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E-Book, Deutsch, 94 Seiten

Frank Politische Novelle

E-Book, Deutsch, 94 Seiten

ISBN: 978-3-7448-9856-0
Verlag: Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Der ehemalige Minister Ferdinand Carmer verbringt seinen Urlaub in der süditalienischen Hafenstadt Ravello. Es ist die Zeit der Weimarer Republik. Wahrscheinlich wird Carmer bald wieder ein Ministeramt übernehmen. Vor der erneuten beruflichen Bindung kostet er seine Freiheit auf Reisen voll aus. Er gerät in eine Kundgebung, auf der Mussolini als Redner auftritt. Gerne verlässt er nach dieser Erfahrung Italien und folgt einer Einladung des französischen Außenministers Achille Dorval zum Gespräch ins französische Cannes. Als sich Dorval wegen einer Autopanne mehrere Stunden verspätet, verbringt Carmer seine Zeit im Spielcasino. Dort begegnen ihm der Wohlstand und die Internationalität, aber auch der Snobismus und die Vergnügungssucht der 20er Jahre in übersteigerter Form. In dem langen Gespräch mit Dorval erörtert Carmer die Möglichkeiten zur Aussöhnung Europas nach dem Ersten Weltkrieg. Nachdem er sich von Dorval verabschiedet hat, setzt Carmer seine Reise spontan fort. Er fährt nach Marseille. Ein letztes Mal will er sich vor der Rückkehr nach Berlin richtig amüsieren. Dabei unterschätzt er die Gefahren eines großstädtischen Vergnügungsviertels.

Die »Politische Novelle« von Bruno Frank erschien erstmals 1928. Vorbild für den Romancharakter des Achille Dorval ist der französische Außenminister Aristide Briand. Thomas Mann besprach die »Politische Novelle« 1930 in einem längeren Essay, das die hohe literarische Bedeutung des Werkes betonte.
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IV
Der nächste Tag war ein Sonntag. Cramers Aufenthalt näherte sich dem Ende. Die Rückkehr nach Deutschland war nötig, und zudem telegraphierte aus Paris Achille Dorval und wünschte das Datum ihrer Zusammenkunft festzusetzen. Sie sollte an der französischen Südküste stattfinden, in Cannes: Carmer fügte sich darin der Neigung des viel Älteren, der sein Land ungern verließ. Sie kannten einander von mehreren Konferenzen her, und sie sympathisierten. Man hatte in Paris die Hand am Puls der deutschen Politik, die Regierungsänderung im Reiche galt als sicher bevorstehend, an Cramers neuem Hervortreten konnte dabei kein Zweifel sein. Der französische Staatsmann wünschte lebhaft, ihn noch zuvor, noch ohne offizielle Erschwerung, zu sehen. Mit Zähigkeit strebte sein vorurteilsloses Alter dem großen Ziele friedlicher Sicherung zu. Hier war das Erbe, das er zu hinterlassen hoffte. Carmer hatte seine Abreise schon zweimal verschoben. Cannes – das bedeutete eine Frist von Tagen, und jenseits, unmittelbar, lag die Heimkunft, nach der sein Verlangen gering war. An jedem Morgen, wenn Doktor Erlanger hinter ihn trat, um die angelangte Briefschaft gemeinsam mit ihm zu prüfen, spürte er nicht ohne Gewissensqual, daß sein Widerstreben aufs neue gewachsen war. Heimkehren also wieder in diesen Braukessel trüb schäumender Böswilligkeit, der sich deutsche Politik nannte, langsam sich wieder mitdrehen im übel gemischten Brei; bei öffentlicher Tagung die abgestandenen Phrasenreste beschwingterer Vorzeiten schmecken müssen, hinter verschlossenen Türen aber das ängstliche Gezänk von Philistern, die an ihren nächsten schäbigen Vorteil denken. Nie ein männlicher, grader Impuls, nie ein Wort, das aufstieg wie der Rauch am klaren Tage; in der eigenen Partei, bei der sein Herz doch ganz hätte sein müssen, viel dürftiger Beamtengeist, Kleinbürgerei und Scheu vor der eigenen Courage; die wenigen denkenden und kräftigen Gefährten vor der Zeit abgenutzt, bedrückt und zerrieben. Und um einen das Volk, diese sechzig Millionen, Herzstück des Erdteils, ewiger Mutterschoß der Idee, der Musik und innigster Dichtung, aber von einer beispiellos finstern und schmerzhaften Geschichte als öffentliches Wesen verdorben und verfälscht, so unfähig, Leib seiner reichen Seele zu sein, so unkund seiner selbst, so kindisch, daß es jedem schielenden Schmeichler anheimfiel. Nichts ließ es sich in seiner Unsicherheit lieber bezeugen, als daß es allein das Volk aller Völker sei, ausersehen unter den Nationen, umringt von Pfauen und Tigern ganz allein treu, rein, tapfer, fromm, wahrheitsmutig und seelengroß. So weit ging sein Hang zu romantischer Selbstbetäubung, daß ihm jeder recht war, der mit einem Schwall herkömmlich dunstigen Geredes sich selber als Heiland und Symbol der Volkstugenden empfahl: der krakeelende General war ihm recht, der eitle Konjunktur-Mystiker war ihm recht, sogar der profitwütige Nurverdiener war ihm recht, wenn er bloß den blutarmen Hang nach dem Kolossalen zu befriedigen schien und seinen Riesenladen mit nationalfrommen Spruchtafeln austapezierte. Blickte man aus südlich heiterer Ferne auf dies wolkenüberhangene Vaterland zurück, so schien es einem, als sei der Himmel dort von allen den aufgestiegenen Phrasen und nebelhaften Halbgedanken so trübe und undurchsichtig geworden. Ach, wer sollte Lust haben zur Rückkehr! Wer sollte nicht wünschen, das alles dort zu vergessen und, wenn er dort lebte, eben einsam zu leben, in der eigenen Wahrheit, im verschlossenen Hause. Hielten es denn nicht alle so, die etwas taugten im Lande? Es war zur Seltenheit geworden, daß ein Mann von Ernst und geistigem Stolz in Deutschland Politiker war. Mit Spott und Mißachtung sahen alle dem dunstigen Treiben zu, oder vielmehr sie sahen nicht zu, sie kehrten sich ab und ließen das Feld dem Gezücht. Und darum eben waren Cramers Tage hier unten gezählt. So unmöglich es war, mit dem Gedanken an Flucht, an Einsamkeit im Geiste, nicht immer wieder zu spielen, so unmöglich war diese Fahnenflucht selbst, fort von der guten Sache der Aufrichtigkeit und des humanen Willens: zu klein war das Häuflein der Streiter. Dies war nun also der letzte Sonntag. Er war früher hinaufgestiegen zur Höhe als sonst, und wie er zurückkam, setzte er sich, einziger Gast, vor das ärmliche kleine Café, der Erztür der Kathedrale gerade gegenüber. Dies war allsonntäglich sein Posten um diese Stunde. Er blickte dann hin über die Piazza, die ganz leer dalag, weil alles beim Gottesdienst war im uralten romanischen Tempel, und wartete auf den Augenblick, da drinnen die Orgel zum Schlussakkord aufbrauste, langsam die gewaltige Türe sich auftat und das ganze Städtchen, festtäglich angetan, hervorströmte und sich anschickte zum Schaugang. Man durchblickte dann die Kirche bis hinauf zum Altar. Es war niemand mehr da. Nur der Sakristan ging hin und wider und löschte die Kerzen. Zur Rechten sah man aus schwarzweißem Marmor die Kanzel, sah die zierlich gewundenen Säulen, auf denen sie ruht, die heiteren Löwen, auf denen wieder die Säulen ruhen, und in der Höhe porphyren und prunkend den Adler, der das Lesepult trägt. Aber blickte man hin über den sonnigen Kirchplatz, so war es erquickend, mit wieviel Form, mit wieviel heiterer Würde sich das Völkchen in seinem Corso bewegte, niemand war laut, niemand frech, niemand linkisch, noch in diesem vergessenen kleinen Gemeinwesen wurde ein Talent zur Gesellschaftlichkeit reizend erkennbar, von dem man dort in der ungestalten, gebärdenlosen Heimat nichts wusste. Heute war alles ganz anders. In der Frühe, beim Fortgehen, hatte er nichts bemerkt, aber nun, wie er dasaß bei seinem Eisgetränk und auf die frommen Laute hinter der Erztür lauschte, sah er die leere Piazza verändert. Sie war dekoriert. Es wirkte gespenstisch. Von allen Seiten schaute das Bildnis her, sechsmal, achtmal starrte es von großen grobgedruckten Plakaten, beim Bäcker verdeckte es ganz das Schaufenster, so daß man drinnen gewiß nichts mehr sehen konnte, Cramers Rücken durchbohrte es von der Mauer des kleinen Cafés, ein ungeheures hing vom Stadthaus herab, und zwei flankierten sogar die Tür der Kirche, altrömisch das erste, mit angedeuteter Toga, das andere im Stahlhelm der Blutjahre, aber drohend ein jedes, mit eckigem Umriss, mit düstern Augen, gefalteten Brauen, zugepresstem Mund, das Weichliche, Schwache künstlich wie vor dem Spiegel versteckt, alles ganz Fassade, ganz Willensschauspiel, ganz mühsames Denkmal: der Herr der Herren, der Fürst über Leben und Tod, der Übercäsar – der Renegat und Bramarbas. Carmer hatte bisher von der Seuche nicht viel zu spüren bekommen. Der Hochmögende dort in der Toga war Geschöpf und Beauftragter der großen Fabrikherren im Norden, ihnen hatte er das aufsässige Heer ihrer Arbeiter gefügig gemacht, zum Segen der Produktion und der Kasse. Dort im industriellen Bezirk und dann in Rom, seiner Residenz, war seine Herrschaft in Flor und manifestierte sich tobend. Langsamer gewann man den Süden, wo das Volk lässig war, unbekümmerter, zum Spott sehr geneigt, und wo wenig Industrie war, die zahlte. Was war man nicht alles gewesen im neapolitanischen Land, ohne sich weiter zu rühren! Gutes Regiment hatte man erfahren und viel öfter liederliches und schlechtes. Normannisch war man gewesen, sarazenisch und staufisch, französisch von Gnaden der Anjous und spanisch unter den Vizekönigen, österreichisch dann, französisch wieder und endlich italisch unterm Hause Savoyen, Die Sonne schien immer, Mandel wuchs, Feige und Wein, und es war einem wohl in der Armut. Das sollte nun enden. Man griff herunter aus Rom mit dem gepanzerten Arm, mit Werbezügen und Glorie. So etwas war heute im Werk. Fahnen hingen herum, Girlanden waren ausgespannt, Spruchschilder riefen die Losung des Tages aus, eine kleine Rednerbühne war aufgezimmert. Nun, er mußte dies schwerlich hören und ansehen! Man brauchte ja leider nicht zu reisen, um solche Art Knechtslärm mitzuerdulden. Er legte sein Geld auf das Tischchen. Da aber erbrauste zum Schlussakkord drinnen die Orgel, die Gläubigen begannen zu strömen, und im gleichen Moment, Schlag auf Schlag, marschierten aus den Seitengassen die Züge hervor. Betont sich zurückhaltend, mit einer Verneigung vor der andern, älteren Macht, hatten sie während des Gottesdienstes den Kirchplatz leer gehalten, nun aber, mit Präzision, auf prompt gegebenes Kommando, rückten sie vor, um mit ihrer Heilslehre zu empfangen, was aus den Armen der andern Lehre kam. Kriegerischer Aufmarsch, Musik, die Hymne, Heilrufe, schräg aufwärts geworfene Arme, die Rom nachäfften, wie alles Rom nachäffte an der uniformierten Schar: selbst ihre Backen noch trugen sie römisch gefaltet, von den Halbgottplakaten ringsum grimmig belehrt. Heute war kein Corso. Ravello feierte sein Waffenfest. Ach, diesem Aufwand widerstanden sie nicht. Sonntäglich gestimmt, für die Abwechslung dankbar, hörten sie gerne die Hymne an, die von Jugend und aber Jugend schrie, obgleich ihr Zuruf dem Ältesten und Abgelebtesten in der Welt galt, sie erlagen, südliche Kinder die sie waren, der militanten Geste, sie warfen die Arme nach vorn, sie stimmten ein in das Lied, schüchtern zuerst, denn sie kannten den Text nicht, dann aber, da ewig die gleiche Strophe erklang, lauter und fröhlich, bald sang der ganze Platz, die Front der Schwarzuniformierten löste sich auf, es begann die Vermischung, wieder und noch einmal die Hymne, ein Kommando dann, Stille, und es betrat die primitive Bühne der Redner. Ja, das...


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