McMahon | Das NGO-Spiel | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 312 Seiten

McMahon Das NGO-Spiel

Zur ambivalenten Rolle von Hilfsorganisationen in Postkonfliktländern

E-Book, Deutsch, 312 Seiten

ISBN: 978-3-86854-955-3
Verlag: Hamburger Edition HIS
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



In den meisten Postkonfliktländern verorten sich für einen gewissen Zeitraum diverse internationale Nichtregierungsorganisationen (NGOs), ausgestattet mit Geld und den besten Absichten. Sie nehmen sich kaum lösbarer gesellschaftlicher Konflikte an, sind nicht nur für die akute Nothilfe zuständig, sondern häufig auch für den Aufbau der Demokratie, für die ethnische Aussöhnung und für die Vergangenheitsbewältigung. Nach einiger Zeit ziehen die NGOs weiter und hinterlassen eine "losgelöste Zivilgesellschaft".

Das NGO-Spiel handelt von den unbeabsichtigten und nicht selten negativen Ergebnissen der Friedenskonsolidierung.

McMahons empirische Untersuchungen in verschiedenen Postkonfliktländern, ihre zahlreichen Interviews mit Menschen im Kosovo, Bosnien, aber auch z.B. in Vietnam, stützen die provokante These der Autorin, dass NGOs nicht so sehr eine Hilfe bei der Schaffung dauerhaften Friedens sind, sondern vielmehr Teil der anhaltenden Probleme in postkonfliktuellen Gesellschaften.
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Weitere Infos & Material


Abkürzungen

Einführung – Aufstieg und Niedergang bei der Friedenskonsolidierung

Die Realität der NGOs

Das Versprechen der NGOs

NGO-Spiel

Was steht auf dem Spiel?

Von Randfiguren zu Geheimwaffen

Der Plan

Unsichere Zeiten

Neue Kriege

Die Notwendigkeit zu handeln

Von Management zu Transformation

Ins Nichts

Die Ursprünge des Wachstums

Von Macht und Versprechungen

Was die Zahlen sagen

Geld für etwas

Wichtige Beziehungen

Schleichende Ausweitung der Mission

Die Realitäten der NGOs

Bosnien – Viel Lärm um NGOs

Prioritäten und politische Strategien

Das Zauberwort "Zivilgesellschaft"

Das große Experiment

Schwierige Wahrheiten

Von Rettern zu etwas anderem

Kosovo – Kopieren, einfügen und löschen

Internationale Prioritäten und Politiken

Stärkung und Transformation der Zivilgesellschaft

Der humanitäre Zirkus

Jenseits des Spektakels

Von Friedenskonsolidierung zu wohlwollender Kolonialherrschaft

Schluss – Das Ende des Goldenen Zeitalters

Liberale Friedenskonsolidierung in Krisensituationen

Über den Balkan hinaus

Über Konflikt und Friedenskonsolidierung hinaus

Die Zukunft der NGOs

Bibliografie

Interviews

Sekundärliteratur

Danksagung


Einführung – Aufstieg und Niedergang bei der Friedenskonsolidierung
In den meisten Postkonfliktländern sind Nichtregierungsorganisationen (NGOs) allgegenwärtig, aber ihre Anwesenheit wird missverstanden und ihr Einfluss überschätzt. Ich besuchte Bosnien-Herzegowina erstmals im Jahr 2000, fast fünf Jahre nach dem Ende der schrecklichen Gewalt. Damals war ich fasziniert von den NGOs, auf die ich in allen Städten stieß. Ich kehrte noch viele Male nach Bosnien zurück und betrieb Feldforschung in anderen Postkonfliktländern wie Vietnam, Kambodscha und Kosovo, und dabei fielen mir interessante, aber verstörende Muster in den verschiedenen Ländern auf. Internationale Akteur_innen und internationale NGOs (INGOs) kamen in ein Land, lokale NGOs (LNGOs) schossen überall aus dem Boden, viel Geld und Energie flossen in die Gründung und Stärkung solcher Organisationen. Mit der Zeit ließ jedoch die Begeisterung für die Projekte nach, die internationalen Akteur_innen und NGOs gingen nach Hause, und die lokalen Gruppen verschwanden. Begeisterung und Enthusiasmus für die Friedenskonsolidierung verwandelten sich in Enttäuschung, womöglich sogar Zynismus über die Akteur_innen und ihre Aktivitäten. Nach ein paar Jahren waren die NGOs nicht mehr hilfreiche Verbündete, sondern Teil des Problems. Forscher_innen und Politiker_innen neigen dazu, das Engagement von NGOs in Postkonfliktländern zu akzeptieren und sogar zu loben, aber nur selten prüfen sie, was diese Akteur_innen tun und wie sich ihre Anwesenheit im Alltag auswirkt. Genau davon handelt dieses Buch, das sich auf die unbeabsichtigten und oft negativen Ergebnisse internationaler Friedenskonsolidierung konzentriert. Es wird untersucht, wie der Aufstieg von NGOs, die an der internationalen Friedenskonsolidierung mitwirken, oder der NGO-Boom, wie ich es nenne, Postkonfliktgesellschaften prägt. Vor allem werden sowohl die Entwicklung als auch das Verhalten lokaler Akteur_innen näher in den Blick genommen. Die Friedenskonsolidierung auf dem Balkan hat eine geradezu explosionsartige Vermehrung großer und kleiner NGOs mit sich gebracht, doch aus diesem Prozess und diesen Organisationen gingen keine hinreichend starken heimischen Akteur_innen hervor, die liberalen Zielen und der Schaffung von Frieden verpflichtet waren – wie die internationalen Akteur_innen gehofft und versprochen hatten. Stattdessen folgte der Niedergang der NGOs. Internationale NGOs taten, was ihrer Ansicht nach der Stabilität und liberalen Demokratie am meisten nützte, und lokale NGOs, die etwas tun, aber sich auch Geld sichern wollten, folgten ihrem Vorbild und konkurrierten dabei untereinander um internationale Aufmerksamkeit und ausländisches Geld. Als das Interesse nachließ und das Geld der Geldgeber anderswohin floss, verschwanden die NGOs, manchmal nach und nach, manchmal von einem Tag auf den anderen. Für Postkonfliktländer bedeutet der Ausfall von NGOs, dass eine »losgelöste Zivilgesellschaft« entsteht oder ein Umfeld, in dem lokale Gruppen bei der Suche nach Unterstützung und Orientierung den Blick eher nach außen richten statt ins Innere der Gesellschaften. Außerdem schürt diese Entwicklung Enttäuschung über die NGOs und Desillusionierung über die liberale Friedenskonsolidierung. Deshalb sind NGOs bei der internationalen Friedenskonsolidierung Teil des Problems geworden und nicht der Lösung. Zahlreiche Begriffe sind im Umlauf für das, was ich abwechselnd Postkonfliktfriedenskonsolidierung, internationale oder liberale Friedenskonsolidierung nenne, und andere Autor_innen haben sehr ausführlich die Unterschiede zwischen den Begriffen und die vielen Alternativen diskutiert.1 Es mag tatsächlich Unterschiede geben, aber ich verwende eine ähnliche Definition wie die Vereinten Nationen und konzentriere mich darauf, wie westliche Regierungen und internationale Organisationen vorgehen, wenn sie »durch sehr spezifische politische, ökonomische und gesellschaftliche Institutionen und Praktiken Frieden wiederherstellen und aufbauen« wollen.2 Aber anders als die meisten anderen, die sich mit Friedenskonsolidierung in Postkonfliktsituationen, Wiederaufbau und Staatenbildung befassen, interessieren mich am meisten die Rolle und das Verhalten von nichtstaatlichen Organisationen oder NGOs in dem Prozess, eine Bezeichnung, die ebenfalls umstritten und verwirrend ist. Weil andere Nichtregierungsorganisationen seziert, zerlegt und definiert haben, »ohne dass jemand damit sonderlich zufrieden war«3, verzichte ich darauf. Stattdessen übernehme ich die weit gefasste Definition der UN, wonach NGOs einfach alle nichtstaatlichen, nicht profitorientierten Organisationen sind, die für das Allgemeinwohl arbeiten. Humanitäre NGOs sind seit Langem in Konfliktgebieten aktiv, leisten lebensrettende Hilfe, kümmern sich um leidende Menschen und um Schutz für obdachlos gewordene. In mancher Hinsicht sind ihr Engagement und ihre Aktivitäten nicht neu. Doch die Gruppen, die mir in Bosnien und anderen Postkonfliktsituationen begegnet sind, waren keine traditionellen humanitären NGOs, und ihre Aktivitäten ließen sich nicht leicht zusammenfassen. Manche halfen Geflüchteten und Menschen in Not, aber andere arbeiteten für eine Reform der Bildung, für eine Erinnerungskultur oder für den Aufbau der Demokratie. In fast jeder Stadt, die ich besuchte, gab es NGOs, die sich um Frauenrechte kümmerten. Ob internationale oder lokale Organisationen, implizit nahmen sie alle für sich in Anspruch, progressive Akteur_innen zu sein, die an der Seite westlicher Regierungen und internationaler Organisationen für Frieden und einen Wandel hin zur liberalen Demokratie arbeiteten. Wie Roland Paris schreibt, sind NGOs mittlerweile ein wichtiger Bestandteil der internationalen Friedensarbeit und teilen implizit die liberale Mission der westlichen Regierungen und internationalen Organisationen.4 Das Problem ist, dass wir nicht viel über diese Akteur_innen und ihre einzigartige Rolle bei der Friedenskonsolidierung nach Konflikten wissen. Die Realität der NGOs
Die NGOs, auf die ich in Bosnien und anderswo stieß, überraschten mich in mindestens fünf Hinsichten, und die geben den Rahmen für dieses Buch ab. Erstens war da die schiere Zahl und Vielfalt großer und kleiner Organisationen. In der bosnischen Hauptstadt Sarajevo stolperte ich zwar nie über eine NGO, hatte aber oft das Gefühl, dass es geschehen könnte, wenn ich nicht aufpasste. Das traf insbesondere für meine ersten Besuche in dem Land in den Jahren 2000 und 2001 zu. Ich fand NGOs an den unwahrscheinlichsten Orten: in isolierten Dörfern, in Flüchtlingslagern und in neu errichteten Appartementblocks am Rand der Stadt. Sie waren auch in viel mehr Bereichen tätig und mit viel mehr Aufgaben befasst, als die Forschung vermuten ließ.5 Bei meinen Reisen stieß ich auf NGOs aller denkbaren Arten, die das Land wiederaufbauen, einen Teil der Bevölkerung stärken oder ein vernachlässigtes Thema ins Licht rücken wollten. Es waren ganz gewiss nicht einfach nur humanitäre NGOs, die in Notsituationen halfen oder grundlegende Unterstützung brachten. Meine zweite Überraschung hinsichtlich des Booms der NGOs war, wie zufällig und vollkommen instabil er sich erwies. In manchen Städten gab es in einem bestimmten Zeitraum viele NGOs, die in ähnlicher Weise arbeiteten (wenn auch nicht unbedingt zusammenarbeiteten), während sich um andere, ebenfalls eindeutig drängende Aufgaben niemand kümmerte. Gruppen tauchten plötzlich auf und verschwanden ebenso plötzlich wieder, oftmals ohne eine Spur zu hinterlassen. Bei jedem Besuch auf dem Balkan waren es weniger NGOs, die ich aufsuchen, und weniger Personen, die ich interviewen konnte, und von den einst zahlreichen zivilgesellschaftlichen Projekten war kaum noch eine Spur zu finden. Drittens waren die NGOs in Bosnien trotz allem, was ich gelesen hatte, nicht einfach große internationale humanitäre Gruppen, die am Rand des politischen Geschehens kurzfristig Hilfe leisteten. Diese Organisationen waren – oder beanspruchten zumindest, es zu sein – lokale Organisationen, die eine schwindelerregende Vielfalt politischer und gesellschaftlicher Aktivitäten verfolgten. Manche kümmerten sich um ganz praktische Probleme: Sie verteilten Nahrungsmittel, halfen bei der Unterbringung oder bauten Gedenkstätten für Kriegsopfer. Andere arbeiteten für anspruchsvolle abstrakte Ziele wie Demokratie, ethnische Aussöhnung und Vergangenheitsbewältigung. Doch die meisten Untersuchungen über NGOs, zumindest soweit sie von Expert_innen für Internationale Beziehungen (IB) stammen und ganz besonders von jenen, die über Wiederaufbau nach Konflikten schreiben, konzentrieren sich nur auf internationale NGOs oder auf lokale Gruppen und unterteilen sie säuberlich in Kategorien, die angeblich unterschiedlich agieren. Wenn man glaubt, was man liest, befassen sich NGOs entweder mit Hilfeleistung oder mit Interessenvertretung.6 Tatsächlich geht es in Postkonfliktländern nicht so ordentlich zu, und die Aktivitäten von NGOs sind auch nicht so ordentlich...


Patrice C. McMahon ist Associate Professor für Politische Wissenschaften an der University of Nebraska-Lincoln. Sie forscht zu den Bereichen humanitäre Angelegenheiten, internationale Friedensbildung, NGOs und die US-Außenpolitik.


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