Brumlik | Deutscher Geist und Judenhass | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 356 Seiten

Brumlik Deutscher Geist und Judenhass

Das Verhältnis des philosophischen Idealismus zum Judentum.

E-Book, Deutsch, 356 Seiten

ISBN: 978-3-86393-597-9
Verlag: CEP Europäische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Kant, Fichte, Schleiermacher, Hegel, Schelling oder Marx – alle haben sich auf die eine oder andere Weise mit dem Judentum auseinandergesetzt – entweder traten sie für die Rechte der Juden ein oder nicht, befürworteten die Gleichstellung oder waren dagegen. Dieses Verhältnis prägte ihr Denken und damit die deutsche Geistesgeschichte.

Der deutsche Idealismus ist von weltanschaulichen Neuorientierungen geprägt. Die Zeit nach der Französischen Revolution war die Epoche der Judenemanzipation, die aber auch durch einen neu aufkommenden Antisemitismus geprägt war.
Vor diesem Hintergrund untersucht Micha Brumlik die Kernbestandteile der Philosophie aus Deutschland auf ihren Antisemitismus und Verhältnis der deutschen Idealisten zum Judentum.
Die Spanne reicht von Kant, der die Erhabenheit der Gesetzte im Judentum bewunderte, ihm aber zugleich die "Euthanasie" wünschte, über Fichte, dem ohne persönliche Leidenschaft argumentierenden Judenfeind, bis hin zu Marx, dem Juden unsympathisch waren, auch wenn er selbst jüdischer Herkunft war.
Auch die Haltung Schleiermachers, dem sehr viel an der Bekehrung seiner jüdischen Freundin Henriette Herz lag, der jedoch sonst keine jüdischen Konvertiten mochte, wird untersucht.
Eine zentrale Rolle spielen Hegel, der sich für die politischen Rechte der Juden einsetzte und sich gegen die antisemitische Deutschtümelei wandte und Schelling, der ein hervorragender Kenner der Kabbala war.
Brumlik klärt dieses von Hass bis Achtung reichende hochkomplexe Verhältnis, welches den Idealismus stärker prägte als bisher angenommen.
Brumlik Deutscher Geist und Judenhass jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


I.Kants Theorie des Judentums – Die Euthanasie des statutarischen Gemeinwesens
In der heutigen Auseinandersetzung mit Immanuel Kant geht es zentral um die sogenannte Dialektik der Aufklärung, eine Debatte, die in den letzten fünfundzwanzig Jahren oberflächlicher und ideologischer geführt wurde, als es sich die Autoren des gleichnamigen Werks, Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, am Ende des Zweiten Weltkrieges hätten träumen lassen. Während sie in der Tradition Kants und Georg Wilhelm Friedrich Hegels darum bemüht waren, einen Begriff der Vernunft zu entfalten, der ihre instrumentellen Vernutzungen selbst noch zu kritisieren vermochte, und damit dem Projekt der Aufklärung, dem Kampf um die Beherrschung von Natur, Mensch und Gesellschaft die Treue hielten, sind heute Vertreter einer sich dezisionistisch auf Moral stützenden politischen Ethik nur allzugerne bereit, die rationalitätskritischen und damit rationalitätssteigernden Potentiale dieser Philosophie en bloque zu verurteilen. Das wird in der Auseinandersetzung mit dem Deutschen Idealismus besonders deutlich. Von André Glucksmann, einem ehemaligen Maoisten, bis Paul Lawrence Rose, einem zionistischen Historiker, haben die Teilnehmer dieser Debatte die verschiedenen Philosophen des Deutschen Idealismus auf die Anklagebank gesetzt. Der Verdacht, dass Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling und Hegel die geistigen Urheber des Nationalsozialismus und damit der massenindustriellen Ermordung der europäischen Juden waren, ist weder neu noch spektakulär, weder völlig abwegig noch haltbar. Schon Herbert Marcuse sah sich 1941 im US-amerikanischen Exil genötigt, mit seinem Buch Reason and Revolution dem Missbrauch Hegels durch völkische Juristen entgegenzutreten. Bei keinem Philosophen des Deutschen Idealismus jedoch scheint der Verdacht, er gehöre in die Vorgeschichte von Auschwitz, absurder als bei Kant, jenem Philosophen der Autonomie, der unbedingten Rechtlichkeit und der unverletzbaren Menschenwürde, dem sich ein großer Teil des deutschen Judentums im neunzehnten Jahrhundert bis weit in die Orthodoxie hinein verpflichtet fühlte. In seinem unableitbaren Sittengesetz artikulierte sich systematisch und vernunftgemäß genau das, was die Bibel mit ihrer Erinnerung an den Bund und die gebietende Stimme vom Sinai in erzählender Sprache entfaltet. »Vielleicht«, so heißt es in Kants Kritik der Urteilskraft von 1790, »gibt es keine erhabenere Stelle im Gesetzbuche der Juden, als das Gebot: Du sollst dir kein Bildnis machen, noch irgend ein Gleichnis, weder dessen, was im Himmel, noch auf Erde, noch unter der Erden ist, u.s.w. Dieses Gebot allein kann den Enthusiasmus erklären, den das jüdische Volk in seiner gesitteten Epoche für seine Religion fühlte, wenn es sich mit andern Völkern verglich, oder denjenigen Stolz, den der Mohammedanism einflößt.«1 Darin erkannten sich jene Juden, die im frühen neunzehnten Jahrhundert aus der Enge des Gettos ausbrechen wollten, wie Lazarus Bendavid, Saul Ascher, Markus Herz und David Friedländer, ebenso wieder wie jene, die ihrer Tradition einen vernünftigen Sinn verleihen wollten, etwa Hermann Cohen,2 oder jene, die gar zeigen wollten, dass sich mit Kant die wörtlich verstandene Offenbarung am Sinai beweisen ließ, von Samson Rafael Hirsch bis zur neoorthodoxen Rabbinerdynastie Breuer. Freilich war nicht zu übersehen, dass derselbe Kant die Juden seiner Zeit als »betrügerische Palästiner« bezeichnete und in seinen religionstheoretischen Schriften wie auch im Nachlass wiederholt die »Euthanasie des Judentums« gefordert hatte – ein Ausdruck, der spätestens nach den nationalsozialistischen Massenmorden an den Geisteskranken Entsetzen hervorruft. Adolf Eichmann hatte sich immerhin auf Kant berufen.3 Glucksmann veröffentlichte sein Buch über die Maîtres penseurs, die Meisterdenker, 1977. Darin ist von Kant keine Rede. Nichts, so beteuerte der Autor, verbinde die deutschen Denker mit dem Nazismus außer dem Umstand, dass sie Antisemiten gewesen seien. Der menschenrechtlich entflammte Begründer einer »neuen Philosophie« unterlag freilich der eigenen Dialektik, wenn er unmittelbar darauf feststellt: »Paradoxerweise musste man auf Heidegger warten, um eine deutsche Philosophie zu finden, die nicht antisemitisch ist: Rom, nicht Judäa, versperrt uns den Weg nach Griechenland. Die Übersetzungen des Imperium Romanum sind ebenso verheerend wie seine Friedensschlüsse.«4 In Glucksmanns Buch spukt Kant als finanzieller Förderer des erklärtermaßen antisemitischen Fichte und als Kritiker der Deutschen durch die Seiten.5 Ob Glucksmann die seit 1968 erscheinenden Arbeiten des Antisemitismushistorikers Léon Poliakov kennt, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen, ist aber wahrscheinlich. Für Poliakov war der Fall Kant klar, obwohl Generationen jüdischer Kantianer dessen judenfeindliche Texte mit dem Ziel kritisierten, Kant zu entschuldigen. »Lektüren und Quellen, von welchem Gewicht auch immer, haben möglicherweise weniger gezählt als der abgründige Hass eines Denkers, der in mehreren Schriften und bei verschiedenen Anlässen auf eine Weise die Euthanasie des Judentums empfahl, die nichts anderes bedeuten konnte als die metaphysische Form des Schreis: ›Tod den Juden!‹«6 Rose schließlich, der Poliakovs eher anspruchslose Kompilation für eine brillante Synthese hält,7 sieht bei Kant den Ursprung des Nationalsozialismus als Idee. Kants Antisemitismus, der sich in seinen Meinungen ausdrücke, dass das Judentum eine unmoralische Religion und die Juden eine fremde Nation von Schacherern seien, werde durch den zentralen Begriff der moralischen Freiheit zusammengehalten. Beider Verbindung habe sich in der idealistischen Philosophie als Kern einer spezifisch deutschen Revolution entpuppt. Rose, der an einer nüchternen Analyse interessiert zu sein vorgibt, macht zu Recht auf Rezeptionshindernisse wie die Unkenntnis des Deutschen beziehungsweise unzureichende Übersetzungen aufmerksam, die ein angemessenes Verständnis der »deutschen Revolution« verhindern. Indem er zwischen dem Judaismus als Religion, der jüdischen Nation und jüdischen Eigenschaften unterscheidet, geht er einen ersten Schritt in Richtung auf ein genaueres Verständnis der idealistischen Judenfeindschaft. Aber auch für ihn gilt wie für Poliakov, Glucksmann und Joshua Halberstam,8 dass sie das unterlassen haben, was einzig einem philosophischen Text angemessen ist: ihn auch philosophisch zu lesen. Um Kants Auseinandersetzung mit dem Judentum zu verstehen, führt kein Weg daran vorbei, sich auch mit jenen Menschen, mit jenen Juden näher zu befassen, die sein systematisches Denken prägten und anregten. Am Anfang stand Moses Mendelssohn. Die Ankunft des 1729 in Dessau geborenen Sohns eines Toraschreibers, der seinem Rabbi David Fränkel 1743 nach Berlin folgte, sollte das Denken der Gebildeten in Deutschland über die Juden und das Judentum nachhaltig verändern. Mendelssohn, der sein Leben zunächst als Hauslehrer fristete, dann als erfolgreicher Kaufmann lebte, wurde schnell zum Mittelpunkt der Berliner Aufklärung. Seit 1750 mit Gotthold Ephraim Lessing befreundet, begann er einige Jahre später mit einer regen Publikationstätigkeit. Mit seinem Freund, dem Berliner Buchhändler und Verleger Friedrich Nicolai, kämpfte er für das Entstehen einer deutschsprachigen Literatur wider das vom absolutistischen Hof geförderte Französisch. Mendelssohn setzte sich nicht nur mit den damals in Philosophie und Gesellschaft zentralen Themen wie Ästhetik und Empfindsamkeit auseinander, sondern auch mit der Philosophie der Religion, die er als rationale Theologie zu begründen versuchte. Mendelssohn war bestrebt, die Unsterblichkeit der Seele, die Existenz Gottes und die menschliche Willensfreiheit zu beweisen; seine Annahmen der Beweisbarkeit Gottes widerlegte Kant später in der Kritik der reinen Vernunft. Als gefeierter Philosoph der Aufklärung blieb Mendelssohn gleichwohl sein Leben lang ein orthodoxer Jude, eine Tatsache, die einen Teil seiner Bewunderer zunehmend provozierte. Als ihm der Schweizer Geistliche Johann Caspar Lavater 1769 ein von ihm übersetztes Werk christlicher Religionsphilosophie widmete und ihn zugleich respektvoll aufforderte, zum Christentum überzutreten, war Mendelssohn gezwungen, sein Lebensprojekt, die Verbindung von Judentum und Aufklärung, zu verteidigen. In seinem Schreiben an Lavater 1770 brachte er vor allem pragmatische und lebensgeschichtliche Gründe für sein Festhalten am Judentum vor. Zwölf Jahre später entfaltete er nach gründlichem Studium seine Argumentation in dem Werk Jerusalem oder Über religiöse Macht und Judentum. Er setzte an der Frage an, die die Aufklärung von Anfang an umgetrieben hatte, am Verhältnis von Staat und Religion. Als Anhänger der Vertragstheorie des Staates gestand er dem Staat bezüglich der Verbesserung des leiblichen Wohls der Bürger Zwangsbefugnisse zu, während Kirchen und Religionsgemeinschaften das gleiche Ziel...


Micha Brumlik lehrte Erziehungswissenschaft zunächst in Hamburg und Heidelberg. 2000–2013 Professor am Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft der J. W. Goethe-Universität Frankfurt am Main und bis 2005 Direktor des Fritz Bauer Instituts, Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung des Holocausts. Seit 2013 ist Brumlik Senior-Professor am Zentrum für Jüdische Studien Berlin/Brandenburg und seit 2017 Senior-Professor der J. W. Goethe-Universität in Frankfurt am Main. 2003 erhielt er die Hermann-Cohen Medaille und 2016 die Buber-Rosenzweig-Medaille. Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a.: »Aus Katastrophen lernen« (2004), »Sigmund Freud. Der Denker des 20. Jahrhunderts« (2006), »Schrift, Wort und Ikone. Wege aus dem Bilderverbot« (2006), »Kritik des Zionismus« (2007), »Entstehung des Christentums« (2010) sowie »Messianisches Licht und Menschenwürde. Politische Theorie aus Quellen jüdischer Tradition« (2013), »Vernunft und Offenbarung« (2001/2014), »Wann, wenn nicht jetzt – Versuch über die Gegenwart des Judentums« (2015), »Advokatorische Ethik. Zur Legitimation pädagogischer Eingriffe« (2004/2017), »Luther, Rosenzweig und die Schrift. Ein deutsch-jüdischer Dialog« (2017), »Bildung und Glück« (2002/2019). Herausgeber und Autor von Essays und Artikeln in Zeitungen und Zeitschriften.


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.