Ludewig | Einführung in die theoretischen Grundlagen der systemischen Therapie | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 128 Seiten

Reihe: Carl-Auer Compact

Ludewig Einführung in die theoretischen Grundlagen der systemischen Therapie

E-Book, Deutsch, 128 Seiten

Reihe: Carl-Auer Compact

ISBN: 978-3-8497-8347-1
Verlag: Carl Auer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Die systemische Therapie entstand als eigenständiger Ansatz der Psychotherapie zu Anfang der achtziger Jahre als Weiterentwicklung der Familientherapie. Ihre Methoden und Techniken werden jedoch längst auch von anderen therapeutischen Schulen und in den unterschiedlichsten Anwendungsbereichen eingesetzt.

Dieser Einführungsband fasst die wesentlichen Grundlagen der systemischen Therapie auf prägnante und verständliche Weise zusammen. Der Autor beschreibt zunächst die biologischen, neurowissenschaftlichen, soziologischen und systemtheoretischen Voraussetzungen systemischen Denkens. Im zweiten Teil werden die Grundlagen der therapeutischen Praxis vorgestellt, die sich aus dem systemischen Denken ableiten.

„Ich finde, dies ist ein Buch, das in vielfältigen Kontexten verwendet werden kann: In der Lehre an Hochschulen, in den Ausbildungs- und Fortbildungsgängen der Weiterbildungsinstitute, für die eigene persönliche Weiterbildung als systemische Fachkraft und für die Diskussion um die konzeptionelle Fundierung und Weiterentwicklung systemischer Praxis im psychosozialen Feld.“
Wolf Ritscher/KONTEXT

Der Autor gehört zur ersten Generation systemischer Therapeuten und ist der Verfasser mehrerer Grundlagenwerke zur systemischen Therapie.
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Zielgruppe


Kinder- und Jugendlichenpsychiater
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten
Klinische Psychologen
Pädagogen
Psychiater
Psychotherapeuten
Sozialarbeiter
Sozialpädagogen
Systemische Therapeuten


Autoren/Hrsg.


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2. Denkvoraussetzungen systemischen Denkens
Systemisches Denken betrachtet den Beobachter als Ursprung jeden Erkennens und so auch jeder Realität. Demzufolge muss eine theoretische Auseinandersetzung mit diesem Denken mit einer Beschreibung des Beobachtens beginnen. Das setzt wiederum eine Auseinandersetzung mit den Grundbedingungen lebendiger Existenz voraus. Da aber Beobachter soziale Lebewesen sind, müssen ebenfalls die Bedingungen seiner sozialen Existenz einbezogen werden. Dazu gehören vor allem Sprachlichkeit und Kommunikation. Die im Folgenden zu erörternden Denkvoraussetzungen systemischen Denkens betreffen im Wesentlichen die zwei im vorigen Abschnitt angesprochenen Säulen, auf denen dieses Denken steht. Es handelt sich nämlich um die biologischen Voraussetzungen von Kognition und Sprache und um die kommunikativen Voraussetzungen des sozialen Lebens. Eine Zusammenfassung der Kernvoraussetzungen systemischen Denkens gibt Abbildung 3 wieder. Daran orientiert sich der Text der Abschnitte 2.1 und 2.2. Abb. 3: Kernvoraussetzungen systemischen Denkens 2.1 Biologische Voraussetzungen
Beobachten setzt Beobachter voraus, und Beobachter setzen Beobachten voraus. Diese geradezu typisch rekursive Setzung liegt bei dieser Denkart an oberster Stelle der Ableitungsreihe. Beobachten heißt Unterscheiden. Nichtunterschiedenes kann es nicht geben. Beobachten lässt zwischen Beobachter und Beobachtetem unterscheiden; dadurch entsteht erst der Beobachter als zugleich Quelle und Ergebnis des Beobachtens, als eine Einheit der Beobachtung. Dabei geht der Beobachter dem Beobachten nicht voraus, denn weder Beobachten noch Beobachter kann es ohne das jeweils andere geben. In dieser Formulierung liegt, nebenbei gesagt, die Antwort auf manche verfehlte Kritik an systemischem Denken. Systemisches Denken würde sich selbst widersprechen, wenn es den Beobachter als ontologische Ausgangslage postulierte. Das Missverständnis rührt offensichtlich daher, dass mit einem objektivistischen Maß gemessen und dabei die Rekursivität (Rückbezüglichkeit) obiger Prämisse ignoriert wird. 2.1.1 Der Beobachter
Maturana (z. B. 1998) folgend wird in diesem Buch der Beobachter als sprachliches, genauer gesagt: linguierendes Lebewesen betrachtet. Diese Definition bedarf einer näheren Beleuchtung (vgl. Abb. 4). Autopoiese. Die Bestimmung des Beobachters als Lebewesen erfordert eine genauere Erklärung lebender Prozesse. Dazu wird auf das Autopoiese-Konzept nach Maturana zurückgegriffen. In einer ersten Annäherung sei festgehalten, dass Maturana in Bezug auf Systeme zwischen Organisation und Struktur unterscheidet. Organisation bezeichnet die Relationen, die zwischen den Bestandteilen eines Systems vorkommen müssen, damit dieses System erkannt werden kann, das heißt, einer bestimmten Klasse von Systemen zugeordnet werden kann. Struktur bezeichnet wiederum die spezifische Art und Weise, wie die grundlegende Organisation in einem konkreten System verwirklicht wird. Ein Automobil zum Beispiel ist, organisatorisch gesehen, ein Fahrzeug mit eigenen Antrieb und, strukturell gesehen, ein aus Fahrgestell, Karosserie, Motor, Räderwerk usw. bestehendes Fahrzeug. Abb. 4: Der „Beobachter“ Humberto Maturana und Francisco Varela führten (1972, dt. 1982) das Konzept der Autopoiese ein, um die spezielle Organisation von Lebewesen zu beschreiben. Ohne dass hier auf die biologischen Prozesse detailliert eingegangen würde, die als Nachweis für die autopoietische Organisation des Lebendigen und ihre Konsequenzen für das Verstehen von Kognition herangezogen werden, sei hier zum Beispiel auf den 1982 erschienenen Sammelband mit den wichtigsten Originalarbeiten Maturanas verwiesen: Erkennen. Die Organisation und Verkörperung von Wirklichkeit. Leichter verständlich findet man diese Inhalte in dem zusammen mit seinem Schüler, Francisco J. Varela, 1984 publizierten und 1987 in deutscher Übersetzung herausgekommenen Buch Der Baum der Erkenntnis. Als allen Lebewesen gemeinsame Organisationsform kommt Autopoiese gleichermaßen bei Amöben, Menschen und Elefanten vor, allerdings in je eigener struktureller Zusammensetzung. Autopoietische Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Bestandteile, aus denen sie bestehen, selbst erzeugen und so lange reproduzieren, wie das Lebewesen lebt. Der allgemeinste Fall eines sich selbst erzeugenden Systems (griech. autos = „selbst“, poiein = „gestalten, machen“) ist die Zelle. Diese kann, metaphorisch gewendet, als eine Molekülfabrik aufgefasst werden, die nichts Wichtigeres tut, als die Moleküle fortwährend zu erzeugen, aus denen sie selbst besteht. Mehrzeller werden wiederum als autopoietische Systeme höherer Ordnung verstanden. Ihre Organisation koordiniert übergeordnet die autopoietische Arbeitsweise der einzelnen Zellen. Abb. 5: Autopoiese: Schematische Darstellung und Definition (nach H. R. Maturana und F. J. Varela 1987) Die Arbeitsweise lebender Systeme wird von der Struktur des Systems bestimmt (Strukturdeterminiertheit). Die Struktur eines Lebewesens kann nur jene Veränderungen durchlaufen, die keine Veränderung der autopoietischen Organisation zur Folge haben. Anderenfalls zerfallen sie, oder sie werden von außen zerstört. In einem Beispiel: Menschen können nur kurze Zeit den Eindruck haben, aus eigener Kraft zu fliegen, nämlich bis sie am Boden angelangt sind; ihre Struktur ist eben auf Fliegen nicht ausgerichtet. Fische können nur kurze Zeit außerhalb des Wassers sein, ohne dabei einzugehen, das heißt, ohne ihre lebendige Organisation zu verlieren. Systeme, deren Arbeitsweise auf die Erhaltung der eigenen Organisation ausgerichtet ist, können nicht von Einwirkungen aus der Außenwelt bestimmt werden. Sie sind nicht instruierbar (= von außen mit Struktur versehen). Lebende Systeme können jedoch verstört (perturbiert, irritiert) werden, sofern der Reiz auf Zustände im Organismus trifft, die eine Reaktion auf einen solchen Reiz zulassen oder gar vorschreiben. Die Art und Weise der Reaktion wird aber vom strukturellen Zustand des Organismus bestimmt. Nicht der Reiz bestimmt die Reaktion, sondern die Struktur des lebenden Systems. Diese grundsätzliche Eigenschaft des Lebendigen gilt naturgemäß ebenfalls für Kognition und besagt, dass Erkennen als Leistung des beobachtenden Systems von dessen Struktur und nicht vom Beobachteten bestimmt wird. Emotionieren. Nach der ausgiebigen Erarbeitung seiner Autopoiese- und Kognitionstheorie erkannte Humberto Maturana in den 1980er-Jahren die Notwendigkeit, die Emotionen in sein Denkgebäude einzubauen. Dabei führte er den Begriff „Emotionieren“ in den Diskurs ein, um zu verdeutlichen, dass alles Rationale und alles Verhalten in der letzten Konsequenz emotional motiviert wird. Als multidimensionale Systeme mit einer variablen körperlichen Dynamik durchleben Menschen einen Durchfluss emotionaler Zustände, welche die psychischen Zustände und die sozialen Interaktionen begleiten und richtungsweisend bestimmen. Dabei werden unter Emotionen körperliche Zustände verstanden, die zu spezifischen Verhaltensweisen disponieren und so den aktuellen Handlungsbereich eines Organismus festlegen. Das Übergehen von einem emotionalen Zustand in den anderen nennt Maturana Emotionieren. Erfolgt dieser Übergang in konsensueller Abstimmung mit anderen Lebewesen, spricht er von „Ko-Emotionieren“. Das Zusammenspiel von Linguieren (s. unten) und Emotionieren bildet eine Synthese, die Maturana „Konversieren“ nennt. Das Emotionieren kommt in irgendeinem Ausmaß bei allen Lebewesen vor, so in einem Beispiel nach Maturana bei einem Kakerlak, der im Dunkeln genüsslich durch eine Küche in Richtung Essensreste wandert und plötzlich durch das Einschalten des Lichtes in einen völlig anderen emotionalen Zustand versetzt wird, nämlich Furcht, und das genüssliche Wandern geht in schnelles Fluchtverhalten über. Konversieren meint hier nicht einen Austausch von Bedeutungen, sondern vielmehr die Lust am Miteinander, am gemeinsamen Aufbau konsensueller Bereiche, die sich zu einer Interaktionsgeschichte verbinden und so den Hintergrund bilden, aus dem das menschliche Leben erst seinen Sinn bezieht. Linguieren. „Linguieren“ bezeichnet den spezifisch menschlichen Prozess, durch den Menschen ihre Lebensweise – als „Herdentiere“ – in Gemeinschaft gestalten und regulieren. Die Erfindung des Wortes „Linguieren“ war notwendig, um die Bedeutung der von Maturana eingeführten spanischen Wortschöpfung lenguajear (engl. to language, languaging) möglichst korrekt zu übersetzen. Ein alternativer Rückgriff auf deutsche Begriffe wie z. B. Versprachlichen (in eine vorhandene Sprache umsetzen) oder Sprechen (eine bereits vorhandene Sprache verwenden) wäre irreführend gewesen; die Verwendung wiederum eines deutschen Neologismus wie „Sprachlichen“ bietet meines Erachtens gegenüber „Linguieren“ keinen wesentlichen Gewinn. Was bedeutet Linguieren? Zunächst lässt sich...


Kurt Ludewig, Dr. phil., Diplom-Psychologe; systemischer Therapeut und Supervisor. 1974–2004 klinische Tätigkeit an den Unikliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hamburg und Münster. Seit 2008 selbstständige Tätigkeit als Supervisor und Lehrer. Gründungsvorsitzender des Instituts für systemische Studien Hamburg (1984-1996) und der deutschen Systemischen Gesellschaft (1993-1999). 2001–2005 Vorstandsmitglied der Kammer der Nationalen Organisationen an der European Family Therapy Association (EFTA).
Publikationen u. a.: „Einführung in die theoretischen Grundlagen der Systemischen Therapie“ (4. Aufl. 2021) und „Entwicklungen systemischer Therapie“ (2013).
Schwerpunkte: Systemische Therapie, Beratung und Supervision mit Einzelnen, Paaren und Familien.


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