Pankow / Beck / Greiner | Liebe, Körper, Wut & Nazis | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Pankow / Beck / Greiner Liebe, Körper, Wut & Nazis

Wie wir beschlossen, uns alles zu sagen

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-608-11634-2
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Ein Selbstversuch. Vier Menschen einer Generation fragen sich aus über vier Themen, die unsere Zeit prägen: Liebe, Körper, Wut und Nazis. Welche Fragen wollten wir unseren Freunden schon immer stellen, durften es aber nicht, weil sie so persönlich waren, so gefährlich, dass nicht einmal die engste Freundschaft sie zugelassen hätte? Kann man sich zu nahekommen?

Ihr habt ja nie gefragt! Macht man das in Zeiten der Aufmerksamkeitsökonomie, sich füreinander interessieren? Also: so richtig, aufrichtig. Jennifer Beck, Fabian Ebeling, Steffen Greiner und Mads Pankow, vier Menschen einer Generation, lassen sich aufeinander ein. Ohne Scham. Ohne Angst. Mit Zeit. Sie versprechen, sich zu antworten und zu schauen, wo sie hinführen, die Fragen, die niemand zu stellen wagt. Weil sie Themen berühren, die keiner gern anfasst: Liebe, Körper, Wut und Nazis. Immer wieder und immer schriftlich. Sie legen offen, was wir aneinander entdecken, wenn wir uns alles fragen dürfen, aber auch, dass Verständnis nicht sofort aus Verständigung resultiert.
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Jenny, sagt man noch »ich liebe dich«? Jennifer • Ja, Fabian, in den falschen Momenten. Zum Beispiel? Wenn ich nicht meine, was ich sage, sondern: Scheiße, antworte! Weil ich eigentlich frage: Woran merkst du, dass die Liebe weg ist? Woran, Mads? Mads • Liebe Jenny, das merke ich gleich. Also sofort, beim Kennenlernen schon. Ich kann der Ahnung nicht entgehen, dass das, was da aus vertrauten Worten und Blicken entsteht, eines Tages wieder vergehen wird. Man könnte es auch als schlechte Angewohnheit betrachten, die Packung immer als erstes nach dem Verfallsdatum zu wenden. Das war nicht immer so, die erste Liebe hielt ich selbstverständlich für unendlich und ohnehin raumzeitlich völlig entgrenzt. Aber das war – keine Überraschung – ein Irrtum. Raum, Zeit und auch ihr schnell verebbendes Interesse widerlegten meinen Eindruck zügig und unmissverständlich. Ich litt eine Weile sehr und dann war sie mir egal, was ich bis heute kaum glauben kann, denke ich an das ganze Drama zurück. Dabei hatten das natürlich alle vorher so vorausgesagt, mir Cat Stevens vorgespielt und Sarah Connor: Klar, so ist das beim ersten Mal, da glaubt man der Chemie und all ihren Versprechungen und Vertuschungen und Flunkereien und derben Lügen. Sie haben ja auch geübt. Hormone: 500 Millionen Jahre Bio-Sales-Experience. Seitdem aber, seit ich also das notwendige Misstrauen in meine Gefühle entwickelt habe, das man gemeinhin Erwachsensein nennt, seitdem drängen sich mir die Grenzen der Zuneigung meines Gegenübers unmittelbar auf. Ein Stirnrunzeln, ein schiefes Lächeln, eine ironische Spitze, ein Offenbarungseid zu viel oder zu wenig und ich meine zu wissen, wie das die Straße runtergeht. Nicht, dass ich nicht trotzdem geliebt hätte, nicht, dass ich solche Beziehungen nicht geführt hätte. Aber immer mit der Hypothek zu wissen, dass sie ein Ablaufdatum haben, dass ich schon weiß, dass diese Liebe enden wird. Das ist natürlich eine Zumutung, das merkt eine Partnerin sicherlich auch. Und man schleppt sich mit einem Regime aus Schuldgefühlen und Trennungsängsten durch die Monate und Jahre und weiß, es ist unabwendbar. Die Frage ist nur, welche Ausfahrt nehme ich, diese oder warte ich noch auf die nächste? Horror, wirklich, Jenny. Das habe ich bis heute nicht verwunden, dass ich jemandem so etwas angetan habe, jemandem, den ich meinte zu lieben. Mehreren. Aber wahrscheinlich ist das gar nicht, was du meinst, mit Liebe. Und du magst mit deinem Einwand recht haben: Das Wort »Liebe« wäre wohl auch in seiner nüchternsten Interpretationsweise nicht auf eine derart dekonstruierte und romantisch-amputierte Zuneigung zu reduzieren. Liebe braucht ja diese Totalität, die sie nie einlösen kann. Zumindest nicht aus sich heraus. Liebe ist eine extensive Emotion, sie verbraucht sich schneller, als sie regeneriert. Sie muss die alltäglichen Abklärungen und Notwendigkeiten schultern, sich von neuen Bekanntschaften und Lebensphasen in Frage stellen lassen. Das Gefühl Liebe selbst ist also nicht totalitär, sondern immer nur konditional. Ihre Absolutheit muss erst hergestellt werden, sie muss entschieden werden. Erst die Entscheidung zur Liebe transzendiert ein spontanes Gefühl ins Unendliche: Du bist mein Partner, meine Partnerin, ich stehe zu dir, für immer. Die totale Liebe ist ein Versprechen, das man sich selbst gibt und damit erst glaubwürdig macht. Gefühle verändern sich, das ist eine Binsenweisheit. Die Entscheidung, sich einem anderen Menschen auf immer hinzugeben, bleibt. Dieser Wille zur Fürsorge und Loyalität vergeht nicht. Das klingt vernünftig und abgeklärt, aber für mich ist das viel romantischer als eine Liebe, die sich aus sich selbst heraus schöpfen soll. Die nimmt ja die eigene Kontingenz in Kauf, weiß, dass sie kommt und vergeht und macht den Menschen dahinter völlig austauschbar. Eine Liebe kann nur zu Ende gehen, wenn man nicht die*den Partner*in liebt, sondern nur die Liebe selbst: L’amour pour l’amour. L’amour pour moi seule. Ich fühle mich da zeitgeistig manchmal etwas deplatziert. Commitment wird ja viel auch als beengend empfunden. Das kann ich schon verstehen, vor allem, wenn man die ewige Zweisamkeit zu Hause bei den Eltern so erlebt hat. Ich kenne das nicht, keine pathogenen Partnerschaften, die ihre Erträglichkeitsgrenze längst überschritten haben, keine Zweckehe und keine Scheidungsdramen. Meine Eltern waren immer getrennt. Ich kenne von zu Hause nur serielle Monogamie und Patchwork, die strukturellen Kondensate der Liebe für die Liebe. Wenn die Liebe vorbei war, ging sie woanders, mit einem anderen Menschen weiter. Das ist in Ordnung, mir aber zu profan. Ich habe mich für die eine Liebe entschieden. Steffen, für welche Liebe hast du dich entschieden? Steffen • Für den Helm, Mads, immer für den Helm. Wenn ich »Entscheidung« lese, sehe ich einen Motorradhelm vorm inneren Auge. Entscheidungen sind Helme. Ich weiß nicht, warum sie bei mir stecken geblieben ist, die Helm-Geschichte. Ich las sie 2005 in der Titanic. Da erzählt Oliver Nagel von einem Preisausschreiben in seinen frühen Jugendjahren, Hauptgewinn: ein Motorradhelm, alternativ 600 DM in bar. Natürlich gewinnt der Autor, und entscheidet sich, vor die Wahl gestellt, für den Helm. »Wie wenig durchdacht jedoch, ja wie geradezu verblüffend idiotisch diese Entscheidung war«, schreibt Nagel, »fiel am nächsten Morgen zunächst meiner Mutter auf: ›Den‹, sagte sie, ›kannst du ja nicht einmal verkaufen!‹ Und tatsächlich: Nicht nur hatte ich mich für den Helm entschieden, sondern auch noch für einen, der auf meinen vierzehnjährigen Kopf passte, aber kaum auf einen halbwegs ausgewachsenen.« Ich erinnere mich an das Jahr, in dem ich die Geschichte las, nur hinter einem grauen Schleier, eigentlich ging es mir die meiste Zeit schlecht, ein Festsitzen in meiner Heimatstadt, aber diese Anekdote, zu finden in der Rubrik »Vom Fachmann für Kenner«, begleitet mich seit fast eineinhalb Jahrzehnten. Ich las sie noch im Bus auf dem Weg von der Innenstadt in meinen Vorort, Saarbrücken-Klarenthal, Linie 15, das Heft erworben in der Karstadt-Passage, kurz bevor ich von zu Hause weggezogen und zum Studieren ein Drittel Deutschland weiter nach Norden gegangen bin. Ich erschloss mir ein neues Umfeld, ein neues Denken und einen neuen Körper. Die Anekdote ist geblieben. Der Helm wurde, ein wenig mehr, als mir lieb ist, ein Teil meiner Identität, meiner Erzählung von mir selbst, »I’m a loser baby, so why don’t you kill me«, das ewige melancholische Chaplin-Scheitern als Narrativ, so dated wie ein Titanic-Witz aus dem Jahr 2005. Bloß habe ich kein schöneres finden können, keines, das weniger eklig gewesen wäre. Ich weiß nicht, was mutiger ist, das ruhig gelingende Leben oder das inszenierte Slacking. Die Lieder sind auf unserer Seite besser, aber da drüben leben die Leute ein wenig länger. Ich hatte, um deine Frage zu beantworten, nie den Eindruck, mich entschieden zu haben, weil ich in diesen Dingen, natürlich, nicht an Entscheidungen glaube. Dass ich von meinen fast dreieinhalb Jahrzehnten nicht einmal netto zwei Jahre in einer Beziehung gewesen bin, ist vielleicht, natürlich, so könnte es sein, Entscheidung für Freiheit, für den Moment, das Ungeplante, das Fließende, für Dazwischen und ewiges Werden, gegen Sicherheit, gegen ein kapitalistisch-patriarchales Konzept, klar, vielleicht aber auch einfach eine feige Entscheidung für die Entscheidungslosigkeit, die Passivität, gegen die Intensität von Emotionen. Schmerzvermeidungsentscheidung. Oder schlicht: Das Ergebnis des Aufwachsens mit zwei Elternteilen, die irgendwie ineinander stolperten, zusammenblieben, aber nicht zu wissen schienen und scheinen, dass Liebe mehr ist als das. Ich muss zugeben, dass mir meine Haltung oft schal wird. Denn sie ist natürlich auch eine für das Lügen, mir selbst gegenüber, meinen Bedürfnissen. So, wie ich seit Ewigkeiten Freiberufler bin und seit ewig unzufrieden, mich ständig irgendwo bewerbe, aber mich dabei stets sabotiere durch unmögliche Anschreiben oder fehlende Unterlagen, ist mein Single-Sein oft genug Selbstsabotage. In vier Wochen, an Weihnachten, werde ich zum ersten Mal seit über einem Jahr eine Frau treffen, für die ich mich tatsächlich entschieden hätte, hätte sie die Entscheidung für mich getroffen. Sie lebt mittlerweile auf einem anderen Kontinent. Ich konnte »ja« sagen, damals, weil sie es nie und nimmer konnte. Wir näherten uns an, blieben beieinander wie...


Beck, Jennifer
Jennifer Beck, geboren 1988 in Leipzig, war Redakteurin bei SPEX – Magazin für Popkultur und arbeitet aktuell als Kulturredakteurin beim Missy Magazine. Sie leitet die Redaktion von Die Epilog – Zeitschrift zur Gegenwartskultur in Berlin und schreibt, wie sagt man, frei.

Ebeling, Fabian
Fabian Ebeling, geboren 1985 in Mannheim, ist freier Redakteur, Autor und Mitherausgeber von Die Epilog – Zeitschrift zur Gegenwartskultur.

Greiner, Steffen
Steffen Greiner, geboren 1985 in Saarbrücken, ist Kulturwissenschaftler, Journalist und Dozent. Er lebt in Berlin. Steffen Greiner leitet die Redaktion der Zeitschrift zur Gegenwartskultur 'Die Epilog' und war Mitautor von 'Liebe, Körper, Wut & Nazis. Wie wir beschlossen, uns alles zu sagen', 2020 bei Tropen erschienen.

Pankow, Mads
Mads Pankow, geboren 1985 in Oldenburg, aufgewachsen in Berlin, ist der ehemalige Herausgeber von Die Epilog – Zeitschrift zur Gegenwartskultur. Er arbeitet als Journalist und Politikberater zu Themen der künstlichen Intelligenz und Gesellschaft.

Mads Pankow, geboren 1985 in Oldenburg, aufgewachsen in Berlin, ist der ehemalige Herausgeber von Die Epilog – Zeitschrift zur Gegenwartskultur. Er arbeitet als Journalist und Politikberater zu Themen der künstlichen Intelligenz und Gesellschaft.

Jennifer Beck, geboren 1988 in Leipzig, war Redakteurin bei SPEX – Magazin für Popkultur und arbeitet aktuell als Kulturredakteurin beim Missy Magazine. Sie leitet die Redaktion von Die Epilog – Zeitschrift zur Gegenwartskultur in Berlin und schreibt, wie sagt man, frei.

Steffen Greiner, geboren 1985 in Saarbrücken, ist Kulturwissenschaftler, Journalist und Dozent. Er lebt in Berlin. Steffen Greiner leitet die Redaktion der Zeitschrift zur Gegenwartskultur 'Die Epilog' und war Mitautor von 'Liebe, Körper, Wut & Nazis. Wie wir beschlossen, uns alles zu sagen', 2020 bei Tropen erschienen.
Fabian Ebeling, geboren 1985 in Mannheim, ist freier Redakteur, Autor und Mitherausgeber von Die Epilog – Zeitschrift zur Gegenwartskultur.


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