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E-Book, Deutsch, Band Sonderband, 252 Seiten

Reihe: MUSIK-KONZEPTE

Tadday Josquin des Prez

E-Book, Deutsch, Band Sonderband, 252 Seiten

Reihe: MUSIK-KONZEPTE

ISBN: 978-3-96707-399-7
Verlag: edition text+kritik
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



"Das Buch, das die Zeugnisse für Josquins Ruhm bei den Zeitgenossen und Nachruhm bis ins 17. Jahrhundert systematisch gesammelt und gedeutet hätte, ist", so Ludwig Finscher, "noch nicht geschrieben, aber die Umrisse des Bildes sind deutlich genug. Josquin war der erste Komponist, der schon die Zeitgenossen als Person interessierte, und er galt spätestens seit den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts unangefochten als der bedeutendste seiner Zeit".
Vor 500 Jahren starb Josquin des Prez (geb. um 1450/55), und noch heute gelten vor allem seine Messen und Messsätze vielen als unerreicht. Aber Josquin ist nicht nur der Messkomponist schlechthin, sondern Schöpfer von Motetten und Chansons. Die Autoren des Sonderbandes nehmen den gesamten Josquin in den Blick und reflektieren seine Werke im Kontext seiner Zeit, und zwar nicht nur im Besonderen der Musikgeschichte, sondern auch im Allgemeinen der Geschichte, der Kunst- und Literaturgeschichte wie der Religions- und Frömmigkeitsgeschichte.

Mit Beiträgen von Esma Cerkovnik, Michael Chizzali, Felix Diergarten, Ludwig Finscher, Guido Heidloff Herzig, Philine Helas, Laurenz Lütteken, Stefan Menzel, Michael Meyer, Gesa zur Nieden, Klaus Pietschmann, Volker Reinhardt, Thomas Schmidt, Nicole Schwindt, Daniel Tiemeyer und Christiane Wiesenfeldt.
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Weitere Infos & Material


- Vorwort
- Volker Reinhardt: Josquin des Prez in Italien. Macht, Hof und Kultur in Mailand, Rom und Ferrara
- Philine Helas: Das Porträt des Komponisten und Musiktheoretikers. Ein neues Bildthema in Italien im 15. Jahrhundert
- Laurenz Lütteken: Musarum decus? Josquins Wirklichkeiten und die Wirklichkeit Josquins
- Christiane Wiesenfeldt: Zwischen Ordo und Varietas. Strategien des Wiedererzählens in Josquins Messenschaffen
- Klaus Pietschmann: Sublimierte Sinnlichkeit. Josquins Messen in liturgie- und frömmigkeitsgeschichtlicher Perspektive am Beispiel der "Missa Gaudeamus"
- Daniel Tiemeyer: Josquins marianische Kompositionen im Kontext zeitgenössischer Frömmigkeit
- Stefan Menzel: Josquins Motetten im lutherischen Gottesdienst
- Thomas Schmidt: Imitationstechnik oder Textbehandlung? Zwei komplementäre Kompositionsprinzipien in den Motetten Josquins
- Michael Meyer: Werkindividualität, Kanon und Gebet. Überlegungen zu Josquins Ostinato-Tenormotetten
- Felix Diergarten: Wundersam schön. Versuch einer Ehrenrettung von "Ecce tu pulchra es"
- Esma Cerkovnik: "Poenitentia", "devotio" und "conversio". Um Josquins Bußpsalmmotetten
- Nicole Schwindt: "Josquin des Prez, ne faictes plus chanson". Josquin und der Imperativ der Kantilene
- Guido Heidloff Herzig: Ein Blick in Josquins Komponierstube. Sechsstimmige Satzkonzepte in der Chanson "Se congié prens"
- Michael Chizzali: "Aufer a nobis domine", eine neu aufgefundene Kontrafaktur von Josquins Chanson "N'esse pas ung grant desplaisir". Überlegungen zum Spannungsfeld "humanistischer" Textunterlegung
- Gesa zur Nieden: Der Weg ins Unbekannte. Ernst Blochs Josquin-Rezeption im Spannungsfeld von Geschichtsphilosophie der Innerlichkeit und Musikgeschichte
- Ludwig Finscher: Von Josquin zu Willaert – ein Paradigmenwechsel?
- Abstracts
- Bibliografische Hinweise
- Zeittafel
- Autorinnen und Autoren


VOLKER REINHARDT Josquin des Prez in Italien
Macht, Hof und Kultur in Mailand, Rom und Ferrara Die Gesetze der Klientel
Die Angaben und Daten zu Josquin des Prez’ Aufenthalten in Italien sind lückenhaft, nicht immer eindeutig und teilweise umstritten.1 Einige Fixpunkte sind gleichwohl durch verlässliche Dokumente gesichert. Auf diese Weise lässt sich trotz aller Lücken und Unsicherheiten aus der Sicht des Historikers zweierlei nachzeichnen: zum einen ein elementares Geflecht aus Patronage und Anstellung, durch das der große Musiker in der Gesellschaft und zumindest partiell auch im politischen Gefüge der Zeit platziert und positioniert ist und durch das seine Relevanz für Selbstdarstellung und Mächtige der Zeit hervortritt, und zum anderen ein Zeithintergrund aus Protagonisten und historischen Ereignissen, vor den dieses Wirken zu stellen ist. Wie des Prez beides wahrnahm und bewertete, wie er darauf reagierte und ob bzw. in welcher Weise er diese Eindrücke als Zeitzeuge in seinem Werk verarbeitete, muss hingegen aus dieser Perspektive reine Spekulation bleiben und kann allenfalls der Musikologie als Deutungsaufgabe überantwortet werden. In der Forschung unstrittig ist,2 dass Josquin des Prez bei seinem ersten Erscheinen in Italien in den Jahren 1484 und 1485 als Klient des Kardinals Ascanio Maria Sforza auftritt. Wie eng und dauerhaft dieses Verhältnis in den nachfolgenden anderthalb Jahrzehnten danach blieb, darüber gehen die Meinungen aufgrund lückenhafter Überlieferung weit auseinander. Nach Auswertung aller bis heute bekannten Dokumente wird hier davon ausgegangen, dass die damit geschlossene Beziehung zum wechselseitigen Nutzen bis zur Katastrophe des Hauses Sforza in den Jahren 1499/1500 funktional intakt blieb, auch während des Prez’ Tätigkeit an der päpstlichen Kapelle. Solche Protektion hatte ihren Preis: Der Gefolgsmann (creatura) hatte seinem Protektor (padrone) treue Dienste und Unterstützung in allen Lebenslagen zu leisten und v. a. dessen Rang und Ehre zu vermehren. Alles spricht dafür, dass des Prez diese Aufgaben getreulich wahrgenommen hat. Dass er danach, wie zu vermuten, zum Sieger, König Ludwig XII., überging, der Ascanios Marias Bruder, Herzog Ludovico »il Moro«, stürzte und gefangen nahm, ist nicht als Verstoß gegen das komplexe, schriftlich nie verbindlich fixierte Regelwerk klientelärer Beziehungen zu betrachten – mit dem Untergang des Patrons, der keine Förderung mehr zu liefern vermochte, erloschen auch die Pflichten der »Kreatur«. Des Prez’ Mailänder »Hofgenosse« Leonardo da Vinci hielt es ähnlich; auch er arbeitete später für den Sieger und sandte dem gestürzten Herrscher sogar noch einen hämischen Nachruf hinterher.3 Dass des Prez 1484 auf Kardinal Ascanio Maria Sforza4 setzte, zeugte von intimer Kenntnis der italienischen Politiklandschaft, gepaart mit Risikobereitschaft. Diesem war erst kurz zuvor, im März desselben Jahres, der Purpur verliehen worden, und zwar, wie fast immer in der Regierungszeit Papst Sixtus’ IV. della Rovere (1471–1484), aus rein politischen Opportunitäts-Gründen.5 Der Pontifex stammte aus bescheidenen Verhältnissen einer ligurischen Provinzstadt und hatte es im Franziskanerorden bis zu dessen General gebracht, neben dem Eintritt in die Klientel eines einflussreichen padrone nahezu der einzig beschreitbare Weg nach oben in einer Zeit, in der sich die Elitenverhältnisse dauerhaft verfestigten. Seine für die politischen Beobachter der Zeit überraschende Wahl zum Papst verdankte der kuriale Außenseiter nach neuesten Forschungen6 einem Interessenverbund, der sich aus den versprengten Anhängern des 1477 auf dem Schlachtfeld von Nancy von den Schweizern getöteten Herzogs von Burgund, der Herrscherfamilie Gonzaga in Mantua und v. a. der in Mailand regierenden Sforza-Dynastie zusammensetzte. Dieser schuldete er nach dem an der Kurie tief verinnerlichten pietas-Gebot lebenslangen Dank, den er mit der Erhebung Ascanio Maria Sforzas kurz vor seinem Tod zum letzten Mal abstattete. Mit dem Anschluss an diesen durfte Josquin des Prez also auf gewichtige Vorteile hoffen. Für ihn als Kleriker dürfte die Nähe zur Kirchenspitze und damit zur Bestätigung und Vergabe lukrativer Pfründen wichtig gewesen sein. Solche Benefizien wurden – sofern sie der Papst verteilen konnte – nach einer Reihe von Prinzipien vergeben: An erster Stelle standen Status, Rang, Gewicht und Einfluss des Fürsprechers, also des Patrons; danach kam es auf die Schnelligkeit der Eingabe (Supplik) und das im entscheidenden Moment richtige Wort an die Adresse des Papstes an; die Eignung durch sittlichen Lebenswandel und berufliche Qualifikation trat demgegenüber weit zurück. Nach all diesen Kriterien war Ascanio Maria Sforza erste Wahl, zumindest solange, wie der Della Rovere-Papst regierte. Als dieser im August 1484 das Zeitliche segnete, änderte sich die Situation allerdings grundlegend. Im nachfolgenden Konklave standen sich zwei Parteien in einer unversöhnlichen Konfrontation gegenüber, die sich in den nachfolgenden Jahrzehnten zu einem Dauerkonflikt erweitern sollte, der des Prez’ Aufenthalt in Italien wesentlich mitbestimmte.7 Da Ascanio Maria Sforza von Sixtus IV. den roten Hut erhalten hatte, trat er nach dem vorherrschenden Verständnis und Regelkodex der Kurie in dessen Gefolgschaft ein und schuldete ihm lebenslange Ergebenheit. Im August 1484 hieß das konkret, den neuen Chef der Familie Della Rovere, Kardinal Giuliano, bei seinen Manövern für einen genehmen Kandidaten bedingungslos zu unterstützen. Doch der frischgebackene Kirchenfürst tat genau das Gegenteil: Er verbündete sich mit Giulianos Todfeind Rodrigo Borgia, dem Kardinalnepoten Papst Calixtus’ III. (1455–1458), der selbst mit allen Mitteln nach der Tiara strebte. In den Augen der etablierten Eliten Italiens war diese Parteinahme Sforzas ein unverzeihlicher Bruch mit Normen, die allein das Machtgleichgewicht Italiens und den Schutz vor auswärtiger Intervention garantierten. Dadurch, dass er sich über dieses Gebot hinwegsetzte, machte des Prez’ Patron zweierlei deutlich: dass er die Spielregeln der übrigen Mächtigen nicht akzeptierte und, ungewollt, dass seine Familie nicht zu dieser seit Generationen herrschenden Klasse gehörte. In der Tat repräsentierte die Sforza-Sippe8 einen Typus der Herrschenden, den die von Jacob Burckhardt so eingängig verbreiteten Legenden sehr zu Unrecht zum Inbegriff der italienischen Renaissance schlechthin erhoben: Ihre Angehörigen waren krasse Parvenüs, Glücksritter, die durch die kriegerischen Wechselfälle der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts nach oben gespült worden waren. Ihr Statusbegründer Francesco Sforza (1401–1466) war Söldnerführer in der zweiten Generation, seine Vorfahren vom Großvater abwärts waren obskure Landleute in der Romagna. An die Spitze des Herzogtums Mailand – den Herzogtitel erhielt die Familie erst nach einem dynastischen Tauschgeschäft mit dem römischen König Maximilian im Jahr 1494 – war Francesco Sforza nach dem Aussterben der Visconti im Mannesstamm und langwierigen Verhandlungen mit dem Mailänder Adel aufgestiegen, in denen er diesem zahlreiche Zugeständnisse machte und Privilegien erteilte. Als homo novus an der Spitze einer der italienischen Hauptmächte, also an der Seite des Dogen von Venedig, der Medici in Florenz, des Papstes in Rom und des Königs von Aragon in Neapel und Sizilien, war Francesco Sforza dringend darauf angewiesen, sich das Image eines guten christlichen Herrschers zuzulegen, der seine Untertanen wie ein fürsorglicher Familienvater regierte. Mindestens ebenso dringend musste die ganze Familie ihre wenig prestigeträchtige Herkunft durch die Entfaltung von Kulturglanz überdecken und vergessen lassen – und hier kam, eine Generation später, Ascanio Maria Sforza und mit dessen Bestrebungen Josquin des Prez ins Spiel. Francesco Sforza war sich in den anderthalb Jahrzehnten seiner Regierung der Fesselungen und Einschränkungen, die ihm der Pakt mit der lombardischen Geburtselite auferlegte, bewusst, regierte bewusst defensiv und verschaffte sich durch sein enges Bündnis mit den Medici in Florenz starken Rückhalt. Diese Zurückhaltung legte die nächste Generation zu ihrem Nachteil ab. Sein ältester Sohn und Nachfolger Galeazzo Maria wurde 1476 nach zehnjähriger betont autokratisch-selbstherrlicher Herrschaft Opfer einer Verschwörung mailändischer Adeliger.9 Für seinen siebenjährigen Sohn Gian Galeazzo führte dessen Onkel Ludovico, nach seinem dunklen Teint »il Moro« genannt, die Regierung, die er auch nach der Volljährigkeit seines Mündels, das er 1494 höchstwahrscheinlich vergiften ließ, nicht mehr abgab. Zum Nachteil der nicht-aristokratischen Abstammung kam jetzt der Makel der Illegitimität, eine brisante Mischung, die in den nachfolgenden Jahrzehnten das mühsam austarierte Machtgleichgewicht Italiens erst empfindlich stören und ab 1494 zerbrechen lassen sollte, v. a. durch die daraus resultierenden Spannungen mit dem König von Neapel, dessen Tochter mit dem Schattenherrscher Gian Galeazzo verheiratet war. Ludovico Sforza und sein auf dessen Macht eifersüchtiger jüngerer Bruder Ascanio Maria reagierten darauf mit einer dezidierten Hochrisiko-Politik und dem weiter forcierten Bemühen um eine glanzvolle Hofhaltung, die ihre Schwachstellen zu überdecken...


Tadday, Ulrich
Ulrich Tadday, geb. 1963, Studium der Musikpädagogik und Musikwissenschaft, Germanistik und Philosophie an den Universitäten Dortmund und Bochum; Staatsexamina, Promotion und Habilitation; seit 2002 Professor für Historische Musikwissenschaft an der Universität Bremen; seit 2004 Herausgeber der Neuen Folge der "Musik-Konzepte".

Ulrich Tadday, geb. 1963, Studium der Musikpädagogik und Musikwissenschaft, Germanistik und Philosophie an den Universitäten Dortmund und Bochum; Staatsexamina, Promotion und Habilitation; seit 2002 Professor für Historische Musikwissenschaft an der Universität Bremen; seit 2004 Herausgeber der Neuen Folge der "Musik-Konzepte".


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