Keiser / Oestmann / Pierson | Wege zur Rechtsgeschichte: Die rechtshistorische Exegese | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 569 Seiten

Keiser / Oestmann / Pierson Wege zur Rechtsgeschichte: Die rechtshistorische Exegese

Quelleninterpretation in Hausarbeiten und Klausuren

E-Book, Deutsch, 569 Seiten

ISBN: 978-3-8463-5701-9
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Die Interpretation von Quellen gehört zum methodischen Kern aller historischen Wissenschaften und damit auch zum unverzichtbaren Rüstzeug der Rechtsgeschichte. Die Vielfalt an Themen und Quellenarten lässt sich nicht in einigen Musterexegesen zusammenfassen. Das Studienbuch wählt einen neuen Ansatz und vermittelt unterschiedlichste Zugriffe bei der Arbeit mit rechtshistorischen Quellen.
Insgesamt schult die Quelleninterpretation die Fähigkeit zur Analyse und zum Verständnis von Texten unabhängig von den normativen Vorgaben des geltenden Rechts. Die Exegese ist damit weiterhin eine entscheidende Grundlage für die geisteswissenschaftliche Prägung des Jurastudiums.
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Weitere Infos & Material


Vorwort 11
1 Einführung 13
1.1 Begriff und Geschichte der Exegese 13
1.2 Konzeption und Ergebnisse des Bandes 17
1.3 Hinweise für studentische Exegesen 25
1.4 Klausur, Hausarbeit, Referat, Seminararbeit: vielfältige Prüfungsformen 32
2 Normengeschichte 37
2.1 Der untreue Geldbote: Pomponius D. 46,3,17
Gregor Albers 37
2.2 Zwei Probleme aus dem römischen Recht des Schiedsverfahrens
Wolfgang Ernst 57
2.3 ‚Pacta sunt servanda‘ und Naturalerfüllung in der mittelalterlichen Kanonistik. Schuldnerschutz und Gläubigerinteresse
Maximiliane Kriechbaum 71
2.4 Das Recht als Schneeball – Die menschliche Freiheit in der Lectura des Nicolaus de Tudeschis
David von Mayenburg 98
2.5 Die Rachinburgen in der Lex Salica
Peter Oestmann 116
2.6 Sachsenspiegel, Landrecht III 45 mit Glosse: Vom Wert des Menschen
Bernd Kannowski 135
2.7 Todesstrafe für Bigamie.
Eine Strafverschärfung im lübischen Recht nach 1284
Albrecht Cordes 153
2.8 Vergütungsgefahr im Werkvertragsrecht des Sächsischen BGB
Frank L. Schäfer 164
2.9 Die Frankfurter Grundrechte – Wegbereiter der Demokratie
Sonja Breustedt/Alexander Krey 181
2.10 Die „menschenwürdige Existenz“ im Grundrechtskatalog des Grundgesetzes von 1920 der Estnischen Republik
Marju Luts-Sootak/Hesi Siimets-Gross 204
2.11 Recht auf Empfangen eines Urteils
Kenichi Moriya 227
3 Praxisgeschichte 245
3.1 TCL 1, 157: Rechtsstreit um eine Doppelhaushälfte
in altbabylonischer Zeit
Guido Pfeifer 245
3.2 P.Col. III 54 – vom Vertrag zur Klage
Nadine Grotkamp 262
3.3 Römische Kautelarpraxis zur Kreditsicherung.
Eine Exegese zur sog. formula Baetica
Ulrike Babusiaux/Elena Koch 280
3.4 Autoritäten im Recht – Islamische Justizforschung
Nahed Samour 306
3.5 Der Gottesfrieden von Le Puy (ca. 976 AD)
Stefan Vogenauer 323
3.6 Herrschafts- oder Gesellschaftsvertrag?
Die Wahl kapitulation des Hermann von Lobdeburg von 1225
Thomas Pierson 350
3.7 Die Frankfurter Messeprivilegien von 1240 und 1330
Ralf Seinecke 368
3.8 „Lass rynnen, lass rynnen“: Ein Selbstmordfall am Chiemsee
im Jahr 1521 – Gerichtsverfassung, Geisterfurcht und „Volksgeist“ in Bayern um 1500
Hans-Georg Hermann 388
3.9 Straßenterror und Wirtschaftskriminalität
Jan Thiessen 408
4 Wissenschaftsgeschichte 417
4.1 Es geht immer um die Wurst! Daniel Freses
„Veritas, Iustitia und Confessio“ (1578)
Mathias Schmoeckel 417
4.2 Das Gutachten der Vorkommission für ein Bürgerliches Gesetzbuch für das Deutsche Reich vom 15. April 1874
Tilman Repgen 432
4.3 Jherings Brief an Bismarck vom 15. September 1888
Hans-Peter Haferkamp 446
4.4 Anita Augspurgs „Die Frau in der Advokatenrobe“ (1904).
Der Kampf der Frauen um Zugang zu den juristischen Berufen – eine europäisch-verflochtene Geschichte
Lena Foljanty 463
4.5 Franz Schlegelberger: Abschied vom BGB (1937)
Sibylle Hofer 477
4.6 Exegese zu einem Auszug aus Karl Larenz’ Aufsatz „Wandlung des Vertragsbegriffs“ von 1935
Thorsten Keiser 496
5 Klausuraufgabe 517
Die Verpflichtungskraft des Eides: drei Schlaglichter
Susanne Lepsius 517
Literaturverzeichnis 535
Register 547


2Normengeschichte 2.1Der untreue Geldbote: Pomponius D. 46,3,17 Gregor Albers Der Fall könnte heute in einer Übung für Bürgerliches Recht laufen: Ein Bote unterschlägt das gesendete Geld, um es dem Empfänger im eigenen Namen zu zahlen. Wie ist die Rechtslage? Wir würden die Situation kaum anders analysieren als römische Juristen vor zweitausend Jahren. Wie beim Vergleich moderner Rechtsordnungen kann man beobachten, dass sich manche Wertungen um Nuancen verschieben, gleichbleibende sich auf unterschiedlichen Wegen Bahn brechen. Daher lässt dieses Beispiel vielleicht die doppelte Funktion der Digestenexegese erahnen: Sie kann Einführung in historisches Arbeiten und zugleich Schule des juristischen Denkens sein, indem sie es von der Fessel des geltenden Rechts befreit.* 2.1.1Die Quelle: Pomponius D. 46,3,17 (19 ad Sabinum) Idem [Pomponius] libro nono decimo ad Sabinum Cassius ait, si cui pecuniam dedi, ut eam creditori meo solveret, si suo nomine dederit, neutrum liberari, me, quia non meo nomine data sit, illum quia alienam dederit: ceterum mandati eum teneri. Sed si creditor eos nummos sine dolo malo consumpsisset, is, qui suo nomine eos solvisset, liberatur, ne, si aliter observaretur, creditor in lucro versaretur. Derselbe [Pomponius] im 19. Buch zu Sabinus Cassius sagt, wenn ich jemandem Geld gegeben habe, damit er es meinem Gläubiger zahlt, er es [aber] in seinem [eigenen] Namen gegeben habe, werde keiner von uns beiden befreit: ich nicht, weil es nicht in meinem Namen gegeben sei, er nicht, weil er fremdes [Geld] gegeben habe. Im Übrigen hafte er wegen Auftrags. Aber wenn der Gläubiger diese Münzen ohne Arglist verbraucht hat, so wird der, welcher sie in seinem [eigenen] Namen gezahlt hatte, befreit, damit nicht, wenn es anders gehalten würde, dem Gläubiger dadurch ein Vorteil zufiele. 2.1.2Überlieferung, Textschichten und Kontexte Wie das „D.“ in der Überschrift anzeigt, steht der Text in den Digesten, dem 533 nach Christus von Kaiser Justinian in Byzanz verkündeten Gesetzbuch. Es bestand aus Zitaten der Werke römischer Juristen, die damals schon bis zu fünf Jahrhunderte tot waren. Sie hatten auf Latein geschrieben, während man in Byzanz Griechisch sprach. Den Kaiser störte das nicht; ihm kam es gerade darauf an, an die ruhmreiche Tradition des alten Roms anzuknüpfen. Er ließ die Auszüge auswählen, zeitgemäß verändern, vereinheitlichen und neu zusammenstellen; behielt aber den Charakter der Ursprungstexte im Wesentlichen bei.1 Dem so entstandenen Gesetz war eine lange Wirkung beschieden. Seine Wiederentdeckung im Bologna des 12. Jahrhunderts markiert die Geburtsstunde der Universitäten; und bis zum Inkrafttreten der Nationalgesetzbücher studierte man in ganz Europa das weltliche Recht anhand der Digesten2 – mehr noch als an den übrigen Teilen des justinianischen Corpus Iuris Civilis.3 Die modernen Textausgaben gehen auf Theodor Mommsen zurück, der durch Vergleich dutzender mittelalterlicher Handschriften den wahrscheinlichen Ursprungstext rekonstruiert hat.4 Wir dürfen annehmen, dass der vorliegende Text die Kanzlei in Konstantinopel so verlassen hat, wie er hier abgedruckt ist.5 Aber von wem stammt er inhaltlich? Es gab früher die Vorstellung, die Juristen der klassischen Zeit seien durch ihr Handwerk in einem Maße geprägt worden, dass sie alle gleich gedacht und geschrieben hätten.6 Stieß man in den Quellen auf sprachliche oder gar inhaltliche Unterschiede, war man schnell dabei, einen Eingriff der justinianischen Gesetzgebungskommission zu vermuten; eine Interpolation. Heute ist man eher geneigt, unterschiedliche Stile und Auffassungen anzunehmen,7 und interessiert sich gerade für die besondere Prägung, die ein Text dadurch erhalten hat, dass sein Autor über einen bestimmten Fundus von Wissen und Techniken verfügte, den er darin verarbeitet hat. Bei dem vorliegenden Text handelt es sich nach der Überschrift (inscriptio) um einen Auszug aus dem Kommentar des Pomponius zu Sabinus (daher „Pomponius … ad Sabinum“). Pomponius lebte im zweiten Jahrhundert nach Christus,8 Masurius Sabinus zu Beginn des ersten Jahrhunderts. Auch wenn uns von ihm weitaus weniger Texte überliefert sind, ist Sabinus viel berühmter. Er gilt neben dem etwas jüngeren Cassius, der sein Schüler gewesen ist, als Begründer einer der beiden großen Rechtsschulen des Prinzipats – der Sabinianer oder Cassianer.9 Seine Berühmtheit hängt eng zusammen mit der Berühmtheit der von ihm geschriebenen „Drei Bücher über das Zivilrecht“ (Iuris civilis libri III), des vielleicht ältesten juristischen Lehrbuchs.10 Obwohl kurz und inhaltlich offenbar unvollständig11, wurde es etwa zweihundert Jahre lang respektvoll verwendet. Das lässt sich daran ablesen, dass andere Juristen umfangreiche Kommentare ad Sabinum verfassten. Später verlor das Werk allerdings an Bedeutung und war zur Zeit Justinians bereits verschollen.12 Der wohl älteste Sabinuskommentar war der des Pomponius.13 Er bestand aus 35 Büchern, aus denen in den Digesten etwa 800 Auszüge überliefert sind.14 Wenn man all diese Ausschnitte zusammenlegt,15 fällt es schwer, in der Gesamtmasse Ursprungstext und Kommentar auseinanderzuhalten. In unserem Auszug wird Cassius, der Schüler des Sabinus, ausdrücklich zitiert (Cassius ait…). Stammt dieses Zitat schon von Sabinus oder erst von Pomponius? Zwar nimmt man üblicherweise an, dass es sich bei dem Sabinuskommentar des Pomponius – wie bei den juristischen Kommentaren der Antike „regelmäßig, vielleicht sogar stets“ – um einen sogenannten „lemmatischen“ Kommentar handelte: „Die einzelnen Textstücke, die der Kommentar erläutert [Lemmata, G. A.], werden entweder vollständig oder mit ihren Anfangsworten mitgeteilt und dann der Kommentar angeschlossen“.16 Aber nur vereinzelte Passagen lassen sich klar Sabinus zuordnen.17 Weil der Kommentar mit 35 Büchern viel länger war als der Ursprungstext mit 3 Büchern, wird das meiste von Pomponius stammen. Jedenfalls ist unwahrscheinlich, dass Sabinus seine eher knappe Darstellung dadurch verlängerte, dass er ausführlich den eigenen Schüler zitierte. Cassius hat sein Buch über das Ius civile ohnehin wahrscheinlich später geschrieben als Sabinus das seinige.18 Vermutlich haben wir es also bei unserem Auszug mit einem Text zu tun, der gar nichts von Sabinus enthält, sondern insgesamt von Pomponius stammt. Den ersten Teil bildet das Cassiuszitat: Cassius ait… neutrum liberari… eum teneri. Dann endet die indirekte Rede, im zweiten Teil entscheidet offenbar Pomponius selbst: liberatur.19 Justinians Kompilatoren sortierten den Text in den Titel D. 46,3 ein, der die Überschrift De solutionibus et liberationibus trägt, sich also mit Erfüllungsvorgängen und anderen Arten der Befreiung von Schuldnern befasst. Das passt, geht es doch um die Frage, ob durch die Zahlung des untreuen Boten eine Schuld getilgt wird. Bei Pomponius entstammte der Text allerdings ursprünglich einem Abschnitt des Kommentars, der vor allem Probleme des Diebstahls (furtum) behandelte. Das zeigt ein Vergleich mit den anderen Texten des 19. Buchs20 (daher „19 ad Sabinum“). 2.1.3Auslegung 2.1.3.1Schuldbefreiung und dingliche Rechtslage Die kompakte, jeder überflüssigen Einzelheit entbehrende Darstellung weist den Fall als einen Schulfall aus, den Cassius entweder frei erfunden oder aus einem realen Vorfall durch Abstraktion entwickelt hat: Jemand soll dem Gläubiger eines anderen Geld überbringen. Zufällig schuldet auch der Bote dem Empfänger Geld, daher händigt er die Summe in eigenem Namen aus. Die Pointe des Falles besteht für Cassius darin, dass durch diese Zahlung keiner der beiden Schuldner frei wird – weder der Absender, der in der ersten Person spricht und darum Ego heißt, noch der Überbringer. 2.1.3.1.1Vor dem Verbrauch Als Grund dafür, dass Ego nicht frei wird, gibt Cassius an, dass das Geld nicht in dessen Namen übergeben wurde. Es ist typisch für die Argumentation der klassischen Juristen, dass das Argument auf tatsächlicher Ebene bleibt. Warum dieser Umstand die rechtliche Beurteilung beeinflusst, muss sich der Leser selber denken. Als Grundsatz steht im Raum, dass eine Schuld durch eine Zuwendung nur erfüllt werden kann, wenn für den Gläubiger erkennbar wird, dass es sich um eine Leistung des Schuldners handelt – oder jedenfalls dann nicht, wenn es sich dem äußeren Anschein nach um die Leistung eines anderen handelt. Indem der Grundsatz unausgesprochen bleibt, bleibt die Argumentation insgesamt flexibel und auf den konkreten Fall bezogen. Insbesondere vermeidet der Jurist die Behauptung, es gebe eine Regel, die man so oder so perfekt formulieren und dann ausnahmslos anwenden könnte.21 Dass auch der Bote nicht frei wird, begründet Cassius damit, dass dieser „fremdes Geld“ übergeben hat. Es geht um das Eigentum an den Münzen. Offenbar wird nicht frei, wer seine Schulden mit Münzen bezahlt, die einem anderem gehören. Man könnte vielleicht auf die Idee kommen, dahinter stecke die Absicht, die Unterschlagung zu bestrafen. Dass dies nicht der wahre Grund ist, zeigt die Abwandlung des Falles durch Pomponius: Alles soll sich anders verhalten, wenn der Gläubiger die Münzen gutgläubig verbraucht. Bei Sachen, die...


Pierson, Thomas
Dr. Thomas Pierson ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Gießen.

Oestmann, Peter
Prof. Dr. Peter Oestmann lehrt Bürgerliches Recht und Deutsche Rechtsgeschichte an der Universität Münster.

Prof. Dr. Peter Oestmann lehrt Bürgerliches Recht und Deutsche Rechtsgeschichte an der Universität Münster.


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