Krankenhaus;358
6.2.1;1 Rahmenbedingungen und Methoden;359
6.2.2;2 Ungleiche Beziehungen zwischen Patienten und Personal;359
6.2.3;3 Patienten mit Verständigungsschwierigkeiten;361
6.2.4;4 Strategien im Umgang mit dem Interessenkonflikt;361
6.2.5;5 Der Umgang mit zugewanderten Patienten;363
6.2.6;6 Vorwurf der Diskriminierung seitens zugewanderter Patienten und ihrer Angehörigen;365
6.2.7;7 Strategien von Patienten mit Migrationshintergrund im Umgang mit Benachteiligung;366
6.2.8;8 Fazit;368
6.2.9;Literatur;369
6.3;Pflege und Wohnungslosigkeit – Pflegerisches Handeln im Krankenhaus und in der aufsuchenden Hilfe;370
6.3.1;1 Einleitung;370
6.3.2;2 Wohnungslose Menschen und die gesundheitsbeeinflussende Lebenslage „ wohnungslos“;370
6.3.3;3 Methodisches Vorgehen der vorliegenden Untersuchung;374
6.3.4;4 Das Handeln von Pflegekräften bei der Pflege wohnungsloser Menschen;375
6.3.5;Literatur;389
6.4;Pflege türkischer Migranten;391
6.4.1;1 Migration;391
6.4.2;2 Situation türkischer Migranten;394
6.4.3;3 Inanspruchnahme von Leistungen nach SGB XI durch türkische Migranten;402
6.4.4;4 Diskussion der Ergebnisse;410
6.4.5;Literatur;415
6.5;Wie anfällig ist die gemeinschaftliche Selbsthilfe für die Reproduktion und Produktion sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit?;418
6.5.1;1 Einleitung;418
6.5.2;2 Gesundheitsbezogene Selbsthilfegruppen;420
6.5.3;3 Reproduktion sozialer Ungleichheit in Selbsthilfegruppen?;425
6.5.4;4 Ausblick: Produktion sozial bedingter gesundheitlicher Ungleichheit durch Selbsthilfe?;437
6.5.5;Literatur;437
7;Verzeichnis der Autorinnen und Autoren;442

Einführung.- Soziale Ungleichheit in der pflegerischen Versorgung — ein Bezugsrahmen.- Konzeptionelle und theoretische Zugänge.- Pflege in Figurationen — ein theoriegeleiteter Zugang zum ‚sozialen Feld der Pflege‘.- Pflege und Ungleichheit: Ungleiche Citizenship rights im internationalen Vergleich.- Gerechtigkeit und Gesundheitsversorgung.- Geschlechterungleichheiten in der Pflege.- Gibt es eine Unterfinanzierung in der Pflege?.- Ökonomisches, soziales und kulturelles, „Kapital“ und die soziale Ungleichheit in der Pflege.- Empirische Zugriffe I — Kontext und Ausgangsbedingungen von Pflege.- Soziale Einflüsse auf das Risiko der Pflegebedürftigkeit älterer Männer.- Die Versorgungssituation pflegebedürftiger Menschen vor dem Hintergrund von Bedarf und Chancen.- Empirische Zugriffe II — Häusliche Pflegearrangements.- Töchter pflegen ihre Eltern: Traumatisierungspotenziale in der häuslichen Elternpflege — Indizien für geschlechtstypische Ungleichheit?.- Leben mit einem behinderten Kind: Betroffene Familien in sozial benachteiligter Lebenslage.- Der Zusammenhang von Milieuzugehörigkeit, Selbstbestimmungschancen und Pflegeorganisation in häuslichen Pflegearrangements älterer Menschen.- Warum Kinder und Jugendliche zu pflegenden Angehörigen werden: Einflussfaktoren auf die Konstruktion familialer Pflegearrangements.- Empirische Zugriffe III — Spezielle Zielgruppen und Versorgungsprobleme.- Der Einfluss sozialer Faktoren auf den Umgang mit komplexen Medikamentenregimen — (k)ein Thema?.- Zur Rolle von Ungleichheits- und Machtverhältnissen in der Interaktion zwischen Pflegenden/Ärzten und verschiedenen Patientengruppen im Krankenhaus.- Pflege und Wohnungslosigkeit — Pflegerisches Handeln im Krankenhaus und in der aufsuchenden Hilfe.-Pflege türkischer Migranten.- Wie anfällig ist die gemeinschaftliche Selbsthilfe für die Reproduktion und Produktion sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit?.


Töchter pflegen ihre Eltern: Traumatisierungspotenziale in der häuslichen Elternpflege – Indizien für geschlechtstypische Ungleichheit? (S. 259-260)

Melanie Deutmeyer

Die aktuelle und zukünftige Versorgungssituation hochaltriger, pflegebedürftiger Personen ist eine große gesellschaftliche Herausforderung. Einerseits ist die Familie die zentrale Einrichtung für die Unterstützung älterer und kranker Menschen, deren Verfügbarkeit jedoch abnimmt, weil z.B. traditionelle Familienstrukturen erodieren und die Bereitschaft der Frauen sinkt, eine Pflegerolle zu übernehmen. Andererseits nimmt die Zahl der pflegebedürftigen Hochaltrigen aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung und den damit verbundenen multimorbiden Krankheitsgeschehen deutlich zu, so dass die Pflege eines hochaltrigen Menschen in der Familie keine Ausnahme, sondern „erstmals in der Geschichte zu einem erwartbaren Regelfall des Familienzyklus geworden ist" (BMFSFJ 2002: 194).

Zu bedenken ist, dass die häusliche Pflege hochaltriger, bedürftiger Menschen überwiegend Frauen trifft. Folgendes Bild zeigt die Verteilung der privaten Pflegearbeit (ebd.): Bei den Pflegepersonen handelt es sich in nahezu 90% aller Fälle um nahe Angehörige, selten um Freunde, Nachbarn und Bekannte. Ca. 20% der Pflegebedürftigen werden von einer Partnerin und 12% von einem Partner gepflegt. Ein weiteres Drittel der Pflegenden stellen die Töchter (23%) und Schwiegertöchter (10%). Und: Ca. 80% der pflegenden Angehörigen sind Frauen. Angehörigenpflege ist damit zum überwiegenden Teil „Frauenpflege" (Kruse 1994: 42).

Bei der geleisteten Pflege steht die Konstellation „Tochter pflegt Mutter" an erster Stelle, gefolgt von „Frau pflegt Ehemann" und „Frau pflegt Schwiegermutter". Ursache hierfür ist eine Verlagerung der Pflegesituation im fortgeschrittenen Alter der Pflegebedürftigen. Während bei den 60 – 65-Jährigen der Anteil der Partnerpflege bei 56% und nur zu 13% bei den Kindern liegt, verschiebt sich die Pflegeversorgung kontinuierlich zu den Kindern. 80 bis 85- Jährige Pflegebedürftige werden nur noch zu 2% von den PartnerInnen und zu 65% von den Kindern, insbesondere Töchtern, gepflegt (BMFSFJ 2002).

Diese familiale Pflegearbeit hat Konsequenzen: Die Gesundheit vieler pflegender Angehöriger nimmt durch die mit der Pflege verbundenen Anstrengungen Schaden. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung haben pflegende Angehörige signifikant mehr körperliche Beschwerden (z.B. Gräßel 1998a). Besonders Frauen sind von solchen Beeinträchtigungen betroffen: Rund drei Viertel der pflegenden Frauen erkrankt an mindestens einer Krankheit (z.B. Adler et al. 1996). Nichtprofessionelle Pflegepersonen erleben aber nicht nur pflegebedingte körperliche, sondern auch soziale und psychische Beeinträchtigungen. Solche sind Erschöpfungssymptome, Einschränkungen der Freizeitaktivitäten oder Verringerung sozialer Kontakte bis hin zu sozialer Isolation.

Aber auch mangelnde Anerkennung für die erbrachten Pflegeleistungen und berufliche Einschränkungen gelten als Stressoren. Häufig beobachtbar sind zudem psychische Beeinträchtigungen pflegender Angehöriger in Form von Depressionen mit Traurigkeit und Pessimismus, besonders wenn diese Demente pflegen (z.B. Gräßel 1998a, b, Vitalino et al. 2003). Die Befundlage zu den Auswirkungen der Angehörigenpflege macht deutlich, dass die Pflegepersonen durch die oft jahrelange Pflege erheblichen (gesundheitlichen) Belastungen ausgesetzt sind. Verschiedene AutorInnen bezeichnen pflegende Angehörige daher auch als „hidden patients" oder „hidden victims". (Zarit et al. 1985, Kruse 1994). Am deutlichsten aber bringt das Konzept der „filialen Reife" (Blenker 1965, Bruder 1988) die Pflegebelastungen zum Ausdruck. Es beschreibt die häusliche Pflege als ein kritisches Ereignis im Leben der Pflegenden.

In diesem Konzept wird davon ausgegangen, dass es vielen Kindern Zeit ihres Lebens nicht gelingt, sich von den Eltern zu lösen. Dieses Defizit macht sich dann besonders in Pflegesituationen bemerkbar: Die Abhängigkeit von den Eltern und die fortdauernde Sehnsucht nach elterlicher Anerkennung lässt die erwachsenen, pflegenden Kinder ihre eigenen Belastungsgrenzen nicht erkennen und provoziert Schuldgefühle und permanente Unzulänglichkeitsgefühle, die Pflegesituation nicht zur Zufriedenheit der Eltern auszuführen.


Dr. Ullrich Bauer hat an der Fakultät für Bildungswissenschaften die Professur für Sozialisationsforschung inne.

Dr. Andreas Büscher ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Pflegewissenschaft (IPW) an der Universität Bielefeld.


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